Irrtum 4
Viele Menschen sind übersäuert und leiden dadurch an Rheuma, Diabetes oder Krebs
Nein, der Säure-Basen-Haushalt der meisten Menschen funktioniert sehr gut. Der pH-Wert des Blutes liegt zwischen 7,35 und 7,45. Verschiedene sogenannte Puffersysteme sorgen dafür, dass überschüssige Säuren, die bei der Verdauung entstehen, unschädlich gemacht werden. Die meisten organischen Säuren aus Obst und Gemüse werden im Stoffwechsel vollständig zerlegt, wobei basische Mineralien frei werden. Dagegen entstehen Säuren beim Abbau von schwefel- und phosphorhaltigen Verbindungen, wie sie in Fleisch- und Milchprodukten, Hülsenfrüchten, Schmelzkäse oder Soft-Drinks vorkommen. Wenn viele solche Säurebildner auf dem Speiseplan stehen, müssen die Nieren des Betroffenen mit einer höheren Säurelast umgehen, und der pH-Wert des Harns sinkt. Aber nur wenn dieser Wert über mehrere Wochen gemessen niedrig ist, zeigt er eine Übersäuerung an. Eine einmalige Messung mit einem Teststreifen aus der Apotheke liefert kein aussagekräftiges Ergebnis.
Eine schwere Übersäuerung kann tatsächlich zu lebensbedrohlichen Zuständen führen. Allerdings wird solch eine Azidose nicht durch die derzeit üblichen Ernährungsformen ausgelöst, sondern ist meist Folge einer Erkrankung wie Niereninsuffizienz oder Diabetes mellitus.
Anhänger verschiedener alternativer Ernährungslehren glauben jedoch, dass Säuren nicht komplett ausgeschieden werden. Die Reste würden als „saure Stoffwechselschlacken” im Bindegewebe eingelagert. Die Folge seien Rheuma, Diabetes oder sogar Krebs. 80 Prozent der Europäer seien davon betroffen, so Schätzungen der selbsternannten Experten. Wissenschaftlich sind diese Behauptungen jedoch nicht untermauert. „Schäden im Bindegewebe, die durch Schlacken entstanden sein könnten, lassen sich nicht messen”, stellt Thomas Remer fest, Ernährungswissenschaftler am Forschungsinstitut für Kinderernährung (FKE) in Dortmund. Ein Zusammenhang zwischen Übersäuerung und gravierenden Krankheiten wie Krebs hat bislang keine Studie belegt.
Studien des FKE haben jedoch aufgedeckt, dass Kinder mit einer sehr säurereichen Ernährung verminderte Knochenmineralgehalte aufweisen. „Eine obst- und gemüsereiche Ernährung könnte hier vorbeugend wirken”, ist Remer überzeugt. Auch ältere Menschen können eine leichte Übersäuerung des Körpers entwickeln, weil die Nieren im Alter nicht mehr so gut arbeiten. Die Folge: Osteoporose und Harnsteine.