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Solarzellen rollenweise

Technik|Digitales

Solarzellen rollenweise
Das Start-up-Unternehmen Nanosolar verkündet schon seit sieben Jahren, den Energiemarkt mit preiswerten Solarzellen aufmischen zu wollen. Manche hielten die Firma deshalb für unseriös. Nun überrascht sie mit großen Produktionsstätten in Berlin und Kalifornien. von Désirée Karge (Text) und Volker Steger (Fotos)

Hektisch zappelt das Rührwerk durch die silberne Flüssigkeit und schlägt mit leisem Klappern gegen die Wand des kleinen Rundkolbens. Was aussieht wie geschmolzene Lötmasse ist eines der bestgehüteten Industriegeheimnisse. „Unser Zaubermittel”, kommentiert Werner Dumanski. Die Flüssigkeit im Kolben füllt noch nicht einmal einen Zahnputzbecher. Doch wenn sie hauchdünn auf eine Folie aufgetragen wird, entsteht eine 20 Quadratmeter große Solarzellenfläche mit einer Leistung von 2 Kilowatt – und das zu Herstellkosten, die offenbar konkurrenzlos günstig sind. Dumanski ist Produktionschef bei der kalifornischen Firma Nanosolar, die im Süden von San Jose ihren Sitz hat. Mitten in einer kahlen Hügellandschaft, zwischen dem Highway und dem Country Club, unterhält das Start-up-Unternehmen ein zwei Hektar großes Firmengelände. Von hier aus will Nanosolar eines der weltweit bedeutendsten Solar-Unternehmen werden, wie Firmenchef Martin Roscheisen betont. Aufbruchstimmung und rege Geschäftigkeit sind bereits zu spüren, wenn man das unauffällige Gebäude betritt. Kurioserweise landet man zunächst in der Kantine. Laute Hip-Hop-Musik ertönt aus dem Radio des Küchenpersonals, das emsig große Bleche mit Zwiebeln belegt, während Techniker mit Laborbrillen durch zwei Sicherheitstüren hereinkommen, an den Köchen vorbeiflitzen und wieder hinausgehen. Das Telefon der Rezeptionistin klingelt unaufhörlich. Wer sie passieren möchte, muss sich registrieren lassen und sein Besuchsziel aus einem endlosen Vornamenregister im Computer heraussuchen. Ich möchte zu „Martin R.” Das steht für den Firmengründer Martin Roscheisen, der Photovoltaik-Geschichte schreiben will: Zehnmal schneller als die Konkurrenz produziert er nach eigener Aussage Solarzellen – über ein Druckverfahren mit einer Tinte aus Nanopartikeln.

MILLIARDÄR MIT 33

Gut 300 Mitarbeiter, die für eine Start-up-Firma unüblich hohe Summe von 500 Millionen Investitionskapital und über 300 Patente stärken ihm den Rücken. Gefragt nach der Motivation für sein ehrgeiziges Projekt sagt Martin R.: „Ich wollte damals schlicht wissen, warum Solaranlagen eigentlich so teuer sind.” Damals, das war vor sieben Jahren. Da war der gebürtige Münchner im Silicon Valley bereits als erfolgreicher Unternehmer unterwegs. Nach seiner Promotion an der Stanford University hob der gelernte Informatiker Ende der 1990er-Jahre drei Internet-Firmen aus der Taufe, die er bald darauf mit einem Gesamterlös von über einer Milliarde Dollar verkaufte. Roscheisen war damals 33, suchte eine neue Geschäftsidee und gründete 2002 eine der ersten Firmen im Silicon Valley, die auf „grüne” Technologie setzte. Und diese manifestiert sich nun hinter den zwei riesigen Sicherheitstüren gleich neben der Kantine. „Seit Juli steht dort unsere Produktionsanlage”, berichtet Roscheisen vor meinem Rundgang. „ Sie fertigt jeden Monat eine Millionen Solarzellen.” Das klingt nach kilometerlangen Fertigungsstrecken, ratternden Laufbändern und vielen Arbeitern in weißen Schutzanzügen. Doch in der fußballplatzgroßen Fertigungshalle sieht alles sehr übersichtlich aus: Roscheisens Reich beherbergt bloß eine Handvoll lärmende Großmaschinen, die von ein oder zwei Operateuren mit Schutzbrillen bedient werden. Fließbänder gibt es keine. Stattdessen sind die verschiedenen Arbeitsbereiche durch breite, lange Korridore verbunden. Genug freie Flächen sind vorhanden. Roscheisen denkt bereits an eine Erweiterung der Kapazitäten auf 1000 Megawatt (sprich: ein Gigawatt) pro Jahr. Die gegenwärtige Fertigungsstätte ist auf eine maximale Produktionskapazität von 640 Megawatt ausgelegt. „Damit fängt alles an”, sagt Werner Dumanski, der aus Castrop-Rauxel stammende Produktionsleiter, zu Beginn seiner Führung und lenkt meine Aufmerksamkeit auf den kleinen Rundkolben. Mit schönstem Ruhrpottakzent bringt er das Herzstück für Nanosolars innovativen Ansatz auf den Punkt: CIGS – das steht für Kupfer-Indium-Gallium-Diselenid. In der Photovoltaik-Industrie ist dies eine erprobte Mixtur, die in punkto Wirkungsgrad und Haltbarkeit der Silizium-Konkurrenz das Wasser reichen kann. Allerdings: CIGS hauchdünn aufzutragen, erforderte bisher aufwendige und sehr teure Prozesse, die in Vakuumkammern stattfinden müssen.

