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Überzüchtet

Technik|Digitales

Überzüchtet
Die Elektronik prägt 90 Prozent aller Innovationen im Automobilbau. Doch sie ist auch die größte Schwachstelle: Viele Pannen und kostspielige Rückrufaktionen gehen auf das Konto fehlerhafter Elektronik-Software.

Peng! Mit einem lauten Knall öffnet sich der Seitenairbag, ohne dass es einen Unfall gegeben hätte. Vor zwei Jahren versetzte der Luftsack in rund 240 US-3er BMWs die Insassen irrtümlich in Angst und Schrecken. In den USA zünden Airbags wegen der niedrigen Anschnallquote der Autoinsassen leichter als in Europa. Und die Elektronik des Airbags der 3er-Serie war offenbar für US-Verhältnisse falsch programmiert, sodass der Luftsack schon beim Überfahren von einem Bordstein ausgelöst wurde. Deshalb musste BMW rund 55 000 Fahrzeuge in die Werkstatt zurückrufen.

Immer wieder sind Software-Probleme an spektakulären Rückrufaktionen schuld: Ein Drittel aller Autopannen gehen laut ADAC auf das Konto der elektronischen Helfer. „Die Autos werden immer komplexer, und die Software zur Steuerung der Elektronik gewinnt gegenüber der Hardware ständig an Bedeutung”, sagt BMW-Vorstandschef Helmut Panke. Die Software ist für 77 Prozent aller Elektronikfehler verantwortlich, besagt eine Studie des Center of Automotive Research (CAR) an der Fachhochschule Gelsenkirchen.

Bordcomputer, ABS, elektronische Getriebesteuerung, digitale Motorelektronik, Klimaautomatik, Bremsassistenten und Navigationssysteme haben aus Autos rollende Hochleistungsrechner gemacht. Und es kommen immer neue Funktionen hinzu. So sollen Spurhalte-Systeme durch Rütteln am Lenkrad und ein akustisches Signal ein Abweichen von der Straße verhindern, wenn der Fahrer kurz einnickt. Sensoren prüfen den Abstand zum Vordermann, und das System bremst das Auto ab, falls sich der als zu gering erweist. Bald werden Infrarot-Kameras nachts die Wärmestrahlung von entfernten Objekten aufnehmen und diese Info als Bild auf die Windschutzscheibe projizieren. Bleibt nur zu hoffen, dass die Elektronik nicht im entscheidenden Moment versagt.

Schon heute enthalten Mittelklassewagen mehr Rechnerleistung als die Apollo-Mondlandefähre. Die heutigen Serienfahrzeuge haben mehr Gemeinsamkeiten mit einem Flugzeug als mit einem VW-Käfer. Nach Prognosen der Gelsenkirchener Automobilforscher wird der Anteil der Elektronik 2010 bereits 40 Prozent des Fahrzeugwerts ausmachen. Durch die Chips sollen die Autos sicherer, umweltfreundlicher und bequemer werden. „Aber der zunehmende Elektrik- und Elektronikanteil macht die fahrenden Superrechner eben auch anfälliger für Ausfälle”, betont Prof. Ferdinand Dudenhöffer, Leiter des CAR. Denn mit jedem neuen Teilsystem steigt das Fehlerrisiko im Fahrzeug exponentiell. Wenn der Trend hin zu immer mehr Elektronik im Wagen anhält, werden Schätzungen der Gelsenkirchener Forscher zufolge in zehn Jahren fast zwei Drittel der Pannen auf Ausfälle von Elektrik und Elektronik zurückzuführen sein.

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Symptomatisch scheint dabei, dass besonders teure Autos, die vor Elektronik-Bauteilen nur so strotzen, von den Mängeln betroffen sind. So kommunizieren in Luxuslimousinen teils über 70 Rechner miteinander – mehr als in manchem Kampfjet. Laut Pannenstatistik des ADAC landen die deutschen Hersteller so genannter Premium-Fahrzeuge seit Jahren hinter der japanischen Konkurrenz auf mittleren Plätzen. Der Grund: „Die Japaner sind weniger innovativ als deutsche Automobilbauer und gehen daher auch weniger Risiken ein”, sagt BMW-Vorstand Panke. Die Hersteller aus Fernost setzen eher auf bewährte Technik, die sie lange auf ihrem heimischen Markt getestet haben. Das ist zwar weniger fortschrittlich, verursacht aber auch weniger Probleme. Die Krux: Kunden der teuren Nobelkarossen, etwa von BMW, erwarten stets ein hohes Maß an technischen Neuheiten.

„Wir brauchen eine Standardisierung der Elektronik-Schnittstellen”, sieht Panke die Lösung. Künftig müssen alle für die Sicherheit relevanten Einheiten doppelt ausgelegt sein, fordern andere Experten. Fällt ein System aus, könnte sofort die Reserve seine Aufgabe übernehmen. Und neue Software soll fortan über so genannte Flash-Speicher nachgeladen werden können. Der Vorteil: Fehlerhafte Software ließe sich dann rasch und einfach durch eine verbesserte Version ersetzen. ■

Edgar Lange

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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