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Mehr sehen mit weniger Licht

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Mehr sehen mit weniger Licht
Weltweit machen Beleuchtungen die Nacht zum Tag. Jetzt formiert sich Widerstand: Es geht um Naturschutz, Stromsparen, Sicherheit, Astronomie – und schlicht um Lebensqualität.

Ein Fall von vielen: Da entsteht vor den Toren Tübingens ein neuer Baumarkt, und schon lange vor der Eröffnung tauchen riesige Scheinwerfer die Parkplätze in gleißendes Licht, um Kundschaft anzulocken. „Menschen sind wie Motten“, sagt Bob Gent von der International Dark-Sky Association. „Wir werden von hellem Licht angezogen.“

Doch auf der ganzen Welt wächst das Bewußtsein, daß es oft mehr schadet als nützt, die Nacht zum Tage zu machen. Inzwischen hat sich eine breite Bewegung formiert, die für eine sinnvolle Außenbeleuchtung eintritt, im richtigen Maß und nur dort, wo sie wirklich nötig ist. Anfangs vor allem in Astronomen-Kreisen der USA und Großbritanniens aktiv, haben sich die Streiter für einen dunklen Nachthimmel in den letzten Jahren auch in Deutschland Gehör verschafft: Nachdem 1993 eine erste, von dem Tübinger Biologen Wolfgang Wettlaufer eingereichte Petition an den Deutschen Bundestag noch gescheitert war, ist seine zweite im Jahre 1999 angenommen und an die Ministerien für Umwelt und Verkehr, die Bundestagsfraktionen und die Landesvolksvertretungen weitergeleitet worden. Sie soll nun in der Gesetzgebung berücksichtigt werden.

Das plötzliche öffentliche Interesse für solche Fragen verdankt Deutschland vor allem einem Werbemittel namens Skybeamer, das fatal an die Flakscheinwerfer aus dem Zweiten Weltkrieg erinnert: Überall im Lande wurden in den letzten Jahren die meist beweglichen Strahler in Stellung gebracht, um beispielsweise auf Diskotheken und Kinos hinzuweisen – manchmal noch aus 30 Kilometer Entfernung. Bei klarem Himmel verlieren sich die geisterhaften Lichtbündel zwar in den Weltraum, aber auf dem Weg erhellen sie Myriaden von Schwebeteilchen in der Atmosphäre. Und bei bedecktem Himmel zeichnen sie grelle, diffuse Flecken an die Wolkendecke, was schon oft Anlaß zu Ufo-Meldungen gab. Die Skybeamer stellen eine neue Qualität einer Umweltbelastung dar, die in Anlehnung an den in Amerika geprägten Begriff „light pollution“ auch im Deutschen „Lichtverschmutzung“ genannt wird. Während grelle Lampen allenfalls stören, sind die Skybeamer manchmal eine echte Unfallgefahr. „Diese Gefährdung des Verkehrs durch Ablenkung der Fahrer wird unterschätzt“, sagt Wolfgang Wettlaufer. Dabei gibt es mancherorts gehäufte Unfälle in der Nähe von Beamern, so bei Grünstadt in der Pfalz. Auch das Leben nachtaktiver Tiere kommt durcheinander: So blieben in der Nähe des hessischen Vogelsbergs ziehende Kraniche im Lichtkegel eines solchen Strahlers hängen – sie konnten erst in ihre Winterquartiere weiterfliegen, nachdem die Polizei die Abschaltung der Beamer erzwungen hatte. Auch andere Fälle von „ lichtgefangenen“ kleineren Zugvögeln sind bekannt.

Immer häufiger schreiten inzwischen Behörden ein und lassen neue Skybeamer gleich wieder verschwinden oder verbieten sie von vornherein. Auch übertriebene Außenbeleuchtung trifft zunehmend auf Widerstand, wie bei dem Tübinger Baumarkt. Am Anfang protestierten nur Amateurastronomen, darunter Wolfgang Wettlaufer als Schriftführer der örtlichen astronomischen Vereinigung. Das Baurechtsamt gab den Sternfreunden Recht, und die lokalen Medien schlossen sich der Kritik an. Mit Erfolg: Jetzt wird die Parkplatzbeleuchtung des Baumarktes schon ab 22 Uhr 30 gelöscht. Und es wurde von Quecksilber- auf Natriumdampflampen umgestellt – eine der Kernforderungen, weil diese Lampen mehr als 40 Prozent Energie einsparen und weniger Licht in den Himmel streuen.

