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Das Superauge von Green Bank

Allgemein

Das Superauge von Green Bank
Vor wenigen Wochen nahm das neue Radioteleskop GBT in West Virginia seinen wissenschaftlichen Betrieb auf. Es wird die Radioastronomie revolutionieren.

Das halbe Universum liegt mir zu Füßen. Und das ist keineswegs übertrieben, auch wenn die strahlend-weiße Schüssel unter mir nichts von den unzähligen Sternen, Staubwolken und Galaxien erkennen läßt, die sich darin spiegeln. Doch daran sind meine Augen schuld. Wären sie für Radiowellen empfänglich, würde jetzt das Abbild des Weltalls förmlich in meinem Kopf explodieren. Denn ich stehe nahe am Brennpunkt des Green-Bank-Teleskops (GBT), wohin der gigantische Reflektor unter mir die langwellige elektromagnetische Strahlung fokussiert.

„Dort hinten ist mein Haus“, bringt mich Greg Monk auf den Boden der irdischen Tatsachen zurück. Er deutet auf eines der spärlich in der Landschaft verteilten Gebäude. Ich grinse: „Dann kannst du in deiner Freizeit mehr vom Teleskop sehen als tagsüber.“ Während der Arbeitszeit sitzt Greg nämlich mehrere Stunden in einem fensterlosen Raum am Fuß des GBT und überwacht den Betrieb des stählernen Giganten. Mit einer Höhe von 148 Metern und dem 100 mal 110 Meter messenden Hauptspiegel – seine Fläche von 7853 Quadratmetern übertrifft ein Fußballfeld – ist GBT das größte bewegliche Radioteleskop weltweit. Mehr noch: „Es ist das größte bewegliche künstliche Objekt auf dem Festland“, begann Ronald J. Maddalena gestern gleich nach meiner Ankunft in Green Bank zu schwärmen, als wir in der Cafeteria zu Mittag aßen. „Das wird uns hoffentlich bald einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde bringen. Nur Flugzeugträger, Tankschiffe und Bohrinseln sind größer.“

Maddalena ist einer der 15 ständigen Wissenschaftler in Green Bank – weitere 200 Astronomen aus aller Welt kommen jedes Jahr vorübergehend zu Besuch. Insgesamt arbeiten über 100 Menschen am Green Bank Observatory – Ingenieure, Techniker, Mechaniker, aber auch Leute in der Verwaltung und sogar für die Fortbildung von Lehrern und Schulklassen.

Letzteres gehört zu den Aufgaben von Sue Ann Heatherly: „Das ist nicht ganz einfach, denn Radioastronomen hören keine Töne ab, wie viele Leute glauben, können nicht direkt durch ihr Teleskop blicken und auch nicht mit spektakulären Astrofotos aufwarten. Um so wichtiger ist die pädagogische Arbeit. Denn das NRAO finanziert sich praktisch vollständig durch Steuergelder, und die Bevölkerung hat ein Recht darauf zu erfahren, was wir hier machen.“ NRAO steht für National Radio Astronomy Observatory und wurde Mitte der fünfziger Jahre gegründet, um der damals jungen Radioastronomie Institution und Platz in der US-Wissenschaftslandschaft zu geben. In unmittelbarer Nachbarschaft des kleinen Örtchens Green Bank im Deer Creek Valley stehen inzwischen acht Radioteleskope. Und das GBT, das neue Juwel der Anlage, hat gerade mit den ersten wissenschaftlichen Beobachtungen begonnen.

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Mein Blick verliert sich zwischen den Tälern der bewaldeten Berge, die das Deer Creek Valley wie natürliche Schutzschilde umschließen. Unwillkürlich muß ich daran denken, wie ich gestern durch diese Landschaft fuhr:

„Blue, blue windows behind the stars, yellow moon on the rise …“ – plötzlich reißen die Klänge der Akustikgitarre ab, und der Song löst sich in Rauschen auf. Ich drücke an den Tasten des Autoradios herum – das Störgeräusch bleibt. Während die Melodie in meinem Kopf weiterklingt, muß ich aufpassen, daß ich die Gänse nicht überfahre, die gemächlich über die Straße watscheln. Ich aktiviere den Sendersuchlauf – ohne Erfolg. Einen Moment lang bin ich verunsichert, aber dann erinnere ich mich an das Stichwort „ National Radio Quiet Zone“ – wegen dieser radiofreien Zone hat es mich ja hierher verschlagen, in den Mittelgebirgszug der Appalachen, ins Pocahontas County, US-Bundesstaat West Virginia.

