Versteigerungen finden meist in edlen Kunsthäusern statt, die millionenteure Monets oder Ming-Vasen feil bieten. Verglichen damit war die Versteigerung, die am 12. April in einer Mainzer Kaserne begann, reichlich schmucklos. Bieter waren die vier Mobilfunkkonzerne T-Mobile, Vodafone, O2 und E-Plus, Anbieter war die Bundesnetzagentur im Auftrag der Bundesregierung. Es ging um viel Geld – für eine Ware, die man nicht sehen, hören oder riechen kann. Versteigert wurden Frequenzpakete in vier Segmenten des Spektrums für den Mobilfunk der nächsten Generation. Die Lizenzen regeln, wer in Deutschlands Äther welche „Straßen” für den Datenverkehr nutzen darf. Wer sich ein Stück aus dem Kuchen schneidet, kann seinen Kunden schnellere Internet-Verbindungen per Funk anbieten. Bis zu 100 Megabit pro Sekunde sollen bald durch die Luft rasen – über 100 Mal schneller als bei einem Standard-DSL-Anschluss.
Teile des Pakets, die Frequenzen zwischen 791 und 862 Megahertz, gehören zur „digitalen Dividende”. Sie fiel der Bundesnetzagentur in den Schoß, weil die Fernsehsender ihren Betrieb von analoger auf digitale Ausstrahlung umgestellt haben. Der neue digitale TV-Standard DVB-T packt aber viel mehr Programme auf weniger Frequenzen, sodass ein Teil des Spektrums frei wurde. Den hat der Bundesrat 2009 im Zuge der europäischen Frequenzharmonisierung für die Telekommunikation geöffnet.
Mehr Tempo für die Kleinen
Die Umverteilung war dringend nötig, denn Deutschland hinkt in der Versorgung mit schnellen Internet-Zugängen hinterher. Vor allem ländliche Regionen waren bisher vom Online-Boom abgeschnitten, weil sich der Ausbau von DSL-Anschlüssen über Kabel nicht lohnt. In ihrer Breitbandstrategie hat die Bundesregierung daher gefordert, dass diese Regionen bevorzugt werden sollen. Die Bundesnetzagentur entwickelte daraus ein Regelwerk, das die Käufer der Lizenzen zu einer bestimmten Ausbaustrategie verpflichtet, vor allem für den Frequenzbereich von 791 bis 862 Megahertz: Zuerst müssen Gemeinden mit weniger als 5000 Einwohnern versorgt werden. Erst wenn dort 90 Prozent abgedeckt wurden, sind schrittweise auch größere Gemeinden dran.
Für die Funkversorgung auf dem Land sind gerade die Frequenzen zwischen 791 und 862 Megahertz bestens geeignet, weil sie mit relativ wenigen Sendemasten Gebiete von vielen Kilometer Durchmesser versorgen können. „Wir Physiker lieben diesen Frequenzbereich”, sagt Petri Mähönen, Experte für mobile Netzwerke am Exzellenzzentrum für ultraschnelle mobile Information und Kommunikation (UMIC) an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen. Den Netzbetreibern geht es nicht anders. Sie können Internet-Zugang auch ohne Kabel bieten. Damit stehen die Chancen gut, dass Wunsch und Wirklichkeit aller Beteiligten diesmal im Einklang sind. Bei der letzten Mammut-Versteigerung wurden Frequenzen für den Mobilfunkstandard der dritten Generation, UMTS, für irrwitzige 50 Milliarden Euro verkauft. Zu teuer, wie sich hinterher herausstellte. Denn die Kunden konnten mit dem schnellen Internet zunächst nichts anfangen. Sie wollten einfach nur unterwegs telefonieren. Auch die „Killerapplikation” Videotelefonie erwies sich als Flop. Zudem hielten die Übertragungsgeschwindigkeiten nicht, was die Werbung versprach.
Datenflut im Internet
Doch dann kamen neue mobile Internet-Angebote, allen voran die genialen Apps – kleine und günstige Programme für Apples iPhone – sowie höhere Datenraten dank Erweiterungen des UMTS-Standards. 2008 überholte das Volumen des Datenverkehrs das Aufkommen der Sprachverbindungen mit mobilen Endgeräten. Seither explodiert der mobile Datenverkehr geradezu, und es wird immer enger im Äther. Der Münchner Kreis, ein Zusammenschluss von Kommunikationsforschern, rechnet damit, dass 2015 mehr Menschen das Internet über mobile Endgeräte als über den PC nutzen.
