Amerika schien beruhigend weit, im Sommer 1999 und 2000. Von der anderen Seite des Atlantiks meldete New York 81 Infektionen mit West-Nil-Fieber, davon 8 mit tödlichem Ausgang. Vermutlich über illegal eingeführte tropische Vögel hatte ein exotischer Erreger an der US-Ostküste Fuß gefaßt. Infizierte Stechmücken steckten seitdem Menschen an.
Doch im vergangenen Jahr klopfte die Infektion auch an Europas Südpforte. Im französischen Rhône-Delta, nicht weit von Tourismuszentren wie Saintes-Maries-de-la-Mer und vom Ballungsraum Marseille, verendeten einige Dutzend der halbwilden Camargue-Pferde. Die veterinärmedizinische Untersuchung ergab: Infektion mit West-Nil-Virus. Unklar ist bislang, in welchem Ausmaß die Mücken an der Mittelmeerküste bereits mit dem tropischen Virus durchseucht sind. Der Erreger grassiert normalerweise in den heißen Zonen der Erde und wird von Culex-Stechmücken übertragen. Er befällt vor allem Vögel. Und Menschen: Die leiden dann unter Kopfschmerzen, Fieber und Orientierungslosigkeit. In schweren Fällen führt die Infektion zu Gehirnentzündung, Lähmung und Tod. Die globale Klimaerwärmung läßt tropische Überträgermücken immer weiter in Richtung Norden vordringen, und in Frachtgut eingeschleppte Insekten treffen angenehme Temperaturen an. Der Ferntourismus tut ein übriges: 1999 kehrten mehr als 1000 Reisende mit Malaria, übertragen durch Anopheles-Mücken, nach Deutschland zurück. Auch das Dengue-Fieber, verbreitet von der Stechmücke Aedes aegypti, hält Einzug: Jährlich bringen etwa 5000 Deutsche eine – nicht tödlich verlaufende – Dengue- Infektion von ihrer Asienreise mit.
„Dengue und Malaria hätten bei uns eine Chance, wenn die Überträgermükken lange genug in unseren Breiten überleben könnten“ , sagt Prof. Jürgen Knobloch. Und der Direktor des Instituts für Tropenmedizin am Uni-Klinikum Tübingen, gleichzeitig Präsident der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit, vermutet: In Deutschland dürften bereits Fälle von West-Nil-Fieber aufgetreten sein – unerkannt. Vater Staat will sich da keine Tatenlosigkeit vorwerfen lassen: Zum Jahresbeginn 2001 ist das „Infektionsschutz-Gesetz“ (IfSG) in Kraft getreten. Es koordiniert in Deutschland die Abwehr anstekkender Krankheiten. Beim Berliner Robert-Koch-Institut laufen die Fäden zusammen. Fünf Behandlungszentren sind im Aufbau: In Berlin, Frankfurt am Main, Hamburg, Leipzig und München werden Krankenhäuser zu Bastionen der Infektionsbekämpfung hochgerüstet.
Das Gesetz – nachzulesen im Internet unter www.rki.de – enthält eine geänderte Meldepflicht: Nachweise bestimmter Erreger, zum Beispiel für Tuberkulose oder Malaria, muß der behandelnde Arzt jetzt direkt ans Robert-Koch-Institut melden und nicht mehr, wie bisher, an das örtliche Gesundheitsamt. Prof. Reinhard Kurth, Leiter der Berliner Behörde, erhofft sich den totalen Überblick: „In Zukunft werden wir per Knopfdruck Auskunft geben können, welche Erreger in Deutschland in welchem Ausmaß vorhanden sind.“ Ist also die Republik gewappnet? Insider winken ab: Der breiten Ärzteschaft fehlt es an Wissen über Infektions- und Tropenmedizin. Jürgen Knobloch moniert: „Diese Disziplinen sind in der ärztlichen Ausbildung nicht verankert und werden nur vereinzelt gelehrt.“ Kurioserweise ist nicht einmal die Berufsbezeichnung „Infektiologe“ geschützt. Knoblochs Kollege Prof. Frank-Detlev Goebel, Mediziner an der Universität München, sieht Grund zu Sarkasmus: „Infektiologe darf sich in Deutschland jeder nennen, der glaubt, daß er Fieber messen kann.“
Wolfgang Gessler