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Ladenhüter im Angebot

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Ladenhüter im Angebot
Teilchenphysiker buhlen vergeblich um Industriekunden. Röntgenstrahlen und Neutronen, die Physiker in ihren Beschleunigern und Reaktoren erzeugen, wären eine ideales Werkzeug für die Industrie. Doch das Vermarkten ist schwieriger als gedacht.

Walter Braun liegt voll im Plan. Für 10 der 14 begehrten Hochbrillanz-Meßplätze, die ab dem Sommer an der neuen Synchrotronstrahlungsquelle Bessy-II in Berlin-Adlershof in Betrieb gehen, hat er bereits Vertragspartner an Land gezogen. In den nächsten zwei bis drei Jahren hofft der promovierte Physiker, der an Bessy-II die Nutzung der Meßplätze koordiniert, weitere 15 Einrichtungen vermieten zu können, die an den Ablenkmagneten des Kreisbeschleunigers installiert werden sollen. Ganz oben auf Brauns Wunschliste: Industriepartner, die das enorme Potential der intensiven ultravioletten und weichen Röntgenstrahlung für ihre Forschung nutzen wollen und die bereit sind, dafür zu zahlen. 200 Mark kostet die Meßstunde an der laufenden Anlage Bessy-I, bei Bessy-II werden die Nutzer noch etwas tiefer in die Tasche greifen müssen.

Als das Bonner Forschungsministerium den 195 Millionen Mark teuren Nachfolger des betagten Elektronenbeschleunigers Bessy-I in Berlin-Wilmersdorf genehmigte, lautete die Vorgabe, daß ein Drittel der Meßzeit für die Industrie bereitgestellt werden muß. Ziel: Das Know-how öffentlicher Forschungsinstitute soll schneller in die Firmen und damit in Anwendungen fließen. Mit der Genehmigung der „Angström-Quelle Karlsruhe“ (ANKA), die im Jahr 2000 fertiggestellt wird und überwiegend für Nutzer aus der Industrie reserviert ist, wurde die strenge Quotenregelung für Bessy-II gelockert. Dennoch hofft Walter Braun auf eine möglichst große Resonanz seitens der Industrie.

Doch das ist leichter gesagt als getan. Vielen Firmen ist noch nicht klar, welche Vorteile ihnen die Forschung an einem solchen Großgerät bringt. Immerhin sei es schon ein Erfolg, sagt Braun, daß ein Jahr vor dem Beginn des Routinebetriebs industriebezogene Aktivitäten angelaufen seien. Zu den ersten Nutzern gehörten die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig, die Bessy-II zur Kalibrierung von Strahlungsmeßgeräten verwendet, die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), die an Verfahren zur Materialanalyse mittels Röntgenstrahlen arbeitet, sowie das Institut für Mikrotechnik (IMM) in Mainz, das schon an Bessy-I Mikromechanikbauteile nach dem LIGA-Verfahren belichtet hat.

Doch PTB, BAM und IMM finanzieren sich zum Teil aus öffentlichen Forschungsgeldern. Auf direkte Industriegelder hoffen die Bessy-II-Planer bisher vergeblich. Trotz positiver Resonanz der Industrie auf eine 1994 angefertigte Marktstudie und entsprechender Absichtserklärungen während der Planungsphase von Bessy-II hält sich die Industrie bei konkreten Projekten zurück. In den USA ist das anders: Dort haben die Chiphersteller Intel und IBM das Potential der Synchrotronstrahlung für die Röntgenlithographie und Mikro-analytik erkannt und finanzieren eigene Meßeinrichtungen an der Advanced Light Source (ALS) in Berkeley, einer mit Bessy-II vergleichbaren Quelle für weiches Röntgenlicht.

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Zu langsam, zu unflexibel, zu teuer – so lautet die Kritik der Industrie an den deutschen Grundlagenforschern, die ihre Röntgenstrahlung aus Teilchenbeschleunigern oder Neutronen aus Reaktoren für einen Obulus an die Industrie vermieten wollen. „Die Industrie denkt zu sehr im kurzfristigen ,Return of Investment`“, kontert Braun. Die Kommunikation mit den Firmen sei verbesserungsbedürftig, oft erlahme das Interesse nach einem abgeschlossenen Meßauftrag und man bekomme keine konstruktive Rückmeldung.