Jetzt, wo UMTS endlich einen Sinn hat, steht schon die nächste, die vierte Mobilfunkgeneration vor der Tür. Sie heißt Long Term Evolution (LTE) und steigert das schon beachtliche UMTS-Tempo von 14 auf bis zu 100 Megabit pro Sekunde. Das ist so schnell wie die derzeit rasantesten Verbindungen über Kupferkabel. Doch wie schon bei UMTS ist dieser Wert eine theoretische Größe, warnt Peter Vary, Leiter des Instituts für Nachrichtengeräte und Datenverarbeitung der RWTH Aachen. Realistisch seien maximal 30 Megabit pro Sekunde, die sich die Nutzer in einer Funkzelle teilen müssen. „Am Ende bleiben für die Nutzer 1 bis 3 Megabit pro Sekunde – und das liegt weit unterhalb der Datenraten mit kabelgebundenen DSL-Anschlüssen”, sagt Vary. Mehr Tempo gibt es nur durch eine Vergrößerung der Frequenzbandbreite. Doch dafür würden noch mehr Frequenzen gebraucht.
Wenn Frequenzen so knapp sind, wieso gibt man nicht einfach neue frei? Ganz einfach: Weil alle schon belegt sind. 1888 erzeugte Funkpionier Heinrich Hertz die ersten Funksignale, mit der Erfindung der Oszillatorschaltungen und neuer Modulationsarten vor etwa 100 Jahren trat die drahtlose Informationsübermittlung ihren Siegeszug an. Weil damals das Frequenzspektrum unerschöpflich schien, ging man recht verschwenderisch damit um. Im Lauf der Zeit entstand so ein Flickenteppich von schmalen Frequenzbändern, in die sich neue Nutzer drängelten. Viele Frequenzen sind mehrfach belegt, sodass es Interessenkonflikte gibt, wenn sich Signale auf einer Frequenz gegenseitig stören. Organisiert wird das Frequenzdickicht von der Bundesnetzagentur.
Was wäre, wenn man die Zeit zurückdrehen und das Frequenzspektrum noch einmal völlig neu aufteilen könnte? „Dann würde man mehr darauf achten, welche Frequenzen sich für welche Ausbreitungsart und für welchen Dienst eignen”, sagt Heinrich Meyr, der den UMIC-Bereich Integrierte Signalverarbeitungssysteme leitet. Denn die Ausbreitung der Funkwellen ändert sich stark mit der Frequenz. Je niedriger sie ist, umso größer die Reichweite. Alte Langwellensender verbreiteten ihr Radioprogramm über Ländergrenzen hinweg, während das heute noch übliche UKW-Radio bei 87,5 bis 108 Megahertz nur ein paar Dutzend Kilometer überbrückt.
Verbissene Verteidigung
Bei noch höheren Frequenzen wie dem gerade versteigerten Band zwischen 791 bis 862 Megahertz und dem darüber liegenden Band der D-Netze von Telekom und Vodafone beträgt die Reichweite noch einige Kilometer, bei Mikrowellenfrequenzen um 2600 Megahertz, die auch versteigert wurden, sind die Zellen nur wenige Hundert Meter groß. Doch zur großen Umverteilung, die Frequenzen und Dienste besser aufeinander abstimmt, wird es nicht kommen. Denn wer ein Frequenzband erhalten hat, tut gut daran, es mit Zähnen und Klauen zu verteidigen. So ist die vor etwa zehn Jahren hochgelobte Powerline-Technologie – die schnelle Datenübertragung per Stromnetz – am Veto der Geheimdienste gescheitert, die eine Beeinträchtigung von Abhöranlagen befürchteten. „Da ging es um Frequenzen aus der Steinzeit der Kriegsführung”, sagt Meyr, „die Ablehnung war reine Bürokratie.” Weniger Lobby haben die Betreiber von Funkmikrofonen, zum Beispiel in Theatern. Sie werden durch die jüngste Versteigerung der digitalen Dividende verdrängt, denn die Mikrofone senden in dem Frequenzbereich, den das analoge Fernsehen freigibt. Doch der Druck, neue Frequenzen für das mobile Internet zu finden, war zu groß. Die Frequenzzuteilung für Funkmikrofone endet 2015, bis dahin müssen die Hersteller und Betreiber auf Frequenzlücken umziehen, die die Bundesnetzagentur an mehreren Stellen des Spektrums öffnet.
Dass es im Frequenzspektrum Lücken gibt, wo eigentlich gar keine sein dürften, haben Studenten der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich gezeigt. Die begeisterten Segelflieger haben ein Gerät zur Kollisionswarnung entwickelt. Es errechnet aus GPS-Daten die Route des Flugzeugs und tauscht diese Daten per Funk mit anderen Segelflugzeugen aus. Bei einer drohenden Kollision schlägt das Gerät Alarm. „Die Zahl der Unfälle ist damit deutlich zurückgegangen”, sagt Heinrich Meyr, selbst ein leidenschaftlicher Segelflieger.