Ein weiterer Nachteil bisheriger Verfahren ist, dass die Ausgangssubstanzen je nach Prozess nur zu 30 bis 70 Prozent genutzt werden. Der Rest landet an den Wänden der Vakuumkammer oder im Recycling. „CIGS ohne Vakuum und mit fast hundertprozentiger Verwertungsquote auf eine Folie zu packen, hat uns viel Schweiß gekostet”, umschreibt Dumanski den Einfallsreichtum von 80 Wissenschaftlern und den Einsatz von über 300 Millionen Dollar Entwicklungskosten. Nach seinen Worten dauert es über acht Stunden, die „Tinte” aus den vier Ausgangsstoffen zu fertigen. Die Partikel sind 10 bis 20 Nanometer groß und schwimmen in jener silbrigen Lösung, die ein Techniker gleich in die Beschichtermaschine geben wird: Das ist ein langer und lauter Apparat, an dessen Kopfende eine dicke Rolle Aluminium eingespannt ist. Das Aluminium besitzt eine speziell behandelte äußerst glatte Oberfläche und ist sehr reißfest. Wenn der Techniker den Sprühkopf einschaltet, schießt aus einer Düse die Tinte, die den Glanz des Metalls in ein stumpfes Grau verwandelt. „Durch Variieren von Druck, Geschwindigkeit und Distanz lassen sich unterschiedlich dicke CIGS-Schichten herstellen”, erklärt Dumanski. Gängig sind um die 1000 Nanometer.

ABWICKELN – BESPRÜHEN – AUFWICKELN

Nach dem Besprühen wird die Folie weiter hinten in der Maschine wieder aufgewickelt. Gut 1500 Meter pro Stunde kann der Beschichter mit CIGS bedrucken. „Es ginge auch mehr, nur wird die Rolle dann sehr schwer, und irgendjemand muss das Teil ja zur nächsten Verarbeitungsstufe tragen können”, sagt der Produktions-Chef schmunzelnd und zeigt auf ein weiteres Großgerät: einen Sinterofen. Darin wird die Rolle bei niedrigen Temperaturen erwärmt. Dabei entweicht das verbliebene Lösungsmittel aus der Tinte. Eine stabile CIGS-Schicht entsteht, die man aber immer noch mit dem Fingernagel abkratzen könnte. An dieser Stelle im Herstellungsprozess weist die gerollte Riesenzelle bereits zwei von drei wichtigen Komponenten einer Solarzelle auf: den stromleitenden Rückkontakt (Aluminiumfolie) und den Halbleiter (CIGS), der aus Sonnenlicht Strom erzeugt. „ Dabei haben wir deutlich Kosten gespart”, betont Roscheisen, „ denn die Alufolie kostet nur ein Zwanzigstel so viel wie der von der Konkurrenz verwendete Edelstahl.” Nach dem Motto „gut und günstig” wird nun der noch fehlende Teil der Solarzelle produziert: die Top-Elektrode. Um der Rolle eine solche Top-Elektrode aufzusetzen, kommt sie in eine gut 30 Meter lange Sputterkammer. „To sputter” heißt auf Deutsch „zerstäuben” und bezieht sich auf eine spezielle Beschichtungstechnik.

