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Titan und sein Ringplanet

Astronomie|Physik

Titan und sein Ringplanet
Die schwerste Planetensonde, die je ins All geschossen wurde, wird in wenigen Tagen ihr Ziel erreichen. Cassini geht auf Tuchfühlung mit Saturn und seinen Monden. Speziell im Fokus der internationalen Mission: Saturns mysteriöser Riesenmond Titan.

Es ist die Nacht zum 1. Juli 2004. Die Aktivitäten Cassinis sind bereits seit über einer Woche auf ein Minimum reduziert – nichts soll das kommende kritische Manöver gefährden: den Einschuss in den Saturnorbit. In den frühen Morgenstunden kreuzt die Sonde Saturns Ringebene. Zu den inneren Ringen hält der Planetenspäher respektvollen Abstand, denn dort schwirren, so vermuten die Forscher, Brocken im Hochhausformat umher. Die vier Meter große Hauptantenne zeigt in Flugrichtung, die Bordelektronik und die filigranen Düsen sollen hinter dem Schirm Schutz vor Mikrometeoriten finden. Ein Schwenk um 180 Grad bringt jetzt den Raketenmotor in Bewegungsrichtung. Um 3:12 Uhr MESZ zündet das Bremstriebwerk. Es soll für 97 Minuten nicht verstummen. Nur 20 000 Kilometer trennen Cassini von den sturmgepeitschten Wolken des gelben Planetenriesen, nie wieder wird die Sonde ihrem Zielplaneten näher sein. Wenn bei uns um kurz nach fünf der Tag anbricht, ist am Saturn die kritischste Missionsphase beendet und der weitgereiste Kundschafter wendet seine Antenne zurück zur Erde: Es folgt ein erster Lagebericht aus dem Reich der Ringe.

Geht alles glatt, wird mit dem morgendlichen Manöver die eigentliche Mission im bislang ehrgeizigsten unbemannten Raumfahrtprojekt beginnen: die Erkundung des Gasplaneten Saturn und seines komplexen Mondsystems. Dreimal zuvor steuerten bereits NASA-Sonden den beringten Riesen an. Pioneer 11 machte 1979 den Anfang, gefolgt von den Voyager-Zwillingen 1980 und 1981. Die damaligen Begegnungen waren jedoch lediglich Vorbeiflüge, die Bordinstrumente konnten nur für wenige Wochen einen scharfen Blick auf ihr Ziel erhaschen.

Diesmal geht es nicht nur um eine Stippvisite: Cassini, die im Oktober 1997 gestartete, schwerste und teuerste Raumsonde, die je ins All geschossen wurde, soll mindestens vier Jahre lang Saturn aus dem Orbit unter die Lupe nehmen und dabei 77-mal umkreisen. Nahe Vorbeiflüge an vielen der 31 bekannten Saturnmonde stehen ebenso auf der Agenda wie Flüge weit oberhalb und unterhalb der Ringebene. Keine der Vorgängersonden hat bisher diesen Blick auf Saturns Ringsystem und seine Polarregionen genossen – eine bevorzugte Lage auch für die Vermessung des Magnetfelds des Planeten.

Für den größten Saturn-Satelliten Titan soll es ebenfalls eine Premiere geben: Die mitreisende europäische Huygens-Sonde wird in die geheimnisvolle Titan-Atmosphäre eindringen – ein riskantes Manöver mit ungewissem Ausgang.

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Das Projekt trägt den Namen zweier Planetenforscher des 17. Jahrhunderts. Dem Italiener Giovanni Cassini gelang am Pariser Observatorium zwischen 1671 und 1684 die Entdeckung der Saturnmonde Iapetus, Rhea, Tethys und Dione. Außerdem erkannte er eine auffällige Lücke im Saturnring, die heute nach ihm Cassini-Teilung heißt. Der niederländische Gelehrte Christiaan Huygens wiederum fand eine Methode zur Herstellung besserer optischer Linsen. Mit einem so ausgestatteten Fernrohr ging ihm 1655 Titan ins Netz.

International geht es auch heute in der Planetenforschung zu: An der Cassini/Huygens-Mission sind 17 Nationen beteiligt.

