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Flotte Forschung

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Flotte Forschung
Auch in Zeiten leerer Kassen will Deutschland weiterhin die Meere erforschen und neue große Forschungsschiffe bauen. Den Anfang macht der Neubau der „Sonne”. Der technische Fortschritt zwingt die Planer dabei zu vielen Kompromissen.

„Brücke!”, SCHALLt es aus der Sprechanlage. „Brücke hört.” „ Gent, halt den Kahn doch mal an! Wir wollen hier ein paar Proben nehmen.” „Geht klar.” Solche lockeren Dialoge sind an Bord der „ Maria S. Merian” an der Tagesordnung. Der zweite Offizier Gent Wichmann setzt den Wunsch der Forscher sofort in die Tat um. Direkt neben einem der drei Steuerräder der Merian befindet sich das Terminal des Dynamischen Positionssystems. Ein paar Tastendrücke und Mausklicks später steht die Merian auf der Stelle. Für einen Landbewohner mag das ganz normal klingen, aber für einen Seemann ist es kleines Wunder: Auch wenn Wind und Strömung die Merian angreifen, hält sie ihre Position. Sie treibt nicht, sie bricht nicht aus.

Vorbild für künftige Schiffe

Die Merian ist Deutschlands modernstes Forschungsschiff. 2006 in Dienst gestellt, sollte sie nicht nur die Meere erkunden, sondern auch als Testobjekt dafür dienen, wie ein modernes Forschungsschiff aussehen kann. Wie bei einem Prototyp zu erwarten, brachte ihr das anfangs viele unfreiwillige Liegezeiten in der Werft ein. Doch heute begeistert sie die Forscher und die Nautiker auf der Brücke. Sie wird als Vorbild für die kommende Generation von Forschungsschiffen dienen.

Deutschland hat zurzeit sechs zivile Hochsee-Forschungsschiffe im Einsatz (sie sind auf den folgenden Seiten zu sehen). Dazu kommen die 72 Meter lange „Planet” der Bundesmarine und zwölf kleinere Schiffe, die hauptsächlich zur Erforschung von Nord- und Ostsee eingesetzt werden. Mehrere der großen Schiffe erreichen langsam ein kritisches Alter. Sie brauchen immer mehr Wartung und sind zum Teil technisch nicht mehr auf dem neuesten Stand. Renovierung und Aufrüstung könnten aber langfristig mehr kosten als ein Neubau. Deshalb haben sich das Bundesforschungsministerium (BMBF) sowie die Küstenländer Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein entschlossen, mehrere Schiffe neu zu bauen. Den Anfang macht die „Sonne II”. Wie die aktuelle „Sonne” soll sie vor allem den Indischen und den Pazifischen Ozean erforschen. Das bestehende Schiff hat zum Beispiel 2010 eine Milliarde Tonnen Manganknollen am Meeresboden aufgespürt, seltene Tiefseefische im Atacama-Graben vor der Westküste Südamerikas beobachtet sowie beim Aufbau des Tsunami-Warnsystems im Indischen Ozean geholfen.

Die neue Sonne wird von der Neptun-Werft in Warnemünde gebaut –p einer Schwester der Meyer-Werft in Papenburg, die vor allem für ihre Kreuzfahrtschiffe berühmt ist. Als nächstes soll die 61 Meter lange Poseidon neu gebaut werden – das entschied das BMBF im März – und dann die Polarstern. Das Geld dafür ist bereits im Bundeshaushalt eingeplant, aber bei Redaktionsschluss lag noch keine offizielle Entscheidung vor. Die letzte Aktion soll Ende des Jahrzehnts der Neubau der Meteor sein.

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2014 soll die Sonne II in See stechen. Der wissenschaftliche Berater des Projekts ist Klaus von Bröckel vom Kieler Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung (GEOMAR), der schon für die Merian verantwortlich war. „Die Vorgabe für die Sonne war: Merian plus ein Deck”, sagt er. „Sie wird also deutlich höher und auch länger sein als die Merian.” Die Sonne wird aber nicht bloß eine große Kopie der Merian werden. Dafür sind ihre Aufgaben zu unterschiedlich, auch wenn die Planer ähnliche Probleme lösen mussten.

WEDER PROPELLER NOCH RUDERBLATT

Zum Beispiel beim Antrieb: Dass Gent Wichmann die Merian mit wenigen Mausklicks anhalten kann, liegt nicht nur an der ausgeklügelten Computertechnik, sondern auch am Antriebssystem des Forschungsschiffs. Die Merian hat keine Welle mit einem Propeller, sondern zwei sogenannte Pods (englisch: „Gondeln”). Sie hängen hinten links und rechts unter dem Rumpf. Jeder Pod hat zwei Propeller, von denen einer zieht und der andere schiebt. Mit dieser Art von Antrieb – auch Azimuth-Antrieb genannt – braucht die Merian kein Ruderblatt mehr, denn die Pods lassen sich um 360 Grad drehen, und mit diesen Drehungen wird das Schiff gesteuert.