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Weltweit regt sich Widerstand gegen die Lichtverschmutzung. Anfangs verteidigten nur ein paar tausend professionelle und Hobby-Astronomen den dunklen Nachthimmel. Den ersten Erfolg hatten sie 1958 im amerikanischen Arizona, als die Stadt Flagstaff die Vorläufer der heutigen Skybeamer verbot: Zwei nahegelegene Sternwarten wurden vor den Lichtkegeln geschützt. Noch immer ist Arizona die Hochburg des Kampfes gegen Lichtverschmutzung: Der mit Sternwarten übersäte Staat erließ als einer der ersten scharfe Gesetze zum Betrieb von Beleuchtungsanlagen, um den Nachthimmel möglichst dunkel zu erhalten. In Tucson hat auch die International Dark-Sky Association (IDA) ihren Sitz. Ziel dieser privaten Organisation mit heute fast 5000 Mitgliedern in 70 Ländern: die Aufklärung über die Lichtverschmutzung und Hinweise auf Lösungen.

Drei große Themenfelder erfordern ein Umdenken: Der kulturelle Aspekt: Der Sternenhimmel wird immer mehr als schützenswertes Kulturgut erkannt, so auf einer Konferenz der Vereinten Nationen im Juli 1999 in Wien. Aufsehen erregte auch eine Studie in amerikanischen Nationalparks, die auf zunehmende Störungen des Nachthimmels selbst dort aufmerksam machte. Viele Parks versprachen energische Gegenmaßnahmen. In Kanada hat sich ein ganzer Naturpark in Ontario zur „Dark Sky Preserve“ erklärt, dem ersten Himmelsschutzgebiet der Welt. „Der moderne Stadtmensch weiß kaum noch, wie ein Sternbild aussieht“, klagt Johannes Andersen, langjähriger Generalsekretär der Internationalen Astronomischen Union. Die professionelle Astronomie hat schon vor Jahrzehnten kapituliert und sich in entlegene Gebiete zurückgezogen – in Europa auf die Kanaren-Insel La Palma. Natürlich wäre es ein vermessenes Ziel, Mitteleuropa wieder einen dunklen Nachthimmel wie in vorindustrieller Zeit zu verschaffen. „ Doch Stück für Stück verlieren wir alle die direkte Verbindung zum Kosmos, ohne es zu merken“, warnt der Direktor des Cerro Tololo Interamerican Observatory, Malcolm Smith. Der ökonomische Aspekt: Nach Hochrechnungen werden allein in den USA jedes Jahr zwischen einer und zwei Milliarden Dollar an Stromkosten verschwendet – für ein Drittel allen Außenlichts, das nicht auf den Boden strahlt, sondern in den Himmel. Gefordert wird daher, Lampen ausreichend abzuschirmen, damit sie kein Licht nach oben abstrahlen, und Lampen zu vermeiden, die helle Wände statt den dunklen Asphalt davor beleuchten. New York City allein erhellt seinen Nachthimmel jährlich mit Extrakosten von 14 Millionen, London mit 3 Millionen Dollar. Gemessen am Gesamthaushalt der einzelnen Städte mag dies kaum ins Gewicht fallen, aber die Masse macht’s. Wer einen Rasensprenger hat, der einen großen Teil des Wassers hoch in die Luft oder in Nachbars Garten spritzt, würde ihn wohl rasch auf den Müll befördern, bringt die IDA den Unsinn auf den Punkt. Die Umrüstung der Beleuchtung hat zwar schon mancherorts begonnen, wird aber aufgrund der Anfangsinvestitionen oder einfach aus Bequemlichkeit nicht überall in Angriff genommen. Der Naturschutz-Aspekt: In Florida sorgen sich Biologen um die mit großem Aufwand geschützten Meeresschildkröten, die nach dem Schlüpfen am Strand von künstlichem Licht in Scharen vom Meer fortgelockt werden und verenden. In Deutschland geht es vor allem um den Fortbestand nachtaktiver Insekten. Noch aus mindestens 500 Meter Distanz ziehen Straßenlaternen sie an. Rund um die Lampen verenden sie dann an Erschöpfung oder werden zur leichten Beute von Vögeln, die sonst viel größere Mühe hätten, nach ihnen zu jagen. Folge: Das ökologische System gerät in Schräglage. An der spanischen Mittelmeerküste in Katalonien prognostizieren Insektenforscher das Aussterben mehrerer Nachtfalterarten. Ausgerechnet die bislang am häufigsten eingesetzten Quecksilberdampflampen mit einem hohen Ultraviolett-Anteil des Lichts sind ideale Insektenfallen, während das menschliche Auge mit den Natriumdampflampen besser bedient ist, die wiederum weniger stark attraktiv auf Insekten wirken. Die langfristige Umstellung der Stadtbeleuchtung auf Natriumdampflampen ist daher eine der Hauptforderungen der deutschen Initiativen gegen Lichtverschmutzung – die Quecksilberdampflampen dominieren nur, weil es sie schon länger gibt und sie den Farbeindruck weniger verfälschen. Die andere ist die Wahl des richtigen Lampentyps, der das Licht genau dorthin lenkt, wo es gebraucht wird. Als Faustregel gilt, daß man die Lichtquelle selbst nicht sehen darf. Dies vermeidet auch Blendungen, was den Straßenverkehr sicherer macht.