Auch Physiker am Hasylab, dem Synchrotronstrahlungslabor am Hamburger Teilchenbeschleuniger DESY, bemängeln hinter vorgehaltener Hand, daß die Firmen ihre Proben am liebsten in den Briefkasten stecken würden und ein paar Tage später die Meßergebnisse in Händen haben möchten. Das hält man in Hamburg für den falschen Weg. Um Industriepartnern die Nutzung der Synchrotronstrahlung zu erleichtern, bietet Hasylab drei Varianten an: Reine Forschungsprojekte – egal ob von öffentlichen Einrichtungen oder von Firmen – werden von einem Forschungsbeirat begutachtet, der in Abstimmung mit den Nutzern Empfehlungen für die Vergabe von Meßzeit gibt. Die Nutzung ist kostenlos, die Ergebnisse müssen vollständig veröffentlicht werden. Für anwendungsorientierte Projekte der Industrie wird ein Teil der Meßzeit reserviert. Der Nutzer muß die Kosten teilweise oder ganz übernehmen und kann dafür die Ergebnisse verzögert oder auch gar nicht veröffentlichen, wenn es sich um Arbeiten handelt, die nicht in die Hände der Konkurrenz fallen sollen. Aus Hasylab-Sicht am effektivsten ist das sogenannte Kooperationsmodell, bei dem die Industriepartner eng in den Laborbetrieb eingebunden sind. Jeder Partner zahlt einen Sockelbetrag von rund 50000 Mark im Jahr und finanziert damit eine halbe Stelle eines wissenschaftlichen Mitarbeiters, inklusive 500 Meßstunden. Die Veröffentlichung kann bis zu drei Jahre verzögert werden, bei besonders geheimen Projekten kann sie sogar ganz entfallen – bei allerdings höheren Kosten pro Meßstunde.

Trotz des saftigen „Eintrittspreises“ haben die Hamburger immerhin schon fünf Unternehmen für ihr Modell gewonnen, darunter die Degussa AG und Kosmetikhersteller Beiersdorf. Die fünf finanzieren bislang zwei Mitarbeiter, käme noch eine sechste Firma hinzu, könnten es drei Wissenschaftler sein.

Für Dr. Ulrich Hintze von der Abteilung Zentralanalytik bei Beiersdorf lohnt sich das Engagement am Hasylab. Dort läßt der Chemiker den Aufbau von Gelen und Emulsionen untersuchen, die für die Zubereitung und Wirkung von Cremes und anderen Kosmetika eine wichtige Rolle spielen. Hintze sponsert im Rahmen des Kooperationsvertrages eine Doktorandin am Hasylab, die dort schon diplomiert hat und „effektiver arbeiten kann“. Hintze erhofft sich nicht unmittelbare Vorteile für Produkte, sondern eher langfristigen Erkenntnisgewinn durch die Anwendung neuer Meßmethoden.

Ohne Rückhalt im eigenen Unternehmen wäre die Zusammenarbeit nicht so leicht zustande gekommen. Hintze profitierte davon, daß Beiersdorf seinen Sitz in Hamburg hat und es zum Hasylab nur ein Katzensprung ist. Hilfreich war auch, daß Hintzes Chef Physiker ist und alte Verbindungen zum DESY pflegt. „Das waren günstige Voraussetzungen“, gesteht Hintze.

Von den positiven Ergebnissen angespornt, engagiert sich Ulrich Hintze jetzt für ein Großprojekt, in das er auch andere Firmen und die holländische Universität Leiden einbeziehen möchte. Mit EU-Fördermitteln soll dann am Hasylab untersucht werden, wie sich Cremes auf der Haut verteilen und welche Wirkung sie darin entfalten.

