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DER URKNALL WANN? WO? WIE? WARUM?

Astronomie|Physik Erde|Umwelt Geschichte|Archäologie

DER URKNALL WANN? WO? WIE? WARUM?
Die großen Fragen nach dem Ursprung unseres Universums – mit allgemein verständlichen Antworten für einen leichten Einstieg in die moderne Kosmologie.

Woher wissen wir eigentlich, was unmittelbar nach dem Urknall in den ersten Milliardstel Sekunden geschah? Wohin dehnt sich der Weltraum aus? Könnte sich der Urknall jederzeit wiederholen? Die Redaktionspost ist voll von solchen Anfragen – die Leser von bild der wissenschaft sind offensichtlich fasziniert von dem Thema. Und sie sind auf der Suche nach verständlichen Antworten. Für sie ist diese Titelgeschichte geschrieben.

Die folgenden Seiten beschreiben, was Kosmologen über den Beginn und die Entwicklung unseres Universums bereits herausgefunden haben. Aber auch Spekulationen, konkurrierende Modelle und die großen Rätsel werden genannt. Denn nicht auf jede Frage gibt es eine eindeutige Antwort – oder überhaupt eine. Deshalb werden auch die Grenzen der Wissenschaft besichtigt, wo Stephen Hawking & Co derzeit um Erkenntnisse ringen.

Mit dem Begriff Urknall („Big Bang“) bezeichnen Kosmologen die extrem heiße und dichte Phase am Beginn unseres Universums. Die Bezeichnung stammt vom britischen Astrophysiker Fred Hoyle, der jedoch ein entschiedener Gegner dieser Vorstellung war und ein ewig expandierendes Universum ohne Anfang annahm. Die Vorstellung von einem heißen und plötzlichen Beginn von allem war in den 1920er-Jahren aufgekommen, als Kosmologen die Allgemeine Relativitätstheorie auf das Universum als Ganzes anwendeten und entdeckten, dass es nicht schon seit jeher existiert haben muss. Hoyle kritisierte das Szenario vehement und wollte es mit einem abfällig gemeinten Begriff lächerlich machen. Vom „Big Bang“ sprach er zuerst in einem Rundfunkvortrag bei der BBC, und zwar am 28. März 1949 in der Sendung „The Nature of Things“. Doch seinen wissenschaftlichen Gegnern gefiel der Name so gut, dass sie ihn kurzerhand übernahmen.

von Rüdiger Vaas

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Unser Universum in Zahlen

Messungen der Kosmischen Hintergrundstrahlung in Kombination mit anderen Beobachtungen, vor allem der Galaxienverteilung, haben die kosmologischen Kennziffern – gewissermaßen den Steckbrief unseres Universums – inzwischen so genau ermittelt, dass die statistischen und systematischen Fehler nur noch wenige Prozent betragen.

Wettstreit der HyPothesen

Basierend auf der Allgemeinen Relativitätstheorie und auf Spekulationen über eine Theorie der Quantengravitation haben Kosmologen zahlreiche Modelle zur Erklärung des Urknalls entwickelt. Welches davon zutrifft, müssen künftige Forschungen zeigen.

Ohne Titel

Kosmologische Kennziffern

Alter des Universums in Milliarden Jahren 13,7

Zeit der Rekombination nach dem Urknall in Jahren 379 000

Breite der Rekombinationszone in Lichtjahren 118 000

Zeit der Reionisierung nach dem Urknall in Jahrmillionen 180

Hubble-Konstante heute, in Kilometern pro Sekunde und Megaparsec 70

Gesamtdichte (kritische Dichte = 1) 1,0

Anteil der Baryonen (normale Materie)

in Prozent 4,4

in Teilchen pro Kubikzentimeter 2,5 . 10–7

Anteil der kalten Dunklen Materie

in Prozent 23,1

in Kilogramm pro Kubikmeter 2,25 . 10–27

Anteil der Neutrinos in Prozent 0,3

Urknall-Photonen pro Kubikzentimeter 410,4

Temperatur der Kosmischen Hintergrundstrahlung in Kelvin 2,725

Verhältnis Baryonen zu Photonen 6,2 . 10–10

Verhältnis Baryonen zur gesamten Materie (Baryonen, Dunkle Materie) 0,16

Prozentualer Anteil der gesamten Materie an der gesamten Energiedichte 27,7

Prozentualer Anteil der Dunklen Energie an der gesamten Energiedichte 72,3

Ohne Titel

Urknall-Szenario Erklärung

Statisches Universum kein Urknall, ewige Vergangenheit

Anfangssingularität unerklärlicher absoluter Anfang der Zeit

Tunneleffekt, Instanton absoluter Anfang, imaginäre (verräumlichte) Zeit anstelle der Singularität

Zyklisches Universum wiederholte Urknall-Endknall-Urknall-…-Abfolge

Ewige Inflation Urknall beim lokalen Übergang vom falschen zum echten Vakuum ; die „Umgebung“ expandiert weiter

Instabilität Störung eines zunächst statischen, quasi-ewigen Raums

Big Bounce „Umschwung“ von einem kollabierenden in ein expandierendes Universum – eventuell mit Zeitumkehr

Zeitschleife Urknall aus einer kreisförmigen Zeit, das Universum hat sich selbst erschaffen

Zeitreise Am Ende wird das Universum zurück zum Anfang katapultiert und löst seinen eigenen Urknall aus

Quantenfluktuation Urknall als lokales Ereignis und „ Pseudoanfang“ in einem eventuell zeitlosen Quantenvakuum oder aus einem bestehenden Universum heraus (aus dem energiereichen Vakuum oder aus einem Schwarzen Loch)

Ohne Titel

In gewisser Weise überall und nirgends. Auf jeden Fall existiert weder ein Mittelpunkt noch ein Rand des Alls. Es gibt auch keinen Ort im heutigen Universum, an dem man ein Denkmal mit der Aufschrift „Hier hat alles begonnen“ aufstellen könnte. Denn der gesamte heutige Weltraum ist letztlich eine Folge des Urknalls – und somit auch die Stelle, auf die Sie gerade blicken.

Oft heißt es, dass mit dem Urknall der Raum überhaupt erst entstanden sei. Nach manchen Modellen ist das so – aber bewiesen ist es nicht. Andere Modelle erklären den Urknall als Übergang: Demnach existierte entweder ein bereits räumliches Vorgänger-Universum, das in sich zusammenstürzte, in einem „ Urschwung“ („Big Bounce“) eine minimale Größe erreichte und sich seither wieder ausdehnt. Oder es gab ein „Urvakuum“, einen bizarren Quantenraum, in dem lokale Verdichtungen immer wieder Big Bangs erzeugten – darunter auch jenen, aus dem unser Universum entstand.

