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„ICH HATTE MIT 50 000 VERKÄUFEN GELIEBÄUGELT“

Astronomie|Physik

„ICH HATTE MIT 50 000 VERKÄUFEN GELIEBÄUGELT“
Günther Hasinger ist erfolgreich – als Wissenschaftler und als Wissenschaftspopularisierer. 2008 wurde sein Buch über das Universum als „Wissenschaftsbuch des Jahres“ ausgezeichnet. Was steckt hinter diesem Multitalent? Das Gespräch führten Uta Altmann und Wolfgang Hess

bild der wissenschaft: Seit wenigen Monaten sind Sie Chef des

Astronomischen Instituts (IfA) der University of Hawaii, das

einige der leistungsfähigsten Teleskope der Welt betreibt. Wie schafft man es als Deutscher, eine so herausragende Position in der US-Forschung zu erklimmen, Herr Prof. Hasinger?

Günther Hasinger: Die Wissenschaft ist international. Am IfA ist sie geradezu ein Schmelztiegel der Nationen. Die Mitarbeiter werden weltweit und auf dem leistungsfähigsten Niveau rekrutiert. Ich freue mich, dass es mir gelungen ist, mich bei der Neubesetzung des Chefsessels gegen starke Konkurrenz durchzusetzen. Mein Vorgänger, Prof. Rolf-Peter Kudritzki, ist im Übrigen auch ein Deutscher, ja sogar wie ich ein Münchner.

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Als Schüler haben Sie in der Rockgruppe Saffran gespielt, die es sogar auf das Cover des Kultmagazins „Bravo“ schaffte. Anschließend liebäugelten Sie damit, Tontechniker beim Bayerischen Rundfunk zu werden. Aber Sie studierten Astronomie und wurden Experte für Röntgensatelliten und Professor in Potsdam. Dann berief Sie die Max-Planck-Gesellschaft zum Direktor an zwei völlig verschiedenen Instituten. So nebenbei verfügen Sie noch über die Gabe, komplizierte Dinge sehr verständlich zu vermitteln. Sie halten populäre Vorträge, und Ihr Buch „Das Schicksal des Universums“ wurde 2008 als „Wissenschaftsbuch des Jahres“ ausgezeichnet. Offenbar sind Sie nicht nur ein Multitalent, sondern auch ein Günther im Glück.

Wenn ich etwas Neues beginne, mache ich das immer vollen Herzens. So war es auch, als der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Peter Gruss, auf mich zukam. Er machte mir 2008 den Vorschlag, die Verantwortung als wissenschaftlicher Direktor des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik IPP zu übernehmen und meinen Posten als Direktor am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik abzugeben. Das IPP ist eine der weltführenden Forschungseinrichtungen, die sich mit der Kernfusion beschäftigen. Es war eine spannende Herausforderung für mich, bei der Entwicklung einer neuen Energiequelle mitzuwirken. Andererseits schlug mein wissenschaftliches Herz nach wie vor für die Sterne, weshalb ich mich im vergangenen Jahr in Hawaii beworben habe.

Und da war wirklich keine Resignation gegenüber der Kernfusion dabei, die wir ja vielleicht gar nicht mehr brauchen? Vor wenigen Wochen konstatierte die angesehene Fraunhofer-Gesellschaft: „Die Studie mit dem Titel ,Vision für ein 100 Prozent erneuerbares Energiesystem‘ zeigt, wie sich bis zum Jahr 2050 eine zuverlässige, kostengünstige und robuste Energieversorgung mit erneuerbaren Quellen in Deutschland erreichen lässt.“

Die Fraunhofer-Perspektive mag in Deutschland zutreffen. Unsere Bevölkerung schrumpft – und wir könnten unseren sehr hohen Energieverbrauch in der Tat halbieren. Global betrachtet sieht es aber völlig anders aus: Wohlstand und Kinderreichtum sind umgekehrt proportional. Wenn wir es nicht schaffen, den armen Ländern Elektrizität und andere moderne Infrastrukturleistungen bereitzustellen, wird die Bevölkerung dort weiter dramatisch zunehmen. Zu den Reichen der Welt zählen etwa 500 Millionen Menschen, zu den Armen 6,3 Milliarden. Soll hier eine Annäherung geschaffen werden, würde sich der weltweite Stromverbrauch bis zum Ende des Jahrhunderts versechsfachen. Dafür reichen regenerative Lösungen alleine nicht aus. Ich bin davon überzeugt, dass wir die Kernfusion brauchen, um den künftigen Strombedarf der Welt zu decken.

Drängt es Sie vor diesem Hintergrund nicht, ein Buch zum Thema Kernfusion zu schreiben?