Daß sich Firmen für die Synchrotronstrahlung stark machen, ist ein Einzelfall. Die meisten Unternehmen müssen mit Engelszungen vom Nutzen des gleißenden Röntgenlichts überzeugt werden. Wie es gehen könnte, soll ANKA zeigen. Die „Angström-Quelle Karlsruhe“ hat eine etwas höhere Energie als Bessy-II und wird bis 2000 unter der Federführung des Forschungszentrums Karlsruhe errichtet. Die Kosten von 70 Millionen Mark tragen der Bund und das Land Baden-Württemberg je zur Hälfte – unter einer Bedingung: Auf der Teilchenrennstrecke ANKA hat die Industrie Vorfahrt. Dazu soll eine GmbH gegründet werden, die sich vor allem an mittelständische Unternehmen wendet, für die Synchrotronstrahlung noch ein Fremdwort ist.

Das Angebot ist reichhaltig: Auf Messen, Workshops und mit Broschüren wird für die Dienste geworben, Beratung und Schulung sollen Unternehmen an die komplexe Thematik heranführen. Vor allem die LIGA-Technik, die am Forschungszentrum entwickelt wurde, soll mit Hilfe von ANKA am Markt etabliert werden. Der Nutzer schickt die Probe, alles andere erledigt das ANKA-Team. Kosten: 500 Mark pro Meßstunde. Damit muß die GmbH die Hälfte der Betriebskosten decken – ein Ziel, das laut Dr. Herbert Moser, Leiter des ANKA-Stabs, im Bereich des Möglichen liegt.

Auch in Berlin gibt es positive Ansätze: So wird es bei Bessy ein Anwenderzentrum geben, das komplette Dienstleistungen in Sachen LIGA-Technik anbietet und an die Arbeit des LIGA-Konsortiums anknüpft, das seit ein paar Jahren an Bessy tätig ist. Industriefirmen hätten bereits Interesse bekundet, heißt es aus Berlin. Ähnliche Pläne gibt es im Bereich Analytik. Für die Herstellung von optischen und feinmechanischen Instrumenten existieren bereits Kooperationsverträge mit Industriepartnern. Frischen Wind in die Berliner Luft soll überdies ein Konsortium aus Forschungslabors und Pharmafirmen bringen. Wenn das Geld aus Bonn bewilligt wird, soll mit der Röntgenstrahlung aus Bessy-II die Struktur der durch Gene kodierten Proteine genauer entschlüsselt werden. Fernziel: Das Design neuer Wirkstoffe für die molekulare Medizin.

„Kompetenz-Zentren gehört die Zukunft“, sagt Dr. Wilfried von Ammon vom Halbleiterhersteller Wacker. Der Konzern im bayerischen Burghausen ist an einem anderen Abfallprodukt der Großforschung interessiert: den Neutronen. Wacker nutzt die kleinen neutralen Elementarteilchen, um sie gezielt in den Halbleitergrundstoff Silizium einzubauen. Aus dem dotierten Silizium werden Thyristoren und Dioden hergestellt, die als elektronische Schalter und Regler in der Energietechnik dienen. Momentan muß Wacker Tonnen von Silizium über die Grenzen zu Reaktoren ins europäische Ausland verschicken. Grund: Der Forschungsreaktor München (FRM) in Garching ist technisch veraltet. Ammon wartet deshalb sehnsüchtig auf den FRM-II, der weltweit einer der leistungsfähigsten Neutronenreaktoren sein wird und 2001 in Betrieb gehen soll. Rund zehn Tonnen Silizium können dann jedes Jahr in Garching bestrahlt werden. Um in der hitzigen Diskussion um den FRM-II, der wegen seines Kernbrennstoffs aus hochangereichertem Uran in der Schußlinie steht, gewichtige Pro-Argumente zu haben, haben die Befürworter der Neutronenquelle schon während der Planungen ihre Kontakte zu Firmen intensiviert, die bereits den FRM-I genutzt haben. Laut Dr. Wolfgang Waschkowski vom FRM-II-Stab haben gut 20 Unternehmen starkes Interesse signalisiert.

