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Der gekippte Gigant

Erde|Umwelt

Der gekippte Gigant
In den italienischen Alpen haben Forscher die Reste eines Supervulkans entdeckt. Der Feuerberg ist zur Seite gekippt, sodass man tief in seinen Schlot blicken kann.

Das obere Sesia-Tal ist ein Naturparadies. Wanderer laufen hier, nur einen Katzensprung vom Lago Maggiore entfernt, durch eine urwüchsige Alpenlandschaft. In der Sesia, Italiens letztem unverbautem Fluss, treffen sich Kanuten zu halsbrecherischen Fahrten. Kaum ein Urlauber ahnt, dass er sich über geologisch hochbrisanten Untergrund bewegt. Zwar ist seit Jahrzehnten bekannt, dass die Gesteine unter der Region vulkanisch entstanden sind. Doch erst jetzt hat sie ein italienisch-amerikanisches Forscherteam genauer unter den Geologenhammer genommen – mit erstaunlichem Ergebnis: Hier explodierte vor rund 290 Millionen Jahren ein Supervulkan. Der Crash ereignete sich also im Erdzeitalter des Perm, noch bevor die Dinosaurier die Erde beherrschten und lange bevor Europa seine heutige Gestalt annahm.

Supervulkane sind ebenso faszinierend wie rätselhaft. Schon der Begriff hat eine kuriose Vorgeschichte: Er wurde nicht von Wissenschaftlern geprägt, sondern vom Magazin National Geographic. Die Vulkanologenzunft hat ihn zwar übernommen, doch seine Definition blieb unscharf. Ein Supervulkan wirft ungeheuere Mengen an Asche und Lava aus, so viel steht fest. Doch ob es mindestens 100 Kubikkilometer sind, mindestens 300 oder gar über 1000, bleibt offen. Die Menge reicht auf jeden Fall aus, um ganze Landstriche zu verwüsten und das weltweite Klima aus dem Lot zu bringen. Zum Vergleich: Der Mount St. Helens im US-Bundesstaat Washington, der 1980 seine Spitze wegsprengte, brachte es auf kaum einen Kubikkilometer Auswurf – wobei das Volumen immer auf das kompakte Magma bezogen ist und nicht auf die viel leichtere Asche. In historischer Zeit ist noch nie ein Supervulkan ausgebrochen, deshalb ist das Wissen über solche Eruptionen sehr lückenhaft. Silvano Sinigoi von der Universität Triest und James E. Quick von der Southern Methodist University in Dallas, Texas, und ihre Teams hoffen nun, einige dieser Lücken schließen zu können.

Rosetta an der Sesia

Denn der Fund ist eine Rarität unter den unzähligen fossilen Vulkanen, die es auf der Welt gibt. Als sich die Alpen vor etwa 45 Millionen Jahren auffalteten, wurde der Vulkan mitsamt seinen Innereien zur Seite gekippt. Nun liegt er flach an der Oberfläche und ist leicht zugänglich. Forscher können das gesamte magmatische Fördersystem, das einst bis in 25 Kilometer Tiefe reichte, zu Fuß erreichen und bequem untersuchen. „Das ist der Rosetta-Stein der Vulkanologen“, schwärmt Quick. Denn bisher war es nicht möglich, direkt in das Innere eines Vulkans zu schauen. Vulkanforscher behelfen sich mit geophysikalischen Messungen und chemischen Analysen der Gesteine. Doch die Befunde, die solche Untersuchungen liefern, sind immer mit Annahmen verbunden und deshalb nie ganz sicher. Jetzt soll der tote Vulkan an der Sesia zeigen, was im Erdinneren vorgeht. Quick hofft, dass die Erkenntnisse helfen, Messungen besser interpretieren zu können. Er will die Geräte der Vulkanologen gewissermaßen eichen. „Unser Hauptziel ist, besser zu verstehen, wie Magma im Erdinneren aufsteigt, wo es sich sammelt und wie es sich verändert, bevor der Vulkan ausbricht“, sagt Quick.

