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Vitamine: Lieber Melonen als Pillen

Erde|Umwelt Gesundheit|Medizin

Vitamine: Lieber Melonen als Pillen
Gemüse und Obst schützen gegen Krankheiten – aber nur als ganze Früchte, nicht als Pillen. Warum das so ist, beginnen Forscher jetzt zu entschlüsseln.

Was man täglich über das Gesundheitspotenzial von Gemüse und Obst so liest und hört, ist recht widersprüchlich. Einmal sollen antioxidative Vitamine in Pflanzenkost gegen diverse Volksleiden helfen. Dann erscheinen wieder Studien über Vitaminpillen, die dies nicht belegen und den Tabletten sogar eine lebensverkürzende Wirkung zusprechen. Und: Im Kampf gegen Krebs scheint Grünkost nur bedingt wirksam zu sein. „Ja was denn nun?“, mag sich da so manch einer fragen.

Gesichert ist, dass der Mensch eine gewisse Menge an Vitaminen fürs Überleben braucht. Ohne sie gerät er in einen Mangelzustand mit akuten und schwerwiegenden Symptomen. Verzwickt wird es, wenn man herausfinden möchte, wie sich ein hoher oder niedriger Pflanzenkost-Verzehr über viele Jahre auswirkt. Schließlich sind hier große Interventionsstudien nötig, um Ursache und Wirkung auszumachen: Studien, bei denen sich Tausende Versuchspersonen akribisch an strenge Ernährungsvorschriften halten. Dafür fehlt oft das Geld – und die Bereitschaft der Probanden. Daher gewinnen Ernährungswissenschaftler ihre Erkenntnisse meist aus Reagenzglas-, Tier- und Beobachtungsstudien. Laut der im Juni 2012 überarbeiteten Richtlinie der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), „Obst und Gemüse in der Prävention chronischer Krankheiten“, gilt: Viel Obst und Gemüse reduziert definitiv das Risiko für Bluthochdruck, Herzinfarkt und Schlaganfall. „Pro Portion, bezogen auf einen Tag, kann man zum Beispiel sein Risiko für einen tödlichen Herzinfarkt um fünf Prozent senken“, erklärt Bernhard Watzl, Ernährungswissenschaftler am Max-Rubner-Institut in Karlsruhe. Dabei entspricht eine Portion etwa einer Paprika, drei Tomaten oder zwei Händen voll Trauben.

GESICHERT: DER HERZSCHUTZ

In Sachen Krebsprävention sieht die Datenlage dünner aus. Trotzdem halten Experten einen Schutz vor bestimmten Tumoren, etwa Magenkrebs, durch einen pflanzenkostreichen Speiseplan zumindest für wahrscheinlich. Möglicherweise sind Obst und Gemüse auch hilfreich, um Demenz, Osteoporose und Gewichtszunahme vorzubeugen. Die DGE empfiehlt vor allem wegen der positiven Effekte auf das Herz mindestens 650 Gramm Obst und Gemüse pro Tag – je mehr und je vielfältiger, desto besser.

Warum Gartenfrüchte so gesund sind, darüber wird derzeit noch spekuliert. Lange gingen Ernährungswissenschaftler davon aus, dass ein Übermaß an reaktionsfreudigen Molekülfragmenten, sogenannten freien Radikalen, im Körper zu Herzkrankheiten oder Krebs führt – so fand es auch Eingang in die Lehrbücher. Das versuchte man mit den antioxidativen Vitaminen A, C und E zu verhindern, die freie Radikale unschädlich machen. Mittlerweile hat etwa der serbische Wissenschaftler Goran Bjelakovic gemeinsam mit dänischen Kollegen der Universitätsklinik Kopenhagen bewiesen: Wenn man diese Stoffe als Tabletten nimmt, schützen sie keineswegs vor Volksleiden.

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Trotzdem werben Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln und chemisch angereicherten Lebensmitteln immer noch mit Aufschriften wie „Reich an gesunden Antioxidanzien“. Und auch die Umsätze mit Vitamin-Pillen wachsen weltweit: Laut dem Marktforschungsinstitut IMS Health kletterte der Umsatz mit Vitaminen und Mineralstoffen von 10 Milliarden Dollar im Jahr 2007 auf 13 Milliarden im Jahr 2011. Mehr als jeder vierte Deutsche greift täglich zu Nahrungsergänzungsmitteln.