Wildern bei den Modellautos
Die Lebensretter nutzen eine Frequenz, die eigentlich den Sendern von ferngesteuerten Modellautos vorbehalten ist. Doch deren Reichweite ist so gering, dass sie den Kollisionswarnern in der Luft nicht ins Gehege kommt. Die Zürcher Studenten nutzten bei ihrer Erfindung die Tatsache, dass ein Frequenzband zwar reserviert ist, aber kaum in Anspruch genommen wird. Schließlich laufen nicht 80 Millionen Deutsche permanent mit Fernsteuerautos durch die Gegend. Auch in anderen Bereichen des Spektrums herrscht gähnende Leere. „95 Prozent der Übertragungskapazitäten unter 5000 Megahertz sind ungenutzt”, sagt UMIC-Wissenschaftler Petri Mähönen.
Wie kann das sein, wo doch alle Welt über Frequenzknappheit jammert? Mähönen hat nachgemessen. In Maastricht und Aachen bestimmte er mit einer Spezialantanne die Energie der Funkwellen über den gesamten Frequenzbereich von 0 bis 3000 Megahertz. Die Energie im Äther ist ein Maß für Aktivität und Auslastung des jeweiligen Frequenzbands. Die Grafiken, die Mähönen vorlegt, sprechen eine deutliche Sprache: Während die tiefen Frequenzen mit Rundfunk- und TV-Sendern gut gefüllt sind, flaut die Nutzung zu höheren Frequenzen stark ab. Mit Ausnahme von ein paar roten Spitzen, etwa bei den Mobilfunkfrequenzen, sind die größten Flächen tiefblau – und damit ungenutzt. Gesendet wird zwar meist auch dort, allerdings so schwach, dass weitere Sender problemlos koexistieren könnten – siehe Segelflieger-Kollisionswarnung.
Rudolf Mathar, Leiter der Arbeitsgruppe für theoretische Informationstechnologie am UMIC, entwickelt dazu eine mathematische Methode, die Fachleute „Waterfilling” nennen. Die Grafik seines Kollegen Mähönen ähnelt einem Wasserbecken, eingeteilt in viele schmale Behälter, die den Frequenzbändern entsprechen. Der Füllstand in jedem Segment entspricht der Übertragungsqualität in diesem Band. Wo Mähönens Grafik dunkel ist, könnte man sozusagen Wasser einfüllen und so für zusätzliche Übertragungskapazität sorgen.
Wasser in die Funkwüste
Dass der Waterfilling-Algorithmus funktioniert, demonstriert Mathar im Labor. Dort stehen eine Sende- und eine Empfangsantenne auf dem Tisch, ein PC zeigt die Belegung der Frequenzbänder. Hält man die Hand in die Funkstrecke, schnellt die Aktivität in benachbarten Frequenzbändern in die Höhe, die Last wird auf mehrere Schultern verteilt. „In Millisekunden erreichen wir damit eine Auslastung von 90 Prozent des Optimums”, sagt Mathar. So eine Anpassung gibt es in den Mobilfunknetzen heute nicht. Ist eine Verbindung aufgebaut, bleibt die Frequenz fix bis zum Ende, ebenso die „Breite des Wasserbehälters”. Variable Behälter, also eine flexible Breite des Frequenzbands, hätten aber den Vorteil, dass bei Übertragungsproblemen Kapazität hinzugenommen, und bei geringer Auslastung wieder frei gegeben würde. Solche Ideen stecken in einem neuen Standard, der mit der LTE-Technologie eingeführt werden soll.
Doch das ist erst der Anfang. Künftige Mobiltelefone sollen „ Cognitive Radios” sein: mobile Endgeräte mit Funkmodulen, die stets auf dem Laufenden sind, was im Äther passiert – die also eine Art Umgebungsbewusstsein haben. Dazu sind sie mit Sensoren bestückt, die unter anderem die Position per GPS ermitteln, den Ladezustand des Akkus messen (beides schon Standard) sowie die Qualität der Verbindung und die Auslastung der Frequenzen überwachen. Wichtig dabei ist, dass die Handys kooperieren, um sich nicht gegenseitig zu stören. Gelingt es, alle Geräte aufeinander abzustimmen, könnte man im Waterfilling-Algorithmus noch viel mehr Wasser in die Frequenzbänder gießen. Die eigentliche Revolution wäre allerdings, dass Cognitive Radios Frequenzen nutzen können, die ihnen lizenzrechtlich gar nicht zustehen, aber gerade ungenutzt sind. Neue Mobilfunkanbieter könnten so die Spektren von T-Mobile, Vodafone, O2 und E-Plus mitbenutzen, indem sie jeweils freie Frequenzschlitze suchen.
