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Deutschen Unis fehlt die Flexibilität

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Deutschen Unis fehlt die Flexibilität

bild der wissenschaft: Seit Sie die For-schung bei Aventis leiten, Herr Dr. Douglas, heißt die Abteilung nicht mehr Forschung und Entwicklung, sondern „Drug Innovation and Approval” . Warum?

DOUGLAS: Ein Begriff ist für mich sehr wichtig. Er kennzeichnet die Veränderungen, die wir einführen wollen. Der neue Name sagt, daß wir nicht um der Forschung und reinen Erkenntnis willen forschen. Unser Ziel ist die Zulassung von innovativen Arzneimitteln. Nur wenn wir dieses Ziel ständig im Auge haben, können wir erfolgreich sein.

bdw: Und zuvor fehlte dieses Ziel?

DOUGLAS: Eine klassische Hürde in traditionellen F&E-Abteilungen ist die unterschiedliche Mentalität von Forschungs- und Entwicklungsleuten. Der Forschungsleiter denkt, daß der Entwicklungsmann keine Ahnung von innovativer Wissenschaft hat, und der Leiter der Entwicklung hält den Forscher für verrückt, weil er Wirkstoffe an Menschen erproben möchte, die noch nicht ausreichend verstanden sind. Diese Mauer zwischen Entwicklung und Forschung haben wir abgeschafft und an ihrer Stelle eine Brücke gebaut, die wir „Lead Optimization” nennen. Projektgruppen spielen hierbei die entscheidende Rolle. Sie sind die Grundzelle der Innovation. Die Aufgabe der einzelnen Bereiche ist es, die besten Leute, die besten Erfahrungen und die besten Technologien bereitzustellen, damit eine Projektgruppe ihr Ziel erreichen kann.

bdw: Ihre 6000 Pharmaforscher sitzen in Deutschland, Frankreich, den USA und Japan. Wie bringen Sie die zusammen?

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DOUGLAS: Wir koordinieren unsere Forschung global. Auch die Leiter handeln global, und deshalb spielt es letztlich keine Rolle, ob ein Chemiker in Frankfurt, Bridgewater oder in Vitry sitzt. Wenn etwa der Leiter des Bereichs Chemie entscheidet, daß ein bestimmtes Projekt in Bridgewater mehr Chemiker benötigt, kann er Chemiker von anderen Standorten diesem Projekt zuordnen. Damit haben wir eine dreidimensionale Matrix: den globalen Leiter, die Projektgruppen und die Leiter der einzelnen Standorte. Jeder Leiter eines Standorts steuert eine Reihe von Projekten und konkurriert mit anderen um globale Ressourcen, ob diese sich nun an seinem Standort befinden oder nicht.

bdw: Sie haben es also mit drei oder vier verschiedenen Kulturen zu tun.

DOUGLAS: Manchmal ist es frustrierend, aber in der Regel belebt es die Arbeit. Unser Ansatz ist einfach: Wir sitzen am Tisch und müssen ein Problem lösen. Natürlich gibt es dafür unterschiedliche Wege. Man kann philosophisch herangehen, wie es die Franzosen gerne machen, oder pragmatisch wie die Amerikaner oder mit deutscher Gründlichkeit. Am Ende aber zählt nur eine gute Lösung. Deshalb einigen wir uns zuvor auf die Kriterien, an denen wir eine gute Lösung erkennen. Daran messen wir alle Vorschläge, und dadurch tritt der kulturelle Unterschied in den Hintergrund.

bdw: Sie meinten jüngst, daß es einen Mann wie den US-Genforscher Craig Venter in Deutschland nicht geben könne. Warum nicht?

DOUGLAS: Ich habe mehrere Gründe: Venter schert sich nicht um herrschende Meinungen, sondern folgt unbeirrt seinen Vorstellungen. Das ist in Deutschland nicht einfach. Es ist hier ebenfalls nicht einfach, für solche Ideen Geld zu finden – in Amerika kein Problem.

Drittens sind die Strukturen der deutschen Universitäten immer noch zu hierarchisch. Venter könnte in einer solchen Umgebung nicht leben. Er möchte mit dir über das reden, was du heute morgen entdeckt hast. Und wenn du heute morgen nichts Neues entdeckt hast, hat er kein Interesse daran, mit dir zu reden. Zu viele Professoren in Deutschland zehren von den Überbleibseln vergangener Tage. Venter ist auch deshalb so gut, weil er wagemutige junge Männer und Frauen um sich hat, die von seinen Visionen und seiner Energie angezogen werden. Hier in Deutschland macht ein Nachwuchswissenschaftler das, was der Professor ihm aufträgt, und hütet sich davor, ihn herauszufordern. In den guten amerikanischen Universitäten ist das hingegen normal. Die Professoren freuen sich darüber, weil es ihnen neue Ideen gibt.

bdw: Der größte Hemmfaktor wären also die deutschen Universitäten?

