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Zurück in die Zukunft

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Zurück in die Zukunft
Kann das Opfer tot sein, bevor der Mörder schießt? Die Kausalität gilt sogar in der Relativitätstheorie als unantastbar. Doch wenn sich die Experimente zur Überlichtgeschwindigkeit bestätigen, könnte die Reihenfolge von Ursache und Wirkung durcheinandergeraten.

Signale mit Überlichtgeschwindigkeit verschicken – die meisten Physiker lehnen solche Gedankenspiele ab. Aber was spricht dagegen? Der technische Fortschritt hat schon oft scheinbar Unmögliches möglich gemacht. Nützlich wären überlichtschnelle Signale auf jeden Fall: Zum Beispiel in der Raumfahrt, wo ein gewöhnliches Funksignal zu den Pioneer-Sonden am Rand des Sonnensystems mehrere Stunden unterwegs ist. Solche Träume sind bislang an Albert Einsteins Spezieller Relativitätstheorie gescheitert.

Ein Beispiel zeigt, wo der Haken ist: Ein Raumfahrer befindet sich seit einem halben Jahr auf einer Raumstation weit entfernt von der Erde und erwartet mit Ungeduld die Geburt seines Kindes, das demnächst auf der Erde zur Welt kommen soll. Gleich nach der Geburt sendet die Mutter die frohe Botschaft „ein Mädchen“ mit fünffacher Lichtgeschwindigkeit an den Vater. Der erhält die Nachricht etwas früher, als wenn sie wie gewöhnlich nur lichtschnell verschickt worden wäre – aber auf jeden Fall nach der Geburt.

Ein Kollege des Vaters ist zur gleichen Zeit mit halber Lichtgeschwindigkeit auf dem Weg von der Erde zur Raumstation. Für die Familienchronik will er die Abfolge der Ereignisse genau festhalten und ermittelt dazu die Zeitpunkte, zu denen die frohe Botschaft abgesandt beziehungsweise empfangen wurde. Doch seltsam: In seinem Bezugssystem scheint es so, als habe der Vater die Nachricht empfangen, noch bevor sie überhaupt abgeschickt wurde und sogar bevor die Geburt stattgefunden hat.

Dem Raumfahrer kann man keinen Fehler bei der Zeitbestimmung vorwerfen. In der Relativitätstheorie ist die Gleichzeitigkeit zweier Ereignisse kein absolut feststehender Sachverhalt, falls diese an verschiedenen Orten stattfinden. Vielmehr hängen die Begriffe „vorher“ oder „nachher“ vom Bewegungszustand des Beobachters ab. Zwei Ereignisse, die für einen Beobachter gleichzeitig stattfinden, können für einen anders bewegten Beobachter zu verschiedenen Zeiten passiert sein. Dies ist eine Grunderkenntnis der Relativitätstheorie, auf der viele merkwürdige Phänomene beruhen.

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Dennoch: Die kausale Reihenfolge von Ereignissen bleibt in der Relativitätstheorie strikt gewahrt – immer vorausgesetzt, Signale breiten sich nur mit Lichtgeschwindigkeit oder langsamer aus. Dann nehmen alle Beobachter ein Ereignis später wahr als seine Ursache. Die Physiker sagen, die Relativitätstheorie sei in sich konsistent in Bezug auf die Kausalität.

Doch genau dieser Punkt war es, der unseren Raumfahrer verwirrte: Die Ursache (das Absenden der überlichtschnellen Botschaft) fand für ihn erst nach ihrer Folge (dem Empfang der Nachricht) statt. Das in der Relativitätstheorie sorgsam gewahrte Kausalitätsgefüge gerät durch Signale mit Überlichtgeschwindigkeit durcheinander.

Wenn es tatsächlich gelänge, Signale mit Überlichtgeschwindigkeit zu verschikken, würde das nicht nur der Relativitätstheorie den Todesstoß versetzen, es gäbe sofort eine Fülle interessanter Anwendungen: So fänden Pistolen, die sich aus der Ferne überlichtschnell auslösen ließen, in Verbrecherkreisen reißenden Absatz. Wenn sich der Mörder darauf berufen kann, daß es Bezugssysteme gibt, in denen das Opfer schon tot war, bevor er den Abzug betätigte, dürfte das dem Gericht eine Verurteilung erheblich erschweren.

Noch bizarrer ist folgende, von Bryce DeWitt von der Universität in North Carolina und Shoichi Yoshikawa aus Princeton schon 1969 diskutierte Situation, bei der es wieder um den frischgebackenen Vater auf der Raumstation geht: Angenommen, sein Kollege im Raumschiff fängt das Signal ab und sendet die Nachricht mit einer noch höheren Geschwindigkeit zurück zur Erde, die sich – von seinem Raumschiff aus gesehen – mit der halben Lichtgeschwindigkeit entfernt. Die Mutter stellt erstaunt fest, daß sie die Information über ihre Niederkunft früher empfängt, als sie diese selbst abgeschickt hat. Dank ihrer eigenen Botschaft weiß sie nun, daß das Kind zwei Tage zu früh auf die Welt kommt, und kann rechtzeitig ihren Koffer packen und in die Klinik fahren.

Angesichts der offenkundigen Paradoxien, die sich mit überlichtschnellen Signalen konstruieren lassen, sah DeWitt nur zwei Möglichkeiten, um die Relativitätstheorie zu retten: Zum einen könnte ein bislang unbekannter Mechanismus existieren, der das Senden von Nachrichten in die Vergangenheit prinzipiell verbietet. Da man nicht die geringste Vorstellung hat, wie ein solcher „Kausalitäts-Riegel“ aussehen könnte, haben sich die meisten Physiker für die zweite Alternative entschieden: Sie lehnen Überlichtgeschwindigkeiten kategorisch ab.

Sicher ist, daß gigantische Energiemengen nötig wären, um die rasch schwächer werdenden Signale über kosmische Distanzen aufrechtzuerhalten. Schon das wird verhindern, daß Väter künftig auf die Geburt ihres Kindes anstoßen können, während die Mutter noch in den Wehen liegt.

Rainer Müller

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