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Ruinen, Rätsel, Reiseziele

Allgemein

Ruinen, Rätsel, Reiseziele

Deutschland hat es schwer: Die Archäologie hierzulande kann nicht mit klassischen Säulen vor ewig blauem Himmel am Gestade mediterraner Gewässer locken. Antike aber gab’s hier ebenfalls – und sie ist ebenso spannend wie andernorts. Denn auch hier geht es bei archäologischer Arbeit um die Frage: Wie haben die Menschen damals gelebt, was haben sie geglaubt, was gefürchtet? Welche Umweltbedingungen hatten sie, wie sind sie mit ihren alltäglichen Problemen fertig geworden? Alles Fragen, mit denen sich auch der heutige Mensch auseinandersetzen muß. Ein Blick in die Vergangenheit lohnt sich, und die Archäologen haben gelernt, ihre Erkenntnisse darzubieten. Etwa: Die ältesten Jagdspeere wurden in Deutschland gefunden, sie sind 400000 Jahre alt und ausgeklügelt konstruiert. Oder: Schon vor den grandiosen Höhlenmalereien in Frankreich und Spanien schufen Eiszeitmenschen auf der Schwäbischen Alb ausdrucksstarke Plastiken. Die Funde in Keltengräbern beweisen intensive Kontakte bis nach Griechenland, die Wikinger hatten in Haithabu die ganze Welt als Handelsgast – die antike Ökumene war nicht so eng und immobil, wie man oft meint.

Und (fast) alle damaligen Akteure haben ihre Spuren hinterlassen. Die kann man sich ansehen. Die Archäologen vor Ort bemühen sich sehr, die oft spröden Dinge anschaulich zu machen. 45 solcher Orte haben wir für Sie ausgewählt, sachlich begründbar, aber letztlich subjektiv. Acht archäologische Themen haben wir durch Kurzportraits auf den folgenden Seiten extra hervorgehoben, weil sie noch nicht so recht publik oder besonders spannend sind – hauptsächlich aber, um Ihnen Appetit zu machen: Es bleibt viel Platz für eigene, weiterführende Erkundungen.

Die Toten feiern fürstlich In stiller Trauer und mit nichts außer einem Holzsarg ins Grab? So konnte sich bei den Kelten keiner ein Begräbnis vorstellen. Gefeiert sollte werden, im Leben wie im Sterben. Der Herr von Hochdorf war zu Lebzeiten ein mächtiger und imposanter Mann. 1,87 Meter groß, überragte er seine Zeitgenossen deutlich. Als er um 550 v.Chr. starb, sollten das Grab und die Totenfeierlichkeiten seine Stellung im Leben spiegeln. Das holzverschalte Zimmer im Grabhügel war mit kostbaren Tüchern und Blumen geschmückt. Die Ausstattung für ein zünftiges Fest mit den acht treuesten Freunden lag auf einem Wagen: neun Bronzeteller, Schlachtbesteck und Servierschalen. Ein aus Griechenland importierter Bronzekessel faßte 400 Liter Honigmet. Genug, um die an den Wänden hängenden neun Trinkhörner ausdauernd zu füllen. Langweilig sollte es dem Fürsten im neuen Leben nicht werden: Pfeil und Bogen für Jagd und Angelruten zum Fischen bekam er auch mit. Mindestens vier Wochen blieb das Grab offen, bis der Tote auf die bronzene Liege in der Kammer gebettet wurde, rekonstruiert der Ausgräber Dr. Jörg Biel. Währenddessen fertigten Handwerker vor Ort Geschmeide für den Toten, die Hinterbliebenen ehrten ihn vermutlich mit Festgelagen und Wagenwettfahrten.

Zwei Generationen später ließ sich in Hessen der Herr vom Glauberg mit ähnlichem Pomp bestatten. Zu dem größeren Glauberger Grabhügel führte eine 350 Meter lange und 10 Meter breite Prozessionsstraße. Sie wurde von 7 Meter breiten und 3 Meter tiefen Gräben gesäumt. Ein beeindruckender Rahmen für die Totenfeierlichkeiten. Hinter dem Hügel lag ein heiliger Bezirk, in dem vermutlich die lebensgroßen Steinstatuen der Herrscher aufgestellt waren. Die Fürsten wollten ihrer Nachwelt lange in Erinnerung bleiben.