Ewige Wiederkehr?

Wenn das Universum in sich zusammenstürzt, könnte der Endknall ein neuer Urknall sein – und immer so fort. Dann wäre ein „ oszillierendes Universum“ möglich. Es ist aber unwahrscheinlich, dass sich die Zyklen unaufhörlich exakt wiederholen (links). Vermutlich werden sie immer länger und größer (rechts), denn der Anteil der Strahlung wächst verglichen mit dem der Materie, und somit auch die Entropie, das physikalische Maß für die Unordnung.

Universale Verzweigung

Der Urknall war vielleicht kein Einzelfall. Sogar aus unserem Weltall könnten sich neue Universen abspalten wie Zweige an einem Baum. Als „Knospen“ kommen Schwarze Löcher in Frage – oder vielleicht das Vakuum selbst.

Ohne Titel

Nach der Hypothese der Kosmischen Inflation ereignete sich vor der Entstehung der Materie eine gewaltige überlichtschnelle Ausdehnung des Raums (bild der wissenschaft 12/2001, „Modell Klassik“). Diese Inflation hat unser Universum erst groß gemacht sowie winzige Quantenfluktuationen so weit aufgebläht, dass sie die Keime der späteren Galaxien und Galaxiensuperhaufen wurden. Das Allerkleinste führte damit zum Allergrößten. Für das Szenario der Kosmischen Inflation gibt es viele Modelle. Ob die Inflation wirklich stattfand, ist zwar noch umstritten, aber sie könnte viele Eigenschaften unseres Universums erklären – zum Beispiel die Gleichförmigkeit der Hintergrundstrahlung.

Ohne Titel

Wer diese Frage beantworten und seine Antwort nach allen Regeln der wissenschaftlichen Kunst belegen kann, sollte sich schon einmal nach der angemessenen Garderobe für die Nobelpreis-Verleihung in Stockholm umschauen.

Schon 1927 hatte der belgische Kosmologe Georges Lemaître argumentiert, dass unser Universum nicht ewig sei, sondern vor endlicher Zeit begonnen hätte. In den 1930er-Jahren spekulierte er über den Zerfall eines Uratoms und wurde damit zu einem Vorreiter der Quantenkosmologie. Erst ab den 1970er-Jahren wurde die Idee von Stephen Hawking und anderen Forschern wieder zur Erklärung des Urknalls aufgegriffen. Doch es ist nicht klar, ob die Frage nach dem Ursprung des Urknalls physikalisch überhaupt sinnvoll ist. Wenn es keine Zeit vor dem Urknall gab, kann es auch keine Ursache für ihn gegeben haben. Und selbst wenn der Big Bang nicht der absolute Beginn der Raumzeit war, hatte er nicht unbedingt eine Ursache. Er könnte blanker Zufall gewesen sein wie etwa der Zerfall eines radioaktiven Atoms.

Trotzdem bleibt die Frage: Wie kam es zum Urknall? Oder ganz tiefgründig philosophisch mit Gottfried Wilhelm Leibniz gefragt: Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts? Statt einer Antwort gibt es inzwischen viele Antworten – vielleicht zu viele (siehe Tabelle „Wettstreit der Hypothesen“ und Grafik „ Weltmodelle im Vergleich“). Das liegt an den Fortschritten der Theoretischen Physik. Denn um den Urknall zu erklären – falls das überhaupt möglich ist –, wird eine Quantenkosmologie mit einer Theorie der Quantengravitation benötigt (bild der wissenschaft 4/2004, „Das Duell: Strings gegen Schleifen“). Man sucht also nach einer Verbindung der Relativitätstheorie für Raum, Zeit und Gravitation einerseits und der Quantenfeldtheorien für die Elementarteilchen und Kräfte zwischen ihnen andererseits. Das ist kein einfaches Unterfangen, denn bislang stehen sich diese Theorien unversöhnlich gegenüber.

Wenn auch noch niemand eine solche „Weltformel“ gefunden hat, so gibt es doch vielversprechende Kandidaten, zum Beispiel die Stringtheorie und die Theorie der Schleifen-Quantengravitation. „ Näherungsformeln“ wie die Wheeler-DeWitt-Gleichung sind in der Quantenkosmologie ebenfalls von großer Bedeutung. Nun kommt es darauf an, die Stichhaltigkeit der verschiedenen Hypothesen zu bewerten und, noch wichtiger, Voraussagen abzuleiten, die sich auch überprüfen lassen.

Eine Chance dazu bietet die europäische Raumsonde Planck. 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt misst sie seit August die Temperaturverteilung der Kosmischen Hintergrundstrahlung mit einer Genauigkeit, die sich wohl nicht mehr übertreffen lässt. Wenn die Daten ausgewertet sind, vermutlich 2012, muss der Urknall wohl einige seiner Geheimnisse preisgeben.

Ohne Titel

Die kurze Antwort: Vielleicht gar nicht. Die Begründung ist allerdings kompliziert und spekulativ. Insofern könnte die Antwort auch lauten: Man weiß es nicht. Und: Vielleicht ist die Frage sogar physikalisch sinnlos.

Am besten, man unterscheidet zwei Aspekte der Frage. Erstens: Ist unser Universum ein offenes oder geschlossenes System? Wenn es ein geschlossenes ist, kam die Energie überhaupt nicht in die Welt, sondern war schon immer in ihr. Doch es ist unklar, ob sich ein „kosmischer Energieerhaltungssatz“ widerspruchsfrei definieren lässt. Im Rahmen der Allgemeinen Relativitätstheorie macht das große Schwierigkeiten. Wenn aber unser Universum mit anderen Universen in Verbindung steht oder der Urknall aus einem Urvakuum entsprang und sich vielleicht in Schwarzen Löchern wiederholt, dann ist unser Universum ein offenes System. Seine Energie könnte aus einem Vorläufer-Universum stammen oder ein Relikt des „falschen Vakuums“ sein, das im Szenario der Kosmischen Inflation auftaucht.

