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Wo sind die reichen Väter?

Geschichte|Archäologie Gesellschaft|Psychologie

Wo sind die reichen Väter?
Erfolgreiche Männer erkannte man früher auch an der Zahl ihrer Kinder. Heute zeugen sie weniger Nachwuchs – ganz gegen den genetischen Imperativ.

Wenn es unseren Vorfahren gut ging, münzten sie diesen Wohlstand in Kinderreichtum um. Die Reichen in den westlichen Industrienationen verstoßen heute in eklatanter Form gegen dieses Gesetz: Anstatt reproduktives Kapital aus ihrem Überfluss zu schlagen, pflanzen sie sich besonders verhalten fort.

Während unserer gesamten Geschichte haben reiche und mächtige Männer einen überdurchschnittlich großen Kinderreichtum angehäuft. Moulay Ismail, der Blutrünstige, ein marokkanischer Herrscher im 17. Jahrhundert, nannte sogar 888 Sprösslingen sein Eigen. Doch seit der Industriellen Revolution im 19. Jahrhundert ist der Trend gekippt, wie der Psychologe Satoshi Kanazawa von der University of Canterbury herausgefunden hat: Die Unterschicht vermehrt sich heute tüchtiger als das Establishment.

Historiker und Ökonomen zerbrechen sich den Kopf über dieses Phänomen, das der Bielefelder Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg als „demographisch-ökonomisches Paradoxon“ bezeichnet. Für die Soziobiologie steht nach Ansicht von Kanazawa die wissenschaftliche Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. Denn nach deren Kernaussage sind alle Lebewesen durch die Evolution darauf getrimmt, alles zu tun, um ihre Erbfaktoren möglichst weit im Gen-Pool zu streuen. Die Evolution würde kaum zulassen, dass sich in den Köpfen der Menschen eine Denkweise etabliert, die diesem genetischen Imperativ zuwiderläuft.

Eines gerät bei dem Disput um den Nachwuchs jedoch leicht in Vergessenheit: Es ist nicht in erster Linie der Kinderwunsch, der uns zum Kinderkriegen animiert – die Evolution hat den Tieren und Menschen die blinde Lust am Kopulieren eingehaucht. „Obermacker“ aber waren bei jungen und fruchtbaren Frauen schon immer gut angeschrieben. Daher streuten die Reichen und Schönen ihre Gene vor der Erfindung der Verhütungsmittel besonders erfolgreich aus.

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Um zu testen, ob der genetische Imperativ auch heute noch Geltung hat, untersuchte Kanazawa die größte und sorgfältigste Datenbasis zum menschlichen Sexualverhalten: An der University of Chicago werden seit 1973 regelmäßig mehrere Tausend zufällig ausgewählte Erwachsene nach ihrem Liebesleben befragt. Für seine Analyse wertete der britische Forscher die Angaben von 13 409 Probanden aus.

Fazit: Beim Geschlechtstrieb gelten heute die gleichen Gesetze wie einst im Neanderthal. Wirtschaftlich erfolgreiche Männer haben nach wie vor eine deutlich größere Zahl von Sexualkontakten und eine größere Zahl wechselnder Bettgefährtinnen. Zudem praktizieren sie mit jeder einzelnen Partnerin häufiger Intimverkehr.

Der käuflichen Liebe frönen reiche Männer genauso selten wie die Habenichtse. Und das, obwohl der hohe Preis laut Umfragen viele potenzielle Kunden vom Bordellbesuch abhält. „Geldmänner haben nicht deshalb mehr Sex, weil sie ihn kaufen, sondern weil sie von vielen Frauen sowieso bevorzugt als Geschlechtspartner auserkoren werden“, meint Kanazawa.

Vor dem Siegeszug der Verhütungsmittel zahlte sich diese Bevorzugung in Kinderreichtum aus. Der männliche Leitsatz „Nutze jede Gelegenheit zum Sex“ garantierte die Verbreitung der eigenen Gene. Die Evolution hatte noch nicht genügend Zeit, den Trieb den veränderten Umständen anzupassen.

Beim weiblichen Geschlecht sehen die Dinge übrigens anders aus: Vermögende Frauen setzen ihren Wohlstand keineswegs in eine höhere Zahl von Sexualkontakten um. „Wohlstand ist ein Kriterium, das Frauen bei Männern als Partner anlegen, aber keines für Männer, wenn sie sich eine Frau aussuchen“, kommentiert der Wissenschaftler.

Es sind wohl immer noch die Zeichen von Jugend und Fruchtbarkeit, die Frauen für Männer sexy machen. Ältere Frauen haben daher besonders wenige Sexualkontakte – noch weniger als mittellose Männer. ■

Rolf Degen

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