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Vorbeugen mit Köpfchen

Allgemein

Vorbeugen mit Köpfchen
Der Nebel im Gehirn ist zwar bislang nicht zu besiegen, aber immer mehr Studien belegen: Jeder einzelne kann etwas gegen Alzheimer tun.

Dr. David Snowdon von der Universität Kentucky ging ins Kloster: Gemeinsam mit Kollegen untersuchte er knapp 100 Nonnen, die – zwischen 75 und 95 Jahre alt – seit mehr als 50 Jahren im Kloster Notre Dame im US-amerikanischen Milwaukee lebten. Etwa jede dritte von ihnen hatte Symptome, die auf die Alzheimersche Krankheit hindeuteten. Der Vorteil der Studie: Kloster-Alltag bedeutet vor allem eines – strenge Disziplin. Da bleibt nicht viel Zeit für Individualität, da ist das Umfeld gleich, die Er- nährung aus der Klosterküche sowieso, da sind Bewegung und soziale Kontakte beinahe identisch. Die Forscher hatten noch dazu großes Glück. Denn alle Nonnen dieses Klosters hatten, als sie etwa 20jährig in die Gemeinschaft eintraten, ihr bisheriges Leben zu Papier gebracht. Psycholinguisten analysierten für die Studie das Geschriebene und stellten fest: Es gab deutliche Unterschiede in Wortwahl, gedanklicher Tiefe, verwendeten Bildern und Erzählfreudigkeit. Schon in der Jugend waren manche Nonnen geistig reger als andere. Sie blieben es über die Jahre. Unter denen mit der größten kreativen Begabung erkrankten die wenigsten an Alzheimer. Im Gegensatz zu ihnen hatten sich 90 Prozent der Alzheimerkranken bereits als Novizinnen als wenig ideenreich erwiesen.

Die Studie ist eine von Hunderten weltweit, mit denen sich Forscher für den Kampf mit dem heimtückischen Leiden wappnen. Noch scheint es fast kein Entkommen vor der Krankheit zu geben – zumindest wenn man ein bestimmtes Alter erreicht hat: Jeder Zehnte über 65 Jahre leidet an Alzheimer, und unter den über 85jährigen ist es schon jeder Zweite. Doch es gibt zaghafte positive Signale aus der Forschung: Der Mensch kann offenbar selbst einiges gegen den Schwund des Gedächtnisses tun, Alzheimer ist nicht Schicksal. Zwar führt bis heute kein Weg aus dem dichter werdenden Nebel, in den sich das Gehirn mit der Zeit hüllt. Doch betonen immer mehr Neurologen, daß jeder einzelne Einfluß auf den Verlauf der Erkrankung nehmen kann.

„Es scheint, als ob das Gehirn eine Art Polster besitzt, das vor Alzheimer schützt“, sagt James A. Mortimer, Professor für Neurobiologie an der University of South Florida in Miami. „Erst wenn es bis auf einen bestimmten Rest abgebaut ist, wird die Krankheit sichtbar.“ Zwar wird das Polster nach Mortimers Ansicht offenbar schon in der Jugend angelegt, doch läßt es sich auch später noch nachfüllen. Denn – zu diesem Schluß kommen gleich mehrere Studien – Fortbildung und geistige Aktivität bis ins hohe Alter bewahren ebenso vor dem schleichenden Gedächtnisverlust wie eine früh gebildete Schutzschicht. Jedes erfolgreiche Jahr auf der Schule, meint Dr. Denis A. Evans vom Rush Presbytarian St. Luke’s Medical Center in Chicago vollmundig, senkt die Wahrscheinlichkeit, an Alzheimer zu erkranken, um 17 Prozent.

