Sie ist eigentlich eine ganz normale Frau: 34 Jahre jung, berufstätig und Mutter. Ihr Job allerdings brachte sie im vergangenen Jahr gleich mehrfach in die Schlagzeilen. Denn als Mitarbeiterin des Deutschen Archäologischen Instituts Berlin (DAI) leitet Iris Gerlach seit gut einem Jahr die Außenstelle im Jemen. Als Frau in einem Land, in dem Kidnapping an der Tagesordnung ist und Frauen nur zu Hause ihr Gesicht zeigen dürfen? „Blödsinn”, beteuert die junge Archäologin mit Nachdruck, „warum denken im Zusammenhang mit dem Jemen alle immer nur an Entführungen und Gewalt?” Iris Gerlach hat durchweg gute Erfahrungen mit den Einwohnern ihrer neuen Heimat gemacht. Bei ihren Arbeiten sind ihr keineswegs Terroristen, sondern hilfsbereite Archäologen, wissbegierige Studenten und fleißige Ausgrabungsspezialisten begegnet. In der Hauptstadt Sana’a, in der Provinz Marib und in anderen historisch wichtigen Plätzen kümmert sich die junge Archäologin um Ausgrabungen. In Marib untersucht sie die letzten Ruhestätten der Sabäer. Obwohl die letzte Entscheidung für die Genehmigung ihrer Grabungen bei der Antikenbehörde in Sana’a liegt, gehört für Gerlach die Frage nach Einverständnis bei den Landbesitzern, den Scheichs, einfach zum guten Stil. Und bei denen stößt sie in der Regel auf großes Entgegenkommen und auf großes Interesse. „Viele Jemeniten sind überaus stolz auf ihre vorislamische Vergangenheit”, ist Iris Gerlach überzeugt. In mühevoller Kleinarbeit legt sie antike Grabstätten frei, in denen laut Inschriften Priester, Stammesfürsten und andere wohlhabende Bürger bestattet wurden. Auch hier pflegt der Rest der Welt ein großes Vorurteil, denn die Einheimischen sehen die archäologischen Aktivitäten keineswegs als reine Schatzsucherei nach Reliquien der sagenumwobenen Königin von Saba. Sie begrüßen es vielmehr, dass durch die Ausgrabungen etwas Licht in die Vergangenheit ihrer Landeskultur gebracht wird. Um den historischen Wert ihrer bisherigen Ausgrabungen einschätzen zu können, stehen für Iris Gerlach in den kommenden Jahren vor allem Analysen und Vergleiche der weit über 5000 Funde auf dem Plan.
Hans Groth