Radiowellen aus dem Weltraum sind viele milliardenmal schwächer als ein typischer Radiosender in 100 Kilometer Entfernung – und schon der liefert nur ein zehntelmillionstel Watt pro Quadratmeter. Um den Astronomen das Fenster zum Radiohimmel nicht völlig zu versperren, wurde weit um Green Bank herum der Bau von Überlandstromleitungen und Industrieanlagen verboten und der Betrieb von Radio- und Fernsehstationen drastisch eingeschränkt. Die nächste Stadt liegt zweieinhalb Autostunden von Green Bank entfernt. In dieser Gegend des ohnehin dünn besiedelten Bundesstaats – die größten Städte haben gerade mal 50000 Einwohner – leben die Menschen überwiegend von der Viehzucht.

„Diese Abgeschiedenheit hat ihre Reize“, wird mir Ron Maddalena später erläutern, der aus New York stammt – „einer anderen Welt“ –, aber schon seit 16 Jahren in Green Bank lebt. „ Manchmal grasen Schafe vor meinem Haus, und die Tür schließt hier niemand ab. Die einzige Gefahr ist, daß ein Reh ins Wohnzimmer kommt.“ – Rehe sehe ich jetzt auch von hier oben aus, in über 100 Meter Höhe. Sie staksen über die Wiese zwischen zwei kleineren Teleskopen in der Nähe.

Greg führt mich in den kleinen Raum unterhalb des acht Meter großen Sekundärspiegels, welcher die vom Hauptspiegel erhaschte Strahlung zu den Detektoren reflektiert. Hier ist Platz für ein neuartiges System von acht verschiedenen Empfängern, die binnen weniger Minuten in den Strahlengang gedreht werden können und jeweils auf eine andere Aufgabe spezialisiert sind. Eines der technischen Juwele – ein von den NRAO-Technikern selbstgebautes Unikat, wie so vieles hier – ist ein Spektrometer mit 256000 Kanälen und einer zehnmal größeren Auflösung und Bandbreite als bei früheren Geräten. Wenn das GBT fertig ausgestattet ist, in drei bis fünf Jahren, wird es Radiowellen mit Frequenzen von ungefähr 100 Megahertz bis 100 Gigahertz (Wellenlängen zwischen 3 Metern und 3 Millimetern) registrieren können. Bislang hat es erst Empfänger für bis zu 35 Gigahertz.

Ich bin froh, den Raum wieder zu verlassen, weil die Kühlanlage dort einen Höllenlärm macht. Mit Helium werden die hochempfindlichen Geräte fast auf dem absoluten Nullpunkt gehalten.

„Was geschieht eigentlich, wenn sich Vögel in dem Gerüst des Teleskops einen Nistplatz suchen?“ frage ich. „Ihre Wärmestrahlung würde doch die Beobachtungen stören?“ Greg bejaht und versichert mir: „Das wird aber nicht geschehen. Denn wir verscheuchen die Vögel mit Habicht-Tönen aus Lautsprechern.“

Ein größerer Störfaktor ist der Mensch. „Neulich versaute ein Signal zwei Minuten lang eine Messung“, erzählte mir Ron. „Später stellte sich heraus: Ein Arbeiter hatte die Beobachtungszeiten vergessen und sich im Technikraum ein Brötchen im Mikrowellenherd aufgewärmt.“

Ein ständiges Ärgernis sind auch die Zündanlagen der Kraftfahrzeuge. Alle NRAO-Leute kurven deshalb mit Dieselmotoren auf dem elf Quadratkilometer großen Gelände herum. Auch ich hatte einen klapprigen Uralt-Diesel für meine Teleskop-Touren bekommen.

Auf schmalen Stufen steigen Greg und ich langsam in einem der beiden Trägerarme hinab, die den Sekundärspiegel und Empfängerraum hoch über dem Hauptreflektor in der Luft halten. Dann stehen wir direkt neben der gigantischen Schüssel, die im Augenblick senkrecht nach oben gerichtet ist. Sie besteht aus 2004 rechteckigen kleinen Platten, unter denen sich Hebemotoren befinden, sogenannte Aktuatoren – einer an jeder Ecke, wo vier Platten zusammentreffen, und an den Reflektorrändern, insgesamt 2209. Mit einer raffinierten Computersteuerung lassen sich die Platten auf einen zehntel Millimeter genau justieren.