Nach fast 300 Millionen Jahren hat sich das Gestein natürlich stark verändert. Es ist nicht leicht, daraus verlässliche Schlüsse zu ziehen. Quick und Sinigoi glauben dennoch belegen zu können, dass große Mengen Asche und Lava innerhalb kürzester Zeit ausgespien wurden. Denn die gefundenen Förderprodukte sind sehr kompakt aufgebaut, ohne Lücken oder Zwischenhorizonte, wie sie sich bei längeren Eruptionspausen bilden würden. Die Forscher vermuten, dass der Ausbruch nur wenige Wochen gedauert hat. Dabei könnte sich Folgendes abgespielt haben: Zunächst zeugte nur eine Caldera von den vulkanischen Aktivitäten – eine unauffällige Senke wie die Yellowstone-Caldera in den USA oder die Phlegräischen Felder in Italien. Den meisten Supervulkanen fehlt ein typischer Bergkegel mit einem rauchenden Schlot. Sie sind letztlich nichts als riesige Magmakammern, manche so groß wie Berlin. Gerade deshalb wirken sie harmlos. Ein gefährlicher Trugschluss: Die Sesia-Caldera hatte einen Durchmesser von mindestens 13 Kilometern, vielleicht auch mehr. Exakte Angaben fehlen, weil ihr südlicher Teil in der Po-Ebene unter einer mächtigen Sedimentschicht verborgen ist.

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Vor 288 Millionen Jahren drang immer mehr Magma aus dem Erdmantel in die große Kammer ein, sodass sich die Caldera wie ein Hefeteig blähte. Der Boden wölbte sich erst um Zentimeter auf, dann um Meter. Irgendwann konnte er dem Druck aus der Tiefe nicht mehr standhalten. Erste Risse öffneten sich, wahrscheinlich an den Rändern, den statischen Schwachstellen. Dort bahnte sich das Magma schließlich einen Weg nach oben und schoss mit ungeheurer Kraft hinaus. Dabei flogen bis zu 100 Meter große Gesteinsblöcke durch die Luft, die heute noch zu sehen sind. Die Magmakammer entleerte sich allmählich, und die Gesteinsdecke darüber brach ein. Dabei drückte sie auf das Magmareservoir und presste es noch weiter aus.

Quick hat die Menge des ausgeworfenen Materials aus der Größe der Caldera abgeschätzt und kommt auf 400 bis 800 Kubikkilometer. Seine Rechnung enthält allerdings viele Annahmen: Die Füllung einer Caldera dieser Größe sei in der Regel 3 bis 4 Kilometer mächtig, sagt er. Schon damit kommt man auf 400 Kubikkilometer Auswurfmaterial. Doch viele Vulkanologen gehen davon aus, dass das ausgeworfene Volumen doppelt so groß ist – das wären dann insgesamt 800 Kubikkilometer.

Apokalyptische eruption

Um Supervulkane ranken sich viele Spekulationen. Als der Vulkan Toba auf der indonesischen Insel Sumatra vor 74 000 Jahren ausbrach und rund 2800 Kubikkilometer Magma als Asche und Lava ausspie, soll der darauffolgende „vulkanische Winter“ die Menschheit an den Rand des Aussterbens gebracht haben. Nur wenige Tausend Individuen hätten überlebten, meinen manche Forscher und stützen sich dabei auf genetische Studien, die auf einen „ Flaschenhals“ in der Menschheitsgeschichte schließen lassen. Außerdem habe die Asche, die jahrelang in der Atmosphäre blieb und die Sonne verdunkelte, eine Eiszeit verursacht. Die Eruption des Toba war mehr als 1000 Mal so stark wie die des isländischen Eyjafjallajökull im April, die den Luftverkehr über Europa zum Erliegen brachte. Doch die Gefahr, die von Supervulkanen ausgeht, wurde lange unterschätzt. Mehr noch: Den Menschen war die Brisanz gar nicht bewusst. Denn die Ausbrüche von Supervulkanen gehören nicht zu ihrem Erfahrungsschatz, ebenso wenig wie Asteroiden-Kollisionen. Die Pausen zwischen zwei Ausbrüchen sind viel zu lang, um sich ins kollektive Gedächtnis einbrennen zu können. Beim Toba sind es rund 400 000, beim Yellowstone sogar 700 000 Jahre. Die Geological Society of London hat vor fünf Jahren das Gefahrenpotenzial der gigantischen Zeitbomben abgeschätzt. Ergebnis: Etwa alle 500 000 Jahre ist mit einer Katastrophe à la Toba zu rechnen und alle 3000 Jahre mit einem 100-Kubikkilometer-Ereignis. Der Umweltexperte Michael Rampino von der New York University ermittelte, dass eine 1000-Kubikkilometer-Eruption das gleiche Zerstörungspotenzial hat wie der Einschlag eines 1,5 Kilometer großen Asteroiden – aber 4 bis 5 Mmal so häufig vorkommt. Die Geological Society of London riet daher, die Forschungen über Supervulkane zu verstärken. Da kommt die Entdeckung in den italienischen Alpen wie gerufen. Die Frage ist nur, welche Erkenntnisse diese fossilen Reste für die Erforschung aktiver Vulkane liefern können.