Zweitens: Besitzt unser Universum überhaupt eine Gesamtenergie? Überraschenderweise vielleicht nicht! Denn der positiven Energie der Strahlung, der Materie und so weiter steht die mathematisch gesehen negative Energie der Schwerkraft gegenüber. Die Bilanz scheint sich gerade ausgleichen, also „null“ zu ergeben. Davon sind viele Kosmologen überzeugt. Mehr noch: Hier könnte der Schlüssel zum Verständnis des Urknalls liegen. Denn dann wäre vielleicht „alles“ – oder jedenfalls unser ganzes Universum – aus fast „nichts“ entstanden. Zufällig. Ganz spontan. Einfach so. Wobei das „Nichts“ eine Art Quantenvakuum ist: ein öder, nahezu leerer Raum quasi ohne Zeit (bild der wissenschaft 10/2004, „Der Urknall aus fast nichts“).

Bei diesen Überlegungen spielt die von Werner Heisenberg 1927 entdeckte Unschärferelation eine Rolle. Sie besagt, dass manche physikalischen Größenpaare nicht gleichzeitig beliebig genau gemessen werden können – oder von Natur aus niemals genau bestimmt sind. Ein solches „unscharfes“ Größenpaar ist Impuls (Masse mal Geschwindigkeit) und Ort. Will man also die Geschwindigkeit eines Teilchens genau messen, wird seine Position zwangsläufig unbestimmt. Ein anderes „unscharfes“ Größenpaar bilden Heisenberg zufolge Energie und Zeit. Beispielsweise ist die Energie von Atomen und Elementarteilchen innerhalb gewisser Zeiträume unbestimmt. Damit wird der radioaktive Zerfall erst verständlich: Gemäß der klassischen Physik könnte sich kein Teil eines Atoms – etwa ein Helium-Kern – einfach selbstständig machen. Doch das geschieht ja. Denn laut Quantenphysik kann der Teil eines Atoms kurzfristig mehr Energie haben, als die klassische Physik „erlaubt“, und so gleichsam die Energiebarriere überspringen oder durchtunneln.

Analog dazu könnte sich die Entstehung oder „Freisetzung“ unseres ganzen Universums mit der Energie-Zeit-Unschärfe erklären lassen. Auf diesen kühnen Gedanken kamen 1973 unabhängig voneinander der ukrainische Physiker Piotr Fomin und der amerikanische Physiker Edward Tryon. Die bis heute aktuelle Grundidee lautet: Wenn die Gesamtenergie des Universums sehr genau bestimmt ist, nämlich auf Null, dann ist die Zeit sehr „ unscharf“, nämlich beliebig lang. Hat das Universum also keine Energie, kann es zufällig als Quantenfluktuation entstehen und sehr lange existieren: Es wäre aus dem Quantenvakuum ins Dasein gesprungen, ähnlich wie ein radioaktives Teilchen quantenphysikalisch aus seinem Atom herausspringt. „Das Universum ist einfach eines der Dinge, die manchmal geschehen“, brachte es Edward Tryon auf den Punkt.

Weltmodelle im Vergleich

Dass sich unser Universum ausdehnt, ist bekannt, doch ob diese Expansion schon immer existierte oder einen Anfang hat – und wenn ja, welchen – ist eine der Grundfragen der Kosmologie. Der Urknall könnte der Beginn von allem sein (1) oder ein Übergang aus einem kollabierenden (2) oder statischen (3) Universum oder einer Zeitschleife (4). Dem konkurrierenden Steady-State-Modell zufolge expandiert das Universum seit aller Ewigkeit und hatte keinen Urknall (5). Diese Hypothese gilt inzwischen als widerlegt.

Die erste Viertelstunde

Die leichten Elemente, die bis heute rund 99 Prozent der gewöhnlichen Materie des Alls ausmachen, insbesondere Wasserstoff und Helium, sind in den ersten 15 Minuten unseres Universums entstanden. Die Kernreaktionen, die dieser Urknall-Nukleosynthese zugrunde liegen, sind gut bekannt. Die theoretischen Voraussagen stimmen exzellent mit den astrophysikalischen Messungen überein. Die Grafik zeigt, wie sich die Häufigkeit der einzelnen Bestandteile der Materie im Lauf der Zeit verändert hat.

Aus dem Tagebuch des Universums

Ab zirka 10–12 Sekunden nach dem Urknall sind verlässliche Aussagen möglich. Über die Zeit davor kann man nur spekulieren. Auch sind einige Zeitangaben modellabhängig und daher teilweise noch nicht genau bekannt. Die Grafik veranschaulicht die wichtigsten Entwicklungsschritte sowie – in logarithmischem Maßstab – die zeitlichen und räumlichen Verhältnisse.

Das WeltAll als Luftballon

Dass sich das Weltall ausdehnt, gehört zu den größten Erkenntnissen der Wissenschaft. Doch wie kann man sich das vorstellen? Ein beliebter Vergleich ist folgender: Man reduziere den dreidimensionalen Weltraum um eine Dimension auf eine zweidimensionale Fläche, beispielsweise auf die Gummihaut eines Luftballons. Nun klebe man kleine Papierschnipsel auf die Ballonhaut. Sie entsprechen den Galaxienhaufen. Bläst man Luft in den Ballon, beginnt er sich auszudehnen. Die Schnipsel entfernen sich dabei immer weiter voneinander. Jeder Beobachter in einem solchen Schnipsel sähe sich im Zentrum der Expansion. Doch das wäre eine optische Täuschung, denn die Ausdehnung findet überall statt. Es gibt keinen Mittelpunkt auf der Ballonfläche, und sie hat auch keinen Rand. Wenn wir zweidimensionale Lebewesen wären, die auf ihr entlang kröchen, würden wir doch nie an ein Ende kommen. Ganz ähnlich verhält es sich mit unserem Weltraum. Denn Astronomen messen, dass sich alle Galaxienhaufen von uns entfernen, und zwar umso schneller, je größer ihre Distanz ist. Freilich hinkt der Ballon-Vergleich: Erstens bläst niemand unser Universum auf. Zweitens hat der Weltraum keinen Mittelpunkt „ außerhalb“ wie die Ballonhülle. Und drittens dehnt er sich nicht in einen anderen Raum hinein aus, sondern wächst gleichsam „ innerlich“ – eine Vorstellung, die den Alltagsverstand sprengt. Verwirrender noch: Nimmt man den Ballon-Vergleich ernst, dann entspricht der Raum um den Ballon der Zeit. Der Mittelpunkt des Ballons, von dem aus sich die Hülle gleichmäßig beim Aufblasen entfernt, wäre gewissermaßen der Urknall.

