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Porträt eines Urplaneten

Allgemein

Porträt eines Urplaneten
Die Raumsonde Dawn hat den Kleinplaneten Vesta gründlich ausgekundschaftet. Überraschende Erkenntnis: Der Himmelskörper ist einer der letzten Urplaneten.

Das letzte Stündlein von Vesta hätte fast geschlagen: Als ein kosmischer Irrläufer in den Himmelskörper krachte, fehlte nur wenig zum Supercrash. „Ein etwas höheres Tempo des Geschosses oder eine etwas größere Masse – und Vesta wäre völlig zertrümmert worden“, meint der Planetenforscher Ralf Jaumann vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Berlin. Doch es kam anders: Der kleine Planet ertrug die Kollision mit dem Artgenossen gerade noch. Ein gewaltiger, 500 Kilometer großer Krater am Südpol kündet von dem urzeitlichen Schicksalstag. Ein großes Glück für die Planetologen: Dadurch konnten sie Vesta mit der Raumsonde Dawn („Morgenröte“) ins Visier nehmen, die nach fast vierjähriger Anreise den Planetoiden im Juli 2011 erreichte – und nicht einfach vorbeiraste, sondern in eine Umlaufbahn einschwenkte.

Planetoiden – das sind Kleinplaneten, die zu Millionen zwischen Mars und Jupiter die Sonne umschwirren (bild der wissenschaft 3/2008, „Die Vagabunden des Sonnensystems“). Lange hielt sich die Vermutung, es würde sich um die Reste eines zertrümmerten Planeten handeln. Doch alle Planetoiden zusammen erreichen nicht einmal die Masse des Erdmonds.

„Wir gehen heute davon aus, dass die Planetoiden eine Art Baumaterial sind, das bei der Bildung der großen Planeten übrig blieb“, sagt Jaumann, der am DLR die Abteilung Planetengeologie leitet. Planetoiden kommen in sehr unterschiedlichen Größen daher: Während die Oberfläche kleiner Exemplare kaum die Ausmaße eines Tennisplatzes erreicht, bietet die größte immerhin so viel Platz wie die gesamte Landfläche Argentiniens. Vesta ist mit 525,4 Kilometer Durchmesser und 2,6 · 1020 Kilogramm Masse ein vergleichsweise großes Exemplar – bei der Masse wird sie nur vom Zwergplaneten Ceres übertroffen.

Beide Himmelskörper stehen auf dem Flugplan von Dawn. Ein internationales Forscherteam wertet die bisherigen Messungen und Bilder aus, Jaumann ist einer von ihnen. Auch die Bordkameras der NASA-Sonde stammen aus Deutschland. Sie haben inzwischen jeden beleuchteten Winkel der Oberfläche fotografiert (siehe Kasten auf S. 56, „Die Augen von Dawn“).

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Bizarre riesige Strukturen

Auf den ersten Blick sieht ihr Studienobjekt aus, wie man es von einem Planetoiden erwartet: eine runzelige, von Einschlagskratern gezeichnete Oberfläche und eine Gestalt, die nur grob kugelförmig ist. Doch wer näher hinschaut erkennt bizarre riesige Strukturen, die den Miniplaneten prägen. Da sind zum Beispiel seltsame längliche Vertiefungen, die dutzendweise die Vesta-Oberfläche zerfurchen. Eines dieser Systeme entdeckten die Kameras entlang des Äquators, ein anderes schräg dazu in gemäßigten nördlichen Breiten. „Als wäre ein riesiger Pflug dort entlang gezogen worden“, beschreibt Jaumann die Furchen. Die größten sind 380 Kilometer lang und 15 Kilometer breit.

Beide Systeme stehen mit den gewaltigen Einschlägen am Südpol in Zusammenhang, die den Vesta-Körper bis ins Mark erschüttert haben müssen. „Wie genau diese Furchen entstanden sind, ist bislang unklar. Aber die Mittel- punkte der beiden süd- lichen Einschlagsbecken passen frappierend gut zu denen der Furchen-Systeme – das kann kein Zufall sein.“ Dass die Südpol- region sogar zweimal von katastrophalen Einschlägen erschüttert wurde, ist ebenfalls eine Entdeckung von Dawn. Die beiden Becken überlagern sich. Sie haben einen Durchmesser von 500 und 400 Kilometern. Das größere von beiden, „Rheasilvia“ genannt, war bereits durch Fotos des Hubble-Weltraumteleskops bekannt.