Der viel gehörte Einwand, mehr Licht bringe automatisch nachts mehr Sicherheit, trifft nicht zu. So haben Untersuchungen in den USA gezeigt, daß sich Autofahrer auf besonders hell erleuchteten Straßen in trügerischer Sicherheit wähnen und schneller fahren – die Unfälle nehmen zu. In Deutschland fehlen entsprechende Statistiken. Und zur Frage, ob mehr Licht Verbrechen verhindert oder im Gegenteil fördert, gibt es keine profunden wissenschaftlichen Untersuchungen. Bei einer Umfrage unter 300 britischen Einbrechern kam immerhin heraus, daß es keine Rolle spielte, ob die Häuser beleuchtet waren oder nicht. Und in New York City ereigneten sich laut einer älteren Statistik 95 Prozent der Überfälle auf jenen 20 Prozent der Straßen, die am hellsten waren.

Von Schritten gegen Lichtverschmutzung profitieren alle. „Das ist eines von wenigen Umweltproblemen mit einfacher Lösung, bei der am Ende auch noch jeder gewinnt“, bringt es Bob Gent von der IDA auf den Punkt: Man müsse nur den Menschen Abhilfen aufzeigen, statt sie vor den Kopf zu stoßen. Manchmal genügt schon eine andere Einstellung der Lampen. Nicht nur mit der Bundestag-Petition, sondern auch auf kommunaler Ebene gibt es hierzulande Erfolgsmeldungen: So hat sich Augsburg schon 1997 mit dem Beschluß internationalen Respekt verschafft, bis 2002 die Beleuchtung zu 75 Prozent und bis 2005 zu 100 Prozent zu optimieren – Licht strahlt dann nur noch dorthin, wo es gebraucht wird. Ausschlaggebend waren der Artenschutz und der Wunsch all derer, die – im Rahmen der Möglichkeiten einer Großstadt – einen ungetrübten Sternenhimmel genießen wollten, um „eine wegweisende zukunftsfähige nächtliche Umwelt zu schaffen“, wie es in einem Beschluß des Umweltausschusses heißt. In Offenbach am Main, wo 1998 ebenfalls die Abkehr von Quecksilberdampflampen beschlossen wurde, waren dagegen der Umweltschutz und zu erwartende Geldeinsparungen die Argumente.

Daß der wegweisende Augsburger Beschluß zustande gekommen und ohne Widerstände verabschiedet wurde, ging sicher auch auf die naturwissenschaftlichen Kenntnisse des zuständigen Referats-Chefs zurück – und einen Astronomen als Mitarbeiter. Manchmal müssen Bürgerinitiativen nachhelfen: In Mandeville, einem Vorort von New Orleans, nahmen die Aktivisten kurzerhand den Bürgermeister auf eine Rundreise zu guten und schlechten Lichtquellen im Stadtgebiet mit – bald darauf gab es neue Bestimmungen zu Beleuchtungsfragen.

Kommunity Der Nachthimmel wird vielerorts durch überflüssige, unsinnig starke oder falsch konstruierte Beleuchtungen erhellt. Diese Geldverschwendung – in Großstädten mehrere Millionen Mark – stört nicht nur Astronomen, sondern gefährdet Natur und Straßenverkehr. Internationale Initiativen für einen dunkleren Himmel verzeichnen jetzt erste Erfolge.

Bdw community>br> Internet Deutsche Initiative gegen Lichtverschmutzung www.lichtverschmutzung.de

Fachgruppe Darksky der Vereinigung der Sternfreunde home.t-online.de/home/06151295986/ darksky.htm

Schweizer Dark-Sky-Initiative www.darksky.ch

International Dark Sky Organisation (USA) www.darksky.org

Campaign for Dark Skies (England) www.dark-skies.freeserve.co.uk/brit.campaign

New England Light Pollution Advisory Group cfa-www.harvard.edu/cfa/ps/nelpag. html

Informationen über Lichtverschmutzung vom Planetarium Osnabrück www.physik.uni-osnabrueck.de/astro/ darksky/intro.htm

Informationen zu besseren Beleuchtungen www.skypub.com/resources/lightpollution/gnol.html

Europa bei Nacht: Die neuen Satellitenmessungen von Pierantonio Cinzano debora.pd.astro.it/cinzano/papers.html

Die ganze Welt bei Nacht earthobservatory.nasa.gov/Newsroom/NewImages/images.php3?img_id=4333

Daniel Fischer

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