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Sprengstoff am Toten Meer

Allgemein

Sprengstoff am Toten Meer
Was Politikern seit Jahrzehnten nicht gelingt, ist für Wissenschaftler eine Selbstverständlichkeit: friedliches Miteinander im Krisengebiet.

„Ihr spinnt“, bekam Prof. Michael Weber von Kollegen zu hören. Der Geophysiker vom Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ) hatte Israelis, Jordanier und Palästinenser zu ein und derselben Meßkampagne zusammengetrommelt. Die gemischte Crew aus verfeindeten Staaten wagte sich letztes Jahr in die verminte Grenzregion zwischen Israel und Jordanien – und plazierte sogar im Gazastreifen einige Seismometer. Was die Forscher antrieb, war der brisante Untergrund der Arava-Senke (Wadi Araba), einer 250 Kilometer langen geologischen Scherzone, die wegen der politischen Spannungen bislang wissenschaftlich kaum beackert wurde. Sie verläuft schnurgerade zwischen dem Roten und dem Toten Meer und ist sogar vom Weltraum aus zu sehen. Die Afrikanische und die Arabische Erdplatte schrappen hier aneinander vorbei. Die Gesteinspakete haben sich in den letzten 15 Millionen Jahren um 105 Kilometer gegeneinander verschoben und wandern jedes Jahr um weitere vier Millimeter in Gegenrichtung.

Dabei kommt es immer wieder zu heftigen Erdbeben. Überliefert ist ein verheerender Stoß im Jahr 1068, der die Stadt Elat völlig zerstörte, eine Flutwelle gegen die israelische Küste warf und rund 15000 Menschenleben forderte. Zuletzt erschütterten 1927 und 1995 größere Erdstöße die Region. Nach neuen Berechnungen ist etwa alle 200 Jahre mit einem Aufbäumen des Untergrunds mit der Magnitude 7 oder mehr zu rechnen. Das entspricht etwa der Stärke des berüchtigten japanischen Kobe-Erdbebens von 1995 (Magnitude 7,2). Beim Arava-Projekt, finanziert vom GFZ Potsdam und von der deutschen Forschungsgemeinschaft, arbeiteten die GFZ-Wissenschaftler Hand in Hand mit Kollegen von deutschen Universitäten und aus dem Mittleren Osten. Die Forscher legten ein Meßprofil quer zu der Scherzone und untersuchten es nach allen Regeln der Geophysik. Sie waren wachsam, denn es sollte kein Kamikaze-Unternehmen werden: In Grenznähe achteten sie penibel darauf, mit ihren Geländewagen nicht von der Straße abzukommen, um nicht auf Minen zu fahren. Doch bevor sie richtig loslegen konnten, mußten sie bei Behörden Klinken putzen – ein „ irrsinniger Genehmigungsaufwand“, wie Projektleiter Weber meint. „ Manche von uns trafen sich sogar mit Generälen.“ Zu ihrem Glück ebnete die Entspannungspolitik, die noch im letzten Jahr Friedenshoffnungen weckte, das Feld. Weber ist überzeugt: „ Momentan könnten wir die Feldexperimente nicht mehr machen.“

Die Vorstellung, daß Palästinenser und Israelis einander nicht riechen könnten, erwies sich als Vorurteil. „Es gab keinerlei Reibereien“, betont GFZ-Geophysiker Dr. Christian Haberland. Der Palästinenser Ayman Mohsen, der zur Zeit in Potsdam als Doktorand Daten der Kampagne auswertet, kann die Aufregung um die internationale Kooperation nicht einmal verstehen: „Das ist wissenschaftliche Arbeit“, schüttelt er erstaunt den Kopf, „dabei hat man doch keine Schwierigkeiten.“ Und Mitarbeiter vor Ort versicherten Weber: „Wir haben keine Probleme mit unseren israelischen Kollegen, sondern mit der israelischen Armee.“

Mit schwerem Gerät überquerte der Forschertrupp immer wieder die israelisch-jordanische Grenze. Die Zöllner, die zunächst die festgezurrten Seismometer, Computer und andere Gerätschaften penibel gefilzt hatten, begnügten sich bald mit Stichproben. Die Forscher konnten sogar neun Tonnen Sprengstoff in der Krisenregion zünden, um mit den Erschütterungen die Erde zu durchleuchten. Schließlich bekam ein israelisches Team zusätzlich die Erlaubnis, mit sechs großen Gerätewagen in Jordanien zu arbeiten.

