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VORBILD FRUCHTFLIEGE

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VORBILD FRUCHTFLIEGE
In Tierversuchen zeigen sich verblüffende lebensverlängernde Effekte durch bestimmte Diäten oder Medikamente. Forscher loten jetzt aus, ob auch Menschen länger jung bleiben können.

„Nur einen Wildkräuter-Cocktail“, sagt John Switzer mit deutlich amerikanischem Akzent, habe er heute Morgen „gegessen“ – ohne seither einen Hauch von Hunger zu verspüren. Es ist 14 Uhr. Der 53-Jährige aus Feldafing am Starnberger See ist seit zehn Jahren auf „Kalorienbegrenzung“, wie er sagt, und hofft auf ein „ langes und vor allem gesundes Leben“. Maximal 1800 Kalorien täglich statt 2500 bis 3000 wie früher. Mithin gut 30 bis 40 Prozent weniger – das ist kein Zuckerlecken. „Ich habe vieles probiert und bin einige Male auf die Nase gefallen“, räumt Switzer freimütig ein. Anfangs litt er unter Durchfällen, Kopfschmerzen, Schwitzen, Missmut. „Da werfen viele das Handtuch.“ Überhaupt könne die Kalorienreduktion nur funktionieren, wenn man die Zufuhr hochwertiger Nährstoffe sichere. Seine Geheimwaffe dafür seien die Wildkräuter: „Wenige Kalorien, extrem nahrhaft.“ Dann erzählt der über 1,90 Meter große Schlaks (Body-Mass-Index: 19) wundersame Dinge: „Ich kriege keinen Heuschnupfen und keine Erkältungen mehr. Meine Ekzeme sind weg. Mein Haarausfall hat aufgehört. Ich fühle mich wie 30. Das Gefühl ist fantastisch.“

Dass Ernährung, Stoffwechsel und Altern zusammenhängen könnten, ahnen Forscher, seit sie erstmals Ratten auf strikte Dauer- Diät setzten – und diese Nager prompt länger lebten als ihre Artgenossen. Zwar ist die Datenlage beim Menschen keineswegs eindeutig, obwohl nach Meinung von Experten das Zeitalter der „ neuen Biologie des Alterns“ angebrochen ist, wie es die Genetikerin Linda Partridge ausdrückt. Für Visionen von ewiger Jugend taugen Tierversuche jedoch allemal, wie sie jetzt auch am neuen Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns in Köln vorgenommen werden. Die gebürtige Engländerin Partridge forscht dort als Direktorin. Und sie sieht mittel- bis langfristig eine völlig andere, eine vorsorgende Medizin voraus: „Schutz vor dem Altern bedeutet auch Schutz vor verschiedenen altersbedingten Erkrankungen.“ Das heißt: vor Herzinfarkt, Schlaganfall und Diabetes, vor Krebs, Grauem Star und Knochenschwund, vor Demenz und Parkinsonscher Erkrankung.

Fünf mal so lange leben

Der Weg dahin ist freilich lang und steinig. Im Wissen, dass vorzugsweise einfache Lösungen einem breiten Publikum schmackhaft gemacht werden können, suchen die Forscher nach Medikamenten, „ die in die molekularen Signalwege des Alterns eingreifen und den Prozess verlangsamen.“ Noch vor Jahren gehörten derlei Überlegungen ins Reich der Fabel. Doch immer mehr entwirrt sich das Geflecht der molekularen Signalwege, die hinter den Verfallsprozessen stecken. Es zeigt sich: Indem die Biologen an den Signalwegen beteiligte Gene gezielt verändern, lösen sie drastische Folgen aus. Bei manchen „Modellorganismen“ wie Hefe, Fadenwurm, Fruchtfliege und auch vielen Stämmen der Labormaus „ verlängert sich die Lebensspanne je nach Spezies um ein Viertel bis zum Fünffachen“, sagt Luigi Fontana, italienischer Alterns- und Stoffwechselexperte in Diensten der Washington University School of Medicine in St. Louis. Noch verblüffender: Sie bleiben von tierischen Altersleiden weitgehend verschont.