Ohne Titel

Dass das beobachtbare Universum früher viel kleiner, dichter und heißer war als heute, lässt sich mithilfe der Allgemeinen Relativitätstheorie verstehen. Wenn das auch natürlich kein Beweis für den Urknall ist, so gibt es doch zahlreiche Beobachtungen, die für einen Urknall sprechen. Dazu gehören die Häufigkeit von Wasserstoff und Helium im All sowie die Kosmische Hintergrundstrahlung (dazu mehr bei der Frage „Merkt man noch heute etwas vom Urknall?“). Und dazu gehört auch die Entdeckung der kosmischen Expansion. Dass sich das All ausdehnt, hatten Kosmologen vorausgesagt, bevor es beobachtet wurde. Zwar hatte Vesto Melvin Slipher am Lowell Observatory in Arizona schon um 1914 erste Anzeichen dafür entdeckt, dass sich die Galaxien voneinander entfernen. Doch die Existenz anderer Galaxien außerhalb der Milchstraße war damals noch reine Spekulation. Sie wurde erst 1924 von dem amerikanischen Astronomen Edwin Powell Hubble und anderen nachgewiesen.

Hubble war es auch, der zusammen mit Milton Humason dank des neuen 100-Zoll-Teleskops auf dem Mount Wilson ab 1929 Sliphers Vermutung bestätigte: Die Spektren anderer Galaxien – ihr in die Regenbogenfarben zerlegtes Licht – sind größtenteils in den langwelligen, roten Bereich verschoben, und zwar umso stärker, je weiter diese Galaxien von uns entfernt sind. Das bedeutet: Sie bewegen sich von der Milchstraße fort, und zwar um so schneller, je weiter weg sie sind. Die Milchstraße ist dabei jedoch keineswegs das imaginäre Zentrum einer ungeheueren Explosion: Von jeder anderen Galaxie aus wäre derselbe Effekt zu beobachten. Er ist schlichtweg die Folge davon, dass der Zwischenraum der Galaxienhaufen wächst. Denn alle diese Haufen bewegen sich auseinander wie Rosinen in einem aufgehenden Kuchenteig. Damit steht fest: Der Weltraum ist nicht statisch, sondern er dehnt sich aus (siehe Kasten auf der linken Seite: „Das Weltall als Luftballon“).

Ohne Titel

Vermutlich ja. Dafür gibt es verschiedene Modelle, die einander nicht gegenseitig ausschließen.

· Wenn unser Urknall eine Zufallsschwankung in einem Urvakuum war, dann muss es immer wieder „urknallen“ – im Prinzip bis heute. Somit existieren unzählige andere Universen anderswo, die aber auf ewig voneinander getrennt sind. Diese Universen könnten ganz unterschiedliche Naturgesetze und -konstanten haben (bild der wissenschaft 8/2006, „Mysteriöses Universum“). Viele wären wohl lebensfeindliche Totgeburten. Und manche würden überhaupt nicht „groß und stark“ werden, sondern sofort wieder in sich zusammenstürzen und ins Urvakuum zurückkehren.

· Dem Szenario der Kosmischen Inflation zufolge war der Urknall eine Art Phasenübergang in einem rasant expandierenden „ falschen Vakuum“. Wie eine Gasblase im kochenden Wasser schnürte sich lokal eine Insel aus einem „wahren“, das heißt energieärmeren Vakuum ab, und die Reste des falschen Vakuums darin wandelten sich in die Elementarteilchen um – der Geburtsblitz der Materie. Demnach war der Urknall nicht der Beginn von Raum und Zeit, sondern nur unseres Vakuums mit seinen als Naturgesetze und -konstanten beschriebenen Eigenschaften und der Materie. Auch anderswo im falschen Vakuum hätten sich unzählige andere Big Bangs ereignet, die zu mehr oder weniger isolierten Universen führten – und sie werden es noch in alle Ewigkeit tun.

Aber auch aus unserem eigenen Universum treiben vielleicht neue Universen aus wie Knospen.

· Aus jedem Zentrum eines Schwarzen Lochs könnte ein neues Universum entspringen, wie etwa John A. Wheeler und Lee Smolin spekuliert haben. Diesen Physikern zufolge wäre der Kollaps eines ausgebrannten massereichen Sterns gleichbedeutend mit einem Urknall – einem Weißen Loch, dem raumzeitlichen Eingangstor einer neuen Welt. Dann wäre wohl auch unser eigenes Universum so entstanden (siehe Grafik „Universale Verzweigung“).

· Eine andere Möglichkeit einer Neuschöpfung der Natur geht nicht von einer monströsen Schwerkraftfalle aus, sondern von dem nichtigsten Nichts. Denn das Vakuum des Raums ist wohl gar nicht leer, sondern enthält eine größere Energiedichte als alle Materie zusammengenommen (bild der wissenschaft 10/2006, „Abscheu vor dem Nichts“). Auf eine solche mysteriöse „Dunkle Energie“ deuten etliche Messungen der letzten zehn Jahre hin. Gibt es sie, dann muss die Kraft des Vakuums gemäß der Quantenphysik in sehr langen Zeiträumen immer wieder neue Big Bangs hervorbringen. Die Kosmologen Alexander Vilenkin und Jaume Garriga haben ein detailliertes Modell eines solchen „Recycling-Universums“ ausgearbeitet. Doch keine Angst: Ein derartiger Neustart würde nicht in unser Universum hinein explodieren und es zerstören, sondern er würde sich seinen eigenen Raum schaffen. Wahrscheinlich würde nicht einmal jemand etwas davon merken.

· Theoretisch könnte sogar künstlich eine überkritische Menge von Energie an einem Ort konzentriert werden und dann einen neuen Urknall zünden. „Die hohe Kunst der Erschaffung von Universen“, wie es der Kosmologe Andrei Linde provokant formulierte (bild der wissenschaft 11/2005, „Mr. Universum“). Linde hat berechnet, dass kosmische Ingenieure nur wenige Hundertstel Milligramm Materie so weit verdichten müssten, dass die Partikel auf Ruheenergien von 1015 Gigaelektronenvolt kommen – und schon würde ein Schwarzes Miniloch entstehen. Dessen Inneres könnte dann exponentiell zu expandieren beginnen. Ein Tochter-Universum mit eigener Raumzeit entstünde, das sich von unserem Universum rasch abnabeln würde.