Am Max-planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg arbeitet Ralf Srama als Projektleiter des Staubexperiments („Cosmic Dust Analysator“, CDA). Schon im Anflug lieferte das Instrument Daten über kosmischen Staub zwischen den Planeten, doch sein eigentliches Ziel ist das Saturn-System. „Cassini wird als erste Sonde durch den so genannten E-Ring des Planeten fliegen, der aus Mikrometer kleinen Eispartikeln besteht“, beschreibt Srama ein Studienobjekt des CDA-Instruments. Woher stammen die winzigen Eisteilchen? „Wir gehen davon aus, dass sie vom Mond Enceladus stammen und durch Einschläge beständig nachgeliefert werden“, erklärt Projektwissenschaftler Sascha Kempf. Deshalb werden auch die Saturnmonde mit dem CDA unter die Lupe genommen. Das Ziel ist, mögliche Staubströme aufzuspüren – also gleichsam „das Verkehrsverhalten der Partikel im Saturn-System zu entschlüsseln“ , wie sich Kempf ausdrückt.

Für die Saturnmonde interessiert sich auch Tilmann Denk vom Team des Planetenforschers Gerhard Neukum an der Freien Universität Berlin. Seit mehreren Jahren plant er den Einsatz der beiden Cassini-Bordkameras bei einer Reihe von Eismonden. Zwei nahe Vorbeiflüge sind etwa für Iapetus geplant. Der Mond, der in 79 Tagen Saturn umkreist, hat einen mittleren Durchmesser von 1460 Kilometern und fällt durch eine strahlend helle und eine sehr dunkle Hemisphäre auf. Richtige Belichtungswerte zu treffen ist da nicht ganz einfach. Die Forscher hoffen, dass Cassini mit neuen Fotos die Frage nach der seltsamen Zweiteilung der Iapetus-Oberfläche klären kann.

„Der Iapetus-Vorbeiflug in der kommenden Sylvesternacht ist eine Folge der Neuplanung der Huygens-Mission“, erinnert sich Denk. Vor vier Jahren – die Doppelsonde war bereits in Richtung Jupiter unterwegs – war ein drohendes Kommunikationsproblem zwischen Cassini und Huygens entdeckt worden. Wegen der Verschiebung der Funkfrequenzen durch die Bewegung Cassinis während des rasanten Titan-Anflugs hätte die Sonde die Signale der Huygens-Sonde nach dem Ausklinken größtenteils nicht korrekt empfangen und folglich auch nicht zur Erde übertragen können. Der als „Doppler-Verschiebung“ bekannte Effekt war bei der Planung schlicht vergessen worden. Sollte Huygens noch gerettet werden, durfte die Relativgeschwindigkeit beider Raumschiffe einen bestimmten Wert nicht überschreiten – nur dann konnte Cassini für Huygens als Relaisstation fungieren.

NASA- und ESA-Planer fanden schließlich gemeinsam eine neue Missionsvariante. Doch die geänderte Choreographie hat diverse weitere Konsequenzen: Huygens wird statt am 27. November 2004 nun erst am 14. Januar 2005 und viel weiter entfernt von seinem Mutterschiff in die Titanwolken stürzen. Rund 60 000 Kilometer, und nicht nur wenige Tausend Kilometer wie ursprünglich geplant, werden die beiden Raumschiffe während des Abstiegs des ESA-Spähers trennen. Trotzdem sieht Denk im neuen Szenario mehrere Vorteile: „Titan kann nun zweimal vor der Huygens-Mission von Cassini ins Visier genommen werden. Auch zwei Begegnungen Cassinis mit Dione und Enceladus sind in der neuen Variante deutlich günstiger.“

Die beiden Titan-Begegnungen am 26. Oktober und 13. Dezember 2004 noch vor dem Ausklinken von Huygens dürften sich als strategischer Vorteil für die ESA-Mission erweisen: Die dabei gewonnenen Beobachtungsdaten könnten für letzte Feinjustierungen der Eintauchsonde wichtig werden, bevor sie am ersten Weihnachtstag den gemeinsamen Flugverband verlässt und 21 Tage lang Titan entgegenrast. Jede zusätzliche Information – das ist insbesondere nach dem Beagle-Desaster am Mars klar – bedeutet ein geringeres Risiko für die Huygens-Sonde.

