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Sicherheitsrisiko im All

Allgemein

Sicherheitsrisiko im All
Der schwere Unfall der Raumstation Mir hat heftige Diskussionen über deren Zukunft ausgelöst. Kritiker fordern die Stillegung von Mir und die Konzentration auf die geplante internationale Raumstation.

Ulf Merbold war sichtlich verstimmt: „Mich ärgert es, wenn man die Mir-Station in den Medien immer als Schrotthaufen verdammt. Dieser Zusammenstoß hat nichts mit dem Alter der Raumstation zu tun – er hätte sich auch am ersten Tag ereignen können.“ Der ESA-Astronaut und Chef der europäischen Astronauten-Mannschaft weiß, wovon er spricht: Merbold war 1994 bei der Euromir-Mission 30 Tage an Bord von Mir.

Nach dem Zusammenstoß mit einem unbemannten Progress-M-Frachttransporter Ende Juni war das russische Aushängeschild im All in die Schlagzeilen gekommen. Die Russen wollten ein neues, sanftes Andock-Manöver proben, doch der Versuch schlug fehl: Ein Modul der Station wurde gerammt und eines von vier Sonnensegeln, die der Energieversorgung dienen, zerstört.

„Mir“, was soviel heißt wie „Frieden“, war ursprünglich für eine Lebensdauer von fünf Jahren ausgelegt – nun zieht sie schon seit elf Jahren in 350 Kilometer Höhe ihre Bahn um die Erde. Dabei wurde sie zu einem komplexen, 130 Tonnen schweren Vorposten des Menschen im Weltraum ausgebaut:

„FGB“ (Funktionaler Energieblock) ist das Herz der Station. Es enthält die Kommandozentrale, Wohn- und Arbeitsbereiche sowie Hygiene-Einrichtungen. Ein solches Modul soll – modifiziert – das Herzstück der geplanten internationalen Raumstation werden.

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„Kvant-1“ dient astrophysikalischen Forschungen. l „Kvant-2“ beherbergt wissenschaftliche Experimente und Einrichtungen für Weltraum-Spaziergänge.

„Kristall“ dient der Materialforschung sowie Experimenten in der Biologie und der Halbleiter-Entwicklung.

„Spektr“ wurde für die Erkundung der Erdatmosphäre entwickelt. Mit diesem Modul kollidierte der Raumtransporter.

„Priroda“ führt Erdbeobachtungen aus und mißt die Temperaturen an den Ozean-Oberflächen.

Obwohl letztlich nur ein „Blechschaden“ (Ulf Merbold) zu verzeichnen war, wurden in den Medien Sorgen um die Kosmonauten laut. Doch eine unmittelbare Gefahr bestand nicht – Szenarien vom Erstikkungs-, Hunger- oder Erfrierungstod sind nichts als Science-fiction. Tatsache ist: Die Mir-Besatzungen haben ihr Rettungsboot – die Sojus-Kapsel, die sie zur Station brachte – stets an der Raumstation angekoppelt. Sie kann dort bis zu sechs Monate bleiben. Die Mannschaft benötigt bei einer Not-Evakuierung 20 Minuten, um in die Sojus-Kapsel zu steigen, abzukoppeln und das Wiedereintrittsmanöver einzuleiten. „Solche Notfälle sind geprobt, die Besatzungen und die Bodenstationen darauf vorbereitet“, versichert Ulf Merbold.

Probleme gäbe es allenfalls, wenn auch die Sojus-Kapsel nicht mehr einsatzfähig wäre. Eine Rettungs-Mission mit dem amerikanischen Space-Shuttle ist fast unmöglich. Es würde vier bis sechs Wochen dauern, bis die Raumfähre startbereit ist – vorausgesetzt, ein Shuttle steht für einen Flug zur Verfügung. In Baikonur kann man zwar innerhalb von 14 Tagen zu einem Versorgungsflug mit Ersatzteilen starten – doch nur, wenn eine Rakete auf der Rampe bereit steht.

Eine Frage, die vor allem Raumfahrt-Nationen beschäftigt: Macht die alternde Mir im Vorfeld der internationalen Raumstation überhaupt noch Sinn, oder blockiert sie vielmehr deren Entwicklung? Ulf Merbold sieht noch keine Probleme für das Projekt, an dem neben Russen, Amerikanern und Europäern auch Kanada und Japan beteiligt sind. Die NASA allerdings betrachtet die Lage als „sehr ernst“ und hat angekündigt, daß man weitere Verzögerungen beim Bau der Internationalen Raumstation nicht mehr hinnehmen werde. Dennoch sieht NASA-Planungs-Experte Jesco von Puttkamer auch positive Seiten des Unfalls: „Eine wichtige Lektion, die uns besser auf die internationale Raumstation vorbereitet.“ Eine Einschätzung, die man auch bei der ESA teilt: „Wir können nur lernen“, meint Ulf Merbold.

Kanada und Japan haben ihre Hausaufgaben gemacht, und auch Europa ist mit einem Vorprogramm beteiligt. Ariane-5 fliegt zwar noch nicht, und weder die Columbus Orbital Facility, das europäische Modul der Raumstation, ist in Bau noch das unbemannte Automated Transfer Vehicle, das die europäische Sektion der Raumstation versorgen soll. Doch Europa hat noch Zeit bis 2002. Die Teilnahme an dem Vorprogramm sichert der ESA auf jeden Fall den Zugang zur Raumstation.

Bleibt der Unsicherheitsfaktor Rußland. Dort fehlt das Geld, und deshalb wurde der Start der Zentraleinheit um ein Jahr auf 1998 verschoben. Doch auch der neue Termin ist ungewiß. Offiziell enthält sich die ESA jeden Kommentars. Betroffen sei man schon, wenn es zu weiteren Verzögerungen komme, ist dagegen inoffiziell in der ESA zu hören. Die USA müßten Druck auf Rußland ausüben, dort dürfe man sich mit einem nur notdürftig aufrechterhaltenen Betrieb von Mir nicht verzetteln. Besser sei es, die Station stillzulegen und Arbeit und Geld auf die internationale Raumstation zu konzentrieren.

Ulf Merbold sieht noch einen anderen Weg: „Die modernsten Module Spektr und Priroda sowie die drei erhaltenen neuen Solargeneratoren könnte man von Mir abkoppeln und in die internationale Raumstation integrieren. Dann allerdings muß Mir – wenn auch auf einem niedrigen Niveau – ein oder zwei Jahre am Leben erhalten werden. Doch das wäre das Geld wert.“

Infos im Internet zu Mir: http://www.osf.hq.nasa.gov/mir/Welcome.html

Gerd-Peter Schulze

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