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„DENKEN SIE SICH DIE FRAGEN SELBst AUS!“

Astronomie|Physik Gesellschaft|Psychologie

„DENKEN SIE SICH DIE FRAGEN SELBst AUS!“
Astronomie einmal anders: Achim Weiß vom Max-Planck- Institut für Astrophysik äußert sich über Berührungsängste, Beweggründe und Berufs-Chancen in seiner Disziplin. Achim Weiß ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut (MPI) für Astrophysik in Garching und Privatdozent an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Am MPI für Astrophysik arbeitet er – unterbrochen von einem zweijährigen Post-Doc-Aufenthalt in den USA – seit seiner Promotion 1987. 2001 wurde Weiß (Jahrgang 1957) habilitiert. Sein Forschungsschwerpunkt sind sehr alte massearme Sterne. In seiner Freizeit begleitete er bereits drei Mal höchst erfolgreich bdw-Leserreisen als wissenschaftlicher Experte.

bild der wissenschaft: Die Begriffe Astronomie und Astrologie werden in der Öffentlichkeit oft verwechselt. Ärgert Sie das, Herr Dr. Weiß?

Achim Weiß: Wenn ich merke, dass die Person sich über die begriffliche Verwendung nicht im Klaren ist, stelle ich das richtig – und Schwamm drüber. Schlimm wird es nur, wenn der Betreffende denkt, bei beidem handele es sich um Wissenschaften, die auf einer Ebene angesiedelt sind. In solchen Fällen verwahre ich mich dagegen.

Haben Sie sich jemals tiefer mit Astrologie auseinandergesetzt?

In dem Sinn, dass ich versuche Argumente zu finden, um Leute, die ernsthaft daran glauben, davon abzubringen. Doch das ist sehr schwer, weil die Argumentationsweise von Nichtwissenschaftlern eben nicht wissenschaftlich ist.

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Wer einen Astronomen sucht, der sich bei öffentlichen Veranstaltungen direkt gegen die Astrologie ausspricht, tut sich schwer. Offenbar haben die Astronomen Angst vor der Diskussion.

Angst ist nicht das richtige Wort. Es gibt mehrere Gründe für unsere Zurückhaltung, der wichtigste ist – der auch für mich gilt –, dass man sich aggressiven Astrologen unterlegen fühlt. Wir sind gewohnt, auf objektiver Basis zu argumentieren, während Astrologen schlicht Behauptungen aufstellen. Wenn wir uns auf dieses Niveau begeben, würden wir uns als Wissenschaftler selbst entwerten. Das heißt, es gibt keine gemeinsame Argumentationsbasis.

Manche Astrophysiker behaupten, es gäbe Paralleluniversen oder Quantenkosmen, wofür jeder Beweis fehlt. Wo ist der Unterschied?

Der Unterschied besteht darin, dass das Hypothesen sind, die sich aufgrund von aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen ergeben können. Die daran arbeitenden Wissenschaftler belegen ihre

Annahmen wissenschaftlich und wären sofort bereit, diese zu

verändern, wenn ihnen Kollegen einen Fehler oder einen Widerspruch nachweisen würden.

Welchen Stellenwert messen Sie persönlich Kollegen zu, die sich mit solchen gleichermaßen faszinierenden wie entlegenen Fragestellungen beschäftigen?

Die Thesen in der randständigen Kosmologie sind spekulativer als das, was die meisten Astrophysiker machen, zu denen auch ich mich zähle. Das Risiko ist dort sehr groß, dass man Theorien aufstellt, die rasch als falsch entlarvt werden. Andererseits sind solche Thesen die Herausforderung, die die Wissenschaft braucht, um über Bestehendes hinauszugehen.

Das Arbeitsfeld der randständigen Kosmologie wird von vielen Astrophysikern nicht beackert. Ob da jemand schräge Furchen zieht, merkt doch keiner.

Solange die Theorien kaum Vorhersagen liefern, die im normalen astrophysikalischen Geschäft überprüft werden könnten, beschäftigt sich der klassische Astrophysiker kaum damit, sondern wartet, bis aus der Theorie etwas Greifbares geworden ist. Andererseits werden entlegene kosmologische Theorien von der Öffentlichkeit wohlwollend aufgenommen und bringen dort oft mehr Ruhm ein als die ,greifbaren‘ Ergebnisse beim kleinen, aber konkreten

Wissensgewinn der normalen Astrophysik.

In der Tat verkaufen sich bei bild der wissenschaft exotische kosmologische Titelthemen besonders gut.

Das kann ich nachvollziehen. Schließlich geht es dabei stets um die großen Fragen nach dem Woher, Wohin und Warum der Welt, die natürlich auch eine große Öffentlichkeit geklärt haben möchte. Dagegen erscheinen die Forschungsergebnisse der normalen Astrophysiker, die sich beispielsweise mit dem Aufbau der Sterne oder der Galaxien beschäftigen, geradezu banal.

Sie sind unzufrieden mit der öffentlichen Resonanz auf Ihre Forschung?