Auch in Garching denkt man deshalb über die Gründung einer GmbH nach, die Dienstleistungen anbieten und als Keimzelle für kleine High-Tech-Firmen dienen soll. Dem bedingungslosen ANKA-Vorbild wollen die Neutronen-Physiker aber nicht folgen. Die rund 800 Millionen Mark für den FRM-II werden komplett vom Bund und vom Land Bayern finanziert. Von der Industrie gibt es kein Geld. Die muß sich die Nutzungszeiten am Reaktor erkaufen – zu welchem Preis steht noch nicht fest. Doch mehr als 20 bis 30 Prozent der Kapazität sind nicht drin, sagt Wolfgang Waschkowski. Schließlich sei die Garchinger Neutronenquelle ein Forschungsreaktor und diene hauptsächlich Forschung und Lehre.

Stichwort…

…Synchrotronstrahlung

Synchrotronstrahlung ist extrem brillant und überdeckt gleichmäßig den Spektralbereich vom sichtbaren über das ultraviolette Licht bis zur harten Röntgenstrahlung. Sie entsteht, wenn nahezu lichtschnelle, geladene Teilchen – meist Elektronen – durch Magnete auf eine Kreisbahn gezwungen werden. Ursprünglich ein lästiges Abfallprodukt aus den Kreisbeschleunigern der Teilchenphysiker, werden heute vermehrt Anlagen gebaut, die speziell zur Nutzung der Strahlung optimiert sind. Die leistungsfähigsten Maschinen für harte Röntgenstrahlung stehen in Grenoble (ESRF), Chicago (APS) und im japanischen Harima (SPring-8), für weiche Röntgenstrahlung in Berkeley (ALS), Triest (Elettra) und demnächst Berlin (Bessy-II). Das intensive, extrem gebündelte und exakt berechenbare Licht hat viele Einsatzfelder: Untersuchung von Materialeigenschaften, Prüfung von Werkstoffen Aufklärung von Proteinstrukturen und atomaren Vorgängen in biologischen Stoffen Röntgenmikroskopie an biologischen Organismen in wässriger Umgebung. Analyse von chemischen Reaktionen (zum Beispiel an Katalysatoren) Eichen von Strahlungsmeßgeräten Belichten von Strukturen in der Halbleiter- und Mikrosystemtechnik (LIGA) Diagnose von Herzkranzverengungen in der Medizin (bild der wissenschaft 11/1997, „Krebs unter Ionenbeschuß“)

…LIGA-Verfahren

LIGA steht für Lithographie, Galvanoformung und Abformtechnik und dient zur Herstellung winziger Strukturen wie Zahnräder, Sensoren, Partikelfilter oder Steckkontakte zur optischen Datenübertragung. Im ersten Schritt wird ein röntgenlichtempfindlicher Kunststoff über eine Maske bestrahlt. Die belichteten Bereiche werden entwickelt, geätzt und mit Metall gefüllt. Daraus entsteht entweder direkt das Endprodukt oder eine Form zum Gießen von Kunststoffteilen. Um die bis zu einen Millimeter tiefen, extrem scharf berandeten und zum Teil sich überkreuzenden Strukturen herstellen zu können, benötigen die LIGA-Techniker extrem paralleles Röntgenlicht: die Synchrotronstrahlung.

…Neutronenreaktor

In herkömmlichen Kernreaktoren halten Neutronen die Kettenreaktion aufrecht. Forschungsreaktoren wie der FRM-II haben eine weit geringere Leistung als Reaktoren zur Stromerzeugung, sind aber so ausgelegt, daß sie besonders viele Neutronen erzeugen, die an Meßplätzen oder Bestrahlungseinrichtungen genutzt werden. Einige Anwendungen: Analyse von Materialzusammensetzung Herstellung radioaktiver Bauteile zur Verschleißmessung Radiopharmaka Tumorbestrahlung Nachweis von Verschmutzungen in der Umwelt Dotierung von Halbleitern für die Leistungselektronik Aufspüren verborgener Defekte in Maschinenteilen (zum Beispiel Turbinenschaufeln).

Infos im Internet

Hasylab: http://www-hasylab.desy.de/

Bessy: http://www.bessy.de/

ANKA: http://hbksun17.fzk.de:8080/ANKA/

FRM-II http://www.frm2.tumuenchen.de

Bernd Müller

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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