Diese „aktive Spiegeloberfläche“ kam in einer etwas anderen Form bislang erst bei optischen und Infrarotteleskopen zum Einsatz und ist ein Novum in der Radioastronomie. Durch sie wird es möglich sein, selbst die schwache Strahlung extrem weit entfernter Galaxien bei hohen Radiofrequenzen einzufangen.

Verformungen durch die Schwerkraft, durch Wind und Temperaturunterschiede, die bei einem Teleskop dieser Größenklasse unvermeidlich sind, können die Aktuatoren ausgleichen. Zur Zeit arbeiten Techniker und Ingenieure an einem raffinierten Meßsystem mit Hilfe von Laserstrahlen. Sie werden von sechs Stellen auf den Armen und von zwölf am Boden, angeordnet in einem Ring von 240 Meter Durchmesser, auf Reflektoren abgefeuert, die im Hauptspiegel und an seiner Kante sowie an diversen Stützstrukturen angebracht sind. Aus den Lasermessungen errechnet ein Computer die jeweilige optimale Stellung der Spiegelsegmente. Dadurch ist es möglich, die Verformungen weitgehend zu kompensieren und das GBT auf eine Bogensekunde genau auszurichten. Dieser Winkel entspricht dem Durchmesser eines menschlichen Haares, betrachtet aus 1,8 Meter Entfernung. Das GBT kann jede beliebige Stelle mindestens fünf Grad über dem Horizont anvisieren – 85 Prozent des Himmels.

Auch das GBT-Design ist ein Novum in der Radioastronomie. Im Gegensatz zu allen anderen Teleskopen hängt der Sekundärspiegel seitlich über dem Hauptreflektor und wird von Trägern gehalten, die nicht wie üblich auf der Hauptantenne verankert sind, sondern an deren Rand. Das GBT ist also ein Schiefspiegel-Teleskop. Daher auch die ungewöhnliche Form des Hauptreflektors: ein 100 mal 110 Meter großer Ausschnitt eines rotationssymmetrischen 208-Meter-Paraboloids.

„Der große Vorteil ist, daß der Hauptspiegel vollständig ausgeleuchtet wird und die Träger des Sekundärspiegels nicht im Strahlengang stehen, also die Messungen nicht durch Reflexe beeinträchtigen. Früher spielten diese Effekte eine untergeordnete Rolle, aber bei den hochempfindlichen Empfängern heute stören sie sehr“, hatte mir Sebastian von Hoerner erklärt, der heute in Esslingen bei Stuttgart wohnt. 1960 kam er als erster Deutscher nach Green Bank, zunächst probeweise für ein Jahr. Geblieben ist der 1919 geborene Physiker bis 1985. „Die Arbeitsbedingungen waren einfach hervorragend – und ich liebte die Landschaft.“

Von Hoerner zählt zu den Pionieren der Radioteleskopie. In den sechziger Jahren hatte er richtungsweisende Arbeiten geleistet – mit Studien zu bis dahin von Theoretikern für unbrauchbar gehaltenen Spiegelformen und der Entwicklung des Konstruktionsprinzips der homologen Verformung. Letzteres besagt, daß man die Verbiegung großer Teleskope durch die Schwerkraft am besten nicht durch immer schwerere Trägerkonstruktionen bekämpft – „davon profitieren nur die Stahlbaufirmen“ –, sondern die Verbiegungen akzeptiert und die Konstruktion so berechnet, daß die vom Höhenwinkel abhängige Verformung den Reflektor von einer Parabolform in eine andere überführt. „Getreu dem amerikanischen Sprichwort ‚If you can’t beat them, join them‘ muß das Teleskop nicht immer stärker werden, sondern überall gleich schwach sein“, resümierte von Hoerner und beschrieb, wie er die ersten auf seinem Trick basierenden Teleskopkonstruktionen aus Strohhalmen entworfen hat. Konsequent wurde das Prinzip der homologen Verformung erstmals beim 100-Meter-Teleskop bei Effelsberg in der Eifel angewendet, das im Auftrag des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie 1968 bis 1972 gebaut wurde und bis zur Einweihung des GBT den Größenrekord hielt. Das GBT ist aber nicht nur etwas größer, sondern vor allem wesentlich empfindlicher, flexibler und genauer. „Trotzdem wird das Effelsberg-Observatorium nicht arbeitslos“, sagte von Hoerner, dessen Konstruktionsprinzip auch den Bau des GBT beeinflußt hat, obwohl dessen aktiver Hauptspiegel den Großteil der schwerkraftbedingten Verbiegungen abfängt. Außerdem hatte der Physiker zwischen 1988 und 1996 insgesamt 18 Arbeiten zum Design des Teleskops veröffentlicht und war bis zur Einweihung Mitglied im GBT-Beratungskomitee.