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EIN HAUCHDÜNNES TOP ELEKTRISIERT

Zerstäubt werden hier unterschiedliche Metalloxide. Dazu beschießt man sie in einer Vakuumkammer mit schnellen Ionen, wobei einzelne Atome herausgeschleudert werden und sich dann auf der CIGS-Schicht absetzen. Das klingt teuer. „Ist es auch”, bestätigt Roscheisen, „aber nur, wenn man wie andere CIGS-Hersteller für die Top-Elektrode eine 1000 Nanometer dicke Metalloxidschicht braucht. Wir hingegen kommen mit 50 Nanometern aus”, triumphiert der Kalifornier. Diese Materialersparnis funktioniert allerdings nur, weil sich direkt nach dem Sputtern das von Dumanskis Team entwickelte „Metal-Wrap-Through” (MWT)-Verfahren anschließt – ein aus vier unterschiedlichen Maschinen bestehender Prozess. Sein Ziel: Elektronen, die sich in der obersten Schicht der Solarzelle befinden, schnell und ohne großen Widerstand auf den Rückkontakt abzuleiten.

Dazu macht Maschine Nummer eins im Abstand von einem Zentimeter Löcher in die Folie. Maschine Nummer zwei drückt von hinten eine weitere Folie dagegen, die mit der vorhandenen Alufolie verklebt wird. Die dritte Maschine füllt die Löcher mit einer leitfähigen Paste. Nummer vier drückt sternchenförmige Metallkontakte in die Löcher. „Dadurch wandern die Elektronen zum nächsten Loch und so rasch auf den Rückkontakt. Und deshalb kann die Top-Elektrode deutlich dünner werden, als das herkömmlicherweise der Fall ist”, erklärt der Produktionsleiter. Dumanski, der nun fast am Ende seiner Führung ist, betont, dass nicht nur dieses Verfahren technologisches Neuland darstelle, sondern auch die besichtigten Geräte. „So stecken in einem unserer Maschinenprototypen Teile eines Spielzeughubschraubers, die einer unserer Ingenieure in einem Spielwarenladen gekauft hat.”

Die Integration der einzelnen Prozessschritte schaffte Dumanski aufgrund seiner früheren Tätigkeit bei der IBM offenbar locker. Bei dem IT-Konzern hat er die Herstellung von Schreib- und Leseköpfen für Festplattenlaufwerke vom Prototyp bis zu Stückzahlen im Millionenbereich hochgefahren. „Dazu waren über 700 Schritte nötig, dagegen sind das hier Peanuts”, sagt der 63-Jährige. Auf die Frage, was es denn im Einzelnen für Probleme gegeben habe, lacht der Chefingenieur und sagt: „Wir haben keine Probleme, nur Herausforderungen.” Ursprünglich war es sein Ziel, alle Prozesse in eine einzige Maschine zu packen. Doch das hätte den Nachteil, dass bei Schwierigkeiten die gesamte Produktion stillstehen würde. Daher verwarf er die Idee wieder.

An einer kastenförmigen Anlage, die „Test-Sort-Pack” heißt, herrscht Party-Stimmung – vielleicht, weil jetzt die Solarzellen fertig sind oder weil der Geruch gerösteter Zwiebeln die Mittagspause verkündet. Auch hier hört man laute Hip-Hop-Musik, und ein halbes Dutzend Arbeiter ist dabei, die jetzt auf Handtellergröße geschnittenen Solarzellen zur Qualitätskontrolle zu bringen. Dies ist einer der wichtigsten Schritte für eine Firma, die sehr lange Garantiezeiten zusichert. Schließlich soll gewährleistet sein, dass der Wirkungsgrad einer Nanosolar-Zelle, die rund zwölf Prozent des eingestrahlten Sonnenlichts in Strom umwandelt, auch noch in 20 Jahren unverändert hoch ist. Roscheisen versichert, dass die Zellen den internen Qualitätskriterien zu 99 Prozent entsprechen. Auch andere bestätigen die hohe Qualität. So hat Nanosolar im Sommer 2009 eine Prüfung durch den amerikanischen Ableger des TÜV Rheinland bestanden – auf Anhieb. „Die berichteten, dass das in unserer Branche bisher noch nicht vorgekommen sei”, sagt Roscheisen stolz.

