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Gordon Cheng Leuchtturm der Robotik

Technik|Digitales

Gordon Cheng Leuchtturm der Robotik
Gordon Cheng ist einer der Top-Wissenschaftler in der Roboterforschung. Seit zwei Jahren forscht er in München – wegen des inspirierenden Umfelds.

Gordon Chengs Büro ist ein Kinderparadies. Auf der Fensterbank stehen Spielzeugroboter, die den Star-Wars-Filmfiguren nachempfunden sind, neben Mindstorms-Roboterbausätzen von Lego. Auf dem Tisch tanzt eine Figur aus zwei dottergelben Schaumstoffbällen namens Keepon zu Musik. Sie zuckt manchmal und nickt mit dem Kugelkopf, wenn man darüber streicht.

Cheng platziert sich so am Tisch, dass der Besucher vor dem albernen Spielzeug zu sitzen kommt. Zufall oder Absicht? Jedenfalls drückt und tätschelt man als Besucher unwillkürlich den Eierkopf und fühlt sich wie ein Teilnehmer an einem wissenschaftlichen Experiment. Zweifel keimen auf, ob hier wirklich der zurzeit renommierteste Roboterforscher der Welt arbeitet oder nicht vielleicht doch ein 44-Jähriger, der einfach nicht erwachsen werden will. Im Verlauf des Gesprächs stellt sich heraus: Es stimmt beides, wobei letztere Annahme eine falsche Fährte ist, die der Interviewte bewusst legt, um den höheren forscherischen Zweck seiner Arbeit zu illustrieren.

Bleiben wir bei Keepon. Der ulkige Tanzball wurde 2003 – natürlich – in Japan entwickelt: am National Institute of Information and Communication Technology in Tokio. Seine ursprüngliche Bestimmung, bevor er seit Kurzem als abgespeckte Variante unter dem Namen „My Keepon“ für 55 Euro in Online-Shops zu kaufen ist, war die Therapie von autistischen Kindern. Ein Kollege hat den niedlichen Roboter zwei Jahre lang mit entwicklungsgestörten Kindern getestet und überraschende Erfolge erzielt, berichtet Cheng. Völlig verschlossene Kinder seien auf einmal aus sich herausgegangen, erst gegenüber Keepon, später dann auch gegenüber Menschen.

Ziel: Das Lernen verstehen

Genau darum geht es bei Chengs Forschung: herauszufinden, wie Menschen auf Roboter reagieren – und umgekehrt. „Architektur kognitiver Systeme“ heißt dieser Forschungszweig, und weil der Mensch das beste kognitive System ist, das derzeit auf diesem Planeten zu haben ist, versucht Chengs Team dieses System nachzuahmen. Es will die menschlichen Entwicklungsprinzipien verstehen – allen voran das Lernen.

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Cheng klappt sein Notebook auf und startet die Standardpräsentation, mit der er dem Gast erläutert, woran sein Team innerhalb des CoTeSys-Clusters an der TU München arbeitet. Die erste Folie, die auf dem schicken Flachbildmoni- tor erscheint, zeigt ein kleines Mädchen, das mit humanoiden Robotern spielt. „Meine Tochter“, sagt Cheng stolz, „und mein liebstes Forschungsobjekt.“ Chengs jüngste Tochter ist fünf. Wie die Kleine mit den Robotern umgeht, wie sie ihre Umwelt wahrnimmt, wie sie lernt – all das interessiert ihren Vater brennend, weil er diese Erkenntnisse auf die Entwicklung humanoider Roboter übertragen will. „Normalerweise beschränkt sich die Robotik auf Hardware und Software“, klagt Cheng, „Neurobiologie und -psychologie fehlen völlig.“

Der Mann aus Macao

Sein Interesse für Robotik hat sich erst vor gut zehn Jahren entwickelt. Geboren wurde Cheng in Macao, einer ehemaligen portugiesischen Kolonie, die heute zu China gehört. Aufgewachsen ist er in Australien. An der Wollongong University in der Nähe von Sydney hat er Computerwissenschaft studiert. Danach deutete erst einmal alles auf eine Karriere in der Industrie hin. Cheng arbeitete als Berater für eine Transportfirma und gründete ein eigenes Unternehmen namens GTI Computing, das bis heute Software zum Management von Logistiknetzen entwickelt. Doch schließlich gewann die Wissenschaft die Oberhand. An der Australian National University in Canberra bekam er Gelegenheit, über ein Robotik-Thema zu promovieren. „Mein Herz schlägt mehr für die Wissenschaft – und dem Herzen sollte man folgen“, sagt Cheng. Andererseits: „Wenn ich glauben würde, dass ein bestimmtes Produkt positive Auswirkungen auf das Leben der Menschen und die Gesellschaft hat, würde ich auch wieder in einem Unternehmen arbeiten.“

