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Leiche aus der Urzeit

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Leiche aus der Urzeit
Die Ruine eines ausgebrannten Sterns umkreist die Milchstraße – ein Relikt aus der Entstehungszeit unserer Galaxis.

Den sperrigen Namen wird man sich merken müssen: XTE J1118+480 – ein 6000 Lichtjahre entferntes Objekt, das im Jahr 2000 als Röntgennova entdeckt wurde. Diese plötzliche Strahlungsexplosion war von dem Röntgen-Satelliten RXTE (Rossi X-ray Timing Explorer) aufgespürt worden. Hinter der Erscheinung verbirgt sich ein Schwarzes Loch von etwa sieben Sonnenmassen. Es ist eines der wenigen Dutzend dieser Objekte außerhalb der Galaktischen Ebene. Kürzlich hat es ein Astronomenteam um Felix Mirabel vom Institut für Astronomie und Weltraumphysik in Buenos Aires, Argentinien, genauer ins Visier genommen, einerseits mit optischen Teleskopen, andererseits bei den Radiofrequenzen 8,4 und 15,4 Gigahertz mit dem VLBA. Diese Abkürzung steht für Very Long Baseline Array – ein Verbund von zehn Radioteleskopen, die über die gan-zen kontinentalen USA verstreut sind; dazu kommt je ein Instrument auf Hawaii und auf der Karibikinsel St. Croix. Die Forscher entdeckten, dass die Röntgenquelle ein so genannter Mikroquasar ist – ein Schwarzes Loch, das von einer Gas- und Staubscheibe umgeben ist, von der aus Materie in den unersättlichen Schlund der Schwerkraftfalle stürzt (bild der wissenschaft 9/2002, „ Schwarze Löcher – die Monster im All“). Dabei entstehen Jets, in denen Teilchen mit nahezu Lichtgeschwindigkeit davongeschleudert werden. Ständiger Nahrungslieferant für das Schwarze Loch ist ein dicht benachbarter Stern. Er hat eine Masse vom 0,3fachen der Sonne und umkreist XTE J1118+480 alle vier Stunden einmal im Abstand von drei Sonnenradien (zwei Millionen Kilometern). „Es ist das erste Mal, dass die Bewegung eines Schwarzen Lochs durch den Weltraum gemessen wurde“, sagt Mirabel stolz. Das Ergebnis war gleich eine große Überraschung: Die Ruine eines ausgebrannten Sterns bewegt sich zusammen mit ihrem Begleitstern auf einer gewundenen Bahn um das Galaktische Zentrum herum – ähnlich wie es manche Kugelsternhaufen tun. Daraus lässt sich schlie-ßen, dass das Doppelsystem dem galaktischen Halo angehört. Die Forscher fanden das Objekt auch als lichtschwaches Gegenstück auf den archivierten Fotoplatten des Palomar Observatory Sky Survey und konnten seine Position der letzten 43 Jahre rekonstruieren. So gelang es, die Bahn von XTE J1118+480 über einen Zeitraum von 240 Millionen Jahren zurückzurechnen. „Diese Entdeckung ist der erste Schritt, um ein fehlendes Kapitel in der Geschichte unserer Milchstraße zu schreiben“, sagt Mirabel. „Wir glauben, dass sich hunderttausende von massereichen Sternen in der Frühzeit der Galaxis gebildet haben. Aber dieses Schwarze Loch ist das erste Relikt davon, das wir kennen.“ Wie kam XTE J1118+480 auf seine heutige Bahn? „Es gibt zwei Möglichkeiten“, sagt Vivek Dhawan vom National Radio Astronomy Observatory in Socorro, New Mexico: „ Entweder entstand es in der galaktischen Scheibe und wurde von dort herausgeschleudert. Oder es bildete sich in einem Kugelsternhaufen und wurde von dort hinauskatapultiert.“ Für die erste Alternative wäre eine asymmetrische Supernova nötig. Doch diese müsste einen Vorläuferstern von mindes-tens 40 Sonnenmassen besessen haben, dessen Kern zum Schwarzen Loch kollabierte und auf über 200 Kilometer pro Sekunde beschleunigt wurde. Das ist sehr unwahrscheinlich. Deshalb nehmen die Astronomen an, dass ein Gravitationsschleuder-Effekt bei einer nahen Begegnung mit einem anderen Stern das Doppelsystem auf Tour gebracht hat. Das geschieht häufig in Kugelsternhaufen, wie Computersimulationen zeigen. Und tatsächlich: XTE J1118+480 hat eine ähnliche Bahn wie der Kugelsternhaufen NGC 6656. Seinen heutigen Begleitstern hat das Schwarze Loch vermutlich wie eine Wegzehrung mitgenommen. Das geschah schon vor vielen Milliarden Jahren. Die Astronomen gehen also davon aus, dass XTE J1118+480 seinen Ursprung im Halo der Milchstraße hat. Dafür spricht auch der geringe Gehalt an schweren Elementen des Begleitsterns. „Das Schwarze Loch bildete sich vermutlich in einem Kugelsternhaufen, bevor die Milchstraße entstanden war“, meint Felix Mirabel. „Weil der Mikroquasar recht nahe ist, konnten wir seine Bewegung mit dem VLBA vermessen. Nun wollen wir mehr solche uralten Schwar-zen Löcher finden. Es müssen zehn- bis hunderttausend von ihnen um die Milchstraße schwirren.“

Rüdiger Vaas

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