Der Anstoß für den Bau des GBT hätte brutaler nicht sein können: Am 15. November 1988 brach aufgrund eines unbemerkten Risses in einer Stahlplatte zwischen zwei Stützträgern plötzlich das 300-Foot-Teleskop (91,4 Meter) zusammen. Es war schon 1962 errichtet worden und ursprünglich nur für eine sechsjährige Betriebszeit vorgesehen. Der Crash geschah fast lautlos mitten im Betrieb. Glücklicherweise wurde dabei niemand verletzt. „Als ich kurze Zeit später wieder nach Green Bank kam, stand ich fassungslos vor dem riesigen Schrotthaufen“, erinnerte sich von Hoerner. „Alles war ganz eigentümlich zermanscht und verbogen. Wir waren alle traurig – aber irgendwie auch erleichtert. Jetzt mußte endlich etwas Neues her.“

„Das war ein richtiger Schock, aber innerhalb weniger Wochen wurde beschlossen, ein neues Teleskop zu bauen“, erzählt auch Philip R. Jewell, der heutige Direktor des Green Bank Observatory. Für ihn ist der 7300 Tonnen schwere Koloß – er wiegt so viel wie 19 Flugzeuge vom Typ Boeing 747 – die „ eindrucksvollste Struktur“, die er jemals gesehen hat.

„Weshalb wurde das GBT als Einzelteleskop konzipiert und nicht als Verbund mehrerer kleiner und billiger Instrumente wie beim Very Large Array der NRAO in New Mexico?“ will ich wissen. „Das GBT ist die ideale Ergänzung“, antwortet Jewell. „Es eignet sich für andere wissenschaftliche Fragestellungen und hat ein viel größeres Gesichtsfeld. Außerdem braucht das GBT die ganze Ausstattung mit Empfängern und anderen Geräten nur einmal, eine zusammengeschaltete Anlage aus mehreren Teleskopen dagegen mehrfach, was ebenfalls teuer ist. Aber wir werden das GBT auch im kontinentalen und interkontinentalen Verbund mit anderen Teleskopen betreiben.“

Nach zehnjähriger Bauzeit beginnt die Forschung jetzt endlich. „Astronomen aus aller Welt können Beobachtungsanträge stellen, die anonym und gleichberechtigt begutachtet werden“, sagt Jewell. „Das Interesse ist riesig. Nach unserer ersten Ausschreibung erhielten wir 80 Anträge von 200 Wissenschaftlern. Zunächst konnten wir nur 18 davon annehmen.“

Einer der GBT-Forschungsschwerpunkte wird die Astrochemie sein, das heißt die Suche nach bislang unbekannten Molekülen in den Staubwolken zwischen den Sternen. Jewell, einer der führenden Experten auf diesem Gebiet, hofft auf die Entdeckung von Biomolekülen, beispielsweise von Aminosäuren und einfachen Zuckern. Vielleicht stammt ein Teil der Grundbausteine des Lebens aus dem Weltraum und hat sich einst auch in Form von Meteoriten und kosmischem Staub auf die jugendliche Erde verirrt – Ingredienzen für die sprichwörtliche Ursuppe, in der vor mehr als drei Milliarden Jahren die ersten Lebensformen zusammengebraut wurden. „Sehr wichtig ist auch das Studium von Urgalaxien“, fährt Jewell fort. „Mit dem GBT können wir Kohlenmonoxid bei kurzen Wellenlängen in weit entfernten Galaxien nachweisen. Das wird es ermöglichen, die Frühzeit der Sternentwicklung im jungen Universum zu rekonstruieren.“