aM 14. November des vergangenen Jahres bot eine seltene Himmelskonstellation die Gelegenheit, das dunstige Dunkel der Titan-Atmosphäre schon im Vorfeld zu durchleuchten. Von der Erde aus gesehen schob sich der Saturnmond vor den Stern TYC 1343–1615– 1 im Sternbild Zwillinge. Kurz bevor der Fixstern hinter Titan verschwand, hatten die Fernrohrbeobachter genau das Sternenlicht in ihrem Teleskop, das durch die Gashülle des Mondes getreten war. Das Himmelsspektakel endete, als der Stern am entgegengesetzten Mondrand wieder auftauchte. Astronomen nennen solche Ereignisse Sternbedeckungen. Das Licht des betreffenden Sterns nimmt in den beiden Momenten am Mondrand gleichsam die Fingerabdrücke der Atmosphäre. Durch Auswertung der Lichtkurve, also des zeitabhängigen Helligkeitssignals des Fixsterns, können Druck und Temperatur der fernen Gashülle in verschiedenen Abständen zur Oberfläche entschlüsselt werden.

Bruno Sicardy leitete ein Beobachterteam, das vom südlichen Afrika aus die Bedeckung verfolgte. „Mit dem Stern konnten wir die Atmosphäre in einem Höhenbereich ab etwa 550 Kilometer über der Titanoberfläche sondieren“, erklärt der Sternbedeckungs-Experte vom Observatorium Paris Medoun. Die letzte Information, die so dem Titan-Smog entrissen werden konnte, stammt aus 250 Kilometern Höhe – aus einer Gasschicht, die bereits ein Viertel des irdischen Luftdrucks auf Meeresniveau aufweist.

Mit mobilen Amateurteleskopen in Namibia, Südafrika und auf der Insel Reunion rückte Sicardys Team Titans Geheimnissen zu Leibe. Und am Südafrikanischen Astronomischen Observatorium (SAO) nahmen Forscher den Stern mit einem besonders schnellen Photometer ins Visier. Dort registrierten sie die Sternhelligkeit zehnmal pro Sekunde. Momentan analysiert der französische Astronom die zahlreichen Lichtkurven der Beobachtungskampagne. „ Bestimmte Eigenarten der Lichtkurve deuten auf eine Inversionsschicht mit Temperaturschwankungen bis zu 20 Kelvin hin. Sie werden von rapiden Dichteänderungen begleitet, ähnlich wie die gefürchteten Zonen erhöhter Turbulenzen im Flugverkehr“, erklärt Sicardy gegenüber bild der wissenschaft. Seine Befürchtung: Die Beschleunigungssensoren an Bord von Huygens könnten während der aerodynamischen Bremsphase durch den ruppigen Flug verwirrt werden. Sicardy: „Für die Sonde sind die Daten des Sensors die einzige Möglichkeit herauszufinden, in welcher Höhe sie sich während des Abstieges befindet. Kritische Manöver wie Öffnung des Fallschirms oder der Abwurf des Hitzeschilds werden auf dieser Grundlage eingeleitet.“

Auch wenn Huygens die turbulenten Titanluftschichten meistert, ist der Flug des diskusförmigen Vehikels eine gewagte Mission ins Ungewisse. Viele Fragen über den mysteriösen Mond sind unbeantwortet: Gibt es beispielsweise Blitze in der Gashülle, wie sie die Galileo-Sonde in der Jupiter-Atmosphäre ausgemacht hat? „ Wir haben Hinweise auf gelegentliche Methanwolken in der unteren Atmosphäre, die sich mit den dort häufigen freien Elektronen aufladen könnten“, erklärt Tetsuya Tokano vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Köln. „Blitze aus diesen Methanwolken zum Boden könnten die Folge sein.“ Kein Grund jedoch, sich um Huygens Sorgen zu machen, versichert die ESA in einer Mitteilung. Die Sonde könne möglichen Blitzeinschlägen widerstehen.

Unterdessen richteten Tokanos US-Kollegen die Riesenteleskope des hawaiianischen Mauna-Kea-Observatoriums auf Titan und bekamen schnell ziehende Wolken ins Visier. Selbst die Sonde Voyager 1, die sich seinerzeit dem Mond bis auf 4000 Kilometer näherte, konnte keine vergleichbaren Wetterphänomene ausmachen. Die US-Forscher nutzten die Technik der Adaptiven Optik, die in modernen Sternwarten zur Bildkorrektur eingesetzt wird, um die Störungen aus den ständig vorhandenen Turbulenzen in der Erdatmosphäre zu verringern.