Weltstadt der Wikingerzeit In Haithabu traf sich die Welt. Händler aus aller Herren Länder kamen in die Stadt an der Schleswiger Landenge, um ihre Waren feilzubieten. Am Hafen wurden Seide, Gewürze und Wein aus Konstantinopel, Walroßelfenbein aus Island und Wolle aus Irland ausgeladen. Im 9. und 10. Jahrhundert n.Chr. war Haithabu der Handelsplatz Nordeuropas. Rund 1000 Einwohner zählte die Stadt. Ein 1300 Meter langer Halbkreiswall schützte sie zum Land hin, auf der anderen Seite erstreckte sich der Hafen an der Schlei. Die Wikinger bauten die besten Schiffe der damaligen Zeit: Hochseetaugliche Segler mit großer Ladekapazität, flache Kähne mit kleinerer Ladefläche für die Flußschiffahrt und ihre schnellen Kriegsschiffe. Mit dieser Vielfalt erreichten sie die entlegensten Winkel der Welt. Leif Erikson entdeckte auf der Suche nach Siedlungsland die Neue Welt schon 500 Jahre vor Kolumbus. Die Nordmänner waren weitgereiste Händler, aber auch beutegierige Unholde. Sie durchstreiften auf Raubzügen ganz Europa. Ihre Taktik war der Überraschungsangriff. Unerwartet überfielen sie die Städte und Klöster von See aus und waren blitzschnell wieder verschwunden. Im 11. Jahrhundert begann der Niedergang Haithabus. Die Gründe sind bis heute ungeklärt. Haithabu selbst wurde von Plünderungen und Brandschatzungen heimgesucht. Schleswig am anderen Schleiufer übernimmt seine Rolle in der Geschichte.

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Asyl für römische Töpfer Eine ungewöhnliche Gemeinschaft: Vor 1700 Jahren nahmen die Thüringer flüchtende römische Handwerker auf. In Haarhausen bei Erfurt entstand ein Töpfereibetrieb, wie es ihn so groß und auf so hohem technischen Niveau sonst in Germanien nicht gab. Hier wurde das von den Einheimischen heiß begehrte feine, graue Geschirr von den Römern selbst vor Ort für sie produziert. Die Archäologen dachten zu Beginn der Ausgrabungen in den achtziger Jahren nur an einen Umschlagplatz, von dem aus man eingehandelte römische Ware ins germanische Umland lieferte. Sie wurden eines Besseren belehrt: Drei Töpferöfen römischer Bauart und mehr als 30000 Scherben des feinen Geschirrs bewiesen eine umfangreiche Herstellung der Keramik nicht etwa im Römischen Reich, sondern hier, jenseits des Thüringer Waldes. Neben den Brennöfen gab es weitere Produktionsanlagen, etwa eine fünf mal zwölf Meter große Holzhalle, in der vermutlich die Tongefäße geformt und vorgetrocknet wurden. Die Ausgräberin Sigrid Dusek schätzt, daß in Haarhausen rund 25 Töpfer beschäftigt waren, die pro Jahr über 70000 Gefäße herstellten.

Die Werkstätten wurden am Ende des 3. Jahrhunderts n.Chr. angelegt. Damals war der Limes schon von germanischen Gruppen überrannt worden. Die römischen Töpfer, die im Grenzgebiet gelebt und gearbeitet hatten, mußten sich nach sichereren Gebieten umsehen. Die Thüringer der Antike, der Stamm der Hermunduren, waren als römerfreundlich bekannt. Die einheimischen Adeligen nahmen die flüchtenden Spezialisten für gesittetes Leben gerne auf.

Das Haus des Augenarztes der Überfall der Alamannen legte die Stadt in Schutt und Asche. Im Jahre 275 n.Chr. wurde die blühende keltisch-römische Siedlung zerstört. Die Bewohner flohen und kehrten nie mehr zurück. Im saarländischen Schwarzenacker kann die römische Etappenstadt mit ihrem ausgedehnten Händlerviertel nun besichtigt werden. Teile des niedergebrannten Gewerbegebietes sind wieder aufgebaut worden: Hier kann der Besucher das vollständig eingerichtete Haus des Augenarztes oder die Taverne des Wirts Capitolinus besuchen. Die angekohlten Balken und zerfallenen Häuser erinnern aber auf Schritt und Tritt an den Untergang der Stadt.