Zahlreiche weitere Forschungsaufgaben stehen schon fest: Die Suche nach Pulsaren in Kugelsternhaufen, die Charakterisierung von „Masern“ – natürlichen Mikrowellenlasern – in der Umgebung von Sternen und in extragalaktischen Quellen sowie von Jets bei Schwarzen Löchern, die Kartierung von Magnetfeldern im Raum zwischen den Sternen, die Aufklärung der noch immer unzureichend bekannten Struktur der Milchstraße im „Licht“ des neutralen Wasserstoffs, die Messung von ionisiertem Wasserstoff bei Planetarischen Nebeln, die Bestimmung der Massen und Distanzen von Galaxien, die Messung kosmologischer Kenngrößen wie Ausdehnungsrate und Alter des Weltalls und vieles mehr. Auch näher gelegene Ziele werden angepeilt, etwa die Erforschung der Planetenatmosphären im Sonnensystem, Radarstudien von Planetoiden, Kometen, Saturnringen und des Saturnmonds Titan.

Die ersten wissenschaftlichen Beobachtungen hatte ein Astronomenteam um Donald Campbell und Lynn Carter von der Cornell University kurz vor meiner Ankunft in Green Bank gemacht: Radarmessungen der Venus und eines Planetoiden. Optische Teleskope können nicht auf die Oberfläche unserer von Wolken vollständig verhüllten Nachbarwelt spähen, aber Radiowellen durchdringen die dichten Atmosphärenschichten mühelos. Zuletzt war die Venus vor zehn Jahren mit Radar inspiziert worden – aus einer Umlaufbahn von der amerikanischen Raumsonde Magellan. Nun hatten Campbell und seine Kollegen den Planeten mit dem neuen Sender von Arecibo auf Puerto Rico angefunkt. Dort steht das weltgrößte Radioteleskop. Allerdings läßt sich sein Hauptspiegel von 305 Meter Durchmesser im Gegensatz zum GBT nicht bewegen. Die von der Venusoberfläche reflektierten Radarstrahlen wurden – nach einer Laufzeit von insgesamt fünf Minuten hin und zurück – sowohl von Arecibo als auch vom GBT registriert. Aus den kombinierten Daten haben die Forscher ein Bild errechnet, das noch Details von 1,3 Kilometer Größe zeigt. „Das ist unglaublich“, schwärmt Ron Maddalena, mit dem ich die stufenförmigen Strukturen auf der Schwarzweißaufnahme bestaune. „Dieses Höhenprofil des Maxwell-Gebirges ist sogar schärfer als bei den Daten von Magellan.“

Auch ein erst wenige Tage zuvor entdeckter erdnaher Planetoid, 2001EC16, wurde von den Radarstrahlen ins Visier genommen, als er in achtfacher Mondentfernung an unserem Planeten vorbeizog. Arecibo und GBT machten noch 15 Meter kleine Details auf dem 150 Meter langen, irregulär geformten Brocken aus. Außerdem konnten sie seine Rotation messen. Sie ist mit einer Umdrehung alle 200 Tage eine der langsamsten, die von einem Planetoiden bekannt sind.

„Diese ersten Beobachtungen lassen schon ahnen, was wir mit dem GBT noch alles erreichen können“, meint Ron. Er brennt darauf, selbst Beobachtungszeit zugeteilt zu bekommen und will dann Sternentstehungsregionen erkunden. „Das wird das Paradies sein.“

Ich blicke ein letztes Mal auf das im Abendlicht schimmernde Superauge im Deer Creek Valley und gehe langsam zu meinem Diesel zurück. Bald wird der Gigant rund um die Uhr das Radiouniversum auskundschaften – weder vom Sonnenlicht noch von Wolken gestört. Kaum zu glauben, daß die Energie der gesamten Strahlung, die alle Radioteleskope der Welt bis heute empfangen haben, nicht einmal ausreichen würde, um eine Glühbirne eine Sekunde lang aufleuchten zu lassen. Die Teleskope von Green Bank Neben dem 100-Meter-GBT verfügt das Green Bank Observatory heute noch über sieben weitere Teleskope:

Tatel (85-1): 1958 gebautes erstes großes Radioteleskop (85 Foot, benannt nach seinem Konstrukteur Howard E. Tatel), mit dem 1960 erstmals nach Signalen von außerirdischen Intelligenzen gesucht und die Strahlenablenkung im Gravitationsfeld gemäß der Allgemeinen Relativitätstheorie gemessen wurde.

85-2 und 85-3: 20-Meter-Teleskope, die gemeinsam mit 85-1 als Green-Bank-Interferometer betrieben wurden. 85-3 hat bis 2000 regelmäßig Pulsare beobachtet.

