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Rent a Rocket

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Rent a Rocket
Satellitenboom läßt den Raketenmarkt explodieren. Der Transport von Satelliten in den Orbit ist ein Milliardengeschäft. Immer mehr Anbieter von Rakten wollen sich ein Stück vom Kuchen sichern und versuchen, den Marktführer Ariane vom Thron zu stoßen.

In den achtziger Jahren war für Raumfahrtexperten der Fall klar: Raketen sind out, wiederverwendbare Raumfähren wie der Space Shuttle sollten die Nachfolge antreten. Doch Totgesagte leben bekanntlich länger: 1999 werden gleich vier neue Raketentypen zu Premierenflügen abheben.

Als Lastesel für den Satellitentransport sind Raketen heute gefragter denn je. Der Grund: Während zu Beginn der neunziger Jahre jährlich nur rund 40 kommerzielle Satelliten auf ihre Reise in die Erdumlaufbahn warteten, waren es 1998 bereits über 100. In zehn Jahren sollen es sogar rund 300 sein. „Diese Entwicklung hat selbst Insider überrascht“, gesteht William Piland vom Langley-Forschungszentrum der NASA in Hampton, USA. Für den Wachstumsschub sorgen Unternehmen wie die Softwarefirma Microsoft, die mit Raumfahrt bislang wenig am Hut hatten. Sie arbeiten am Aufbau neuer Satellitenflotten für den globalen Mobilfunk und für das digitale Fernsehen sowie an schnelleren Internetdiensten aus dem Weltraum.

Beim Transport der kommerziellen Satelliten spielt das Paradepferd der US-Raumfahrtagentur NASA, der Space Shuttle, keine Rolle. Die Startkosten von 400 bis über 800 Millionen Dollar liegen wegen des hohen Wartungsaufwandes für die wiederverwendbaren Teile weit über denen von Raketen (siehe Tabelle). Die NASA sieht darin kein Hindernis und will die Raumfähren auch weiterhin für staatlich finanzierte Missionen einsetzen – unter anderem zur internationalen Raumstation.

Doch es schmerzt viele Mitarbeiter der Behörde und Manager der Raumfahrtindustrie, daß die USA keine Führungsrolle beim kommerziellen Raumtransport spielen. „Wir haben auf das falsche Pferd gesetzt und verloren“, räumt George Müller ein, ehemaliger Mitarbeiter im Führungsstab der NASA. Zugunsten der Entwicklung des Space Shuttle versäumten die USA in den siebziger und achtziger Jahren die Weiterentwicklung ihrer Transportraketen. Die Folge sind bis heute Wettbewerbsnachteile gegenüber den europäischen Ariane-Raketen.

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Wie groß der Unterschied mittlerweile ist, zeigt ein Vergleich der Transportkapazitäten in die begehrte geostationäre Bahn. Dort, in 36000 Kilometer Höhe über dem Äquator, stehen Kommunikations- und Fernsehsatelliten wie die Astra-Flotte scheinbar fest über einem Punkt der Erde und versorgen ein bestimmtes Gebiet. Die amerikanischen Delta- und Atlas-Raketen können etwa drei Tonnen in diesen Orbit befördern, die nagelneue europäische Ariane-5- Rakete, die im Oktober bei ihrem dritten Flug erstmals einen Erfolg verbuchte, schafft mehr als das Doppelte. Sie kann zwei große Kommunikationssatelliten mit auf die Reise nehmen – und das bei 30 Prozent geringeren Startkosten.

„Ein sicheres Ruhekissen ist das allerdings nicht“, betont Fredrik Engström, Startdirektor bei der europäischen Weltraumorganisation ESA. „Wir werden die Transportkapazität der Ariane bis zum Jahr 2008 schrittweise auf elf Tonnen erhöhen.“ Das scheint sinnvoll, weil auch die Kommunikationssatelliten immer größer und schwerer werden.

Dank des technologischen Vorsprungs befördert Arianespace, an der 53 europäische Unternehmen beteiligt sind, rund 20 der im Schnitt 33 kommerziellen geostationären Satelliten, die jedes Jahr gestartet werden. Gesamtwert: fast fünf Milliarden Dollar. Nach oben ist für Arianespace kaum noch Luft, denn die Nachfrage nach Starts in den geostationären Orbit wird in den nächsten fünf Jahren kaum steigen, prognostizieren Marktforscher von Asia Pacific Aerospace Consultants in Australien.