Vorrang für die Platzhirsche
Handys mit Cognitive Radio würden sich so verhalten, dass die Kunden der Platzhirsche immer Vorrang haben, und würden sofort das Feld räumen und auf eine andere Frequenz springen, wenn der Datenverkehr anschwillt. Die gemeinsame Nutzung von Frequenzen verschiedener Anbieter wird kommen, glaubt Petri Mähönen, allerdings mit völlig neuen Geschäftsmodellen. Der Nutzer zahlt künftig nicht pauschal pro Verbindung, sondern für deren Qualität und Geschwindigkeit. Premiumnutzer der großen Lizenzinhaber erhalten immer grünes Licht und höchste Geschwindigkeit, müssen aber dafür zahlen. Sekundärnutzer, die sich in fremden Frequenzbändern tummeln, bekämen weniger Qualität bei geringeren Kosten. Zwischen den Anbietern müsste es einen finanziellen Ausgleich für die Mitbenutzung der Frequenzen geben. In Deutschland liegen solche Modelle noch in weiter Ferne, in den USA gibt es dagegen bereits Testnetze mit Cognitive Radios.
Stefan Heinen, der den Bereich integrierte analoge Schaltkreise am UMIC leitet, ist eigentlich ein netter Mensch. Doch beim Thema Cognitive Radio schlüpft er in die Rolle des Advocatus Diaboli, der seine Kollegen zurückpfeift. Denn Heinen muss deren Ideen in Hardware gießen – und das ist gar nicht so leicht. „Hochfrequenztechniker sind näher an der Physik und damit nicht so abgehoben”, schmunzelt Heinen. Das Problem: Für jedes Frequenzband, das ein mobiles Endgerät beherrschen soll, ist ein Filter nötig – und der lässt sich nicht beliebig verkleinern. Man mus sich auf eine sinnvolle Zahl von Filtern beschränken, bremst Heinen: „Handys, die alle Frequenzen lückenlos abdecken, wird es nicht geben.” ■
Bernd Müller ist freier Journalist in Esslingen. Er nutzt zwar das mobile Internet, genießt es aber trotzdem, ab und zu nicht erreichbar zu sein.
von Bernd Müller
Gähnende Leere nach Verstopfung
Forscher der RWTH Aachen haben ausgelotet, wie intensiv der Frequenzraum unter 3000 Megahertz genutzt wird. Die rötlichen Spitzen kennzeichnen regen Funkverkehr. Die blauen Bereiche dagegen zeigen, dass über 1500 Megahertz viel Kapazität brachliegt.
Unter dem Hammer
Diese Frequenzen hat die Bundesnetzagentur im April versteigert:
791–862 MHz Das Sahnestück der Auktion ist Teil der digitalen Dividende aus brachliegenden Frequenzen des früheren analogen Fernsehens. Dieses Funkfenster soll bis 2016 rund 90 Prozent der unterversorgten Landstriche erschließen.
1710–1763 MHz, 1805–1858 MHz Die Frequenzen haben O2 und E-Plus im Tausch mit anderen Frequenzen zurückgegeben. Sie gelten als der am wenigsten interessante Block.
1900–2150 MHz Die Frequenzen gehörten den Netzbetreibern Mobilcom und Quam, die inzwischen pleite sind und diesen Block zurückgegeben haben.
2500–2690 MHz Attraktiver Frequenzbereich in Nachbarschaft zu WLAN- und Bluetooth-Frequenzen. Wegen seiner kürzeren Reichweite ist er vor allem zur Highspeed-Versorgung in Ballungsräumen geeignet und ideal für den Einstieg in den LTE-Standard.
Kompakt
· Die versteigerten Frequenzen erlauben schnelleres mobiles Internet und bessere Zugänge in abgelegenen Regionen.
· Dennoch sind Funkfrequenzen weiter knapp, denn im Spektrum drängeln sich viele Nutzer.
· Ein Ausweg sind intelligente Handys, die sich selbst freie Frequenzen suchen.
Bunter Flickenteppich
Der Äther hat viele Herren. Die Grafik auf den folgenden Seiten unten zeigt, wie in Deutschland der Frequenzbereich bis 300 Gigahertz auf diverse Funkdienste aufgeteilt ist (Stand: Juli 2009). Die roten Balken auf Seite 101 markieren die jetzt versteigerten Frequenzbänder.
Internet
Homepage des Forschungszentrums UMIC an der RWTH Aachen: www.umic.rwth-aachen.de
Informationen und Ergebnisse der Frequenzauktion von der Bundesnetzagentur: www2.bundesnetzagentur.de/ frequenzversteigerung2010