40-Foot: Erstes automatisches Teleskop, 1962 für die Suche nach Variabilitäten in Radioquellen gebaut (dann von Interferometer abgelöst); ab 1987 für Schulklassen und Amateurastronomen.

140-Foot: 1965 eingeweihtes 43-Meter-Teleskop, fand erstmals größere Moleküle im All; 1999 mangels Geld stillgelegt.

20-Meter: 1994 fertiggestelltes Teleskop zur Messung der Kontinentalverschiebung und der Schwankungen der irdischen Polachse; seit 2000 stillgelegt.

45-Foot: 1997 gebaute Kommunikationsstation mit dem japanischen HALCA-Radioteleskop-Satelliten. Das Green-Bank-Teleskop: Geschichte – Zahlen – Fakten Der Bau des GBT wurde 1989 beschlossen und am 19. Dezember 1990 von der Firma COMSAT Corp. (heute ein Teil von Lockheed-Martin Global Telecommunications) begonnen. Im Frühjahr 1991 wurde ein fast 3800 Quadratmeter großes Betonfundament angelegt, 1992 das 64 Meter durchmessende Schienensystem. 1995 war das Stahlgerüst fertig. Eingeweiht wurde das Teleskop am 25. August 2000 – aufgrund der hochkomplexen Technik sechs Jahre später als ursprünglich geplant – und zu Ehren von Senator Robert C. Byrd, ohne dessen Hilfe bei der Finanzierung das GBT nicht hätte errichtet werden können, „Robert C. Byrd Green Bank Telescope“ getauft. Die erste Strahlung hat es bereits am 22. August bei einer Frequenz von 403 Megahertz von der Radiogalaxie 1140+223 und dem Pulsar B1133+16 empfangen. Noch immer dominiert der Testbetrieb, und es werden ständig Verbesserungen und Ergänzungen vorgenommen. Die ersten wissenschaftlichen Beobachtungen begannen am 26. März 2001. Die Bau- und Entwicklungskosten summieren sich auf 78,5 Millionen Dollar einschließlich 20 Millionen Dollar Eigenleistung des National Radio Astronomy Observatory (NRAO) an Arbeitszeit, Programmen und Geräten. Der jährliche Betrieb kostet rund neun Millionen Dollar. Finanziert wird das NRAO und somit auch das GBT von der National Science Foundation der USA. Kompakt • Das Green-Bank-Teleskop (GBT) ist das größte bewegliche Objekt auf dem Festland. Es besitzt einen aktiv verformbaren 100-Meter-Hauptspiegel, eine lasergesteuerte Präzisionsausrichtung und ein avantgardistisches Design.

• Mit Radarmessungen von der Venus und einem Planetoiden begann das

GBT seine Arbeit. Bald wird es neue Bereiche des Universums erschließen,

insbesondere in der Astrochemie, Galaxienforschung und Kosmologie. bdw-Community INTERNET

Green Bank Telescope

www.gb.nrao.edu

National Radio Astronomy Observatory

PO Box 2, Green Bank, West Virginia 24944

www.nrao.edu

Lesen

Peter G. Mezger

BLICK IN DAS KALTE WELTALL

Deutsche Verlags-Anstalt 1992

(zur Zeit vergriffen)

Reise

Von Juni bis August gibt es täglich Teleskop-Touren (Öffnungszeiten des Besucherzentrums von 9 bis 16 Uhr), auch an jedem

Wochenende von Mai bis September, außerdem ganzjährig Gruppenführungen nach Voranmeldung. Tel. +1-304-456-2150 oder -2164 (USA). Anreise: Nächstgrößere Stadt ist Staunton (Virginia). Von dort auf der US 250 West über Monterey nach

Bartow, dann auf der WV 28/92 Süd über Boyer nach Green Bank.

Rüdiger Vaas

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Po|ly|äthy|len  〈n. 11; unz.; Chem.〉 durch Polymerisation von Äthylen hergestellter Kunststoff; oV 〈fachsprachl.〉 Polyethylen … mehr

Sor|bo|se  〈f.; –; unz.; Chem.〉 durch Oxidation von Sorbit gebildeter Zucker

Ty|phon  〈n. 11〉 1 〈grch. Myth.〉 vielköpfiges Ungeheuer 2 Gerät zur Erzeugung eines Signaltons, wird in der Schifffahrt u. bei Gleisarbeiten verwendet … mehr

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