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Karriere, Kinder, Krebsforschung

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Karriere, Kinder, Krebsforschung
Ursula Klingmüller berichtet über ihre Erfahrungen als Forscherin in den USA – und über Widerstände gegen neue Ideen.

bild der wissenschaft: Wie oft hat man Ihnen gesagt: „Lassen Sie die Finger davon“, Frau Dr. Klingmüller?

Klingmüller: Ich habe es nicht gezählt. Aber ich habe es oft gehört, sowohl im privaten als auch im wissenschaftlichen Bereich. Doch ich habe mich davon nicht abschrecken lassen. Meine Eltern haben mir glücklicherweise von klein auf mitgegeben, dass ich mich nicht von meinem Weg abbringen lassen soll, nur weil andere behaupten, etwas wäre nicht möglich.

bdw: Können Sie ein Beispiel dafür nennen?

Klingmüller: Im Anschluss an meine Doktorarbeit wollte ich in die USA, und ich habe mich dort am Whitehead Institute bei dem Zellbiologen Harvey Lodish beworben. Er wollte mich auch haben – allerdings erst ein Jahr später. Die Arbeitsgruppe ist sehr gefragt, darum gab es eine entsprechend lange Warteliste. Um dieses Jahr sinnvoll und möglichst gleich vor Ort zu überbrücken, habe ich mich noch auf andere Stellen beworben. Doch eine Stelle in den USA für nur ein Jahr? Da haben mir viele prophezeit: Für die kurze Zeit nimmt dich niemand! Aber: Alle drei Bewerbungen, die ich verschickt hatte, waren erfolgreich.

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bdw: Welche Erfahrungen haben Sie als Wissenschaftlerin in den USA gemacht?

Klingmüller: Vieles, was ich in den USA erlebt habe, war sehr positiv. Die Professionalität in der Wissenschaft, die Kooperationen mit der Industrie – es wird zielstrebiger und ergebnisorientierter gearbeitet als hierzulande. Auch die öffentliche Einstellung zur Wissenschaft kam mir dort anders vor: Ein amerikanischer Taxifahrer, der mich einmal zur Arbeit fuhr, war begeistert. „Sie arbeiten am Whitehead Institute for Biomedical Research? Das ist toll!“ In Freiburg hingegen kam in einer ähnlichen Situation gleich die Frage, ob denn das auch alles moralisch vertretbar sei, was wir da machten.

bdw: In Deutschland haben Sie nach Ihrer Rückkehr neue Pfade in der Wissenschaft betreten. War das nicht riskant für eine Nachwuchsforscherin?

Klingmüller: Ja, in Freiburg hieß es in einer Begutachtung, bei meinen mathematischen Modellierungen zur Analyse von Signalwegen in der Zelle wäre es zu unsicher, ob etwas herauskommen würde. Nun, dennoch haben wir weitergemacht und gute Ergebnisse erzielt.

bdw: Was hat Sie an diesem Forschungszweig gereizt?

Klingmüller: Ich möchte mit den Methoden der Systembiologie – wie dieser Forschungszweig genannt wird – verstehen, wie die verschiedenen Bestandteile der Zelle zusammenarbeiten. Das ist wichtig um zu begreifen, wie Krebs entsteht. Bislang ergötzen sich viele Wissenschaftler daran, die Zelle mit ihren Signalwegen als möglichst komplexes Netz darzustellen. Und freuen sich, wenn sie einen neuen Mitspieler entdecken, und wenn das Netz, das sie da produzieren, immer dichter wird. Auf diese Weise verstehen sie die Prozesse aber nicht wirklich, sondern entwerfen ein statisches Bild von einem in Wirklichkeit sehr dynamischen Vorgang.

bdw: Und da soll die Systembiologie Abhilfe schaffen?

Klingmüller: Genau. Indem wir von diesen Signalwegen mathematische Modelle erstellen, entdecken wir die grundlegenden Prinzipien der Signalübertragung. Wir geben uns nicht damit zufrieden, nur zu erkennen, in welchen Zuständen die einzelnen Signalboten in der Zelle auftreten können.

bdw: Die Idee der mathematischen Modellierung ist nicht ganz neu.

