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„Ich frage mich, wozu“

Allgemein

„Ich frage mich, wozu“

Es hat sich viel gewandelt in den letzten zehn Jahren. Damals war die Raumstation Columbus noch ein Projekt des Kalten Krieges mit immensen Kosten. Heute ist internationale Kooperation angesagt, in die Amerikaner, Russen, Japaner und Europäer eingebunden sind.

Auch Aufwand und Komplexität und damit die Kosten sind verringert worden. Aber gleichzeitig sind die Forschungsetats in den beteiligten Ländern erheblich geschrumpft. Und die Skepsis ist geblieben, weil die Frage nach dem Nutzen der bemannten Raumfahrt bisher nicht schlüssig beantwortet ist.

Dabei ist der Nutzen der Raumfahrt längst erwiesen, sei es in der Telekommunikation, in der Navigation oder beim Wetterdienst. Diese Anwendungen sind von sehr großem praktischen und ökonomischen Wert. Auch die Erderkundungssatelliten, die der Wissenschaft, der Kontrolle und der Zukunftsvorsorge dienen, sind unumstritten. Ebenso die Satellitenobservatorien und Raumsonden, die ganz neue Erkenntnisse über den Kosmos erbringen, die unser Weltbild verändern. Aber alle diese Satelliten und Sonden haben keine Menschen an Bord. Es sind ferngesteuerte Maschinen oder Roboter.

Und hier liegt der wesentliche Unterschied: Das besondere Problem der bemannten Raumfahrt ist der Mensch an Bord. Er macht das Ganze teuer, nicht wegen der Lebenserhaltungssysteme, aber wegen der Sicherheitsvorkehrungen, denen alles andere untergeordnet werden muß. Wozu braucht man den Menschen im Weltraum? Strenggenommen nur dazu, sein Verhalten unter Weltraumbedingungen zu untersuchen. Und das ist letztlich nur dann wirklich interessant, wenn es um die Vorbereitung längerer bemannter Flüge, zum Beispiel zum Mars geht.

Natürlich kann der Mensch in einer Raumstation auch Schalter bedienen oder einfache Reparaturen ausführen. Aber das können programmierbare Automaten oder Roboter auch. Und damit lassen sich fast alle anderen Untersuchungen, seien sie biologischer oder materialwissenschaftlicher Art, im Prinzip wesentlich kostengünstiger durchführen. Ist es nicht paradox, daß in den irdischen Fabriken und Labors Roboter immer mehr den Menschen verdrängen, dies aber im Weltraum nicht möglich sein soll?

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Ich erinnere an die Spacelab-Ergebnisse der siebziger Jahre. Was wurde den Forschern damals nicht alles versprochen? Normale Arbeitsumgebung im Weltraum, Verwendung von Laborgeräten und so weiter.

Damals plante man in Deutschland die Spacelab-Missionen D-1 bis D-15. Das Aus kam nach D-2, weil der Aufwand einfach nicht mehr bezahlbar war und die Erwartungen auf ein selbsttragendes Engagement der Industrie sich nicht erfüllten. Nichts spricht dafür, daß es in den nächsten 20 Jahren bei der Internationalen Raumstation ISS besser läuft. Der Bau der Infrastruktur und ihr Betrieb wird hohe Kosten verursachen, bevor auch nur ein einziges Experiment stattgefunden hat. Und ob für die Nutzung noch genügend Geld übrig bleibt, ist ungewiß – siehe Spacelab.

Für viele Vorhaben ist im übrigen der Astronaut nicht nur unnötig, sondern sogar störend, zum Beispiel für astronomische Forschungen. Astronauten an Bord verursachen häufig Schwingungen und Stöße. Man müßte die hochgenauen Teleskope gegen solche Erschütterungen stabilisieren. Dasselbe gilt für sehr empfindliche Mikrogravitations-Experimente.

Teleskope, die den Himmel in jenen Spektralbereichen erforschen, für die die Erdatmosphäre undurchlässig ist, werden auch weiterhin besser auf Roboter-Satelliten sitzen. Und für die Naherkundung ferner Planeten und Monde braucht man weiterhin Raumsonden, die dorthin fliegen – unbemannt.

Von den Befürwortern der Raumstation wird zuweilen die Fliegerei als Beispiel angeführt, die auch „futuristisch“ begann und heute für jedermann nützlich sei. In der Tat: Heute fliegen Millionen von Menschen jährlich in einer total lebensfeindlichen Umgebung. In 12000 Meter Höhe könnte man ohne den Schutz des Flugzeugs nicht eine Minute lang überleben. Doch in den Anfängen der Luftfahrt haben einzelne unter Einsatz ihres Vermögens und manchmal ihres Lebens Pionierarbeit geleistet. Die Luftfahrt hat sich langsam und organisch entwickelt, immer im Gleichgewicht mit den Anwendungen ein evolutionärer Prozeß. Die Luftfahrt hätte sich nicht so rasch entwickelt, wenn die Lust am Fliegen der einzige Motor gewesen wäre, wenn es nicht außerdem den Bedarf gegeben hätte, Menschen und Waren zu transportieren – dazu natürlich leider auch die militärischen Anwendungen. Bei der bemannten Raumfahrt soll dagegen ein großes System aus dem Boden gestampft werden, ohne daß eine überzeugende wirtschaftliche Begründung dafür existiert.

Gleichwohl ist die politische Entscheidung für die Realisierung der Raumstation gefallen. Mit ihrem Bau wird begonnen, in einigen Jahren wird sie existieren und will genutzt werden. Dies wird angesichts der angespannten Finanzlage sehr schwierig werden. Um so wichtiger wird es sein, bei der Auswahl der Experimente höchste Qualitätsmaßstäbe anzulegen. Eine kritische Bilanz der Ergebnisse von 25 Jahren Spacelab könnte dabei wertvolle Dienste leisten. Gleichzeitig muß unbedingt vermieden werden, daß die erfolgreichen, lebendigen und florierenden Bereiche der Weltraumforschung, zu denen zweifellos die wissenschaftliche Erkundung des Kosmos gehört, durch eine einseitige Fokussierung auf die Raumstation erstickt werden. Dabei geht es um mehr als nur einige Projekte. Es geht um eines der großen Betätigungsfelder menschlichen Geistes in der Zukunft.

Bei aller Skepsis hinsichtlich der gegenwärtigen Situation bin ich der Meinung, daß es langfristig durchaus eine ökonomische Perspektive für den Menschen im All geben wird. Warum soll er nicht andere Planeten oder Monde besiedeln, wenn es dafür gute Argumente, zum Beispiel ökonomischer oder bevölkerungspolitischer Art gibt? Am Ende wird er sogar unwiderruflich die Erde verlassen müssen, wenn sich nämlich dereinst die Sonne zu einem Roten Riesen aufbläht. Aber das hat noch eine geraume Weile Zeit.

Joachim E. Trümper

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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