Nein, gar nicht. Wenn man den Leuten erklärt, was man macht und warum, stellen sich ganz schnell große Neugier und echtes Interesse ein.

Astronom, Astrophysiker – was macht wer?

Die Begriffe werden synonym gebraucht, und es handelt sich dabei um ein und dieselbe Disziplin. Wer genauer nachfragt, erfährt, dass unter die Astronomie eher der beobachtende Aspekt fällt und unter die Astrophysik eher die Modellierung und die Anwendung physikalischer Gesetze. Vereinfacht könnte man die experimentelle Ausrichtung als Astronomie und die theoretische als Astrophysik bezeichnen.

Nach dem Publikationsindex Astronomie, den bild der wissenschaft 2006 veröffentlichte, ist Ihr Institut jenes, dessen Arbeiten am häufigsten zitiert werden, was auf eine hohe Forschungsqualität hinweist. Auf was führen Sie diese Top-Position zurück?

Wir haben Direktoren, die herausragend sind. Von Simon White und von Rashid Sunyaev beispielsweise – zwei unserer insgesamt vier Direktoren – gibt es Publikationen, die mehr als tausendmal

zitiert wurden und den Durchschnitt nach oben drücken. Ein anderer Grund ist, dass unser Institut auf allen Ebenen – also bis hinunter zum Doktoranden – sehr produktiv ist: Das ist unsere Institutskultur. Und wir sind produktiv, weil wir kommunikativ sind. Eines kommt hinzu: Die meisten Wissenschaftler sind von Arbeiten freigestellt, die die eigene Forschung bremsen würden.

Klingt einladend. Wie ergattert man denn als junger Wissenschaftler eine Stelle am Max-Planck-Institut für Astrophysik?

Die Stellen werden international ausgeschrieben. Bewerbungen kommen aus der ganzen Welt. Natürlich ist es günstig, wenn man persönliche Kontakte hat, was in der Regel nicht schwierig ist: Astronomen und Astrophysiker sind gut vernetzt. Die Bewerber durchlaufen ein Auswahlverfahren und haben bei guter Qualifikation eine Chance, egal woher sie kommen und auf welchem Gebiet sie arbeiten.

Das hört sich so an, dass gute Beziehungen eine wichtige Rolle spielen bei der Stellenvergabe. Hilft Vitamin B weiter?

Ein Bewerber, der persönlich bekannt ist, kann besser eingeschätzt werden. Wird jemand von jemandem empfohlen, dem man persönlich vertraut, gilt dasselbe. Bei allen anderen muss man der Papierform trauen, was man ungern macht. Um es aber klar zu sagen: Das heißt noch lange nicht, dass Stellen aufgrund von Gefälligkeiten vergeben werden. Es geht – vor allem anderen – um die wissenschaftliche Leistung.

Sie persönlich beschäftigen sich mit der Struktur und dem Aufbau massearmer Sterne. Ist das, was Sie machen, so darstellbar, dass es bei etwas gutem Willen auch Außenstehende begreifen können?

Das klappt insbesondere dann, wenn ich auf die ,Nützlichkeit‘

dieser Sterne eingehe. Weil die Sterne eine geringe Masse haben, können sie sehr alt werden. Die ältesten Sterne im Universum sind Sterne dieser Art. Bis vor einigen Jahren konnte die Frage nach dem Alter des Universums nicht klar beantwortet werden. Aber man wusste: Wenn man das Alter der massearmen Sterne weiß, kennt man auch das Alter des Universums. Deshalb wollten wir diese Sterne verstehen lernen. Eine meiner Arbeiten war, über die ältesten massearmen Sterne Grenzen für das Alter des Universums festzulegen. Mit meinen Kollegen ermittelten wir damals etwa 13 Milliarden Jahre als Untergrenze. Dieses Ergebnis hat bis heute Bestand. Zweitens kann die Bedeutung von Arbeiten über massearme Sterne Außenstehenden darüber vermittelt werden, dass diese Sterne Informationen über eine Zeit enthalten, in der das Universum zu leuchten anfing. Unmittelbar nach dem Urknall gab es erst einmal einige Hundert Millionen Jahre ein dunkles Zeitalter.

Wie alt sind die ältesten Ihnen bekannten Sterne?

Etwa 12 Milliarden Jahre, mit einer Unsicherheit von einer Milliarde Jahre. Der Urknall liegt 13,7 Milliarden Jahre zurück. Das passt deutlich besser als vor 15 Jahren: Bis dahin waren wir mit Ergebnissen konfrontiert, wonach die ältesten Sterne älter als der Urknall wären.

Welche neuen Erkenntnisse faszinieren Sie in Ihrem Forschungsgebiet am meisten?

Zweierlei: Für mein Forschungsgebiet – genau wie für das Verständnis der Entwicklung des Universums – sind es die immer besseren Daten über Sterne, die ganz, ganz wenig schwere Elemente haben. Es müsste eine erste Stern-Generation gegeben haben, deren Mitglieder nur aus Wasserstoff und Helium bestanden – Materie, die direkt vom Urknall stammt. Solche Sterne gibt es wohl nicht mehr. Aber wir kennen Sterne, die lediglich ein Hunderttausendstel dessen an schwereren Elementen enthalten, was die Sonne besitzt. Von diesen findet man immer mehr. Aufregend ist, dass offenbar jeder dieser Sterne eine andere chemische Zusammensetzung hat.