Klingmüller: Das stimmt, es gibt sie schon eine ganze Weile. Das Problem ist jedoch, dass Mathematik und Biologie so weit auseinander liegen. Ein kleines Beispiel: Auf einem Meeting habe ich einmal einen Mathematiker getroffen, der mir erzählte, wie er arbeitet. Er sagte, er ginge für ein paar Tage in die Bibliothek, suche sich Daten aus Veröffentlichungen heraus und mache daraus dann Modelle. Mir blieb der Mund offen stehen: Er wusste gar nicht, wie und unter welchen Bedingungen die verschiedenen Experimente entstanden waren und wie reproduzierbar sie waren, sondern hat einfach alles wild in einen Topf geworfen. Eine solche Vorgehensweise ist verbreitet – die Theoretiker galoppieren mit theoretischen Annahmen davon und verlieren völlig die Erdung zu den Daten, die irgendwann einmal unter irgendwelchen Bedingungen gewonnen wurden. Aber dieses „Wie“ interessiert sie nicht weiter.

bdw: Was machen Sie, um das bei Ihrem eigenen Projekt zu vermeiden?

Klingmüller: Wir setzen uns mit den Physikern und Mathematikern zusammen. Wir erklären ihnen, welcher These wir nachgehen, wie wir unsere Daten bekommen und was überhaupt experimentell möglich ist. Dann sagen sie uns, welche Daten sie von uns brauchen, um ein mathematische Modell zu entwickeln. Und die liefern wir ihnen dann. Diese gezielte Zusammenarbeit von Theoretikern und uns „Nassforschern“ ist das eigentlich Neue.

bdw: Ist denn schon etwas dabei herausgekommen?

Klingmüller: Ja, wir haben ein wunderschönes Modell entworfen, wie ein Botenstoff in der Zelle seine Befehle übermittelt. Bisher ging man bei diesem Signalweg davon aus, dass von der Oberfläche der Zelle ein Signal ins Zellinnere ausgesandt wird und der Botenstoff dann in den Zellkern wandert, wo er bleibt und seine Funktion ausübt. Unser mathematisches Modell sagt jedoch etwas anderes als diesen einmaligen, geradlinigen Vorgang voraus: Der Botenstoff arbeitet nicht blind vor sich hin, sondern kehrt immer wieder an die Zelloberfläche zurück und versichert sich dort, ob sein Auftrag noch aktuell ist. Dieses Prinzip konnten wir anschließend in Experimenten belegen.

bdw: Und wie ließ sich Ihre Entscheidung, als Forscherin Kinder zu bekommen, mit Ihrer Arbeit vereinbaren?

Klingmüller: In Deutschland hat man mir oft geraten, mich auf die Wissenschaft zu konzentrieren und keine Kinder zu bekommen. Aber ich fand die Vorstellung, später einmal nur mit der Wissenschaft verheiratet zu sein, sehr abstoßend.

bdw: War das in den USA anders?

Klingmüller: In den USA ist es selbstverständlich, als Wissenschaftlerin Kinder zu haben. Auch im Whitehead Institute – wo Spitzenforschung gemacht wird – hatten wir jedes Jahr Wissenschaftlerinnen im Labor, die schwanger waren. Sie hatten diese Entscheidung ganz bewusst getroffen und waren erfolgreich, auch wissenschaftlich. Allerdings wird man in US-Instituten dabei auch unterstützt. Dort gibt es sogar auf wissenschaftlichen Kongressen immer eine Tagesstätte, in die man seine Kinder während der Vorträge bringen kann. Es gilt einfach als normal, dass Leute, die in der Wissenschaft arbeiten, auch eine Familie haben. In Deutschland scheint das niemandem in den Sinn zu kommen.

bdw: Sie machen es gerade vor, dass sich Familie und Forschung in leitender Position miteinander vereinen lassen. Sind Sie ein Vorbild?

Klingmüller: Ich möchte den Frauen Mut machen, dass sie Ihren eigenen Weg gehen. Allerdings betreibe ich keine aktive Überzeugungsarbeit. Meine Diplomandinnen und Doktorandinnen bekommen einfach mit, dass die Familie bei mir eine wichtige Rolle spielt, und das, obwohl ich Wissenschaft bis zum Umfallen mache.

bdw: Mittlerweile sind Sie eine von vier Nachwuchsgruppenleiterinnen am Deutschen Krebsforschungszentrum. Ihre ganze Arbeitsgruppe ist Ihnen von Freiburg nach Heidelberg gefolgt. Sind Sie zufrieden mit dem, was Sie bisher erreicht haben?

Klingmüller: Zufrieden, ja – es gab schon schwierige Zeiten, aber es bringt auch einfach Spaß. Das Einzige, was mich manchmal traurig macht, sind die viele Leute, die meinen, über alles urteilen zu müssen, bevor sieeine Ahnung davon haben. Also kommt gleich „das geht nicht, das kann gar nicht funktionieren“. Und dabei funktioniert es doch.

Das Gespräch führte Anja Scholzen ■

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