Riesenberg am Südpol

Planetenforscher Paul Schenk vom Lunar and Planetary Science Institute in Texas stellte im Mai im Wissenschaftsblatt Science eine Simulation vor, nach der die zugehörigen Einschläge die Landschaft Vestas weiträumig mit Gesteinstrümmern bedeckt haben: Noch 50 Kilometer nördlich des Kraterrands von Rheasilvia wäre diese Trümmerschicht demnach bis zu fünf Kilometer mächtig.

Ersten Datierungen zufolge entstanden die Becken vor ein bis zwei Milliarden Jahren. Inmitten von Rheasilvia beobachteten die Kameras einen kolossalen Zentralberg von über 20 000 Meter Höhe. Nach dem Vulkan Olympus Mons auf dem Mars hat also ausgerechnet die kleine Vesta den zweithöchsten bekannten Berg im gesamten Sonnensystem – und das bei einem durchschnittlichen Radius von nur 263 Kilometern. Über ein Jahr lang blickten die Bordkameras auf Vesta hinab. Die Sonde kam bis auf 210 Kilometer an die Oberfläche heran. Dabei registrierte sie eine überraschende Vielfalt: „Die Bilder unser Kameras zeigen deutliche Farbunterschiede zwischen Regionen mit Gestein, das aus dem Innern Vestas stammt, und Regionen, die von Krustengestein geprägt sind“, sagt Andreas Nathues vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) bei Göttingen. Die hellsten Stellen werfen das Sonnenlicht so stark zurück wie Schnee, die dunkelsten Stellen reflektieren dagegen nur zehn Prozent, ähnlich wie Kohle. Kein anderer Planetoid zeigt so starke Unterschiede.

Und noch etwas ist auffällig: Helligkeit und Topografie der Vesta-Landschaften hängen nicht unbedingt miteinander zusammen. Das ist bei unserem Mond anders: Dort entsprechen die Dunkelgebiete den Mondtälern, während helle Areale meist zu Höhenzügen gehören. Die Forscher interessieren sich vor allem für bestimmte dunkle Stellen der Vesta-Oberfläche: Sie suchen dort nach Hinweisen auf frühere vulkanische Aktivitäten. Denn trotz einiger Indizien, die aus der Analyse von Meteoriten stammen, gibt es bislang keinen eindeutigen Beleg für Vulkanismus.

Wie in einem offenen Buch lesen Planetologen die Daten, die sie aus den Stereo-Bildern der Kameras gewinnen. Die Spannweite der Vesta-Topografie reicht von 22 000 Meter tiefen Tälern bis zu 20 000 Meter hohen Gebirgen. Setzt man zu dieser Spanne den Vesta-Radius ins Verhältnis, so erhält man einen Wert von 15 Prozent.

Bei den großen Planeten ist dieser Quotient kleiner, und bei der Erde beträgt er lediglich 0,3 Prozent. Die kleineren Planetoiden haben hingegen höhere Werte. Bei Lutetia beispielsweise ermittelten die Forscher ein Verhältnis von 40 Prozent, nachdem die europäische Raumsonde Rosetta vor zwei Jahren den zerklüfteten Brocken abgelichtet hatte.

EIN einzigartiger Metallkern

„Vesta ist ein Übergangskörper“, erläutert Ralf Jaumann. „Sie hat sowohl Eigenschaften eines Planetoiden als auch Eigenschaften eines großen Planeten, wobei die Ähnlichkeit mit einem großen Planeten überwiegt.“ Das gilt auch für den inneren Aufbau. Die Messungen legen nahe, dass sich in Vestas Zentrum ein metallischer Kern befindet, dessen Radius etwa 110 Kilometer beträgt. Ein solcher Kern wurde bislang bei keinem einzigen anderen Planetoiden gefunden. Doch in der Frühzeit des Sonnensystems muss es viele solcher Übergangskörper gegeben haben. Sie waren anfangs so heiß, dass sie schmolzen. Wie bei Vesta trennten sich die leichten und schweren Bestandteile, und das schwere Eisen sank ins Zentrum ab.