Mit dieser Hightech-Optik wurden die Astronomen in der Titan-Südpolregion fündig. Bei infraroten Wellenlängen zwischen 2,0 und 2,3 Mikrometern konnten sie deutlich bis zu 1400 Kilometer große Sturmwolken ausmachen. „Die Wolken verändern sich ständig. Schon innerhalb weniger Stunden schwankt ihre Intensität. Manche bleiben jedoch über einige Tage bestehen“, berichtet Henry Roe von der University of California in Berkeley von der überraschenden Entdeckung.

DLR-Geophysiker Tokano studiert die Titan-Atmosphäre mit Simulationsprogrammen, die den Modellen für meteorologische Vorhersagen ähneln. Mit seiner auf die exotischen Titan-Verhältnisse angepassten Software stieß er auf seltsame Wetterphänomene. Die Winde in der unteren Atmosphäre werden im wesentlichen von Gezeitenkräften beeinflusst, die Saturn auf seinen größten Mond ausübt. Sie entstehen laut Tokano, „weil Titan auf einer elliptischen Umlaufbahn kreist“. Auf einer reinen Kreisbahn würden diese Gezeitenwinde nicht hervorgerufen. 16 Tage benötigt der Mond für einen Saturnumlauf – seine gezeitenbedingte Wettermaschine wechselt in dieser Zeit gleichsam zweimal die Laufrichtung. „An jedem Ort auf Titan kehren die Nord-Süd-Winde alle acht Erdentage ihre Richtung um“, so der Kölner Planetenforscher, der seine Doktorarbeit der Gashülle des Monds gewidmet hat. „Wohl nirgendwo sonst im Sonnensystem gibt es ein vergleichbares Phänomen.“

Doch wie stark sind die Titanwinde? Spektroskopische Messungen zeigen, dass die Hochatmosphäre Titans die ESA-Sonde mit schwerem Wetter empfangen wird: „Zwischen 180 und 140 Kilometern Höhe über dem Boden wird sich der Fallschirm öffnen, dort rechnen wir mit Windgeschwindigkeiten von etwa 100 Metern pro Sekunde“, erklärt Michael Bird, der das „Doppler Wind-Experiment“ an Bord von Huygens betreut. Bereits ab 32,6 Meter pro Sekunde spricht man auf der Erde von einem Orkan, die Beaufort-Skala zur Klassifizierung irdischer Winde endet hier bei Windstärke zwölf.

Weiter unten Richtung Oberfläche beruhigt sich laut Bird die Lage, und die Winde flauen ab. Um wieviel genau, soll sein Experiment enthüllen. „Wir werden Richtung und Windgeschwindigkeit in den verschiedenen Höhen bis auf einen Meter pro Sekunde genau messen“, erklärt der Wissenschaftler von der Universität Bonn. Einmal pro Sekunde misst das Gerät während des Abstiegs. Welche Geschwindigkeiten erwartet Bird am Boden? „ Im Grunde wissen wir es nicht, plausibel wären einige Meter pro Sekunde.“

Ebenso mysteriös ist die Oberfläche selbst, der die ESA-Sonde entgegensegelt. Keine Raumsonde, kein Teleskop hat je ein scharfes Bild der von Smog verhüllten Titanlandschaft geliefert. Ähnelt sie den eisigen Kraterlandschaften, wie sie etwa von den Jupitermonden Ganymed oder Kallisto bekannt sind, oder erwartet die Forscher eine flache und kraterarme Szenerie, wie Raumsonden sie auf Jupiters Mond Europa vorfanden?

Nach neuen Beobachtungen könnte beides falsch sein. Mit dem 300-Meter-Radioteleskop von Arecibo, Puerto Rico, hat ein Team um Donald B. Campbell von der New Yorker Cornell University eine Serie von Radarimpulsen zu Titan gesandt. Jeweils zweieinhalb Stunden nach der Übertragung der 13-Zentimeter-Wellen fingen die Forscher die reflektierten Wellen auf. Campbell interpretierte in einem Beitrag für die Zeitschrift „Science“ im vergangenen Herbst seine Resultate als spiegelnde Reflexionen an extrem glatten Oberflächen, mit Höhenunterschieden geringer als ein Meter. Ausgedehnte Seengebiete könnten solche Signale eher erklären als konturlose Eiswüsten. Doch handelt es sich wohl kaum um Wasser. Titans Oberflächentemperatur taxieren die Planetologen auf minus 179 Grad Celsius.