Zwei der wichtigsten Signalwege der Alterung sind Stoffwechselexperten wohlbekannt. Sie werden in verschiedenen Organismen unterschiedlich bezeichnet, haben aber stets die gleiche Funktion: zum einen der bei Säugetieren nach dem Protein IGF-1 benannte Signalweg mit so wichtigen Genen wie dem für den Insulin-Rezeptor. An ihm docken insulinähnliche Hormone an und steuern den Energiestoffwechsel der jeweiligen Zelle. Zum anderen der nach dem Protein mTOR benannte Signalweg, der Zellwachstum und -teilung sowie die Produktion von Proteinen reguliert. Die beiden Kommunikationspfade hängen zusammen. Fast monatlich berichten Forscher von hochkarätigen Entdeckungen um diese und weitere beteiligte Signalwege. Drei Beispiele:

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• Ein in der Transplantationsmedizin gängiges immunschwächendes Medikament namens Rapamycin verlängert – hoch dosiert – das Leben von Labormäusen, indem es mTOR blockiert. Infolgedessen bremst wahrscheinlich der Stoffwechsel die verfügbare Menge an Nährstoffen.

• In zwei Labormaus-Modellen mit Gen-Defekten, die auf unterschiedliche Weise die Alzheimersche Erkrankung begünstigen, hat Rapamycin Lern- und Gedächtnisfunktionen erheblich verbessert. Die Forscher gehen davon aus, dass Rapamycin einen grundlegenden Prozess der Krankheitsentstehung positiv beeinflusst – an der Wurzel der Alterung.

• Rapamycin kommt wegen seiner immunschwächenden Funktion nicht als Anti-Aging-Wunderwaffe in Frage. Doch schon stehen neue molekulare Angriffspunkte für Medikamente auf dem Plan. Beispielsweise das Protein S6K1, dessen Blockade Mäuse zu quicklebendigen Methusalems macht. Oder das Protein Sestrin.

„Wir sollten ein Medikament finden“, fordert Linda Partridge. Jeder Mensch ab einem bestimmten Alter könnte dann selbst entscheiden, ob er die Pillen gegen den Verfall vorbeugend schlucken will. Doch bis es vielleicht in ein, zwei oder drei Jahrzehnten so weit sein könnte, gibt es lediglich die Trumpfkarte Ernährung. Das glauben zumindest die sogenannten CRONies, die Anhänger der „Calorie Restriction Society International“. Sie leben das, was in ihren Augen durch Tierversuche längst bewiesen ist. In fast allen bislang untersuchten Modellorganismen „fährt eine 10- bis 30-prozentige Kalorienreduktion die Aktivität der wichtigen Signalwege des Alterns herunter“, erklärt Stoffwechselexperte Luigi Fontana. Vor allem mTOR und IGF-1 werden gebremst – genau so, wie es nach Manipulation der beteiligten Gene passiert. Der ernährungsbedingte Jungbrunnen verlängert die maximale Lebensspanne zum Teil erheblich und schützt vor Alterskrankheiten.

Doch Würmer, Fruchtfliegen und Mäuse sind mit dem Menschen nur bedingt vergleichbar. Anders als Homo sapiens führen sie ein kurzes, schnelllebiges Dasein. So erscheint es fraglich, ob sich die erzielten Effekte auf den langlebigen Menschen übertragen lassen. Die jüngsten Resultate einer Jahrzehnte währenden Studie mit Rhesusaffen an der amerikanischen University of Wisconsin befeuerten zumindest einige Hoffnungen der CRONies. Die Forscher um Ricki Colman und Richard Weindruch senkten seit 1989 langsam die Kalorienaufnahme von 30 männlichen erwachsenen Rhesusaffen und ab 1994 von weiteren 16 Männchen und 30 Weibchen, bis die Tiere schließlich nur noch 30 Prozent ihrer zuvor individuell bestimmten Basisversorgung fraßen. Um einen Vergleich zum Menschen zu ermöglichen, werden die Affen medizinisch versorgt, wenn sie erkranken.

VERJÜNGTE RHESUSAFFEN

Bis heute, nach mehr als 20 respektive 15 Jahren, wirken die Diät-Affen äußerlich deutlich jünger als die Kontrolltiere, die eine normale und von den Nährstoffen her optimierte Futtermenge erhielten. Sie haben Fett verloren. Der altersbedingte Abbau von Muskeln hat sich verlangsamt, die Blutzucker-Werte sind bestens – und es wurde nicht ein einziger Fall von Diabetes festgestellt, während bei den Kontrolltieren bereits fünf an „Alterszucker“ leiden und elf weitere Zeichen eines kommenden Diabetes zeigen. In der Diät-Gruppe traten vier Krebs-erkrankungen auf, in der Kontrollgruppe waren es doppelt so viele. Der normale Abbau der grauen Hirnmasse im Alter reduzierte sich bei den Diät-Affen in einigen Arealen. Insgesamt verzeichneten die Wissenschaftler bei ihnen zwei Drittel weniger altersbedingte Krankheiten. Und während nach Angaben der Forscher von den ursprünglich 76 Tieren 14 aus der Kontrollgruppe an altersbedingten Erkrankungen starben, waren es in der kalorienreduzierten Gruppe nur 5. Doch viele der Rhesusaffen leben noch, weshalb bis dato keine Aussagen über die Lebenszeit möglich sind.