Man kann die Pods zum Beispiel 90 Grad zur Fahrtrichtung stellen und die Merian so „auf dem Teller drehen”. Diese enorme Manövrierfähigkeit ist sehr hilfreich, wenn das Schiff bei Untersuchungen des Meeresgrunds trotz Wind und Strömung auf der Stelle stehen soll, ein Forschungsgerät sehr präzise an einem bestimmten Ort auf dem Meeresboden absetzen oder einem Unterwasserroboter sehr langsam folgen muss.

Garanten für Beweglichkeit

Die Pods waren am Anfang die Sorgenkinder der Merian. Sie überhitzten sich oft und mussten in der Werft repariert werden. Diese Antriebsart gibt es erst seit Ende der 1990er-Jahre. Vor der Merian wurden sie fast nur in sehr großen Schiffen eingebaut, zum Beispiel in den Ostsee-Fähren, die Travemünde mit dem schwedischen Trelleborg verbinden. Diese Schiffe müssen im Hafen enorm beweglich sein, um ohne Schlepperhilfe schnell an- und ablegen zu können.

„Das sind aber Riesen-Pods”, sagt Thomas Ogrodnik, leitender Ingenieur der Merian, „darin könnten wir Skat spielen.” In die Pods der Merian kann ein Schiffsingenieur nicht einmal hineinkriechen. Dafür sind sie viel zu klein. Die Ingenieure können nur den oberen Bereich, wo die Pods im Rumpf eingebaut sind, warten und reparieren. Für sämtliche Schäden im Inneren des Antriebs müssen die Gondeln ins Dock. „Im Atlantik ist das kein großes Problem, aber das Haupteinsatzgebiet der neuen Sonne wird der riesige Pazifik sein – und dort ist es schwierig, überhaupt einen Techniker zu finden”, sagt von Bröckel. „Deshalb haben uns entschlossen, auf der Sonne zwei Wellen mit klassischen Schrauben einzubauen.”

Um trotzdem extrem wendig zu sein, bekommt die Sonne II sogenannte Bug- und Heckstrahlruder. Das sind Propeller, die das Schiff vorne und hinten unten aus dem Rumpf ausfahren kann und die es ihm ermöglichen, sich auf der Stelle um die Mittelachse zu drehen. Die Merian braucht die Strahlruder nicht, da sie zusätzlich zu den beweglichen Pods noch einen Jet-Antrieb hat.

Diese Turbine sitzt im Vorschiff und kann große Mengen Wasser auf einer Seite ausstoßen – was das Schiff dreht oder stabilisiert. Auch die Sonne II wird einen Jet haben. Doch er wird nicht weit vorne im Rumpf sitzen, sondern knapp vor der Mitte des Schiffs, wo er keinen so großen Effekt haben wird wie auf der Merian. Das klingt auf den ersten Blick unsinnig, ist aber ein Kompromiss, den die Konstrukteure eingehen mussten, um ein anderes Problem zu lösen. Dieses Problem heißt: Bläschen – und ist erst mit der modernen Forschungstechnik aufgekommen.

Ein Grund, warum heutige Meeresforschung so viel effizienter ist als noch in den 1990er-Jahren, liegt in den Möglichkeiten der Fernerkundung. Moderne Forschungsschiffe haben im vorderen Teil des Rumpfs hochauflösende Fächer- echolote. Sie ermöglichen es, quasi im Vorbeifahren präzise Meeresbodenkarten zu erstellen. Mit ihrer Hilfe erkennen die Forscher, wie es in mehreren Hundert Meter Tiefe aussieht. Dadurch können sie Tauchgänge und Probennahmen viel genauer als früher planen (siehe vorangehenden Beitrag „Vorstoß ins Korallenland”). Allerdings: Was diese Hightech-Geräte nicht vertragen, sind Bläschen im Wasser. Wenn diese unter dem Rumpf und dem Lot entlangziehen, produzieren die Messgeräte Fantasiewerte – und ein Jet, der Wasser durch die Gegend pumpt, produziert naturgemäß viele Bläschen. Er sollte also hinter den Loten liegen.

Bei der Maria S. Merian war das kein Problem, aber die Fächerecholote werden jedes Jahr leistungsfähiger – und größer. „ Das Echolot-System der neuen Sonne wird ungefähr doppelt so lang sein wie das der Merian”, sagt von Bröckel. Daher musste der Jet nach hinten, und ein blasenärmeres Bugstrahlruder kam nach vorn.