Ohne Titel

Die kurze Antwort: Es kommt darauf an. Denn das hängt vom Modell ab.

Dass sich die Expansion des Weltraums eines Tages umkehren und der nachfolgende Kollaps zu einem „Endknall“ führen könnte, hatte der russische Mathematiker Alexander Friedmann schon 1922 und 1924 aus der Allgemeinen Relativitätstheorie abgeleitet. So lag die Spekulation nahe, dass der Endknall zu einem neuen Urknall führen könnte und alles wieder von Neuem beginnt. Ein solches Phönix-Universum, das wie der mythische Urvogel aus seiner eigenen Asche wiederaufersteht, hat seine Rechnung jedoch ohne die Thermodynamik gemacht. Denn bereits 1934 konnte der amerikanische Kosmologe Richard Tolman zeigen, dass die Entropie (das Maß für die thermodynamische Unordnung) über die „Zyklen“ der Urknall-Endknall-Urknall-…- Universen hinweg immer weiter zunehmen müsste (siehe Grafik „Ewige Wiederkehr?“). Mit anderen Worten: Jedes nachfolgende Universum hätte mehr Strahlung im Verhältnis zur Materie als sein Vorläufer. Damit würden sich aber die Zyklen immer weiter verlängern. Die Ewige Wiederkehr wäre nicht identisch – und womöglich nicht einmal ewig.

In der modernen Quantenkosmologie sind zyklische Modelle seit wenigen Jahren wieder in Mode gekommen. Und zwar sowohl in der Schleifen-Quantengravitation (bild der wissenschaft 6/2006, „Was war vor dem Urknall?“) als auch in der Stringtheorie (bild der wissenschaft 5/2002, „Ewige Wiederkehr“). Es ist unklar, ob Tolmans Einwand hier gilt – vermutlich jedoch nicht. Und wenn die Naturgesetze über die Urknall-Phasenübergänge hinweg konstant bleiben – und danach sieht es aus –, könnte sich alles wiederholen, auch die Entstehung der Erde, die Evolution des Lebens und sogar dieser Artikel.

Eine weitere entscheidende Frage: Existieren in der Natur unendlich viele Variationen, sodass eine exakt identische ewige Wiederkehr unmöglich ist? Vermutlich nicht. Denn der exzellent bestätigten Quantentheorie zufolge sind die Zustände der Materie nicht kontinuierlich. Und es gibt wohl auch keine beliebig kleinsten Einheiten von Raum und Zeit, sondern eine Art „körnige“ Struktur – gleichsam Raum- und Zeit-„Atome“ in der Größenordnung von 10–33 Zentimetern und 10–43 Sekunden. Das bedeutet jedoch: In einem endlichen Volumen kommt nur eine endliche Zahl von Materie-Konfigurationen vor. So wie es beispielsweise auf einem Schachbrett zwar eine riesige Menge verschiedener Partien gibt (rund 10120) – tatsächlich mehr als Atome im beobachtbaren All (ungefähr 1080) –, aber eben nicht unendlich viele. Ist das Universum aber unendlich im Raum und/oder in der Zeit, wird unweigerlich alles physikalisch Mögliche auch wirklich – und zwar unendlich oft. Alle Kombinationen wären also irgendwo und/oder irgendwann realisiert. Und nicht nur das, sondern auch exakte Doppelgänger von uns allen. Das ist eine irritierende Vorstellung. Doch dafür haben die Kosmologen George Ellis, Alexander Vilenkin und Jaume Garriga harte Argumente angeführt (bild der wissenschaft 9/2001 „Ewiges Leben im Universum“). Das Ganze lässt sich sogar in – freilich astronomisch großen – Zahlen quantifizieren: Sean M. Carroll und Jennifer Chen zufolge wiederholt sich unser Universum im Rahmen des „Recycling“-Modells durch kosmische Quantenfluktuationen alle etwa 1010 Jahre. Und Max Tegmark hat die Ewige Wiederkehr im Raum abgeschätzt, die unvermeidlich ist, selbst wenn es nur einen einzigen Urknall gab, der aber ein unendliches All hervorgebracht hat. Demnach ist der nächste Doppelgänger von Ihnen, lieber Leser, statistisch gesehen 1010 Meter entfernt, das nächste Doppelgänger-Volumen einer Kugel mit 100 Lichtjahren Radius (einschließlich einer exakten Doppelgänger-Erde) 1010 Meter und das nächste Doppelgänger-Universum, das so groß ist wie unser beobachtbares Volumen, 1010 Meter. Es ist also sehr unwahrscheinlich, dass wir einem Alter Ego jemals die Hand reichen können.

Ohne Titel

Würde man den Zuschriften glauben, die bild der wissenschaft erreichen – und viele andere Redaktionen und Forschungseinrichtungen –, dann werden Relativitätstheorie und Urknall fast wöchentlich widerlegt. An die alternativen Welterklärungen glauben freilich allenfalls ihre Verfasser, den wissenschaftlichen Standards genügen sie nicht.

Aber es gibt auch ernst zu nehmende Kritik an der Urknall-Theorie. Da „Urknall“ ein mehrdeutiges Wort ist, verbergen sich viele Modelle dahinter, wenn man darunter nicht nur den heißen Beginn des Universums sowie eine Abkühlung und Entwicklung seitdem versteht, sondern auch deren Ursache (siehe Tabelle „Wettstreit der Hypothesen“). Diese Modelle ergänzen die Urknall-Theorie vom heißen Anfangsstadium. Aber es gab und gibt auch konkurrierende Vorstellungen. Sie spielen inzwischen allerdings nur noch die Rolle von Außenseitern.

Eine davon ist die Hypothese vom „kalten Urknall“. Demnach begann das Universum bei niedriger Temperatur, und die Kosmische Hintergrundstrahlung entstand erst viel später aus dem Licht der ersten Sterne. Verschiedene Kosmologen wie Yakov Zel’dovich, Robert Dicke und David Layzer haben diese Hypothese in den 1960er- Jahren und später erwogen – erfolglos.

Die historisch bedeutendste Alternative zur Urknall-Theorie war das „Steady-State-Modell“. Es wurde 1948 von Fred Hoyle, Thomas Gold und Hermann Bondi vorgeschlagen und später weiter verbessert und verändert. Danach wäre das Universum ewig, unendlich und im Großen und Ganzen unveränderlich. Die Materie verdünnt sich dabei im fortwährend expandierenden Raum jedoch nicht, sondern wird durch eine kontinuierliche Neuentstehung nachgeliefert – aus einem ominösen unbekannten Feld heraus. Diese Annahme stand nicht im Widerspruch zu den Beobachtungen, weil der nötige Nachschub außerordentlich gering sein könnte – nur etwa ein Wasserstoff-Atom pro Kubikmeter und Jahrmilliarde.

