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Die Last mit der Fracht

Allgemein

Die Last mit der Fracht
Probleme und Trends im Güterverkehr. Frachtaufkommen und Kostendruck auf die Spediteure wachsen miteinander um die Wette. Als Ausweg sehen die Transportunternehmen vor allem eines: mehr Automatisierung.

Der Verkehrsfunk-Piepser, mitten im laufenden Radioprogramm, verheißt nichts Gutes. Und tatsächlich: „Ein 18 Kilometer langer Lkw-Stau vor der Oderbrücke blockiert auch die linke Fahrbahn der Autobahn A 12 in Richtung Frankfurt/Oder. Pkw-Fahrer in Richtung Frankfurt werden gebeten, die Autobahn bei der Abfahrt Briesen zu verlassen und ihre Fahrt auf der Landstraße fortzusetzen.“

Horst Dankert, auf dem Weg zu seinem Arbeitsplatz in der Oderstadt, flucht erbittert. Das kostet ihn mindestens eine halbe Stunde – zu viel, um noch pünktlich zu sein. Schon die zweite Verspätung in dieser Woche, und wieder wegen dieser Laster. Wenn das so weitergeht…

Lautstark läßt zur gleichen Zeit auch Klaus Harmsen seinem Ärger freien Lauf. Er sitzt am Steuer eines 40-Tonnen-Trucks, kurz vor dem Schöneberger Kreuz im Süden Berlins. Schon bei Magdeburg hat er in einem Sieben-Kilometer-Stau fast eine Stunde verloren – und jetzt ist auch noch die Frankfurter Oderbrücke „dicht“. Nun wird es eng mit der pünktlichen Lieferung seiner Ladung Dieselmotoren an das neue Pkw-Montagewerk bei Warschau. Das ist, modern und schlank organisiert, auf „just in time“-Versorgung angewiesen.

Seit der Öffnung der Grenzen zwischen Mittel- und Osteuropa ist der Verkehr auf den Ost-West-Routen sprunghaft gewachsen. Wenn die Prognosen der Verkehrsexperten nur halbwegs stimmen, die den Ländern der Europäischen Union in nur 15 Jahren eine Verdoppelung des Verkehrsaufkommens prophezeien, graut Harmsen vor der Zukunft.

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Es sind nicht nur die Staus, die den 420 000 deutschen Lastwagenfahrern zu schaffen machen. Die beinharte internationale Konkurrenz zwingt obendrein zu immer konsequenterer Rationalisierung. Da bei den Betriebskosten für einen Lkw heute der Personalkosten-Anteil glatt die Hälfte ausmacht, ist klar, daß bei ihnen der Hebel angesetzt wird: Personal einsparen – und immer mehr Zusatzaufgaben für die Fahrer.

Beifahrer – so etwas haben die meisten schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Doch den Rationalisierern scheint auch ein Fahrer pro Truck noch zuviel zu sein. „Promote – Chauffeur“ heißt ein europäisches Verbundprojekt, das von Daimler-Benz initiiert wurde und in Kooperation mit Fiat 1997 auf der Brenner-Autobahn in die Praxiserprobung geht.

Mit einer „elektronischen Deichsel“ wird hier aus zwei Lastzügen eine Einheit. Das Führungsfahrzeug wird gelenkt wie gewohnt. Der zweite Lkw hängt sich an den vorausfahrenden und fährt vollautomatisch hinterher. Er bremst, beschleunigt und lenkt wie der Vordermann und folgt ihm mit konstantem Abstand von sechs bis zehn Metern.

Der elektronisch angehängte Lkw hat sein Führungsfahrzeug sicher im Blick: mit einer Videokamera, die auf ein exakt festgelegtes Muster mehrerer Infrarotlichtquellen an dessen Heck fixiert ist. Mit Hilfe eines aufwendigen Bildverarbeitungssystems erkennt der Computer des Nachfolgers selbst kleinste Abstands- und Richtungsänderungen des Führungsfahrzeugs.

Der Rechner versorgt Motor- und Getriebemanagement, Bremse und automatische Lenkung mit den nötigen Daten, um dem vorausfahrenden Truck auf der Spur bleiben zu können. Dieser wiederum steht mit seinem Verfolger in Verbindung und versorgt dessen Bordrechner mit allen Daten über seinen Fahrzustand. Der Nachfolger reagiert, etwa bei einer Vollbremsung des Führungsfahrzeugs, ohne Verzögerung.

Doch auch wenn das zweite Fahrzeug automatisch fährt – der Mensch im Führerhaus ist nicht verzichtbar. Denn wie in einem mit Autopilot fliegenden Jet muß auch hier ein menschlicher Lenker zur Stelle sein, um in einer gefährlichen Situation innerhalb weniger Sekunden das Steuer in die Hand nehmen zu können. „Der Computer im Fahrzeug kommt nicht mit sämtlichen Unwägbarkeiten des automatischen Fahrens zurecht“, erklärt Stefan Hahn, in der Daimler-Benz-Forschung Abteilungsleiter für Fahrerassistenz-Systeme.

Immerhin dürfte der Mensch im angekoppelten Laster während der automatischen Fahrt ein wenig entspannen oder Schreibarbeiten erledigen können – hat er sich erst einmal an derart kurze Fahrzeugabstände gewöhnt. Zudem können sich beide Fahrer auf längeren Strecken ablösen und ausgeruhter ins Lenkrad greifen, wenn sie sich am Ende der Autobahnstrecke wieder trennen und separate Ziele ansteuern.