Luigi Fontana bewertet die Ergebnisse als „vielversprechend“ und bringt eigene Daten ins Spiel. Er untersucht regelmäßig eine Gruppe CRONies, die seit 1998 etwa 30 Prozent weniger Kalorien zu sich nehmen als empfohlen. „Alle wichtigen Stoffwechsel- und Herz-Kreislauf-Werte dieser Leute sind exzellent und deutlich besser als im Durchschnitt der amerikanischen Bevölkerung“, schwärmt der Wissenschaftler. Er bemerkt auch keinerlei Anzeichen einer chronischen Entzündung – „alles wie bei den Tieren auf Diät“ . Allerdings mit einem so erstaunlichen wie gravierenden Unterschied: „Die IGF-1-Werte bleiben hoch.“

VERDÄCHTIGE AMINOSÄUREN

Ein Umstand, der zusammen mit Erkenntnissen aus Tierversuchen in eine neue These mündete: Vielleicht sind die täglichen Proteine und ihre Bausteine, die Aminosäuren, der entscheidende Schlüssel für verzögertes Altern. Linda Partridges Team berichtete von Fruchtfliegen, die mit einer aminosäurereduzierten Nahrung gefüttert wurden. Davon konnten die Insekten nach Belieben fressen – und lebten dennoch länger. Aminosäuren aktivieren auch mTor, einen anderen wichtigen Signalweg des Alterungsprozesses. Die meisten CRONies vertilgen mit täglich 1,7 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht extrem viel Protein – sie essen Fleisch, Wurst, Eier, Milchprodukte, Tofu und so weiter. Empfohlen werden täglich 0,8 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht, woran sich allerdings kaum jemand hält. Angeregt durch die neuen Erkenntnisse verordnete Fontana sechs „seiner“ CRONies eine Ernährung mit begrenzter Proteinzufuhr – täglich maximal 0,9 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht. Daraufhin „sank in nur drei Wochen der IGF-1-Wert um 25 Prozent, das ist enorm“.

Um konkrete Ernährungsempfehlungen indes drückt sich der Italiener. Auf Nachfrage lässt er sich zur Aussage hinreißen, weniger Fleisch zu essen, könne „nicht schaden“. Das glauben Vegetarier schon immer. Folgerichtig pegeln sich ihre IGF-1-Werte auf niedrigem Niveau ein, wie Fontana nachgewiesen hat. Mehr noch: Jüngsten Studien zufolge kann schon die Reduktion einer einzigen Aminosäure – Methionin – Ratten und Mäuse zu Methusalems machen. Tierisches Protein ist überschwemmt mit Methionin, pflanzliches Protein, etwa aus Gemüse und Nüssen, nicht. „Eine solche Diät mit weniger Fleisch und Wurst lässt sich wahrscheinlich einfacher einhalten als eine strenge Kalorienbegrenzung“, vermutet Fontana.

KEIN KOSTVERÄCHTER

John Switzer ficht das alles nicht an. Obwohl er nach eigener Aussage „kein Kostverächter“ ist und sich aus reinem Genuss auch mal ein „kleines Steak“ oder „hochwertigen Schinken“ gönnt, setzt er vorzugsweise auf Pflanzen, vor allem auf Wildkräuter: Löwenzahn, Brennnesseln und was sonst noch draußen wächst, im Win-ter beispielsweise Brombeerblätter oder Grünkohl. Und auf weniger Kalorien. „Man kann das schaffen“, versichert er, „wenn man will.“ ■

KLAUS WILHELM, Wissenschaftsjournalist aus Berlin, konnte sich bislang nicht zu einer rigiden Kalorienbegrenzung durchringen.

von Klaus Wilhelm

KOMPAKT

· Eine drastische Kalorienbegrenzung ist der effektivste Jungbrunnen – zumindest bei Labortieren.

· Forscher untersuchen, ob es für ein längeres Leben schon genügt, weniger Fleisch und Wurst zu essen.

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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