Für die Planetologen ist mittlerweile klar, dass Vesta ein „ Protoplanet“ ist – wahrscheinlich sogar der letzte seiner Art. Gemeint sind damit die urzeitlichen Planeten im frühen Sonnensystem, die an Masse zulegten, bis sie sich durch Kollisionen mit anderen Protoplaneten zu großen Planeten zusammenfügten: Merkur, Venus, Erde und Mars. Zwar ist Vesta schon früh der Baustoff ausgegangen. Doch von den urzeitlichen Zusammenstößen, bei denen die anderen Protoplaneten zerstört wurden, blieb sie erstaunlicherweise verschont.

Dawn macht sich bald auf den Weg zu Vestas großer Schwester Ceres, die die Sonne rund 60 Millionen Kilometer weiter entfernt umkreist. Die Ankunft ist für frühestens Februar 2015 geplant. Ralf Jaumann kann es kaum erwarten, denn der Vergleich beider Urplaneten verspricht spannende Einblicke in die Frühzeit des Sonnensystems. ■

Thorsten Dambeck ist Physiker und regelmäßiger bdw-Autor. Im August-Heft berichtete er über die sonnennahen Kometen.

von Thorsten Dambeck

Die Augen von Dawn

Die beiden baugleichen Kameras an Bord stammen aus Deutschland. Sie dienen neben der Kartierung auch der Navigation der Sonde. Jede wiegt rund fünf Kilogramm. Die Belichtungszeiten ähneln denen von Schnappschüssen auf der Erde, typisch ist etwa eine Hundertstel Sekunde. Weil die Kameras mit sieben Farbfiltern ausgestattet sind, können sie auch Farbfotos aufnehmen. Die Belichtungszeit hängt dabei von der Wahl des Filters ab, denn die Empfindlichkeit des Sensors variiert mit der Farbe. Die längste Belichtungszeit beträgt 1,2 Sekunden. Da die Topografie auf Vesta aus unterschiedlichen Winkeln aufgenommen wird, sind auch Stereo-Ansichten mit 3D-Effekt möglich, die sich zu beeindruckenden „virtuellen Überflügen“ montieren lassen (siehe Kasten rechts „Mehr zum Thema“).

Neben den Kameras sind noch zwei weitere Instrumente an Bord: Mit dem Infrarot-Spektrometer aus Italien werden die Temperaturen und Mineralien auf Vestas Oberfläche bestimmt. Und mit dem amerikanischen Gamma-und-Neutronen-Spektrometer lassen sich die chemischen Elemente im Oberflächengestein analysieren.

Auf großer Tour durchs Sonnensystem

Vier Jahre nach dem Start erreichte die NASA-Sonde Dawn nach langem Flug im Sommer 2011 ihr erstes Ziel: den Planetoiden Vesta. Angetrieben wird sie von drei Ionentriebwerken, die einen schwachen, aber dauerhaften Schub liefern. Durch die fast ununterbrochen arbeitenden Triebwerke entfernt sich Dawn auf einer Spiralbahn immer weiter von der Sonne. Im Februar 2015 wird die Raumsonde den Zwergplaneten Ceres viele Monate lang aus der Nähe inspizieren.

Kompakt

· Vesta hat einen Eisenkern wie die großen erdähnlichen Planeten. Das unterscheidet sie von allen bislang erforschten Planetoiden.

· Am Südpol fanden die Forscher ein riesiges Bergmassiv – mit 20 000-Meter-Gipfeln das zweithöchste im Sonnensystem.

Mehr zum Thema

LESEN

Populärer, üppig gestalteter Band über das Sonnensystem: Marcus Chown DAS SONNENSYSTEM Fackelträger, Köln 2012 €29,95

INTERNET

Die Dawn-Mission: www.dawn.mps.mpg.de dawn.jpl.nasa.gov

Virtueller Flug über Vestas Kraterlandschaft: www.dlr.de/dlr/presse/desktopdefault.aspx/tabid-10172/213_read-1502/ year-2011/

Video zu Vestas Oberfläche: www.jpl.nasa.gov/video/ index.cfm?id=1085

Vortrag von Ralf Jaumann „Mapping Vesta – A Geological Overview“: vimeo.com/33317236

Ohne Titel

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