Einige Prozent der Gashülle des Mondes bestehen aus Methan (CH4) – die erste gasförmige Komponente, die der niederländische Astronom Gerald P. Kuiper 1944 im Spektrum des Saturnmondes entdeckt und damit erstmals eine Mondatmosphäre aufgespürt hat. Auf Titan ist das kohlenstoffhaltige Gas Ausgangspunkt einer komplexen organischen Chemie. Größere Methan-Mengen sollten unter Einfluss der solaren UV-Strahlung und durch kosmische Strahlen zu Ethan (C2H6) und weiteren organischen Substanzen reagiert haben. Im Infrarotspektrum konnte Voyager 1 ihre spektralen Fingerabdrücke als scharfe Peaks klar ausmachen. Besonders das Ethan mit seiner Kondensationstemperatur von minus 183 Grad könnte aus dem atmosphärischen Chemiecocktail auf die Oberfläche herab geregnet sein. Dort hätte es sich nach dieser Hypothese in Bodensenken gesammelt und größere Gebiete überflutet. Sind Campbells Radar-Echos die Reflexe von Meeres- oder Seen-Landschaften, in denen Ethan und weitere Kohlenwasserstoffe wogen? Vielleicht wird Huygens eine Antwort geben, die Sonde ist auch für eine „Wasserung“ konstruiert worden.

Moderne Beobachtungsmethoden konnten neue Erkenntnisse über Titan gewinnen. Dennoch bietet der Mond reichlich Raum für Spekulationen. Was auch immer Huygens bei seinem riskanten Sturzflug in die Wetterküche Titans erwartet, die ESA-Mission ist ein mutiger Schritt zur Erforschung eines großen weißen Flecks auf der Landkarte unseres Sonnensystems. ■

THORSTEN DAMBECK ist promovierter Physiker und freier Wissenschaftsautor in Berlin. Zuletzt berichtete er in der Januar-Ausgabe über den Neuschwanstein-Meteoriten.

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Der zweitgrösste Planet der Sonne ist 9,5-mal weiter von ihr entfernt als unsere Erde. Von den insgesamt vier Ringsystemen im Sonnensystem (Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun) sind die Saturnringe mit Abstand die prächtigsten. Schon 1659 konnte Christiaan Huygens mit einem kleinen Fernrohr ihre Natur korrekt identifizieren. Mit 250 000 Kilometern Durchmesser würden sie zwei Drittel des Abstandes Erde-Mond einnehmen – dabei sind sie aber weniger als einen Kilometer dick. Sie bestehen aus zahllosen Teilchen von Zentimeter- bis Metergröße, wobei wenige größere Brocken (Kilometer-Klasse) nicht ausgeschlossen sind. Einige Einzelringe sind getrennt durch „Teilungen“, scheinbar leere Bereiche erheblich geringerer Teilchendichte – Beispiele sind die Cassini- und die Encke-Teilung. Saturns chemischer Aufbau ähnelt dem des Jupiter: Drei Viertel Wasserstoff, ein Viertel Helium, Spuren von Wasser, Methan und Ammoniak. Dazu kommen vermutlich silikatische und metallische Bestandteile tief im Innern des Gasplaneten.

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Titan ist der zweitgrösste Mond im Sonnensystem (Jupiters Ganymed ist Nummer eins) und übertrifft mit einem Durchmesser von 5150 Kilometern sogar den Planeten Merkur. Seine dichte Gashülle hat auf der Oberfläche einen Atmosphärendruck von rund 1500 Millibar, also vom 1,5-fachen des irdischen Vergleichswertes. Die Titan-„Luft“ enthält mindestens 80 Prozent Stickstoff, einige Prozent Methan, das Edelgas Argon und zahlreiche organische Spuren. Eine undurchsichtige Smogschicht in etwa 300 Kilometern Höhe verhindert den Blick zum Boden. Dort beträgt die Schwerkraft 13,7 Prozent des irdischen Werts und ist damit noch geringer als die des Erdmonds (16,5 Prozent).

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Zwölf Instrumente reisen an Bord von Cassini. Die von den Forschern meist „Experimente“ genannte wissenschaftliche Nutzlast hat eine Masse von rund 335 Kilogramm.

Optische Fernerkundung: Eine Weitwinkel- und eine Telekamera werden Fotos im sichtbaren Licht, im nahen Ultraviolett und im nahen Infrarot schießen. Die Weitwinkeloptik ist ein Überbleibsel der Voyager-Mission. Die Beobachtungen mehrerer Eismonde werden vom Team Gerhard Neukums (FU Berlin) geleitet.