Bis 260/270 n.Chr. hatte der Limes, die römische Mauer, die Bewohner der Grenzgebiete gegen die Barbaren geschützt. Dann aber machten Germanen die Gegend unsicher. Auf deutschem Gebiet läuft der obergermanisch-rätische Limes 550 Kilometer von Rheinbrohl in Rheinland-Pfalz durch Hessen und Baden-Württemberg bis zum bayerischen Eining an der Donau. Die Grenzbefestigung war das größte Bauwerk Europas. Der Grenzwall wird derzeit von Archäologen neu vermessen und an verschiedenen Stellen aufwendig restauriert. Er soll in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes aufgenommen werden. Den Limes kann man heute noch in der Landschaft erkennen: Die steinernen Militärkastelle, die Wälle und Wachtürme sind in Resten erhalten. Die neu eingerichtete Deutsche Limesstraße führt zu den Hauptsehenswürdigkeiten und Wanderwegen entlang des geschichtsträchtigen Grenzwalls.

Unruhige Zeiten in Bayern Flüsse im Norden und Westen, im Süden ein ausgedehntes Moor – das hat als Sicherheit nicht mehr ausgereicht. Mit ungeheurem Aufwand bauten die Bewohner der Stadt sich eine sieben Kilometer lange Festungsmauer. Aus 500000 Tonnen Erde und Steinen, mindestens 60000 Baumstämmen und 18000 großen Eisennägeln besteht die „gallische Mauer“, mit der sich die Kelten in Manching an der Donau um das Jahr 130 v.Chr. zu schützen suchten. Vier Tore weisen in die Haupthimmelsrichtungen. Auch sie sind in militärisch ausgefeilter Technik errichtet: über 20 Meter lange Gassen, die, an beiden Seiten von Flügeln der Mauer begrenzt, ins Innere der Befestigung ragen. Durch solche Zangentore werden Ankömmlinge in die Stadt geleitet, gut beobachtet von den Wächtern oben auf der Mauer.

Daß man das „Oppidum“, wie Caesar diese Anlagen nannte, ungeschützt im freien Flachland und nicht, wie üblich, auf einem sicheren Berg anlegte, hatte verkehrsgeographische Gründe: Manching kontrollierte einen Knotenpunkt wichtiger Handelswege. Damals noch direkt an der Donau gelegen, bewachte es einen bequemen Flußübergang und kontrollierte den Handel entlang des Südufers. Die Siedlung hatte zudem eine Machtposition als Marktort. Nahe der keltischen Schiffslände fand die Ausgräberin Dr. Susanne Sievers 1999 einen deutlichen Beweis des Reichtums der Stadtbewohner: einen Beutel mit 480 Goldmünzen. Hat der Besitzer sie in unsicheren Zeiten versteckt oder wurden sie einer Gottheit geopfert? Immer wieder begegnen die Archäologen in und um Manching solchen versteckten Schätzen, die von der ersten regulären Geldwirtschaft nördlich der Alpen zeugen. Macht, Reichtum und Wehrhaftigkeit waren kein Garant für Bestand: Um 50 v.Chr. war Manching am Ende, die Stadt wurde verlassen. Über die Gründe wird heute noch spekuliert.

Hinterhalt am Großen Moor Endlich ist sie gefunden: Die Stelle, an der der junge Germane Arminius im Jahre 9 n.Chr. die Römer so gründlich schlug, daß Rom auf die Eroberung des rechtsrheinischen Germaniens endgültig verzichtete. 20000 Römer verloren hier unter dem Feldherrn Varus ihr Leben, nur wenige konnten sich über den Rhein retten. Keine andere Frage hat Archäologen, Historiker und Laien in Deutschland so beschäftigt wie die Suche nach dem Ort der Varusschlacht. An die 700 Theorien gibt es mittlerweile – mal mehr, mal weniger gut begründet.