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Die Mühe hat sich gelohnt: Die Meßergebnisse machten Schluß mit der Vorstellung, das Arava-Tal sei ein klassisches „Rift“, also eine Region, in der die Erdkruste aufreißt und auseinanderdriftet – ähnlich wie der Rheingraben oder das Rote Meer. Alle Daten der Kampagne sprechen eindeutig gegen diese These (www.gfz-potsdam.de/html/projekte. html, Stichwort: „Desert 2000″).

So dringt längs der Scherzone nicht mehr Wärme als anderswo aus dem Untergrund. Ein Rift zeichnet sich aber gerade durch einen erhöhten Wärmefluß aus, denn dort steigt heißes zähflüssiges Gestein aus dem Erdmantel auf, strömt nach zwei Seiten ab und reißt dabei die Erdkrustenplatten auseinander. Auch die seismischen Daten liefern keinen Hinweis auf eine solche Dynamik: Die Grenzschicht zwischen Erdkruste und Erdmantel, die sogenannte Moho, wölbt sich weder bedeutend auf noch ist sie sonstwie ungewöhnlich verformt. Das Arava-Tal ist geradezu das „ Lehrbuchbeispiel einer Scherzone“, wie Weber meint. Die beiden Gesteinspakete, die hier aneinander vorbeischrammen, sind klar voneinander abgegrenzt und in ihrer Struktur grundverschieden – „ als wären sie versiegelt“. Auf der einen Seite der Scherzone haben die Wissenschaftler eine schlechte elektrische Leitfähigkeit des Gesteins gemessen, auf der anderen eine gute. Und Erdbebenwellen pflanzen sich auf der einen Seite schnell fort, während sie sich auf der anderen Seite Zeit lassen. Es scheint, als würden sich zwei völlig andersartige Körper aneinander reiben.

Derart klare – und damit überschaubare – Verhältnisse hat die Natur so selten zu bieten, daß Erdbebenforscher aus aller Welt äußerst neugierig darauf sind. Denn die Scherzone gibt Einblick, wie sich die gewaltigen Spannungen vor einem Beben in der Tiefe aufbauen – gewissermaßen als natürliches Labor. Vor allem die Amerikaner sind gespannt auf die Ergebnisse aus Nahost. Sie erhoffen sich Erkenntnisse über ihre eigene hochbrisante Erdbebenregion, die kalifornische San-Andreas-Verwerfung. Dort überlagern sich mehrere geologische Prozesse und verstellen den Blick: Die Erdkruste ist in viele Bruchstücke zersplittert, ozeanische Kruste taucht in die Tiefe ab, und Vulkane speien immer wieder Feuer und Asche. Vor allem aber ist die Scherzone in mehrere parallele Risse gespalten.

In der Arava-Wüste haben es die Forscher dagegen mit einer einzigen, schnurgeraden Fuge zu tun. Warum die Erdkruste vor rund 15 Millionen Jahren gerade hier einriß, wo es zuvor Hunderte von Jahrmillionen ruhig war, weiß niemand. Das Rote Meer machte damals Anstalten, sich zum Mittelmeer hin weiter zu öffnen und Afrika vollends von Asien zu trennen. Doch dann knickte der Riß plötzlich scharf ins Heilige Land ab.

Trotz der relativ simplen Verhältnisse sind auch in Nahost noch viele Fragen offen. Warum, so rätseln die Experten, reichen die Bebenherde fast 30 Kilometer tief? In Kalifornien ist die Erdkruste schon unterhalb von 15 Kilometern zu heiß und zu weich, um Spannungen ansammeln zu können. Und warum haben sich schwere Erdbeben in historischer Zeit stets an den Enden der Naht ereignet, am Roten oder am Toten Meer, nicht aber in der Mitte?

Gleiten die Gesteinspakete hier wie geschmiert aneinander vorbei, so daß sie sich gar nicht erst ineinander verhaken können? Oder – die düsterste Frage von allen – steht die große Katastrophe hier noch bevor?

Klaus Jacob

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