Kernfusion allein erschiene mir zu wenig. Wenn ich ein Buch schreiben wollte, dann eines zum Gesamtkomplex der globalen Energie-Erzeugung. Da gibt es dermaßen viele falsche Darstellungen, dass ein richtigstellendes Buch geradezu Not tut. Es existieren keine einfachen Lösungen, obwohl uns das derzeit allenthalben vorgegaukelt wird. Aber auch wenn es mir in den Fingern juckt – für ein solches Buch habe ich gerade keine Zeit.

Wie hat sich denn Ihre Auszeichnung 2008 auf den Verkauf Ihres Buches über das Universum ausgewirkt?

Die Auszeichnung brachte eine solche Nachfrage, dass sich der Verlag zu einer vierten Auflage entschloss. Und fast zum selben Zeitpunkt kam das Buch als Taschenbuch heraus.

Wie gut hat sich „Das Schicksal des Universums“ verkauft?

Die Hardcover-Version kam bisher auf über 10 000 Exemplare, und die Taschenbuchauflage stieß ebenfalls schon in diese Größenordnung vor.

Damit kann man ja wirklich zufrieden sein als astronomischer Sachbuchautor …

Ich hatte ursprünglich mit 50 000 Verkäufen geliebäugelt. Mein großes Vorbild war Rudolf Kippenhahn, der ehemalige Direktor am Max-Planck-Institut für Astrophysik, der in diese Größenordnung vorgestoßen ist.

Das heißt, Professor Kippenhahn, der früher im Beirat von bild der wissenschaft war und viele bdw-Leserreisen wissenschaftlich begleitet hat, ist zumindest indirekt Initiator Ihres Erfolgsbuches?

Mehr noch: Herrn Kippenhahn habe ich es zu verdanken, dass ich Astronom geworden bin. Durch seine faszinierenden Vorträge hat er mich zu diesem Beruf motiviert. Bei dem Buch hat auch meine Frau eine wichtige Rolle gespielt. Sie arbeitete damals im Buchhandel und kannte viele wichtige Verlagsvertreter – unter anderem vom Verlag C.H. Beck. Das war ein Türöffner. Bei einem Abendessen für Freunde waren auch Mitarbeiter dieses Verlags. Dabei habe ich meine Idee eines populären Sachbuchs über das Universum vorgestellt. Das erste Kapitel hatte ich bereits geschrieben. Unsere Besucher waren so begeistert, dass sie mir gleich einen Vertrag vermittelt haben.

Wie lange haben Sie gebraucht, um Ihr umfangreiches Manuskript zu verfassen? Das Buch hat immerhin fast 300 Seiten.

Der Vertrag sah vor, dass ich das Manuskript nach zwei Jahren vollständig abzugeben hätte.

Und wie oft mussten Sie um eine zeitliche Verlängerung bitten?

Ich war bereits zwei Monate vor Ablauf des Termins fertig. Auch das hing mit Hawaii zusammen. Denn 2007 war ich schon einmal drei Monate als Astronom auf Hawaii – in einem Sabbatical, also einer Auszeit, um Forschung voranzutreiben. Weil ich das Buch unbedingt vorher fertig haben wollte, drückte ich auf die Tube. Mein Lektor war ganz überrascht, von einem Wissenschaftler ein Buch mal früher als abgemacht zu bekommen. Er meinte, so etwas wäre ihm noch nie passiert.

Das heißt, Sie schreiben wie auf Knopfdruck?

Zuerst habe ich immer eine sehr große Hemmschwelle. Ich räume dann erst einmal den Schreibtisch auf und erledige alle möglichen Dinge, ehe ich mich wirklich ans Schreiben mache. Doch wenn ich mich darauf konzentrieren kann, komme ich schnell voran. Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich für das erste Drittel des Buches eineinhalb Jahre gebraucht – für die anderen zwei Drittel dann nur zwei Monate.

Im Tagesgeschäft kommunizieren Sie mit Experten in einer Expertensprache. Doch Ihr Buch ist so geschrieben, dass es ein Abiturient versteht. Haben Sie Ihren ersten Manuskriptentwurf in einem zweiten Arbeitsgang auf allgemein verständliches Niveau heruntertransformiert?

Nein, das Buch ist in der Sprache entstanden, in der es gedruckt ist. Allgemeinverständlichkeit fällt mir nicht schwer, weil ich seit Langem öffentliche Vorträge über Astronomie halte. Die meiste Zeit verging für die Recherche. Denn dabei stellte sich heraus, dass ich manches nicht verstanden hatte. Ich bin deshalb sogar bei den Wissenschaftlern vorstellig geworden, die diese Sachverhalte erstmals publiziert hatten – mit der erstaunlichen Feststellung, dass auch sie meine Fragen nicht immer befriedigend beantworten konnten. Ich habe also weiter gebohrt. Manche Passagen könnte ich heute sogar noch anschaulicher schreiben.