WELTWEIT DIE NUMMER EINS

Damit ist erst einmal nicht zu rechnen. Denn nach der Promotion ging es mit der wissenschaftlichen Karriere steil bergauf. In Japan, dem Mutterland der Robotik, machte sich Cheng einen Namen als Vordenker. Weltweit gilt er heute als Nummer eins in der Robotik-Forschung. Am Labor für humanoide Interaktion des Electrotechnical Laboratory in Tsukuba sorgte er mit dem ersten vollintegrierten humanoiden Roboter für Furore. Das Geschöpf namens CB besteht aus einem Gewirr von Metallbauteilen und Kabeln. Es kann laufen, balancieren, sehen, hören, greifen und vieles mehr.

CB steht für Computational Brain, und dieses Computergehirn erlaubt es, dem Roboter beim Erkunden seiner Umwelt quasi über die Schulter zu schauen. Danach leitete Cheng die Abteilung für humanoide Roboter und Neurocomputerwissenschaft am Advanced Telecommunications Research Institute in Kyoto. Die alte Kaiserstadt ist der weltweite Brennpunkt für Robotik und künstliche Intelligenz.

Was bewegt einen Top-Wissenschaftler, der ein internationales Top-Institut leitet, nach München zu wechseln? Klar, München ist mit zwei ausgezeichneten Exzellenz-Universitäten einer der führenden Forschungsstandorte in Deutschland. Aber in Sachen Robotik haben deutsche Forscher bisher keine Weichen gestellt – jedenfalls nicht, wenn es um menschenähnliche Maschinen geht. Bei Industrierobotern ist Deutschland dagegen Weltspitze. Japan wollte Cheng halten, Australien wollte ihn haben und Universitäten in Frankreich und Italien, zu denen er gute Kontakte pflegt, hätten ihn ebenfalls vom Fleck weg verpflichtet. Warum also München? „In Japan habe ich sehr isoliert gearbeitet, in Australien wäre ich noch isolierter gewesen“, sagt Cheng.

Mit „isoliert“ sind nicht die sozialen Kontakte gemeint, denn Cheng wirkt gar nicht wie ein Eigenbrötler. Was fehlte, war der Austausch mit anderen Disziplinen, insbesondere mit Neurowissenschaftlern. Und damit ist klar, was den Ausschlag für München gab: Eine so hohe Dichte an Top-Forschern in fast allen denkbaren Disziplinen gibt es kaum irgendwo anders auf der Welt. Cheng ist inzwischen vernetzt mit den Biologen der TU München, mit den Molekularbiologen am Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried und vielen weiteren Einrichtungen in der Region.

Seine Frau gab grünes Licht

Ein Sprung ins kalte Wasser war der Umzug nach Deutschland nicht. Schon 2004 war Cheng als Gastprofessor in Karlsruhe – im Rückblick eine sehr produktive Zeit. Ohne seine Ehefrau wollte er die Entscheidung zum erneuten Wechsel des Kontinents aber nicht treffen. Daher flog Frau Cheng eine Woche vor dem geplanten Start der Berufungsverhandlungen mit nach München – und gab grünes Licht für die Isar-Metropole.

Was dem Gast aus Japan in den Verhandlungen angeboten wurde, war etwas ganz Besonderes. Die Technische Universität München schuf eigens für Cheng eine sogenannte Leuchtturmprofessur. Das heißt: unbefristet, ohne Mitbewerber ausstechen zu müssen, außerdem dotiert mit einem Gehalt jenseits des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst. Und natürlich ein „großzügiges Willkommensangebot“, wie CoTeSys-Direktor Uwe Haass es formuliert. Dazu gehörten Räumlichkeiten mit einer Grundausstattung, für die weniger renommierte Kollegen lange schuften müssen. Eine derartige Leuchtturmprofessur ist internationalen Spitzenforschern vorbehalten, die eine Universität unbedingt haben möchte. So eine Stelle muss vom Wissenschaftsministerium abgesegnet werden, weil sie die üblichen langwierigen Auswahlverfahren umgeht.