Vulkanologe Donald Dingwell von der Universität München kann sich vorstellen, dass sich anhand der Gänge und Schlote, die nun zugänglich sind, rekonstruieren lässt, wie viel Magma in welcher Zeit gefördert wurde. Das ist ein wichtiger Wert, denn er gibt Auskunft über den Charakter des Vulkans. Er lässt Rückschlüsse zu, ob der Berg explosiv war, oder ob die Lava – wie auf Hawaii – langsam ausgeflossen ist. Bernd Zimanowski, Vulkanforscher an der Universität Würzburg, warnt allerdings vor überzogenen Hoffnungen. „Wie repräsentativ ist eine solche Leiche überhaupt?“ , fragt er und vergleicht den Fund mit einem ausgetrockneten Fluss, der Aufschluss über einstige Überschwemmungen geben soll. Die gefundenen Ablagerungen, bemängelt er, seien vieldeutig.

Atmende Kolosse

Vor allem bezweifelt Zimanowski, ob der Sesia-Fund eine Antwort auf die brennendsten Fragen der Vulkanologen geben kann: Welche Vorzeichen kündigen den Ausbruch eines Supervulkans an? Steht eine schwache Eruption bevor – oder droht eine Katastrophe? Wann muss die Umgebung weiträumig evakuiert werden? Eine Aufwölbung des Bodens allein scheint kein verlässliches Warnsignal zu sein. Das zeigt das Beispiel der Phlegräischen Felder: Nachdem sich die italienische Stadt Pozzuoli 1984 innerhalb von zwei Jahren um drei Meter gehoben hatte, fürchteten Experten einen Ausbruch und ließen die Innenstadt evakuieren. Doch dann senkte sich das Gelände wieder. Der Supervulkan scheint zu atmen, das zeigen auch römische Marmorsäulen auf dem Marktplatz, an denen bis in sieben Meter Höhe Muschelreste kleben. Offenbar hat sich der Boden in den letzten zwei Jahrtausenden immer wieder meterweit gehoben und gesenkt, ohne dass es zu einem Ausbruch gekommen ist. Auf die Frage nach den klimatischen Folgen einer Supereruption wird der Sesia-Vulkan wohl ebenfalls keine Antwort geben können. Auch hier tappen die Wissenschaftler noch im Dunkeln. Zwar haben sie den Ausbruch des philippinischen Pinatubo, der 1991 die globale Mitteltemperatur um ein halbes Grad hatte sinken lassen, genau untersucht. Doch man kann daraus nicht ohne Weiteres auf ein viel größeres Ereignis schließen. „Eine Extrapolierung ist gefährlich“, warnt Dingwell. Ob nach der Explosion eine Eiszeit anbricht oder die Pflanzen weltweit verdorren, wird sich eines Tages zeigen – wenn ein Supervulkan irgendwo auf der Erde zum Leben erwacht. ■

Klaus Jacob, Wissenschaftsjournalist aus Stuttgart, hat schon etliche Vulkane erklommen. Doch die zeigten sich ihm stets aufrecht.

von Klaus Jacob

Der Feuerschlot im pIEMONT

Spuren des Desasters: Im unteren Tal der Sesia entdeckte ein Team von italienischen und US-amerikanische Wissenschaftlern die Überreste eines erloschenen Supervulkans – vulkanisches Gestein, das teilweise zu Bruchstücken zerrieben wurde. Nach seinem Ausbruch vor 290 Millionen Jahren haben geologische Kräfte den Feuerberg flachgelegt. Die Region befindet sich in den nordwestitalienischen Alpen, etwa auf halber Strecke zwischen Mailand und Turin. In den dunkelgrau markierten Bereichen liegt nicht-vulkanisches Gestein an der Oberfläche. Die weißen Gebiete haben die Forscher nicht untersucht.

Kompakt

· Vor 290 Millionen Jahren explodierte am Lago Maggiore ein gewaltiger Vulkan.

· Die Forscher erhoffen sich von seinen offen liegenden Innereien Aufschluss darüber, wie Supervulkane ausbrechen.

Mehr zum Thema

Lesen

Bernhard Erdmaier, Angelika Jung-Hüttl Earth on Fire Phaidon, London 2009, € 59,95

Internet

Informationen und Links zu Supervulkanen: www.supervulkan.de

Umfassende Präsentation über Vulkanismus von der Universität Graz (als pdf): geol43.uni-graz.at/08S/650136/ Roland_Krenn.pdf

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