Trotz anfänglicher Erfolge ließ sich das Steady-State-Modell aber in den 1960er-Jahren nicht länger halten: Astronomische Beobachtungen zeigten, dass das Universum einst ganz anders aussah und sich entwickelt hat – also keineswegs unveränderlich ist. Das belegten die Entdeckung der Kosmischen Hintergrundstrahlung sowie ferner Radiogalaxien und Quasare (der hellen Zentren junger Galaxien). Maßgeblich daran beteiligt war der Astronom Martin Ryle, der 1974 mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Außerdem gab es theoretische Widersprüche im Modell, wie unter anderem Stephen Hawking 1965 in seiner ersten wissenschaftlichen Veröffentlichung nachwies.

Fred Hoyle und andere Kosmologen, etwa Jayant Narlikar und Geoffrey Burbidge, haben das Steady-State-Modell seit 1993 zu einem „Quasi-Steady-State-Modell“ umformuliert, um neuen astronomischen Daten Rechnung zu tragen. Demnach wäre die Expansion des Weltraums immer wieder von Phasen der Kontraktion unterbrochen worden. Und der Materie-Nachschub würde von „Little Bangs“ stammen, etwa in den Zentralbereichen aktiver Galaxien. Unabhängig von gravierenden theoretischen Problemen widersprechen auch diese Hypothesen den Beobachtungsdaten.

Fazit: Die Urknall-Theorie lässt zwar noch einige wichtige Fragen offen, und die Kosmologen werden sie sicher in Zukunft erweitern müssen. Aber sie ist inzwischen fast allgemein anerkannt. Seit Albert Einstein mit der Allgemeinen Relativitätstheorie die Grundlage der modernen Kosmologie schuf, hat es nicht einmal 100 Jahre gedauert, bis Naturwissenschaftler unser Universum halbwegs erkannt und erklärt haben. Da es in der Wissenschaft aber keine letzten Wahrheiten und Begründungen gibt, ist es nicht ausgeschlossen, dass schon morgen ein junger Wissenschaftler kommt und alles umkrempelt. Denn das Weltbild von heute kann der Fehler von morgen sein. Doch wie schon der sowjetische Physiker Lev Landau sagte: „Kosmologen irren sich oft, aber sie zweifeln nie.“ ■

Ohne Titel

Nirgendwohin! Der Urknall war keine Explosion im Raum, sondern der Beginn einer Explosion des Raums. Seit dem Urknall dehnt sich der Weltraum aus. Er verhält sich aber nicht wie das wachsende Volumen eines Luftballons, den man aufpustet, sondern wie die Gummihaut eines Ballons, die aus sich selbst heraus immer größer wird, also an Fläche gewinnt (siehe Kasten links: „Das Weltall als Luftballon“). Das ist ein mathematisch einwandfrei beschreibbarer Vorgang. Doch konkret vorstellen kann sich das niemand, denn auch im Fall einer Luftballonhülle denken wir uns unweigerlich einen Raum „drum herum“. Analog zur zweidimensionalen Luftballon-Haut im dreidimensionalen Raum wird daher zuweilen angenommen, dass es eine vierte Raumdimension um unseren dreidimensionalen Weltraum gibt – einen Hyperraum. Das ist mathematisch durchaus denkbar, physikalisch aber problematisch, weil dann noch mehr Dimensionen nötig wären. Es ist wohl vielmehr so, dass der Weltraum gleichsam innerlich wächst, wie die Luftballon-Hülle. Kosmische Maßbänder würden sich demnach über Millionen Lichtjahre hinweg wie Gummibänder dehnen. Man kann das sogar quantifizieren: mit dem Wert des sogenannten Hubble-Parameters. Er beträgt heute gut 70 Kilometer pro Sekunde und Megaparsec. Das heißt: Im kosmischen Durchschnitt wächst eine Strecke, die ein Megaparsec lang ist (das sind 3,26 Millionen Lichtjahre), in jeder Sekunde um gut 70 Kilometer.

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Nein! Das All dehnt sich nur dort aus, wo keine Kräfte das verhindern. Also zum Beispiel nicht dort, wo die starke und die schwache Kernkraft wirken – wie im Inneren von Atomen –, oder wo die elektromagnetische Wechselwirkung und die Gravitation eine bestimmte Stärke überschreiten. Das bedeutet auch: Die Ausdehnung des Alls findet nicht innerhalb der Galaxien oder zwischen benachbarten Galaxien statt. Beispielsweise bewegen sich die Milchstraße und der Andromedanebel sogar aufeinander zu und werden in rund zwei Milliarden Jahren miteinander kollidieren (bild der wissenschaft 2/2008, „Andromeda auf Kollisionskurs“ ).

Die kosmische Expansion macht sich daher nur zwischen den Galaxienhaufen bemerkbar. Platz dafür gibt es freilich genug. Denn über die Hälfte des Alls besteht aus riesigen blasenförmigen Leerräumen – typischerweise von gut 100 Millionen Lichtjahren Durchmesser –, die die Galaxienhaufen wie Seifenschaum umgeben. In diesen Leerräumen vollzieht sich der Hauptteil der kosmischen Expansion. Eine harte Übergangsgrenze zwischen dynamischem und statischem Raum gibt es allerdings nicht. Für die Erde bedeutet das: Die Zahl der Parkplätze in den Städten nimmt trotz der Ausdehnung des Weltraums leider nicht zu. Und wer morgens vor dem Spiegel über seine Leibesfülle erschrickt, kann der kosmischen Expansion nicht die Schuld dafür geben. Denn Spiegel, Hose und Schlafzimmer haben sich sicher nicht vergrößert.