DOUGLAS: Das Hauptproblem, das wir heute in Deutschland haben, ist die Universitätsstruktur. Es fehlt vor allem an Flexibilität in den Studiengängen, damit Studenten im Verlaufe des Studiums auch zu neuen Gebieten wechseln können. Vor kurzem fragte mich ein Student der Chemie, was er tun müsse, um bei Aventis einen Job zu bekommen. Ich riet ihm, Kurse in Molekularbiologie und Bioinformatik zu belegen. Er sagte mir, daß er das nicht könne, da er bis zur Prüfung ein festgelegtes Programm absolvieren müsse. An amerikanischen Universitäten ist es für einen Studenten viel einfacher, auf ein neues Gebiet zu wechseln.

bdw: Sie plädieren für grundlegende Änderungen der deutschen Universitäten?

DOUGLAS: Nehmen wir ein bekanntes Beispiel: In Deutschland fehlen Fachleute in der Informationstechnologie, und wir verbringen viel Zeit damit, um über die Green Card für ausländische Experten, deren Aufenthaltsdauer und Gesamtzahl zu diskutieren. In Amerika hätte man eine einfache Entscheidung getroffen: Uns fehlen bestimmte Fachkräfte, also steuern wir die Einwanderung so, daß wir diese Fachkräfte bevorzugt ins Land lassen. Punkt! Zweitens erhalten die Universitäten, die eine IT-Ausbildung anbieten, mehr staatliche Gelder. Fachgebiete wie Geschichte oder Soziologie erhalten weniger. Gleichzeitig geben auch die Firmen, die IT-Fachkräfte benötigen, Geld, damit die Universitäten den Bereich Informationstechnologie ausbauen können. Als ich in den sechziger Jahren studierte, gab es auch an den amerikanischen Universitäten kaum ausländische Studenten. Das hat sich grundlegend geändert. Ich war vor etlichen Jahren im Überseekomitee der chemischen Fakultät am Massachusetts Institute of Technology in Boston und war überrascht zu sehen, daß von 20 Studenten, die dort ihren Abschluß machten, nur zwei Amerikaner waren. Die meisten kamen aus Indien und China. Die gleiche Erfahrung machte ich ein paar Jahre später am National Institute for Health in Washington. Nur drei Wissenschaftler in unserem Labor waren Amerikaner.

bdw: In Deutschland wäre das aufgrund der Sprachbarriere kaum vorstellbar.

DOUGLAS: Viele der nicht-amerikanischen Studenten, vor allem die Asiaten, sprechen kaum Englisch. Sie lernen die Sprache in irgendeiner Form. Sie kommen, um Wissenschaft zu treiben, nicht wegen der Gesellschaft oder um Englisch zu sprechen. In Deutschland wäre das wahrscheinlich nicht anders. Nur das Studium muß attraktiv sein.

bdw: Wo suchen Sie nach guten Wissenschaftlern für Ihre Forschung?

DOUGLAS: Vor allem in den Vereinigten Staaten und in England. Darüber hinaus bemühen wir uns, die Besten aus Frankreich und die Besten aus Deutschland zu bekommen. Außerdem versuchen wir, zum Beispiel für den Forschungsstandort Frankfurt, deutsche Wissenschaftler zu finden, die in England oder Kanada studiert oder in den Vereinigten Staaten gearbeitet haben. Sie bringen eine andere Geisteshaltung mit als diejenigen, die nur in Deutschland geblieben sind.

Frank L. Douglas: leitet bei Aventis Pharma (Umsatz 1999: 13,2 Milliarden Euro) den Bereich „Drug Innovation and Approval”. Douglas (Jahrgang 1943) studierte physikalische Chemie und Medizin an der Cornell-University im US-Bundesstaat New York, wo er auch seinen Doktor machte. Seit 1984 arbeitet er in der Pharmaforschung – zunächst bei Ciba Geigy, dann bei Marion Merrell Dow. Nach der Fusion von Marion mit Hoechst und Roussell wurde er im neuen Unternehmen Forschungs-Chef. Als daraus 1997 Aventis Pharma hervorging, baute er die Konzernforschung kräftig um.

Bdw community Kontakt Interesse an einem Job bei Aventis? Dann mailen Sie doch an Astrid.Dannert@aventis.com Frau Dannert arbeitet in der Abteilung Human Resources, Recruitment & Marketing bei Aventis in Frankfurt/Main.

Frank L. Douglas / Heinz Horeis

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