Bis heute sind solche Ergebnisse umstritten. „Es ist ein methodisch ausgesprochen kniffeliges Feld“, betont der Psychia- ter Prof. Thomas Becker von der Universität Leipzig. Denn offen bleibt, ob Bildung das Gedächtnispolster direkt anlegt, oder ob sie das Erkrankungsrisiko nur indirekt beeinflußt: Menschen mit höherem Bildungsgrad erleben meist mehr als andere Zeitgenossen, weil sie viel reisen und beruflich oft mit Neuem zu tun haben. Das könnte sie bei Gedächtnistests besser abschneiden lassen, so daß der Krankheitszustand mißdeutet wird. Möglich ist auch, daß Menschen höherer Bildung oder Intelligenz mit den entstehenden Schwächen zunächst besser umgehen können, und die Krankheit deshalb langsamer offenbar wird.

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Zudem geht ein höherer Bildungsgrad oft mit einer besseren Ernährung einher, die wiederum die Nervenzellen vor dem Massensterben bewahrt. Denn, so wissen Neuroforscher seit langem: Streß tötet Nervenzellen. Streß bedeutet für Zellen vor allem schlechte Ernährung: zu wenige Vitamine, zu wenige Spurenelemente oder auch zu viele giftige Substanzen. „Dann beginnt die Krankheit wie ein Schwelbrand punktförmig an einer oder zwei Nervenzellen, die nicht repariert werden“, erläutert der Alzheimer-Forscher Prof. Konrad Beyreuther vom Zentrum für molekulare Biologie der Universität Heidelberg. Inwieweit sich Bildung und Lernen auf der molekularen Ebene auswirken, ist bislang völlig unklar. Der Krankheitsprozeß selbst ist bis heute nur wenig verstanden. Gesichert ist jedoch: Bestimmte Proteine werden im Hirn gespalten, die Bruchstücke verkleben miteinander, die entstandenen Eiweißklumpen (Plaques) zerstören die Nervenzellen nach und nach. Die auffälligen Plaques im Gehirn erkannte der deutsche Neurologe Alois Alzheimer, als er im Jahr 1906 Patienten- Gehirne mit dem später nach ihm benannten Leiden sezierte. Alzheimer war beeindruckt von der zerstörerischen Kraft der Krankheit: Bis zu 50 Milliarden Hirnzellen gehen im Verlauf des Leidens zugrunde – das ist etwa die Hälfte der Neuronen, die ein Mensch überhaupt besitzt. Beim normalen Alterungsprozeß sterben nur zwei Milliarden Gehirnzellen.

Mittlerweile bestreitet kaum jemand, daß auch die Gene bei der Entstehung der Krankheit eine Rolle spielen. Doch scheint – wie meistens – das genetische Schicksal nicht unumgänglich. Das zeigte die Psychologin Prof. Margaret Gatz von der University of California in Los Angeles vor kurzem und lieferte damit weitere Unterstützung für die Polster-These: Ihr gelang das Kunststück, 129 eineiige wie zweieiige Zwillingspaare aufzutreiben, von denen jeweils ein Zwilling an Alzheimer litt. „Es war eindeutig, daß die gesunden Zwillinge Zeit ihres Lebens geistig aktiver waren“, sagt sie. Sie hatten einen größeren Erkenntnisvorrat angelegt und lasen auch im Erwachsenenalter mehr als die kranken Geschwister.

Denn mit dem Großwerden sind nicht alle Chancen vertan: Wichtig für ein dickes Polster scheint neben den frühen Grundlagen auch das spätere Training zu sein. „Use it or lose it“ , heißt die Hypothese, nach der auch das Niveau der beruflichen Tätigkeit das Gehirn-Polster stärkt. Dessen Reservekapazität läßt sich auch im Erwachsenenalter noch aufbauen, wenn die in der Kindheit gelegten Anlagen genutzt werden. „Rege Teilnahme am geistigen und kulturellen Leben scheint die neurodegenerativen Veränderungen kompensieren zu können“, sagt Constanze Aurich, Psychologin an der Universität Leipzig. Für sie spielen die berufliche Bildung und die geistige Aktivität im Erwachsenenalter sogar die größere Rolle. Prof. Stafford Lightman im britischen Bristol sieht das genauso: „Je aktiver man sein Gehirn hält, desto besser funktioniert es“, betont er. „Denn dadurch entstehen immer wieder neue Verknüpfungen, und die können andere ersetzen, die zugrunde gegangen sind.“ Tatsächlich scheint das Gehirn sehr viel plastischer zu sein, als Neuroforscher lange annahmen: Bis vor einigen Jahren dachten Wissenschaftler noch, jeder Mensch sei von Geburt an mit einem bestimmten Kontingent an Nervenzellen und Nervenverbindungen ausgestattet, das nicht zu verändern sei. Dann wurde deutlich, daß sich vor allem an den Verbindungen auch später noch einiges machen läßt.