Aufregend?

Ich finde das aufregend, weil wir Sterne plötzlich als Individuen

sehen können.

Und woher rührt Ihre zweite Faszination?

Bei der chemischen Zusammensetzung der Sonne hat es in jüngster Zeit eine revolutionäre Erkenntnis gegeben: Möglicherweise enthält sie 30 bis 40 Prozent weniger Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff als bisher angenommen. Bis vor wenigen Jahren lebten die Sonnenforscher im Paradies: Unsere Modelle konnten das, was sich im Inneren der Sonne abspielt, hervorragend reproduzieren. Dann hat eine Gruppe von Astrophysikern – einer davon ist unser jüngster Direktor Martin Asplund – mit deutlich verbesserten Methoden die elementare Zusammensetzung der Sonne nochmals analysiert. Mit dem Ergebnis, dass ihre elementare Mischung revidiert werden musste und dass nun unsere schönen Modelle die Sonne nicht mehr so gut reproduzieren. Das ist erst einmal enttäuschend. Man wehrt sich wahrzunehmen, dass man aus dem Paradies vertrieben wurde. Doch es ist gleichzeitig auch spannend: Warum haben wir falsch gelegen?

Dass die Zusammensetzung der Sonne anders ist als lange angenommen, ist gesichert?

Nicht völlig, die Lösung ist noch offen. Es kann durchaus sein, dass weitere Verbesserungen bei der Analyse des Sonnenlichts wieder ein Ergebnis bringen, das näher beim alten liegt (bild der wissenschaft 12/2008, „Die Sonnenkrise“). Auch wenn das für einen Außenstehenden bizarr klingen mag: Für unsere Modellieransätze sind solche irritierenden Zusammenhänge geradezu wegweisend.

Astronomen sind unersättlich, wenn es um Fördermittel für Infrastruktur geht. Kaum haben sie das modernste Gerät zur Verfügung, fordern sie bereits die nächste und übernächste Generation. Geht es nicht auch ein bisschen bescheidener?

Die Planungszeiten sind extrem lang – oft mehrere Jahrzehnte. Schon deshalb muss man sich bereits heute Gedanken zur übernächsten Gerätegeneration machen. Wenn man mit neuen

Instrumenten neue Erkenntnisse gewinnen kann, ist eine solche Anschaffung aus Sicht der Wissenschaftler geradezu überlebensnotwendig. Solange Astronomie und Astrophysik die derzeitige öffentliche Akzeptanz behalten, sind die zwei oder drei Milliarden Euro, die über Jahrzehnte für ein Großexperiment von mehreren Staaten gemeinsam zur Verfügung gestellt werden müssen, wohl wenig angefochten.

Wie hängt Ihre Arbeit von neu gewonnenen Daten ab?

Wenn wir astrophysikalische Modelle bilden wollen, stellen wir oft fest, dass uns bestimmte Daten fehlen oder nicht genau genug

beobachtet wurden. Sehr oft bräuchten wir detailliertere Beobachtungen von Effekten. Deshalb sind wir glücklich, wenn es neue Experimente gibt, die unseren Datenmangel beheben helfen. Dieses Spiel zwischen Theorie und Experiment läuft auch andersherum ab.

Die neuen Geräte liefern Daten, die nicht zu unseren Modellen passen, sodass wir diese verbessern oder auch verwerfen müssen.

Was zeichnet einen erfolgreichen Grundlagenforscher aus?

Bei uns ist die Kreativität ganz wichtig, schon deshalb, weil wir keine Probleme lösen, die von anderen an uns herangetragen werden – wie das etwa bei Ingenieuren der Fall ist –, sondern uns unsere Aufgaben selbst ausdenken müssen. Meinen Doktoranden sage ich: Bisher mussten Sie Antworten finden auf Fragen, die Ihnen gestellt wurden. Jetzt heißt es, sich selbst Fragen auszudenken – und das ist sehr viel schwieriger. Die guten Grundlagenforscher kommen zu ihren Fragestellungen aus einem breiten Wissen heraus. Wer erfolgreich sein will, muss Beziehungen knüpfen können unter Bereichen, die scheinbar nicht zusammenhängen.

Was hält der Grundlagenforscher Achim Weiß von Science-Fiction?

Ich genieße sie. Gute Science-Fiction-Romane mit wirklich neuen Gedanken – wie sie beispielsweise Isaac Asimov schrieb – sind für mich sehr spannend. Zwar kommen ab und zu kritische Gedanken, weil manche Dinge im völligen Widerspruch zur Physik stehen, aber dann ertappe ich mich oft, darüber nachzudenken, ob die beschriebene Entwicklung nicht doch eines Tages durch entsprechende Forschung Realität werden könnte.

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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