Klar ist schon jetzt, wieviel der Betreiber der Trucks durch die elektronische Deichsel bei den Spritkosten spart: Der im Windschatten fahrende, zweite Lkw kommt mit 15 Prozent weniger Kraftstoff aus als bei Alleinfahrt – für die mit spitzem Bleistift rechnenden Spediteure ein beachtlicher Posten.

Der Systempreis soll zirka 3000 Mark betragen – allerdings nur, wenn es sich um moderne Trucks mit elektronischer Steuerung von Motor, Getriebe, Bremsen und Lenkung handelt.

Verkehrsplaner in den USA, wo viele Highways drei- und mehrspurig ausgebaut sind, spielen mit dem Gedanken, spezielle Fahrspuren für Lkw-„Platoons“ aus mehreren aneinandergekoppelten Fahrzeugen zu reservieren. Für Europa mit seinen meist zweispurigen Fernstraßen wäre dies allerdings unrealistisch. Es sei denn, man würde – wie etwa am Autobahndreieck Karlsruhe – eine stillgelegte, die Autobahn zweimal kreuzende Bahntrasse nutzen, um auf ihr längere Lkw-Konvois am neuralgischen Straßenknoten vorbeizuschleusen.

So wollen die Verfechter des Mottos „Mehr Güter auf die Schiene“ ihre Forderung freilich nicht verstanden wissen. Die Verlagerung der Frachttransporte vom Brummi auf die Bahn ist für jeden, der sich über verstopfte Straßen ärgert, ein reizvoller Gedanke.

Indes: „Gegenüber den Wettbewerbern hat der Schienengüterverkehr zu lange Transportzeiten und keine ausreichende Transportkapazität.“ Dies sagt kein Bahngegner, sondern Diplom-Ingenieur Peter Molle, im Unternehmensbereich DB Cargo der Deutschen Bahn AG für Produktion und Technik verantwortlich. Gleichsam als Bestätigung seiner These hat die Post – seit Jahrzehnten ein Bahnkunde – 1997 beschlossen, bei der Post- und Paketzustellung künftig auf die Dienste der Bahn zu verzichten.

Mit einem neuen Konzept will DB Cargo verlorenes Terrain für die Schiene zurückgewinnen: Auf der Fachmesse transport ’97 in München wurde der CargoSprinter vorgestellt – 91 Meter lang, vorne und hinten je ein Diesel-Triebkopf, in der Mitte Tragwagen für bis zu zehn 7,82 Meter lange Wechselbehälter. Vier Volvo-Lkw-Dieselmotoren mit je 265 Kilowatt Leistung verleihen dem CargoSprinter eine Geschwindigkeit von 120 Kilometer pro Stunde.

Die „Lkw auf Schienen“ lassen sich mit automatischen Kupplungen minutenschnell zu größeren Zügen zusammenstellen. Ebenso schnell läßt sich ein solcher Zug trennen, wonach – der Clou an der Sache – jede Einheit selbständig ihr individuelles Ziel ansteuern kann.

Beim automatischen Fahren ist die Bahn dem Lkw sogar weit voraus: Beschleunigen, Tempo halten, bremsen, Signale beachten – das schafft die Elektronik ganz ohne Lokführer. Das erstmals von der Volkswagen AG kommerziell eingesetzte „selbsttätig signalgeführte Triebfahrzeug“, SST, fährt seine Motorenladung aus dem Werk Salzgitter „just in time“ ins Montagewerk Wolfsburg: vollautomatisch, ohne festen Fahrplan, auf selbst gesuchter Strecke.

Die speziellen Stärken des jeweiligen Transportsystems gezielt nutzen – hierin, statt in unnötiger Konkurrenz, liegt der Schlüssel zur Bewältigung des weiter wachsenden Güterverkehrs von morgen. Dazu aber, betont der Berliner Verkehrswissenschaftler Prof. Wolfgang Heinze, muß man die Teilsysteme Straßen-, Schienen-, Luft- und Seetransport in erster Linie sinnvoll miteinander verknüpfen, anstatt nur jedes separat zu optimieren.

Auf dem Transportweg können die Verkehrsmittel mehrfach wechseln. Voraussetzung für das Funktionieren dieser „intermodalen Transportkette“ ist, so Heinze, daß „die Schnittstellen stimmen“. Das heißt: möglichst geringe Zeitverluste in Container-Terminals zwischen Straße und Schiene, in den Häfen, in Güterverteilzentren, Rangierbahnhöfen und Fähren-Terminals.

Noch etwas ist für den Berliner Verkehrswissenschaftler entscheidend: die „Containerisierung bis unten“, vom großen Normcontainer bis zu sinnvollen Untereinheiten dieser „tollen Kiste“. Der weltweit verbreitete Normcontainer könnte künftig sogar mit GPS-Antenne ausgestattet sein. Das „Global Positioning System“, basierend auf einem Netz von Satelliten in geostationären Umlaufbahnen, ermöglicht die Orientierung an jedem Punkt der Erde. Per Funk könnte der Container jederzeit seine Position melden. DB Cargo erprobt diese Technik mit dem allnächtlich zwischen Maschen und Ingolstadt verkehrenden Güterzug „Komet“.

Auch Klaus Harmsens Truck hat eine GPS-Antenne auf dem Dach. So weiß seine Spedition, daß er nach einem Umweg jetzt auf Landsberg zusteuert. Sie weiß es, obwohl Harmsens Handy in dieser Gegend Polens keinen Kontakt zum Netz hat. Und das Pkw-Werk bei Warschau kann sich doch noch Hoffnungen auf die georderten Motoren machen.

Ingo von Dahlern

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