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Wenn das Standardmodell der modernen Kosmologie stimmt, ist unser All 13,7 Milliarden Jahre alt – jedenfalls entstand damals die uns vertraute Materie aus Protonen und Neutronen. 13,7 Milliarden Jahre ist eine sehr präzise Zeitangabe in der Geschichte der Kosmologie. Wie genau diese Aussage ist, zeigt ein historischer Vergleich: Noch in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre schwankten die Angaben zwischen 12 und 20 Milliarden Lichtjahren, teils war sogar von über 30 Milliarden Jahren die Rede. Die aktuelle Altersangabe ist erst durch die genauen Messungen bestimmter kosmischer Kennziffern (Hubble-Konstante, Verzögerungsparameter, mittlere Dichte, Dunkle Energie) möglich geworden. Allerdings: Manche Annahmen des kosmologischen Standardmodells könnten falsch sein. Dann wäre das Universum vielleicht etwas älter. Viel jünger kann es nicht sein, denn die ältesten bekannten Sterne, die sich ja erst nach dem Urknall gebildet haben können, leuchten seit über zwölf Milliarden Jahren.

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Das wüssten die Kosmologen sehr gerne. Die üblichen einfachsten Modelle gehen davon aus, dass das Universum an jedem Ort und in jeder beliebigen Himmelsrichtung im Großen und Ganzen gleich aussieht. Dieses „Kosmologische Prinzip“ gilt freilich nur im Durchschnitt und auf Größenskalen von über 100 Millionen Lichtjahren. Astronomische Beobachtungen zeigen, dass die Verteilung der Galaxienhaufen und Leerräume sich dann tatsächlich einem homogenen Mittelwert nähert. Außerdem ist die Kosmische Hintergrundstrahlung extrem gleichförmig. Wenn das Kosmologische Prinzip zutrifft, muss sich das All mehr oder weniger gleichmäßig ausdehnen. Dafür sprechen auch die bisherigen Messungen der Galaxien-Bewegungen.

Bei näherer Betrachtung ist der Fall allerdings nicht so klar. Ob das Kosmologische Prinzip gilt, ist nämlich nicht sicher. Tatsächlich könnte die Materieverteilung ungleichförmiger sein als bislang gedacht. Manche Kosmologen zweifeln deshalb am gegenwärtigen Standardmodell der Kosmologie. Künftige Beobachtungen werden hier entscheidend sein – etwa Helligkeitsmessungen ferner Sternexplosionen. In den nächsten Jahren könnte es also Überraschungen geben.

Auch zwei aktuelle Entdeckungen irritieren: Zum einen scheint es einen riesigen Leerraum im Sternbild Eridanus zu geben, rund acht Milliarden Lichtjahre entfernt und 900 Millionen Lichtjahre im Durchmesser groß (bild der wissenschaft 9/2008, „Das Loch“). Er ist kaum mit dem Kosmologischen Prinzip zu vereinbaren. Zum anderen haben Astronomen letztes Jahr Anzeichen dafür entdeckt, dass sich unverhältnismäßig viele Galaxienhaufen – rund 700 mit Distanzen bis zu 6 Milliarden Lichtjahren – mit 600 Kilometern pro Sekunde auf eine Stelle an der Grenze der Sternbilder Centaurus und Vela zubewegen. Auch das könnte ein Indiz dafür sein, dass sich der Weltraum ungleichmäßig ausdehnt.

Konkurrenz zum „Urknall“

Um den missverständlichen und recht martialischen Namen „Big Bang“ durch eine treffendere Bezeichnung zu ersetzen, hatte die American Astronomical Society auf ihrer Jahrestagung 1994 einen Wettbewerb ausgelobt. Denn selbstverständlich knallte es bei der Entstehung unseres Universums nur im metaphorischen Sinn, und hören konnte das auch niemand. Aber es zeigte sich: Trotz 13 000 Vorschlägen war der Name „Urknall“ nicht zu überbieten. Kein anderer Begriff war auch nur annähernd so passend. Dabei hatten die Namensschöpfer ihrer Fantasie freien Lauf gelassen. Die Angebote reichten von biblischen Anklängen („Creation“, „ Cosmogenesis“) und Akronymen wie „HUGE (Hypothetical Universal Gravitation Expansion)“ oder „The NICK of Time (Nature’s Initial Cosmic Kickstart)“ bis zu so respektlosen Bezeichnungen wie „Big Burp“ („großer Rülpser“), „Jurassic Quark“, „Blast from the Past“ und „What Happens if I Press This Button“. Die Jury hatte großen Spaß bei der Auswertung, doch einen überzeugenden Ersatz für den Begriff „Urknall“ fand sie nicht. Also werden wir weiter mit dem „ Big Bang“ leben müssen – vielleicht bis sich die Menschheit eines Tages selbst in einem großen Knall aus dem Universum katapultiert hat.

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Jede naturwissenschaftliche Erkenntnis beruht auf vier Quellen: Theorie, neuerdings Computersimulation sowie Beobachtung und Experiment. Das gilt auch für die Physikalische Kosmologie.

• Ihre theoretischen Grundlagen sind vor allem die Allgemeine Relativitätstheorie, Thermodynamik, Quantenphysik und Hochenergie-Teilchenphysik, aber auch Plasmaphysik und Hydrodynamik.

• Computersimulationen gehören mit zur „Theorie“ – genauer: Sie sind deren praktische Anwendung. Sie erlauben es, komplexe Vorgänge zu visualisieren und unter verschiedenen Randbedingungen durchzuspielen.

• Zu den Beobachtungen gehören vor allem Daten der Astrophysik in allen Wellenlängen von der Radio- bis zur Gammastrahlung. Hinzu kommen teilchenphysikalische Messungen der Kosmischen Strahlung und künftig die Gravitationswellen-Astronomie.

• Experimentieren kann man mit dem Urknall selbstverständlich nicht. Doch die Verhältnisse in den ersten Sekundenbruchteilen lassen sich in Teilchenbeschleunigern auf der Erde nachahmen. Dies erlaubt Rückschlüsse, die wiederum mit astrophysikalischen Daten verglichen werden.

Vieles in der Kosmologie haben Theoretiker vorausgesagt, lange bevor es gemessen wurde (Expansion, Hintergrundstrahlung und ihre Temperaturschwankungen, Neutrino-Hintergrund, Dunkle Energie, Inflation). Inzwischen wissen die Forscher sogar über die Entwicklung des Alls in den ersten Sekundenbruchteilen nach dem Urknall sehr genau Bescheid (siehe Grafik links).

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Allerdings! Sogar im Alltag: Vor der Einführung des Kabelfernsehens konnte jeder nach Sendeschluss etwas vom Echo des Urknalls erhaschen. Zwar stammte der Großteil des Rauschens auf der Mattscheibe von irdischen Störquellen, aber immerhin ein Prozent auch von der Kosmischen Hintergrundstrahlung, die im Mikrowellenbereich den gesamten Weltraum erfüllt. Sie ist das älteste Leuchten im Kosmos, viel älter als das Licht der ersten Sterne, und wirkt gewissermaßen als Nachhall des Urknalls: das Restleuchten des Feuerballstadiums am Anfang des Universums.