Nach seiner Ankunft ließ Cheng es bewusst ruhig angehen. Die versprochenen Personalstellen blieben im ersten Jahr unbesetzt. „ Ich war noch nicht bereit dazu“, sagt er. 2011 wuchs die Gruppe dann schnell, und sie besteht mittlerweile aus etwa 15 exzellenten Nachwuchswissenschaftlern. Auch die scheinen sich wie ihr Chef vor allem mit Spielen zu beschäftigen. In den Arbeitsräumen steht eine Tischtennisplatte, an einer Wand hängt ein Dartspiel. Beides ist allerdings nicht zur Freizeitgestaltung der Wissenschaftler gedacht, sondern als Trainingsgeräte für die Roboter, die hier entwickelt werden.

Der Dart-Roboter zum Beispiel geht auf eine Wette mit Kollegen des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt zurück, die einen Roboterarm entwickelt haben. Sie behaupteten, dass es unmöglich sei, diesen Roboterarm so zu steuern, dass er den Pfeil immer auf das „Bull’s Eye“ – das rote Feld in der Mitte – oder auf ein anderes gewünschtes Feld wirft. Das CoTeSys-Team bewies, dass es doch geht – der Roboterarm trifft immer. Für die Tischtennisplatte baut das Team gerade einen Roboter, der es einmal mit Spitzenspielern aufnehmen soll.

ÖDE MASCHINENKLÄNGE

Doch zu viel Perfektion ist auch nicht gut. Das merkt man, wenn sich Roboter künstlerisch-musisch betätigen. Cheng, der klassische Gitarre spielt und in seinem Büro stets klassische Musik im Hintergrund laufen lässt, erzählt von einem Gitarrenroboter mit sensationeller Fingerfertigkeit. Was der Roboter spielt, klinge zwar perfekt, aber auch mechanisch und langweilig.

Überhaupt sei es nicht das Ziel, Menschen zu ersetzen, sondern ihre Fähigkeiten mithilfe von Robotern zu erweitern. Cheng berichtet von einem Experiment, das er 2008 anstellte. Ein Affe, dem man Elektroden ins Gehirn gepflanzt hatte, lief auf einem Laufband. Die Gehirnimpulse wurden an einen Roboter übertragen, der nun ebenfalls zu laufen anfing.

Affenhirn steuert Roboter

Das Experiment hatte gleich mehrere wichtige Ergebnisse: Wenn das Laufband stoppte, blieb der Affe stehen, doch seine Gehirnzellen feuerten weiter. Der Roboter setzte seinen Marsch deshalb unbeirrt fort. Das Gehirn braucht in weniger als 200 Millisekunden ein Feedback zur Bewegung. Liegt zwischen dem Feuern der Gehirnzellen und der Bewegung des Roboters eine längere Pause, kommt das Gehirn durcheinander – wie im Experiment. Und die lange Pause gab es in diesem Experiment. Denn das Laufband mit dem Affen befand sich in den USA, Chengs Roboter dagegen in Japan, etliche Tausend Kilometer davon entfernt.

Das Ziel solcher Experimente ist klar: Eines Tages soll der Mensch allein mit Gedanken Roboter steuern können, die stellvertretend dorthin gehen, wo es für Menschen zu gefährlich ist – etwa in Gebäude, die durch ein Erdbeben oder eine Flutwelle zerstört wurden, oder in ein havariertes Kernkraftwerk. Profitieren würden auch kranke und behinderte Menschen. Sie könnten ein „Exoskelett“ aus künstlichen Muskeln anlegen und damit wieder selbstständig gehen.

Beim Rundgang durchs Institut fällt auf: Gordon Cheng leidet selbst an einer leichten Gehbehinderung. Ein Exoskelett braucht er zwar nicht, aber könnte die eigene Erfahrung nicht der Impuls für seine Forschung an humanoiden Robotern mit künstlichen Gliedmaßen sein? Cheng: „Gehbehinderten Menschen das Gehen wieder zu ermöglichen – das interessiert mich tatsächlich am meisten.“ ■

von Bernd Müller

Kompakt

· Gordon Cheng bringt die Robotik- Forschung spielerisch voran.

· Die TU München hat eigens für ihn eine Leuchtturmprofessur eingerichtet.

· Cheng arbeitet an humanoiden Robotern, die lernen und sich bewegen wie ein Mensch.

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