DER TRECK NACH LUCKENWALDE

Die Solarzellen machen sich danach auf große Reise. Vom Hellyer Drive in San Jose werden sie in die Frankenfelder Chaussee nach Luckenwalde bei Berlin ausgeflogen, wo sie zu 1 mal 2 Meter großen 220-Watt-Modulen zusammengebaut werden. Seit September 2009 kann dort alle zehn Sekunden ein solches Modul produziert werden. „Von hier aus beliefern wir den europäischen Markt, der durch garantierte Einspeisevergütungen berechenbarer ist als der US-Markt”, erklärt Roscheisen seine Standortpolitik. Auf Subventionen oder Vorgaben seitens des Gesetzgebers in den USA will er sich nicht verlassen – auch wenn in Kalifornien die Stromhersteller ab 2010 ein Fünftel ihrer Produktion aus erneuerbaren Energien gewinnen sollen. Und 2020 soll es schon ein Drittel sein. „Das sind erst mal nur schöne Ziele”, winkt Roscheisen ab. „Bei Nichterreichen drohen nur geringe Strafen. In der EU ist das anders. Wenn dort Anbieter den Vorgaben nicht nachkommen, drohen hohe Strafgelder und ein peinliches Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof.” Noch wird in den USA weniger als ein Prozent des Stroms aus Photovoltaik produziert, allerdings mit erstaunlichen Wachstumsraten. Für 2008 registrierte das Prometheus Institute for Sustainable Development in Chicago 360 Megawatt-Spitzenleistung. 2010 sollen es bereits fast 700 Megawatt sein. „Vor allem die Dünnschicht-Solarindustrie wird eine immer größere Rolle spielen”, sagt Shyam Mehta, Analyst bei Prometheus. Heute bestehen 70 Prozent aller in den USA produzierten Solarmodule aus Dünnschicht-Halbleitern. Die meisten basieren auf den Halbleitern Silizium oder Kadmiumtellurid, nur zwei Prozent aus Kupfer-Indium-Gallium-Diselenid (CIGS). Das soll sich nach Roscheisens Vorstellungen rasch ändern, nicht nur in den USA. Zu seinen ersten Kunden gehören weltweit tätige Energieanbieter wie der französische Konzern EDF. Langfristige Verträge mit einem Volumen von über vier Milliarden Dollar sollen den Einstieg seiner Firma in das internationale Energiegeschäft sichern.

Aber auch andere Kunden hat Nanosolar im Blick: „Wir bekommen täglich mehrere Hundert Anfragen von privaten Hausbesitzern.” Ende 2010 wollen er und sein Team schlüsselfertige Systeme zu einem Verkaufspreis von zwei bis drei Dollar pro Watt Spitzenleistung auf den Markt bringen. Gegenwärtig liegt der Marktpreis für Photovoltaik-Anlagen im Bereich der US-Eigenheime etwa doppelt so hoch. Dann zieht Roscheisen verheißungsvoll seine Augenbrauen hoch und erzählt, dass er seinen blauen Toyota Prius künftig gegen ein Elektroauto austauschen und dieses während der Arbeit unter einem Nanosolar-Carport parken wird. Dort soll das Auto, so Roscheisens Vision, genug Strom für die Heimfahrt nach San Francisco tanken und sogar noch sein Haus damit versorgen. Alles Weitere bleibt erst einmal ein Industriegeheimnis – wie es bei Nanosolar Tradition ist. ■

Für bdw öffnete die Chef-Etage von Nanosolar viele Türen und berichtete offen über die Entwicklung. Von DÉSIRÉE KARGE, unserer US-Reporterin, stammt der Text, von VOLKER STEGER sind die Fotos.

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