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Kosmische Knaller

Allgemein

Kosmische Knaller
Die größten Blitze, die über den Gamma-Himmel zucken, sind spektakuläre Sternexplosionen in weit entfernten galaktischen Kinderstuben.

Blitze, Baby-Boom und BeppoSAX – in Baltimore berichteten Astronomen über die heftigsten Ereignisse im Universum seit dem Urknall. Mehr als 200 Forscher aus aller Welt waren letzten April in der größten Stadt des US-Bundesstaats Maryland zusammengekommen, um auf der „Gamma 2001″-Konferenz die neuesten Erkenntnisse über die hochenergetische Seite des Weltraums auszutauschen. Eine wichtige Einsicht: Geburt und Tod liegen auch im fernen Kosmos überraschend nah beieinander – freilich in einer Größenordnung, die das menschliche Vorstellungsvermögen bei weitem übersteigt.

„Das Universum ist ein gewalttätiger Ort”, sagte Luigi Piro von der italienischen Forschungseinrichtung Consiglio Nazionale delle Ricerche in Rom. „Und Gammastrahlen-Ausbrüche sind die Gipfel der Naturgewalten.”

Seit deren Entdeckung 1969 – zufällig aufgespürt von Satelliten, die eigentlich Teststopp-Abkommen von Kernwaffen überwachen sollten – rätseln Astrophysiker über die Natur dieser kurzen Blitze, die ohne Vorwarnung überall am Himmel auftauchen können (bild der wissenschaft 2/2001, „Die stärksten Explosionen im All”). Galten sie anfangs noch als kleine Explosionen auf der Oberfläche naher Neutronensterne, ergaben Distanzmessungen in den letzten Jahren, daß sie in Wirklichkeit von Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxien stammen. In wenigen Sekunden strahlen sie mehr Energie ab als unsere Sonne im Lauf ihres ganzen, zwölf Milliarden Jahre währenden Lebens.

Aufgrund der großen Distanz ist es schwierig, die Ursachen der Gammastrahlen-Ausbrüche zu bestimmen. Doch mit Hilfe einer ganzen Armada von Hochleistungs-Teleskopen – und einigem Glück – sind die Astrophysiker des Rätsels Lösung jetzt einen großen Schritt nähergekommen. Dabei haben sie wie Detektive verschiedene Indizien zusammengetragen und miteinander kombiniert.

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„Wir wissen, daß bei den Explosionen ein Feuerball aus heißem Material ins All geschleudert wird und sich wie ein aufgeblasener Luftballon ausdehnt”, erklärte Piro und präsentierte das Ergebnis der Detektivarbeit seines internationalen Forschungsteams: „Das Studium zweier Ausbrüche hat nun gezeigt, daß dieser expandierende Feuerball gegen eine Mauer aus dichtem Gas rast, das die mysteriöse Gammaquelle einhüllt. Solche hohen Gasdichten gibt es nur in Sternentstehungsgebieten.”

Maßgeblich für diese Schlußfolgerungen waren Beobachtungen, wie Gammastrahlen-Ausbrüche im Bereich der Röntgenstrahlung und des sichtbaren Lichts nachglühen. Während die Ausbrüche selbst nur Millisekunden bis maximal eine Minute dauern, läßt sich ihr Nachglühen noch Tage oder gar Wochen später nachweisen. Röntgenstrahlung entsteht unter anderem, wenn Gaswolken mit hohen Geschwindigkeiten zusammenstoßen. Mit den Satelliten BeppoSAX und Chandra ist es nun gelungen, den Betrag der entfesselten Röntgenstrahlung zu messen.

Bei dem Nachglühen eines am 26. September 2000 registrierten Ausbruchs maß Gordon Garmire von der Pennsylvania State University weit mehr Röntgenstrahlung, als ein Feuerball im gewöhnlichen, fast leeren Weltraum erzeugen kann. Und Jean in’t Zand von der Space Research Organization in den Niederlanden kam bei der Analyse des Ausbruchs vom 22. Februar 2001 zum selben Ergebnis. Diese Explosion – schlicht GRB010222 genannt – war eine der stärksten, die jemals beobachtet wurde.

Stolz berichtete Piro in Baltimore von einem weiteren Puzzlestück der Detektivstory: In den Spektren des Nachglühens von vier Ausbrüchen fanden die Forscher Spuren hoch ionisierten Eisens, das nur von der früheren Explosion eines massereichen Sterns stammen kann. Dabei mußte, schätzt Piro, Eisen in der Größenordnung von 1 bis 10 Prozent der Masse unserer Sonne ins All geschleudert worden sein.

