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Riskantes Wissen

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Riskantes Wissen

Eine Schranke ist gefallen: In Großbritannien dürfen Versicherungen mit Erlaubnis der Regierung nach Gen-Tests fragen – bislang nur für die Erbkrankheit Chorea Huntington. Doch die Angst vor „Big Brother“ geht um. Denn mit den GenTests bekommt die Diagnostik eine vorhersagende Qualität: Positiv ausgefallene Gen-Tests stempeln Gesunde zu „noch nicht Kranken“. Ethische, soziale und rechtliche Probleme sind die Folgen. So sind prognostische Daten sehr informativ für die Risikokalkulation von privaten Kranken- und Lebensversicherungen. Aber sind sie auch ethisch und wirtschaftlich vertretbar? bdw sprach mit Dr. Klaus-Jürgen Preuß, dem führenden Gesundheitsmanager der Deutschen Krankenversicherung (DKV) in Köln, über Möglichkeiten und Grenzen.

bild der wissenschaft: Herr Dr. Preuß, werden Menschen mit Risiko-Genen in Zukunft Schwierigkeiten haben, eine private Kranken- und Lebensversicherung zu bekommen? .

Preuss: Ich denke, daß im Moment das Problem Gen-Tests und Versicherungen völlig überzogen diskutiert wird. Eine Studie der Versicherung Münchner Rück hat ergeben, daß in Deutschland 1994 insgesamt 13 500 Gen-Tests gemacht wurden. Rechnet man mit einer Steigerungsrate von jährlich 35 Prozent – und das ist viel –, dann würden heute 100000 GenTests pro Jahr gemacht. Aber nur 50 Gen-Tests wurden 1999 an die deutschen privaten Kranken- und Lebensversicherungen weitergeleitet. Wir bei der DKV haben gar keinen erhalten, und wir fragen auch nicht danach. Im Gegensatz übrigens zu Aids-Tests – darüber regt sich aber keiner auf. .

bdw: Gen-Tests sollen allerdings – im Gegensatz zu Aids-Tests – verraten, woran wir später einmal erkranken werden. .

Preuss: Theoretisch stimmt das. Tatsächlich aber treffen viele Tests nur Aussagen über Wahrscheinlichkeiten. Nehmen Sie den in den USA am meisten genutzten Gentest für erblichen Brustkrebs: Damit kann man zwar feststellen, ob eine Frau eines der beiden Krebs-Gene BRCA1 oder BRCA2 trägt. Aber er erlaubt keine Aussage darüber, ob bei Vorhandensein eines der Krebsgene die Krankheit wirklich ausbricht. Zuverlässige Ergebnisse bringen die heute verfügbaren Gen-Tests nur für sogenannte monogenetische Erkrankungen, die durch ein einziges defektes Gen verursacht werden. Nehmen wir zum Beispiel die tödlich verlaufende Gehirnerkrankung Chorea Huntington. Wenn ein Elternteil an dieser Erbkrankheit leidet, besteht für die Nachkommen ein 50prozentiges Risiko, das defekte Gen zu erben. Mit dem Gen-Test können sie feststellen, ob dies der Fall ist oder nicht – nicht hingegen, in welchem Alter die Krankheit ausbrechen wird. .

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bdw: Befürworten Sie also Tests für monogenetische Erbkrankheiten? .

Preuss: Die Tests lohnen sich für uns gar nicht. Denn diese Erkrankungen sind so selten, daß sie für die Kosten bei den Versicherern keine wesentliche Rolle spielen. Da die Tests außerdem nicht billig sind, wäre ein flächendeckendes Testen für Versicherer nicht sinnvoll. .

bdw: Welche Krankheiten sind denn die Kostentreiber bei privaten Krankenversicherungen? .

Preuss: Das sind die sogenannten Volkskrankheiten, also Krebs, Bluthochdruck, Herzerkrankungen, Alzheimer. Nun ist ein Herzinfarkt keine Erbkrankheit. Man nimmt zwar heute an, daß in unseren Genen Anfälligkeiten für solche Erkrankungen liegen. Aber ob eine Krankheit ausbricht, ist nicht nur von einem Gen abhängig, sondern vom Zusammenspiel vieler Gene, und – das ist ganz wichtig – von der persönlichen Lebensweise und den Umweltbedingungen. Für Krebs und andere dieser sogenannten polygenetischen Erkrankungen im Zusammenspiel mit Umweltfaktoren gibt es keine zuverlässigen Gen-Tests. Und ich sehe auch keine wissenschaftliche Basis dafür, daß man solche in den nächsten fünf Jahren entwickeln könnte. Viel relevanter als Gen-Tests wäre heute eine von den meisten Versicherern gar nicht gestellte Frage, nämlich die nach dem Rauchen. Rauchen ist die wichtigste vermeidbare Todesursache für frühe Sterblichkeit und ein Kofaktor für wesentliche relevante Erkrankungen, mit hohen Folgekosten bei den Versicherungen. .

bdw: Wie ist denn die jetzige Regelung in Deutschland? .

Preuss: Es gibt keine gesetzliche Regelung. Wir haben zwei Prinzipien: Erstens hat der Kunde das Recht auf Nicht- Wissen. Wenn er sich nicht untersuchen lassen will, dann braucht er es auch nicht. Zweitens sollten Versicherung und Kunde den gleichen Wissensstand haben. Grundsätzlich dürfen Versicherungen nach Ergebnissen von Gen-Tests fragen. Wenn ein Kunde eine Untersuchung hatte und das Ergebnis kennt, aber es der Versicherung nicht mitteilt, dann könnte der Antrag auf Versicherung abgewiesen beziehungsweise ein bestehender Vertrag gekündigt werden. Ich erwarte, daß die Politik bald handeln wird. Schon im November 2000 hat der Ethikbeirat des Bundesgesundheitsministeriums vorgeschlagen, daß Versicherungen weder Gen-Tests verlangen noch deren Ergebnisse in ihren Risikoprüfungen berücksichtigen dürfen. .

bdw: Könnten Sie damit leben? .

Preuss: Nein, weil der ungleiche Informationsstand dazu führt, daß Kunden mit vermeintlich hohen Risiken ein höheres Interesse haben, einen sehr umfangreichen Krankenversicherungsschutz zu erwerben. Wer um die eigenen Risiken weiß, muß diese wahrheitsgemäß angeben. Nur auf dieser Basis läßt sich ein adäquater Versicherungsschutz für einen möglichst großen Personenkreis kalkulieren – und dies zu einem angemessenen Beitrag. .

Karin Hollricher / Klaus-Jürgen Preuss

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