DIE MACHT DER MATRIX

Doch das Gesundheitspotenzial von Obst und Gemüse liegt nicht in den Einzelsubstanzen. Vielmehr scheint die Kombination der Vitamine, Mineralstoffe, sekundären Pflanzenstoffe oder Ballaststoffe gesund zu sein, also die „Matrix“ eines Lebensmittels. Das folgert der Ernährungswissenschaftler David Jacobs, University of Minnesota, unter anderem aus Versuchen, bei denen Auszüge aus Tomaten, Äpfeln oder Brokkoli mit darin enthaltenen potenziell gesundheitsfördernden Einzelsubstanzen verglichen wurden. Ergebnis: Der Extrakt war stets wirksamer gegen Krebswachstum bei Nagern als der isolierte Stoff.

Warum die Gesundheit nur vom Gesamtpaket profitiert, ist bislang nicht geklärt. „Sicher ist nur, dass sich die zahlreichen Substanzen gegenseitig in Sachen Bioverfügbarkeit beeinflussen“, meint Jacobs. Das heißt: In welchen Mengen ein Stoff vom Darm ins Blut gelangt, hängt davon ab, welche anderen Mitspieler zugegen sind. Im Blickpunkt der Forscher sind dabei nicht mehr so sehr die Vitamine. „Die sekundären Pflanzenstoffe machen den Wert pflanzlicher Lebensmittel für unsere Gesundheit aus“, ist Watzl überzeugt. Allein 30 000 dieser Substanzen, die Tomate, Karotte & Co zur Schädlingsabwehr bilden, sind bis dato bekannt – vermutlich gibt es sogar 100 000. Und die sitzen in großen Mengen vor allem in den äußeren Schichten der Pflanze. Watzl empfiehlt daher, die äußeren Salat- und Kohlblätter mitzuverwenden, Äpfel ungeschält und Tomaten mit Haut zu genießen. Dies gilt jedoch nicht für Kartoffeln: Deren Schale kann giftiges Solanin und Chaconin enthalten.

Zur Bioverfügbarkeit der sekundären Pflanzenstoffe gibt es mittlerweile einige Studien. So hat etwa Elisabeth Wisker, Ernährungswissenschaftlerin an der Universität Kiel, 2011 in einem Übersichtsartikel dargelegt, dass der gelbe Farbstoff Quercetin aus Zwiebeln besser im Darm aufgenommen wird und damit ins Blut gelangt als aus Quercetin-Tabletten. Denn: Zwiebel-Esser hatten viermal mehr Quercetin im Blut als Probanden, die eine Pille schluckten. Quercetinreiche Kost kann nach ersten wissenschaftlichen Indizien Herzkrankheiten, Magenkrebs, Asthma und Alzheimer vorbeugen. Findige PR-Experten haben deshalb die Matrix für sich entdeckt. So werden Vitamin-Präparate heute „in eine Matrix eingebettet“ angeboten. Dafür werden zum Beispiel Fruchtextrakte in Pillen gepresst. Zu kaufen gibt es dann Grapefruit-Kern-Extrakte oder Brokkoli-Kaudrops. Allerdings fehlen auch in diesen Präparaten Stoffe, welche die Pflanze gratis mitliefert. Emily Ho, Wissenschaftlerin an der Oregon State University, hat 2011 in einer Brokkoli-Studie aufgedeckt, dass auch pflanzliche Enzyme eine Rolle spielen. Die bioaktiven Helfer im Brokkoli konnten nur dann vom Körper aufgenommen werden, wenn das Enzym Myrosinase zugegen war – das fand Ho aber nur in dem grünen Gemüse, nicht in Brokkoli-Tabletten. Es gibt zudem Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Lebensmitteln. So gelangt Quercetin in Kombination mit Alkohol besser vom Darm ins Blut – das Gläschen Rotwein zur Zwiebelsuppe ist also durchaus gesund.

KREBSHEMMEND UND ANTIBIOTISCH

Sekundäre Pflanzenstoffe sind wahre Tausendsassas: Sie schalten Gene an und aus. Sulforaphane, die Aromastoffe aus Kohl, helfen dem Körper auf diese Weise, gegen Krebszellen vorzugehen. Sie sind – wie zahlreiche andere Pflanzenstoffe auch – zudem antibiotisch wirksam, da sie beispielsweise „Helicobacter pylori“ im Magen abtöten. Das Bakterium kann an der Entstehung von Magenkrebs beteiligt sein. Flavonoide aus Äpfeln beeinflussen die Blutgerinnung, senken den Blutdruck und binden allergene Substanzen.