Andrew Fruchter vom Space Telescope Science Institute in Baltimore führte noch mehr Indizien an, die für einen Ursprung der Gammastrahlen-Ausbrüche in Sternentstehungsgebieten sprechen: die Farbe der Heimatgalaxien, ihre spektralen Eigenschaften und ihre Leuchtkraft. „All dies deutet auf eine hohe Sternbildungsrate in den Galaxien hin.”

Schützenhilfe bekam er von Fiona Harrison. Die Astrophysikerin vom California Institute of Technology in Pasadena berichtete über die Beobachtungen nur wenige Stunden nach dem Ausbruch von GRB010222 mit dem französischen IRAM-Teleskop und dem James Clerck Maxwell Telescope auf Hawaii. Sie fand eine konstante Quelle von Submillimeterstrahlung – typisch für Sternentstehungsregionen. In diesem Wellenlängenbereich sehen wir nur eine von tausend Galaxien, die im sichtbaren Licht leuchten. Die Heimatgalaxie von GRB010222 muß also der Ort eines kosmischen Baby-Booms sein.

Messungen mit dem 10-Meter-Keck-Teleskop auf Hawaii und dem Hubble-Weltraumteleskop ergaben, daß die Galaxie ungefähr acht Milliarden Lichtjahre entfernt ist. Ihre kosmischen Brutstätten müssen ungeheuer fruchtbar sein, um sich über diese Distanz hinweg noch bemerkbar zu machen. Pro Jahr werden dort zirka 500 Sterne geboren, schätzen die Forscher. Jeden Tag erblickt die Welt hier also das Licht von mindestens einem neuen Stern!

Viele dieser Sterne sind sehr massereich – teilweise haben sie mehr als die fünfzigfache Sonnenmasse. Da sie mit ihrem Kernbrennstoff extrem verschwenderisch umgehen, sind sie für astronomische Verhältnisse enorm kurzlebig und explodieren schon im Verlauf weniger Millionen Jahre. Solche kosmischen Feuerwerke nennen die Astronomen Hypernovae – als Steigerungsform von Supernovae. Sie können einem inzwischen weithin akzeptierten Modell zufolge einen Großteil ihrer Energie als doppeltes Strahlenbündel ins All schießen – ähnlich wie ein Leuchtturm. Zeigt einer dieser Strahlenkegel in Richtung Erde, dann erscheint er uns als Gamma-Ausbruch, vermuten die Forscher. „Der endgültige Beweis dafür fehlt noch, aber alle Indizien deuten darauf hin, daß die Ausbrüche der Todesschrei riesiger Sterne sind”, meint Andrew Fruchter.

Der expandierende Feuerball der Explosion könnte zugleich Anstoß für die Geburt neuer Sterne sein. Denn die Stoßwellen, die durch das Gas zwischen den Sternen pflügen, dürften mancherorts ausreichen, um die interstellare Materie zur Kontraktion zu zwingen. Die Schwerkraft tut dann ein übriges: Aus den verdichteten Wolken formen sich neue Sonnen, und der kosmische Kreislauf geht in die nächste Runde.

„Künftig werden wir Gamma-Ausbrüche nicht nur um ihrer selbst willen erforschen. Wir werden sie auch als Informanten über den Entwicklungsverlauf der Sternentstehung in weit entfernten, jungen Galaxien nutzen, die noch so viel Staub enthalten, daß sie anderweitig nur schwer zu erforschen sind”, freut sich Fiona Harrison. Die Astrophysiker wollen mit Satelliten wie HETE-2 und Swift in den nächsten Jahren Hunderte der Explosionen aufspüren und erforschen. Sie hoffen, damit sogar die Evolution unserer eigenen Milchstraße besser zu verstehen. BeppoSAX (Satellite per Astronomia X, benannt nach dem Physiker Giuseppe „Beppo” Occhialini) ist ein italienisch-niederländischer Röntgensatellit, der am 30. April 1996 gestartet wurde. Weitere Infos: wfc.sron.nl/ und www.asdc.asi.it/ bepposax/ Chandra (benannt nach dem Physiker Subrahmanyan Chandrasekhar) ist ein Röntgen-Observatorium der NASA. Bericht in bild der wissenschaft 12/1999, „Revolution in der Röntgenastronomie”, weitere Infos unter: chandra.harvard.edu HETE-2 (High Energy Transient Explorer) ist ein amerikanisch-französisch-italienischer Satellit zur Erforschung der Gamma-Ausbrüche und ihrer Röntgenstrahlung. Er wurde am 9. Oktober 2000 gestartet. Infos: space.mit.edu/HETE/ Swift (englisch für „Mauersegler”) wird HETEs Empfindlichkeit noch übertreffen und 2003 gestartet werden. Infos: swift.sonoma.edu/ Milchstraße Bericht in bild der wissenschaft 5/2001, „Die kannibalische Milchstraße”

Rüdiger Vaas

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