„Inzwischen glauben wir, daß bei vielen hoch entwickelten Lebewesen auch noch im erwachsenen Gehirn neue Nervenzellen entstehen können“, sagt Prof. Fred Gage vom Salk Institute im kalifornischen La Jolla. Er verwahrt sich deshalb gegen die These, ein in der Jugend angelegtes Bildungspolster sei für den Zustand des Gehirns im hohen Alter verantwortlich. „Für beide Mechanismen lassen sich in Studien Belege finden“, betont Prof. Thomas Becker. Besonders viel Nebel scheint im Gehirn zu entstehen, wenn beides zusammenkommt: schlechte Schulbildung und spätere geistige Unbeweglichkeit. In einer Studie aus dem Jahr 1994 stellten Forscher um Prof. Yaakov Stern von der Columbia University in New York fest, daß ein niedriges Bildungsniveau das Risiko für eine Demenz verdoppelt, ebenso wie eine schlichte berufliche Tätigkeit. Bei Menschen jedoch, die als Kinder wenig lernten und später im Beruf wenig dazulernten, lag das Risiko fast beim Dreifachen.

Neben dem Geist scheinen auch Körper und Seele dazu beizutragen, das Verdichten des Nebels hinauszuzögern. Ein aktiver Körper ist für seine Nervenzellen und deren Verbindungen ein Lebenselixier. So zeigten Forscher von der Case Western University in Cleveland, daß Sportler sehr viel seltener an Alzheimer erkranken als trägere Zeitgenossen. Und schwedische Forscher fanden heraus, daß intensive soziale Kontakte auch im hohen Alter vor Alzheimer schützen. Lernen, Sport und soziales Miteinander können offenbar gemeinsam die Nervenzellen lange am Leben erhalten. Schön, daß alles drei ohnehin guttut.

Kompakt Alzheimer: Es scheint kein Entrinnen zu geben. Doch Bildung und geistige Aktivität können die Krankheit aufhalten. Auch ein aktiver Körper ist eine Barriere gegen das Vergessen. Bdw community Internet Angehörigen-Initiative: www.alzheimerforum.de/ Breit angelegte Seite mit vielen weiterführenden Informationen für privat und beruflich Involvierte. Wissens- und Erfahrungsbank, Internet-Selbsthilfegruppe, Chatroom, Forschung und Lehre.

Deutsche Alzheimer-Gesellschaft: www.deutsche-alzheimer.de Hilfsangebote im europäischen Rahmen, Veranstaltungen und Hinweise auf Behörden, die behilflich sein könnten. BasisInformationen zur Krankheit.

Lesen Gaby Schwarz HILFE FÜR ALZHEIMER-PATIENTEN Ein Ratgeber für Kranke und Angehörige Seehamer Verlag, Weyarn 2000, DM 14,95

Alexander Kurz HANDBUCH DER BETREUUNG UND PFLEGE VON ALZHEIMER-PATIENTEN Thieme, Stuttgart 1999, DM 19,80

Ingrid Fuhrmann, Eva-Maria Neumann, Hans Gutzmann ABSCHIED VOM ICH Stationen der Alzheimer-Krankheit Herder, Freiburg 2000, DM 30,–

Christina Berndt

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