Die Entdeckung der Kosmischen Hintergrundstrahlung verhalf der Urknall-Theorie zum Durchbruch. Denn ihre Existenz und viele ihrer Eigenschaften hatte die Theorie vorausgesagt. In der Kosmischen Hintergrundstrahlung zeigt sich das Universum, wie es einst gewesen ist: dichter und heißer als das Zentrum der Sonne, und zwar überall. Die Elektronen bewegten sich damals frei zwischen den Atomkernen, und das Licht wurde ständig an der Materie gestreut oder von ihr verschluckt und wieder ausgespien. Dieser Zustand der Materie – freie Atomkerne und Elektronen – heißt Plasma. Atome oder gar Moleküle gab es im frühen Universum nicht. Die Hitze war allgegenwärtig und allumfassend, doch nicht von Dauer. Aufgrund der Ausdehnung des Alls haben seine Dichte und Temperatur ständig abgenommen. Bei ungefähr 4000 Grad Celsius konnten die Atomkerne Elektronen einfangen. Es bildeten sich die ersten Atome – größtenteils Wasserstoff. Dadurch bekam das Licht freie Bahn: Das Universum wurde durchsichtig. Das geschah etwa 380 000 Jahre nach dem Urknall.

Dieses erste Licht beobachten wir heute als Kosmische Hintergrundstrahlung. Sie ist inzwischen, bedingt durch die Expansion des Weltraums, auf 2,725 Kelvin abgekühlt – also auf rund minus 270 Grad Celsius. Und ihre Wellenlänge hat sich in den für menschliche Augen unsichtbaren Millimeter- und Zentimeterbereich verschoben. Aber noch immer durchfluten über 400 Photonen aus dem frühen heißen Universum jeden Kubikzentimeter des Weltraums. Aus dem Muster der winzigen Temperaturschwankungen in der Kosmischen Hintergrundstrahlung können die Forscher viele wichtige Kenngrößen unseres Universums errechnen (siehe Tabelle links).

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Auf diese schwierige Frage gibt es verschiedene Antworten, die sich widersprechen: Ja! Nein! Vielleicht! Oder: Kommt darauf an! Die Situation ist also ziemlich verwirrend. Ein Teil des Problems ist eine schlichte Definitionsfrage. „Urknall“ ist nämlich ein mehrdeutiges Wort mit mindestens vier Bedeutungen:

(1) Die heiße, dichte Anfangsphase unseres Universums. Dabei haben sich innerhalb weniger Minuten die leichten Elemente gebildet: Wasserstoff und Helium sowie Spuren von Lithium und Beryllium (siehe Grafik unten: „Die erste Viertelstunde“). Dass unser Universum aus einem Urknall in dieser Wortbedeutung entstand, nehmen inzwischen fast alle Kosmologen an. Und nur in diesem Sinn wird vom Standardmodell der Kosmologie oder von der Standardtheorie des Urknalls gesprochen. Wie es zu dem heißen, dichten Beginn kam, bleibt dabei jedoch offen.

(2) Die Anfangssingularität. Sie markiert den Zeitpunkt, an dem die bekannten Naturgesetze zusammenbrechen: Energie, Dichte, Druck, Temperatur und Krümmung gehen gegen unendlich, Raum und Zeit verschwinden. Die Feldgleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie für das Universum haben an diesem Punkt eine Singularität – einen blinden Fleck, an dem sie keine sinnvollen Aussagen machen. Dies trifft unter sehr allgemeinen Bedingungen zu, wie Stephen Hawking und Roger Penrose in den 1960er-Jahren bewiesen haben. Ob jedoch alle diese Bedingungen notwendigerweise erfüllt waren, und ob diese mathematische Grenze wirklich eine physikalische Entsprechung hat, ist umstritten. Fest steht: Eine Erklärung des Urknalls muss diese Singularität überwinden, also durch eine realistische physikalische Beschreibung ersetzen. Erst dann kann die Frage beantwortet werden, ob der Urknall der Anfang von allem war oder nicht.

(3) Ein absoluter Anfang von Raum, Zeit und Energie, also der Beginn von allem. Urknall-Modelle in diesem Sinn können Anfangskosmologien genannt werden. Sie postulieren einen allerersten Moment. Entspräche ein solches Modell der Realität, gäbe es keine Zeit „vor“ dem Urknall. Doch niemand weiß, ob das der Fall ist.

(4) Der Beginn unseres Universums, das heißt seiner Teilchen, seines Vakuumzustands und vielleicht seiner (lokalen) Raumzeit. Urknall-Modelle in diesem Sinn lassen die Möglichkeit offen, dass unser Universum nur eines von vielen ist (Multiversum-Hypothese). Dann könnte es selbst zwar einen Anfang besitzen und würde nicht ewig existieren, aber es wäre nicht aus dem Nichts entstanden. Somit wäre unser Urknall nicht der Anfang von allem, sondern es hätte vorher – und vielleicht „schon immer“ – etwas existiert. Dann kann man von Ewigkeitskosmologien sprechen. Diese Bedeutung von Urknall lässt also die Möglichkeiten offen, dass es eine Zeit „vor“ dem Urknall (1) gab, dass er ein Übergang war („Big Bounce“ ) und dass andere Universen existieren.

Das alles beantwortet freilich nicht, was denn nun eigentlich geschah. Die Begriffsunterscheidung macht aber deutlich, dass der Urknall ein – wenn auch brachiales – Ereignis unter vielen gewesen sein kann, also ein Urknall (4), wie es das Szenario der Ewigen Inflation nahe legt. Damit stellt sich aber die Frage nach dem Beginn der Inflation – und somit nach dem Urknall (3). Es gibt starke Argumente dafür, dass die Inflation einen Anfang hatte. Dann kann sie jedoch nicht die Singularitätstheoreme von Hawking und Penrose umgehen, also den Urknall (2). Fazit: Ob der Urknall der Anfang aller Dinge war, lässt sich erst klären, wenn man herausfindet, was ihn verursacht hat. Im Wettstreit der Hypothesen (Grafik und Tabelle unten) führt zurzeit die Ansicht, dass der Urknall ein Übergang war und nicht der absolute Anfang von allem.

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