Vielleicht sollten Sie Ihr Buch in einer überarbeiteten Version neu herausbringen?

Das habe ich tatsächlich vor – aber auf Englisch. Mein Buch wurde bisher zwar ins Tschechische übertragen, nicht aber ins Englische.

Warum?

Der englischsprachige Markt akzeptiert keine übersetzten Ausgaben. Offenbar ist dieser Markt durch viele gute Autoren gesättigt. Weil ich aber auch in den USA oder in Australien gelesen werden möchte, muss ich das Buch neu schreiben. Ideal ist, dass ich jetzt aus der Perspektive eines Astronomen schreiben kann, der auf Hawaii arbeitet.

Wie haben Ihre Kollegen Max-Planck-Direktoren auf Ihr populärwissenschaftliches Autorendebüt reagiert?

Insgesamt war die Resonanz positiv. Nachdem ich mich 2004 für eine Serie „Prof. Hasinger erklärt das Universum“ der Bild-Zeitung zur Verfügung gestellt hatte, konnte mich keine Reaktion aus dem Kollegenkreis mehr erschüttern. Damals titelte Bild: „Deutschlands berühmtester Astrophysiker glaubt an Leben im All“. Ich hatte damit allerdings bakterielle oder ähnlich einfache Lebensformen gemeint. Mein „eher nein“ auf die Frage nach intelligentem Leben wurde auf die letzte Seite verbannt.

Welche Chancen geben Sie prinzipiell dem Buch in der Zukunft?

Die Leute werden weiter längere Werke lesen. Ob das via gedrucktem Buch geschieht oder als E-Book will ich mal offen lassen. E-Reader haben den Vorteil, dass man über 30 000 Bücher in einem schicken kleinen Format abspeichern kann. Beim jüngsten Flug zurück von Hawaii haben allein in meiner Sitzplatzreihe vier Passagiere ein E-Book gelesen.

Dennoch scheint es, dass Jüngere seltener zum Buch greifen, weil sie durch ihre Sozialisation auf andere Medien gepolt sind.

Das sehe ich auch bei unseren Söhnen. Die wohnen in verschiedenen Städten und treffen sich gelegentlich am Computer, um per Web-Cam Karten zu spielen und auch zu anderen Spielen. Trotzdem lesen sie Bücher. Das bemerke ich auch bei anderen: Wer sich intensiver mit etwas beschäftigen möchte, greift zu einem Buch.

Haben Sie einen Lieblingsautor?

Eindeutig: Stephen King.

Welchen Stellenwert hat die Auszeichnung „ Wissenschaftsbuch des Jahres“ für Sie persönlich?

Das ist schon was! Außer dem Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft hatte ich bis dahin noch keine große Auszeichnung erhalten. Der einzige Wermutstropfen war, dass ich den Preis bekam, als ich bereits Direktor des IPP war. Wäre ich noch oder schon wieder Direktor eines Astronomie-Instituts gewesen, hätte ich davon noch mehr profitieren können.

In diesem Jahr wird bild der wissenschaft die Jury für das „Wissensbuch des Jahres“, wie die Auszeichnung jetzt heißt, um eine zwölfte Jurorenstimme erweitern: Die Leserinnen und Leser können abstimmen, welche der von der Jury vorgeschlagenen Bücher ihnen am besten gefallen.

Diese Erweiterung finde ich sehr gut. Das macht die Wahl für das Wissensbuch des Jahres weithin sichtbar, und es wird eine größere Öffentlichkeit erzielt. Ich bin überzeugt: Die Auszeichnung wird dadurch noch wertvoller. ■

Günther Hasinger leitet seit Januar 2011 das Institute for Astronomy der University of Hawaii, das rund 250 Wissenschaftler beschäftigt. Der gebürtige Oberammergauer (Jahrgang 1954) promovierte 1984 über Beobachtungen des Krebsnebels im harten Röntgenlicht. Von 1994 bis 2001 war er Professor für Astrophysik an der Universität Potsdam, anschließend bis 2008 Direktor der Röntgen- und Gammagruppe am Max-Planck-Institut (MPI) für extraterrestrische Physik. Von November 2008 bis Januar 2011 war er Chef des MPI für Plasmaphysik in Garching bei München. Hasinger (im Bild hinter einer Armillarsphäre) hat die Begabung, wissenschaftlich höchst komplexe Sachverhalte prägnant und allgemein verständlich darzustellen. 2008 wurde sein Buch „Das Schicksal des Universums“ als Wissenschaftsbuch des Jahres in der Kategorie „Überblick“ ausgezeichnet.

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