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Am Beispiel Hummer – Nordsee in Not

Allgemein

Am Beispiel Hummer – Nordsee in Not
Ortstermin auf Helgoland – via Bildtelefon diskutierten die Besucher von „Wissenschaft live“ aus dem Deutschen Museum Bonn mit Ökologen und Genetikern die Zukunft der Nordsee.

Wir erforschen den Hummer sicher nicht, weil er in Mayonnaise so gut schmeckt“, konterte Prof. Friedrich Buchholz die Frage, ob der Helgoländer Hummer eher wichtig für das Meer oder für die Helgoländer sei. Buchholz ist Leiter der Abteilung Zoologie an der Biologischen Anstalt Helgoland. Aus der Hummerzuchtanlage auf der Insel begrüßte er via Bildschirm die Besucher der Veranstaltung von „Wissenschaft live“ im Deutschen Museum Bonn. Thema war das Ökosystem Nordsee.

Der „Ereigniskanal“ Phoenix übertrug live im Fernsehen, wie sich die Schüler des Peter-Joerres-Gymnasiums in Bad Neuenahr/Ahrweiler sowie viele weitere Museumsbesucher von den Helgoländer Experten in einem munteren Frage- und Antwort-Spiel über den Zustand der Nordsee und besonders des Hummers informieren ließen. Am Beispiel des größten deutschen Krebses lassen sich viele typische Folgen der Meeresverschmutzung für die Tierwelt und die Ökologie insgesamt studieren.

1937, im Rekordjahr der bisherigen Statistik, fingen die Fischer 87000 Hummer rund um den Felssockel von Helgoland, der einzigen Stelle in der Deutschen Bucht, wo er lebt. 1992 waren es nur noch 102 Tiere. Für den Rückgang gibt es laut Buchholz viele Erklärungen. Der starke Beschuß, unter dem Helgoland im Zweiten Weltkrieg lag, habe sicher Tausende von Hummern das Leben gekostet, aber daß sich die Bestände davon nie wieder erholten, lag sicher an der zunehmenden Verschmutzung durch Öl und den zahlreichen Giften aus Industrie und Landwirtschaft, die über die Flüsse in die Nordsee strömten.

Die Biologin Ismeni Walter erzählte den Museumsbesuchern von ihrer Doktorarbeit, in der sie prüft, wie die Krebse schon auf Millionstel Gramm von Schadstoffen reagieren: Sie vergiften zwar die Tiere nicht direkt, nehmen ihnen aber den Appetit, außerdem stören sie ihre Kommunikation. Krebse unterhalten sich vor allem chemisch, über Duftstoffe, die sie in das Wasser abgeben. Geringste Ölmengen – wie sie aus Bohrlecks austreten oder beim ungesetzlichen Waschen von Tanks ins Meer gelangen – dezimieren die Hummerbestände, weil Männchen und Weibchen sich nicht mehr finden, und weil sie – vom Hunger geschwächt – durch Konkurrenten, etwa den robusten Taschenkrebs, verdrängt werden.

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Die Schmutzwasserbarrieren, die von den großen Flüssen in der Nordsee errichtet werden, unterbinden auch die natürliche Zuwanderung von Hummern aus anderen Küstenregionen. Auf welchen Wegen und wie weit Hummer wandern, ist zwar noch weitgehend ungeklärt. Aber „ein Hummer aus der Bretagne würde auf seinem Weg nach Norden ganz schnell abdrehen, wenn er an die Dreckfahne des Rheins stößt“, erklärte Iris Ulrich, die in Helgoland die genetischen Unterschiede der europäischen Hummer untersucht. „Noch sind zwar alle eine Art und die Rassen aus Norwegen, Portugal oder Irland könnten mit denen von Helgoland Nachwuchs zeugen, aber die ersten Anzeichen einer Isolation sind nicht mehr zu übersehen“, erklärte sie, und hielt zum Beweis in ihrem Labor auf der Insel die „genetischen Fingerabdrücke“ von Hummern unterschiedlicher Regionen in die Kamera.

„Aber wenn doch alle eine Art sind, warum bringt man dann nicht Hummer von anderswo nach Helgoland“, fragten die Schüler. „So könnte man doch die genetische Verarmung und eine mögliche Inzucht vermeiden.“

„Theoretisch ja“, stimmte Dr. Christian Schütt zu, der auf Helgoland die Abteilung für Meeresmikrobiologie leitet. „Die französischen Hummer scheinen zum Beispiel weniger anfällig zu sein als die Helgoländer. Zumindest ist ihre Zahl nicht so stark zurückgegangen. Aber wir wollen nicht von uns aus in den Lauf der Natur eingreifen. Wir wissen nicht, welche Folgen es hat, wenn wir künstlich Hummergene aus anderen Regionen in die Nordsee einbringen, ob sich die Tiere dann verändern. Es wäre schnell getan, aber rückgängig machen können wir es nie wieder, auch wenn sich die nächsten Generationen nicht so entwickeln, wie wir uns das vorstellen.“

Also bemühen sich die Forscher weiter, den „Echten Helgoländer Hummer“ durch Zucht zu erhalten. Etwa 300 Exemplare haben sie in ihren Becken – in Einzelhaltung, da sie sich sonst gegenseitig auffressen. Im Alter von etwa vier Jahren werden sie markiert und ausgesetzt. Optimistisch könnte die Nachricht stimmen, daß das Wasser in der Deutschen Bucht durch den Umweltschutz in den vergangenen Jahren etwas besser geworden ist. Doch schon zeichnet sich ein neues Problem ab: „Das Wasser der Nordsee scheint dauerhaft wärmer zu werden“, bestätigte Prof. Buchholz eine Frage aus dem Publikum. „Wir sehen seit kurzem immer häufiger Tiere – Meerasseln aus dem Mittelmeer etwa -, die typisch sind für höhere Temperaturen. Das mag der Hummer gar nicht, und das mögen auch viele andere unserer heimischen Nordseebewohner nicht. Möglicherweise bahnt sich da durch den Treibhauseffekt ein dramatischer Umsturz im Ökosystem Nordsee an.“

Jürgen Nakott

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