Problematischer Wulst

Forschungsschiffe zu konstruieren ist immer mit Kompromissen verbunden. Moderne französische Forschungsschiffe haben ihre Lote inzwischen in Gondeln ausgelagert, um sie von den Bläschen zu entfernen. Der Bug eines Forschungsschiffs ist ein weiterer kritischer Bereich. Die meisten modernen Schiffe haben einen charakteristischen Wulstbug, der aussieht wie ein kleines vorgebautes U-Boot. Er verringert den Widerstand im Wasser, erhöht die erreichbare Geschwindigkeit und verbessert die Eigenschaften bei hohem Seegang – eine feine Sache. Doch moderne Forschungsschiffe müssen auf diese konstruktive Hilfe verzichten, denn der Wulst würde zusätzlich Bläschen produzieren.

Die Sonne II wird deshalb nur einen kleinen Wulst bekommen und zusätzlich eine „Kehle”, eine Rinne im Rumpf. Sie verläuft auf beiden Seiten des Schiffes vom Wulst nach hinten und soll die dort entstehenden Bläschen oberhalb der Lote nach hinten leiten. So sieht jedenfalls der Plan aus. Ob dieses völlig neuartige Konzept in der Praxis den erwünschten Erfolg bringen wird, muss sich zeigen. „Wir lernen aus allen Schiffsbauten und bringen diese Erfahrungen in das Projekt ein. Trotzdem ist jedes Forschungsschiff ein Prototyp mit ganz eigenen Anforderungen”, sagt GEOMAR-Experte Klaus von Bröckel und meint schmunzelnd: „ Eigentlich müsste man jedes Forschungsschiff zweimal bauen können.” ■

von Thomas Willke

Adieu, Aurora Borealis

Sie sollte der Stolz der europäischen Polarforschung werden: ein Schiff, so groß und leistungsfähig, dass nur eine Vereinigung von zehn europäischen Ländern gemeinsam diese Aufgabe stemmen konnte. Die „Aurora Borealis” sollte ein knapp 200 Meter langer und 49 Meter breiter Forschungseisbrecher werden – bestens gerüstet, um auf sich allein gestellt in den Eiswüsten von Arktis und Antarktis zu forschen. Sie sollte mit 18 Kränen, einem Hubschrauberlandeplatz und einem 81 Meter hohen Bohrturm ausgestattet werden und Platz für 120 Forscher und Besatzungsmitglieder bieten. Für das Schiff sollte eigens ein Bohrturm entwickelt werden, der Bohrarbeiten in bis zu 5000 Meter Tiefe ermöglicht – und Schichten bis zu 1000 Meter unter dem Meeresboden erreichen kann.

Bei der ersten Planung 2005 rechneten die Konstrukteure mit Baukosten von 355 Millionen Euro, 2010 lagen die Schätzungen bei 650 bis 850 Millionen Euro. Wie und woher man dieses Geld bekommen sollte, war unklar. Daher empfahl der deutsche Wissenschaftsrat den Ausstieg aus dem Projekt und den Neubau eines anderen Schiffs: der „Polarstern II”. Ein offizieller Todesstoß für die Aurora Borealis steht zwar noch aus, doch das BMBF „verfolgt das Projekt derzeit nicht weiter”.

Neben den hohen Kosten sind auch Fortschritte in der Bohrtechnik ein Grund, warum die Forscher mit einem kleineren Schiff zufrieden wären. Ingenieure am MARUM in Bremen haben ein Meeresbodenbohrgerät (MeBO) entwickelt, das sich in handelsüblichen Containern transportieren und von jedem mittelgroßen Forschungsschiff auf den Meeresboden absetzen lässt (bild der wissenschaft 10/2011, „Vorstoß in die Todeszone”). Das MeBo kann rund 200 Meter tief in den Meeresboden vordringen – in bis zu 2000 Meter Wassertiefe. Das ist einfacher, flexibler und billiger. Und: Die Bohrtiefe von rund 200 Metern ist für die Grundlagenforschung eine spannende Region. Denn dort liegen die „ Klimaarchive” des Meeresbodens – und da gibt es reichlich Forschungsbedarf.

Kompakt

· Deutschland verfügt über eine große Flotte von Forschungsschiffen, die auf sehr unterschiedliche Regionen und Aufgaben spezialisiert sind.

· Die nächste Generation von Schiffen wird ein hochgenaues Fächersonar und ein neues Antriebssystem haben.

Mehr zum Thema

Internet

Infos zur Maria S. Merian: www.maria-s-merian.de

Infos zum Forschungsschiff Sonne: www.bgr.de/fs_sonne

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