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Germany’s Next Top Model

Technik|Digitales

Germany’s Next Top Model
Dass Autos ohne menschliche Hand am Steuer fahren, ist technisch längst möglich. Deutsche Ingenieure haben daraus ein System zum Fahrertraining entwickelt.

auf der Rennstrecke im kalifornischen Laguna Seca wartet am Start ein silberfarbener BMW 330i. Die Piste ist 3,6 Kilometer lang und hat 11 Kurven, die teils großes fahrerisches Können erfordern. Doch nach dem Starten des Motors heißt es nicht fahren, sondern gefahren werden. Auch der kundige Beifahrer greift nicht ins Geschehen ein. Er heißt Peter Waldmann, arbeitet im Forschungsbereich von BMW und hat vor einigen Jahren den Track-Trainer entwickelt: das System, das dieses Auto von selbst fahren lässt. Waldmann warnt: „Jetzt die Füße weg von der Pedalerie und die Hände weg vom Lenkrad.“

Der Wagen startet mit Vollgas, vollzieht die erste leichte Richtungsänderung, bremst dabei nicht ab, das Lenkrad macht nur einen kleinen Einschlag nach links. Der BMW zielt mit Tempo 150 auf eine Haarnadelkurve. Kurz vor dem Kurvenscheitel greifen die Bremsen hart. Das Getriebe hat längst vom vierten in den zweiten Gang geschaltet. Kaum ist der Scheitel der Kurve passiert, heult der Motor auf, das Getriebe schaltet selbsttätig hoch und der Wagen beschleunigt. Die Geisterhand meistert virtuos die schnelle Fahrt auf der Rennpiste.

Sicher auf der Piste

„Wir könnten auch schneller fahren“, sagt Waldmann. „Aber darum geht es uns nicht.“ Das Ziel ist ein anderes: Das Auto soll einen Eindruck von der richtigen Nutzung der Strecke vermitteln. Mit dem Track-Trainer sollen Teilnehmer an Fahrertrainings lernen, das Fahrzeug sicher am Grenzbereich einer abgesperrten Piste zu bewegen. Das Referenzmaß hat die Rennfahrerin Claudia Hürtgen gesetzt, die auch Leiterin des Fahrertrainings bei BMW ist. Sie ließ ihre Fahrt entlang der Ideallinie elektronisch aufzeichnen.

Die Schaltzentrale des Geisterautos steckt im Kofferraum. Herzstück ist ein Gerät, das per speziellem GPS zentimetergenau die Position des Fahrzeugs ermittelt. Auch die Beschleunigung oder Verzögerung wird ständig registriert. Kreisel-Instrumente messen die Gierrate, die die Drehung des Wagens um die eigene Achse bei Kurvenfahrten angibt und die ein Rechner sofort in einem Fahrdynamikmodell verarbeitet. Zusätzlich ist eine Kamera installiert, mit der sich das System orientieren kann, sollte das GPS-Signal aussetzen, etwa unter einer Brücke oder in einem engen Tal.

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Die Weiterentwicklung solcher Systeme könnte ein Schlüssel sein, um automatisiertes Fahren nicht nur auf einer abgesperrten Strecke, sondern auch in Notsituationen zu nutzen, sind die Ingenieure überzeugt. Denn ein Auto, das eine gewisse Distanz selbstständig zurücklegen kann, ist notfalls lebensrettend. So führt der Nothalte-Assistent bei einem Schwächeanfall des Fahrers ein sicheres Haltemanöver durch. Das Fahrzeug stoppt dann von alleine dort, wo es ungefährlich ist. BMW-Forscher haben den Assistenten entwickelt, auch durch Erfahrungen mit dem Track-Trainer.

Mit dem automatischen Fahren beschäftigen sich etliche Experten bei Autoherstellern und Forschungsinstituten. Daraus sind „Abfallprodukte“ hervorgegangen, die nun in Serienautos zum Einsatz kommen: der Spurhalte-Assistent, der radargestützte Tempomat, ein Pre-Crash-Assistent sowie ein System, das eigenständig Verkehrszeichen erkennt.

Geisterfahrt nach Dänemark

Eine bedeutende Forschungseinrichtung auf diesem Gebiet ist das Institut für Technik Autonomer Systeme der Universität der Bundeswehr in München. Dort haben Ingenieure seit 1980 viele wichtige Erkenntnisse gewonnen: Unter der Leitung von Ernst-Dieter Dickmanns fuhr 1986 erstmals ein umgebauter Mercedes-Benz-Kastenwagen auf der noch abgesperrten Autobahn München-Dingolfing 20 Kilometer weit – automatisch und mit fast 100 Kilometern pro Stunde. Zehn Jahre später legte ein Mercedes-Benz S500 die fast 1700 Kilometer lange Autobahnstrecke von München nach Odense in Dänemark fahrerlos zurück.

Hans-Joachim Wünsche, Dickmanns‘ Nachfolger als Institutsleiter, hat einen VW Touareg so umgebaut, dass er sich nicht nur auf asphaltierten Straßen, sondern auch auf Waldwegen zurechtfindet. Solche Systeme sollen selbstständig in unbekannter, unstrukturierter Umgebung navigieren. Der modifizierte Touareg ist, wie der BMW von der kaliforni-schen Rennstrecke, mit rechnergesteuerter Aktorik und Sensorik ausgestattet. Neben einer Messeinheit und einem hochpräzisen GPS stehen dem Wagen künstliche Augen zur Verfügung. Denn er orientiert sich vor allem durch eine agile multifokale Kameraplattform, unterstützt durch einen hochauflösenden Rundum-Laserscanner auf dem Dach. Die beiden Sensoren ermöglichen das Erkennen von befahrbarem Untergrund – zusammen mit einem mathematischen Algorithmus, der ihre Daten auswertet.

Mit Bravour durch die Botanik

Wie gut das Fahrzeug funktioniert, hat es 2009 bei einem Wettbewerb in Finnland gezeigt: Waldwege, Holzbrücken und enge Fußwege durch den Botanischen Garten der Universität von Oulu mit vielen in den Weg ragenden Büschen waren für den umgebauten VW kein Problem. Er erkundete autonom die Umgebung, erkannte Hindernisse und bewältigte den 5,2 Kilometer langen Parcours mit einem Durchschnittstempo von über 7 Kilometern pro Stunde – als schnellstes Fahrzeug. Nur an einigen Abzweigungen und engen Passagen musste der menschliche „Fahrer“ zur Sicherheit das Lenkrad übernehmen.

Obwohl die Entwicklung recht weit fortgeschritten ist, denkt Hans-Joachim Wünsche, dass es automatisch fahrende Autos nicht so bald zu kaufen gibt. „Die Zuverlässigkeit bei widrigen Wetterverhältnissen oder komplexen Verkehrsszenarien muss noch verbessert werden“, sagt er. „Und auch juristische Fragen gilt es noch zu klären.“ Etwa: Wer zahlt bei einem Unfall? Der passiv im Wagen sitzende Fahrer oder der Hersteller? Auch wenn das versicherungsrechtlich wohl lösbar wäre, ist strafrechtlich schwer zu entscheiden, wer für eine gefährliche Fahrt die Verantwortung trägt. ■

von Gerd Gregor Feth

Mehr zum Thema

Internet

Video zur Fahrt des BMW-Track-Trainers auf der Rennstrecke von Laguna Seca: www.bmwblog.com/2011/05/29/ video-bmw-track-trainer-at-laguna-seca

Forschung an automatischen Systemen an der Universität der Bundeswehr in München: www.unibw.de/lrt8/forschung

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