Zudem dürfte das europäische Zugpferd zunehmend Probleme bekommen durch neue Allianzen von Luft- und Raumfahrtfirmen aus den USA, die ihren Rückstand mit Hilfe der Nachfolgestaaten der UdSSR aufholen wollen.

Das Know-how der Amerikaner beim Bau von Satelliten und der Vermarktung, gepaart mit der robusten und billigen Raketentechnik aus Rußland und der Ukraine sollen den Europäern Marktanteile abjagen.

Ein Beispiel ist International Launch Services (ILS) – eine Kooperation des US-Unternehmens Lockheed Martin mit den Moskauer Firmen Khrunitchew und RSC Energija. Das im kalifornischen San Diego ansässige Gemeinschaftsunternehmen International Launch Services soll im März 1999 die erste amerikanische Rakete mit russischen Triebwerken auf die Startrampe bringen. Sie sollen nicht nur die Transportkapazität der Atlas-Rakete um fast eine Tonne steigern, sondern auch die Produktionskosten deutlich senken.

ILS hat sich zugleich die Vermarktungsrechte der russischen Universalrakete Proton gesichert, die seit Mitte der sechziger Jahre schon über 250mal zum Flug in den Weltraum abhob und nur bei drei Prozent aller Starts versagte. „Damit sie auch westliche Satelliten in die geostationäre Bahn bringen kann, waren einige Veränderungen in der vierten Stufe nötig“, sagt ILS-Direktor Jerry Cobb. So wurden die Vibrationen beim Start verringert, die den mit Elektronik vollgepackten westlichen Satelliten mehr zusetzten als den robusten Low-Tech-Modellen aus russischer Produktion. „Die neue Proton ist ein zuverlässiger Transportesel“, versichert Cobb. Im vergangenen Jahr absolvierte sie bereits acht kommerzielle Flüge, nur zwei weniger als die Ariane.

Konkurrenz erwächst Arianespace auch mit dem Projekt „SeaLaunch“. Ab Frühjahr 1999 sollen unter dem Management des US-Unternehmens Boeing ukrainisch-russische Zenit-Raketen von einer schwimmenden ehemaligen Öl-Plattform im Pazifik starten (bild der wissenschaft 6/1997, „Countdown auf See“). Wegen der unmittelbaren Nähe des Startplatzes zum Äquator kann die Rakete den Schwung der Erdrotation optimal nutzen und bis zu 5,8 Tonnen schwere Satelliten in die geostationäre Bahn befördern. Auch Doppelstarts von Satelliten sind vorgesehen. „Damit erhalten wir Anschluß an die Konkurrenz“, frohlockt Unternehmenssprecher Timothy Dolan mit Blick auf die Ariane.

Ob die Rechnung aufgeht, ist allerdings fraglich. Die Vorläufer der Zenit-Rakete versagten bei 8 von 29 Flügen. Im Gegensatz dazu scheiterte Ariane nur bei 6 von 114 Flügen (Stand 10. Dezember 1998). Auch Chinas Weltraumraketen, deren geschätzte Produktionskosten nur ein Drittel vergleichbarer westlicher Raketen betragen, haftet der Makel von Unzuverlässigkeit an. Jeder siebte Start mißlang.

Doch gerade die Zuverlässigkeit ist eine wichtige Voraussetzung für die Akzeptanz eines Raketentyps. „Auf neue Startgeräte reagieren die Versicherungsunternehmen eher zurückhaltend“, meint Joel Greenberg, Präsident der US-Beratungsfirma Princeton Synergetics. So fliegen chinesische Raketen unversichert ins All, weil den etablierten Versicherern das Risiko zu hoch ist. Bei etablierten Trägersystemen wie Ariane 4 oder Proton liegt die Versicherungsprämie für Missionen in den geostationären Orbit bei 13 bis 18 Prozent des Start- und Satellitenpreises.