Für die Kalkrieser Senke bei Osnabrück sprechen inzwischen handfeste archäologische Gründe. Im 19. Jahrhundert rückte die Gegend am Großen Moor erstmals durch die dort gefundenen römischen Münzen in die Diskussion. Seit 1987 wird das Gelände eingehend archäologisch untersucht. Die Ausgräber fanden allerlei Reste des Kampfes: Waffen, Teile von Rüstungen und Pferdegeschirr, das Kleingeld der Soldaten und sogar die Sohlen von Militärsandalen. Zwischen dem Kalkrieser Berg auf der einen und dem Großen Moor auf der anderen Seite bestand zu Römerzeiten nur ein 70 Meter breiter Durchlaß. Die Germanen hatten an der engsten Stelle eine Mauer aus Grassoden aufgeschichtet. Ein idealer Hinterhalt. Der Ort des Grauens ist seit Juni letzten Jahres ein archäologischer Park. Im Museum präsentieren die Ausgräber die Reste des historischen Kampfes. Von einem 40 Meter hohen Aussichtsturm kann der Besucher das antike Schlachtfeld aus sicherer Entfernung überblicken, bevor er es zu Fuß erobert.

Nasse Füße Der Mensch scheint eine Schwäche für nasse Füße zu haben. Warum sonst hätte er sich seit 16000 Jahren am Federsee häuslich auf dem Mooruntergrund niedergelassen? Möglichst nah ans Ufer – das war die Devise nicht nur am baden-württembergischen Federsee. Auch am Bodensee oder Zürichsee, um nur die fundreichsten zu nennen, gibt es Pfahlbausiedlungen. Die Häuser am Ufer der großen Seen standen auf Pfählen, um Überschwemmungen zu entgehen. Denn der Seewasserspiegel konnte innerhalb eines Jahres immerhin um drei Meter schwanken. An kleineren, ruhigeren Seen wie dem Federsee wohnten die Menschen in ebenerdigen Behausungen am Ufer. Der Fußboden mußte hier gegen das feuchte Moor mit Holzbohlen isoliert werden.

Auf einen Vorteil des Wohnens nah am Wasser weist eine Fülle von Fundstücke hin: 50 vorgeschichtliche Einbäume haben die Archäologen allein am Federsee geborgen. Fisch stand sicher ganz oben auf dem Speisezettel der steinzeitlichen Seeanrainer. Neben einem archäologischen Lehrpfad durch das Moor lockt seit April letzten Jahres ein Freilichtmuseum: Vier Lebensausschnitte der Jungstein- und Bronzezeit haben die Archäologen aufgebaut. Hier wird nicht nur Handwerk und Leben der Vorzeit vom Jahr 4000 bis 800 v.Chr. dargestellt, der Besucher kann es auch selbst (aus)probieren. Im Nachbau eines steinzeitlichen Kuppelofens wird Brot gebacken, und in einem „Kochtopf“ aus Fell wird ein Eintopf gekocht, wie es ihn in der Eiszeit gegeben haben mag. Dazu ein Tee aus Wildkräutern oder einen Becher Honigmet – und die Zeitreise kann beginnen.

Kannibalen auf der Alb In schwäbischen Landen herrschten in der Vorzeit rauhe Sitten. In der Stadelhöhle des Lonetals fanden Archäologen zwei Gruben mit Knochen von über 40 Menschen, zumeist Kindern und Jugendlichen. Schnittspuren an den 6500 Jahre alten Knochen scheinen zu belegen: Hier wurden Kannibalenmahlzeiten abgehalten. Dies ist nicht der einzige Fund, der die Höhle bekannt gemacht hat. Bei einer sogenannten Kopfbestattung vor 8000 Jahren kamen nur die Köpfe eines Mannes, einer Frau und eines Kindes in die Erde. In der Mittelsteinzeit nichts Ungewöhnliches: In der Ofnethöhle im Nördlinger Ries sind in einer Grube 27 Schädel deponiert worden.

Noch weit älter ist der schönste Fund aus der Stadelhöhle. Vor 30000 Jahren schnitzten altsteinzeitliche Menschen aus einem Mammutstoßzahn eine Menschenfigur mit Löwenkopf. Bei näherem Hinsehen sind auch die Arme eher Pranken, und statt Füßen meint man Pferdehufe zu erkennen. Neben der Stadelhöhle haben auch die benachbarte Vogelherdhöhle im Lonetal und das Geißenklösterle bei Blaubeuren eiszeitliche Elfenbeinfiguren geliefert. 17 Stücke sind bekannt, elf davon stammen aus der Vogelherdhöhle. Diese Schnitzereien sind die ersten Skulpturen in Mitteleuropa. Noch bevor die altsteinzeitlichen Menschen in Südfrankreich ihre Höhlen mit grandiosen Malereien schmückten, schufen die Eiszeit-Schwaben mit diesen Statuetten ausdrucksstarke plastische Kunst.

Almut Bick / Michael Zick

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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