Das biochemische Arsenal kann jedoch von Apfel zu Apfel erheblich schwanken. Handelsübliche Sorten wie Jonagold oder Cox liefern zum Beispiel wesentlich weniger gesunde Stoffe als alte Sorten wie Sternwirtsapfel oder Edler Rosenstreifling. Wenn ein Apfel ein raues oder pelziges Mundgefühl verursacht, dann bietet er besonders viele sekundäre Pflanzenstoffe, denn so verraten sich die Kampfstoffe, mit denen sich die Frucht gegen Fressfeinde wehrt.

Der Wissenschaftler Watzl hat bei einer DGE-Tagung im Juni 2011 auch darauf hingewiesen, dass der Gehalt gesundheitsfördernder Stoffe steigt, wenn die Frucht lange am Baum oder auf dem Feld reifen und ihre Aromastoffe entfalten konnte. Die Praxis, unreife Früchte zu ernten, zu transportieren und in Lagerhallen künstlich nachreifen zu lassen, betrachtet Watzl darum skeptisch. Langes Lagern bei Zimmertemperaturen minimiert ebenfalls die gesunden Stoffe in Obst und Gemüse, während das Lagern bei Null Grad oder darunter schonend ist. Ratsam ist auch der Konsum von naturtrüben statt klaren Säften.

AUCH MIKROBEN SIND GESUND

Zum Herzschutz tragen überdies lösliche Ballaststoffe wie Pektin bei. Bewiesenermaßen kann Apfelpektin den Spiegel des „ schlechten“ Cholesterins LDL senken. Magnesium und Folsäure sind ebenso wichtig für die Herzgesundheit. Auch das lange gescholtene Nitrat, das in Obst und Gemüse vorkommt, entspannt die Blutgefäße und senkt so den Blutdruck. Studien mit Rote-Bete-Saft konnten dies belegen.

Neuerdings sprechen Forscher wie der Wiener Ernährungswissenschaftler Alexander Haslberger auch der natürlichen Mikro-Flora auf Salat, Karotten & Co Gesundheitswirkungen zu, weil diese Mitbewohner mit der Darmflora interagieren können. Auf Gemüsepflanzen tummeln sich Millionen harmlose Bakterien. Haslberger fand 2008 in einer Studie heraus, dass Salatpflanzen im Schnitt von 100 000 Laktobazillen pro Gramm besiedelt werden. „Wer viel Salat isst, könnte sich eine beträchtliche Menge an probiotikaähnlichen Bakterien zuführen“, schließt Haslberger daraus. Dass bestimmte Milchsäurebakterien gut für Darm und Immunsystem sind, ist in vielen Studien belegt.

Lange Lagerung von Blattgemüse ist dabei ungünstig, da sich pathogene Keime wie Salmonellen und Escherichia coli dann vermehren und die gewünschten pflanzenstämmigen Mikroben weniger werden. Sinnvoll ist es aber nach wie vor, Gemüse unter fließendem Wasser zu waschen. Das trägt krankmachende Keime ab, nicht jedoch die gesunde Besiedlung, die an das Habitat „ Blattoberfläche“ angepasst ist und sich sozusagen „festhalten“ kann. Wer das Gemüse kocht, tötet dagegen gute wie böse Keime. „ Möglicherweise kann das menschliche Immunsystem aber trotzdem noch bakterielle Strukturen im Gemüse ausmachen und seine Abwehr dementsprechend optimieren“, sagt Watzl. Das Credo „bunt ist gesund“ macht allemal Sinn. ■

KATHRIN BURGER liebt gekochtes Gemüse. Sie bezieht es aus einer Gärtnerei nahe München, die alte und geschmackvolle Sorten anbaut.

von Kathrin Burger

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Internet

Fragen und Antworten rund um die Empfehlung, fünf Portionen Obst und Gemüse am Tag zu essen: www.5amtag.de

Informationen rund um Obst und Gemüse mit nützlichem Saisonkalender: www.aid.de/ernaehrung/saisonkalender.php

Lesen

Carl Leitzmann, Claudia Müller, Petra Michel, Ute Brehme Ernährung in Prävention und Therapie Ein Lehrbuch Hippokrates, Stuttgart 2009, € 59,95

Kompakt

· Obst und Gemüse wirken gesundheitsfördernder als Pillen, weil mitgelieferte Enzyme helfen, die Pflanzenstoffe aufzuschließen.

· Auch die natürlichen Bakterien auf Blättern und Früchten könnten schützend wirken.

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