Transporte in die geostationäre Bahn sind aber nicht die einzige Geldquelle für Raketenanbieter. Das US-Marktforschungsinstitut Teal Group erwartet neue Marktimpulse durch eine stark steigende Nachfrage nach Mitfluggelegenheiten für kleine Kommunikationssatelliten in Bahnen von wenigen hundert Kilometern Höhe. Zwischen 1999 und 2008 rechnen die Analysten mit einem Startbedarf für 1017 kommerzielle Kleinsatelliten im Gesamtwert von 50 Milliarden Dollar. Sie sollen jeden Ort der Erde – von der Antarktis bis zur Wüste Gobi – mit Internet und Mobilfunkdiensten versorgen.

Großraketen, die wie Ariane für den Transport schwerer Satelliten in geostationäre Bahnen optimiert sind, wären bei den Minisatelliten nicht rentabel. Hier kommen kleinere Trägersysteme mit Startpreisen um 15 Millionen Dollar zum Zug, die zum Beispiel in den militärischen Arsenalen Rußlands schlummern.

Um bei der Aufteilung des neuen Startmarktes für Kleinsatelliten von Beginn an dabei zu sein, gründete die Daimler-Chrysler Aerospace 1995 zusammen mit der russischen Firma Khrunitschew das Gemeinschaftsunternehmen Eurockot. Ziel ist die Vermarktung der ehemaligen Mittelstreckenrakete SS-19, die um eine dritte Stufe für kleine Satelliten bis 1,9 Tonnen ergänzt wurde.

Die SS-19 gilt unter Experten als äußerst zuverlässig. Bei 142 Starts versagte sie nur dreimal, und auch das nur während der Erprobungsphase. „In den vergangenen 15 Jahren gab es keinen Fehlstart“, unterstreicht Günter Stamerjohanns, bei Eurockot in Bremen für die Vermarktung zuständig. Der Premierenflug für Eurockot ist für Oktober 1999 geplant. „Wir rechnen mit jährlich sechs bis acht Starts“, meint Stamerjohanns.

Das Ziel ist hoch gesteckt, denn weltweit gibt es rund ein Dutzend anderer Raketentypen mit vergleichbaren Leistungen. Besondere Aufmerksamkeit dürfte der im Sommer geplante Jungfernflug der ersten voll wiederverwendbaren Rakete wecken. Ehemalige Mitarbeiter der NASA, die gemeinsam die Firma Kistler Aerospace gründeten, haben eine K1 genannte Rakete mit Triebwerken aus dem russischen Mondprogramm entwickelt. Neben Bremsfallschirmen sollen Airbags den Aufprall an den Landeplätzen in der Wüste von Nevada und in Australien mildern. „Ich halte 52 Starts pro Jahr mit drei Raketen für realistisch“, prognostiziert Dan Brandenstein, Ex-Astronaut der NASA und heutiger Vizepräsident der Kistler Aerospace, die das private Raketenprogramm leitet.

Wie groß der Markt für neue wiederverwendbare Raketen sein wird, steht in den Sternen. Das hängt unter anderem von den Entwicklungskosten und der Startfrequenz ab. „Je mehr Starts eine Raumfähre pro Jahr absolviert, um so schneller amortisieren sich die Entwicklungskosten“, so Hartmut Müller von der Daimler-Chrysler Aerospace in Bremen, wo Studien über den Markt für Trägerraketen gemacht werden.

Der Wunschtraum aller Planer sind mehrere hundert Flüge pro Jahr, um die voraussichtlichen Entwicklungskosten von über zehn Milliarden US-Dollar rechtfertigen zu können. „Vielleicht entwickelt sich der Weltraumtourismus zu einer treibenden Kraft im Raumtransport“, meint Müller. Gleichzeitig dämpft er allzu optimistische Erwartungen, denn noch fehlen gesicherte Prognosen über das Jahr 2008 hinaus.

Die NASA will Empfehlungen für den Bau neuer wiederverwertbarer Raketen erst nach Ablauf von umfangreichen Testprogrammen und neuen Marktanalysen Anfang 2000 geben. Dann wird auch die ESA entscheiden, ob Europa eigene Raumfähren entwickeln muß.

Uwe Seidenfaden

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