Radar: Durchdringt den Titan-Smog mit Radarstrahlen und soll während mindestens 45 Vorbeiflügen die unbekannte Oberfläche kartieren.

Kosmischer-Staub-Analysator: Untersucht Eis- und Staubpartikel innerhalb des Saturnsystems und in seiner Umgebung. Das Experiment leitet Ralf Srama vom Heidelberger Max-Planck-Institut für Kernphysik.

Magnetometer: Misst die Magnetfelder des Planeten und seiner Monde sowie Wechselwirkungen zwischen solchen Feldern. Um Störungen mit den Magnetfeldern der Bordelektrik zu vermeiden, ist das Experiment auf einem elf Meter langen Ausleger montiert.

Spektrometer für sichtbares und IR-Licht: Zur Kartierung der chemischen Zusammensetzung der Oberflächen, Atmosphären und Ringe von Saturn und seinen Monden.

Infrarot-Spektrometer: Zur Messung der Temperaturen und chemischen Zusammensetzungen der Oberflächen, Atmosphären und Ringe im Saturn-System.

UV-Spektrograph: Misst UV-Licht von Mondoberflächen, Atmosphären und Ringen, um deren Struktur, Chemie und Zusammensetzung zu klären.

Radio-Sondierung: Studiert Schwerefeld, Atmosphären und Ringe von Saturn und seinen Monden. Das geschieht, indem charakteristische Veränderungen in der von Cassini gesendeten Radiostrahlung gemessen werden.

Massenspektrometer: Untersucht neutrale und geladene Teilchen in den äußeren Atmosphären und Ionosphären von Saturn und seinen Monden.

Radio- und Plasmawellen-Experiment: Untersucht elektrische und magnetische Felder in den Magnetosphären von Saturn und Titan und im interplanetaren Medium.

Plasma-Spektrometer: Erforscht stark ionisiertes Gas (Plasma) in Saturns Magnetfeld.

Magnetosphären-Teilchen-Experiment: Erforscht die Wechselwirkung zwischen Sonnenwind und Saturn-Magnetosphäre durch Messung der Energie von Partikeln in diesem Gebiet.

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Rund 150 Minuten soll der Abstieg der 373 Kilogramm schweren Sonde dauern. Der Auftakt des Ereignisses – wenn Huygens, geschützt durch seinen Hitzeschild, wie ein Meteor durch die Atmosphäre rast – wird wohl als Aufleuchten in irdischen Teleskopen beobachtbar sein. Die sechs wissenschaftlichen Bordinstrumente (Gesamtgewicht 48 Kilogramm) haben dann ihren großen Auftritt:

Abstiegskamera und Radiometer: Für Fotoaufnahmen, während Huygens am Fallschirm zur Oberfläche segelt. Außerdem sollen mögliche Wolken beobachtet und die Konzentration von Methan und Argon gemessen werden.

Doppler-Wind-Experiment: Ermittelt die Windverhältnisse durch die Bewegung von Huygens während des Abstiegs. Das Experiment leitet Michael K. Bird von der Universität Bonn.

Oberflächen-Forschungspaket: Zur Erforschung der unbekannten Titanoberfläche. Welches Oberflächenmaterial ist am Boden vorhanden? Gibt es dort Flüssigkeiten, und wie tief reichen sie? Diese Fragen soll das Experiment in den Minuten nach dem Aufschlag beantworten – falls Huygens die Oberfläche intakt erreicht.

Aerosol-Experiment: Untersucht Wolken und Schwebeteilchen in der Titan-Atmosphäre.

Atmosphärenstruktur-Instrument: Zur Klärung der Struktur und der physikalischen Eigenschaften der Titan-Atmosphäre.

Gas-Chromatograph und Massenspektrometer: Für die Messung der chemischen Zusammensetzung von Aerosolen und atmosphärischen Gasen.

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· Mindestens vier Jahre lang wird die Raumsonde Cassini den Gasplaneten Saturn, dessen Ringsystem und viele seiner Monde erkunden. An Bord ist auch die Huygens-Sonde der Europäischen Weltraumagentur.

· Huygens soll in die undurchsichtige Gashülle des größten Saturn-Trabanten Titan eintauchen und versuchen zu landen.

· Ob Huygens auf Titan festes Land findet oder in exotischen Ozeanen untergeht, wird bis zum letzten Moment unklar bleiben.

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