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Algen auf der Sonnenbank

Allgemein

Algen auf der Sonnenbank
Schädigt das Ozonloch die Pflanzenwelt? Nein, behaupteten US-amerikanische Forscher vor einiger Zeit. Deutsche Biologen kommen zu anderen Ergebnissen.

Wenn sich die Taucherin Heike Lippert im Kongsfjord auf Spitzbergen vorsichtig von der Eiskante ins kalte Wasser gleiten lässt, will sie die Auswirkungen des Ozonlochs auf die Pflanzenwelt untersuchen. US-amerikanische Forscher um Peter Searles von der Utah State University hatten vor einiger Zeit Entwarnung für die Befürchtung gegeben, die zunehmende UV-Strahlung könnte der Pflanzenwelt kräftig schaden. Lippert und ihre Kollegen vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven wollen es genauer wissen. Im Kongsfjord auf dem 79. Breitengrad Nord taucht die Biologin mitten in eine vor Leben wimmelnde Unterwasserwelt. Bis zu vier Meter lange Braunalgen wiegen sich in der Strömung und bilden gleichsam einen Unterwasserwald. Dazwischen wachsen ähnlich den Sträuchern und dem Unterholz im Wald lappenförmige Gebilde und fein verästelte Pflanzen, die Heike Lippert als Rotalgen identifiziert. Durch diesen Unterwasserwald schlängeln sich bläuliche Borstenwürmer, See-Igel knabbern an abgebrochenen Algen, ein Heer winziger Gespensterkrebse klammert sich an die „ Äste“ einer Braunalge. Hier am Rande der Eiswüste ist der ideale Ort, um der Frage der Forscher auf den Grund zu gehen. In gemäßigten Breiten mit reicher Vegetation nimmt die ultraviolette Strahlung nur wenig zu, da dort die Ozonschicht in der Stratosphäre höchstens um einige Prozent abnimmt. In Polnähe dagegen registrieren Forscher teilweise Ozonverluste von über 50 Prozent. Aber die Auswirkungen auf die Pflanzenwelt lassen sich dort schlecht untersuchen, da es in diesen Eiswüsten kaum Pflanzen gibt. Heike Lippert leitet gemeinsam mit Jürgen Laudin die Forschungstauchergruppe in Prof. Christian Wienckes Team „ Solare UV-Strahlung“. Grundsätzlich haben Algen zwei mögliche Mechanismen, um sich vor Strahlung zu schützen: „Wasser verhindert das Eindringen ultravioletter Strahlen ebenso wie eine intakte Ozonschicht“, erklärt Lippert. In fünf Meter Tiefe gelangt nur noch ein Prozent der UV-B-Strahlung, die auf der Wasseroberfläche des Kongsfjords ankommt. „Obendrein schützen sich manche Algen, zum Beispiel Rotalgen, recht effektiv vor der schädlichen UV-Strahlung.“ Ähnlich wie der Mensch das braune Schutzpigment „Melanin“ in der Haut einlagert, um Schäden durch starke Sonneneinstrahlung zu verhindern, bilden manche Rotalgen spezielle Aminosäuren, von Biochemikern MAAs abgekürzt (Mykosporin-ähnliche Aminosäuren). Sie bewahren den lebenswichtigen Photosynthese-Apparat vor schädlicher UV-A-Strahlung. Rotalgen produzieren nur so viel MAA, wie sie gerade benötigen. Verpflanzt Heike Lippert nun Rotalgen aus großer Wassertiefe, in die nur wenig UV-Strahlung vordringt, in Flachwasser mit viel UV-Strahlung, beginnen die Zellen innerhalb weniger Stunden, neues MAA zu produzieren. Nach wenigen Tagen ist ein ausreichender Schutz vor der Strahlung aufgebaut. Trotzdem könnten die Algen mit der schwindenden Ozonschicht Probleme bekommen, denn der MAA-Schutz ist nicht perfekt: Die schützenden Aminosäuren absorbieren UV-Strahlung vor allem bei Wellenlängen zwischen 310 und 360 Nanometern. Doch der Teil der UV-B-Strahlung, der zwischen 280 und 320 Nanometern liegt, kann passieren und schädigt in geringen Wassertiefen die Erbsubstanz der Pflanzen. Mit ihrem Experiment simulieren die Mitarbeiter von Christian Wiencke im Prinzip die Auswirkung eines sich vergrößernden Ozonlochs: Verringert sich die Ozonschicht und damit deren Filterwirkung, bekommt eine Alge in einer bestimmten Wassertiefe mehr UV-Strahlung ab – ähnlich wie bei einem Transport in eine höhere Wasserschicht, in der die Filterwirkung des Wassers abnimmt. Somit engen gleich zwei Grenzen den Lebensraum der Algen ein: Sie können auf der einen Seite nur so nahe an der Wasseroberfläche wachsen, dass ihr Sonnenschutz noch gegen das eindringende UV-Licht wirkt. In der Tiefe wiederum setzt das Sonnenlicht selbst die Grenze: Ab einer bestimmten Tiefe reicht seine Strahlung nicht mehr aus, um die Pflanzen mit Energie zu versorgen. „Schwindet die Ozonschicht weiter, könnte die UV-Grenze irgendwann bis in die Nähe der Tiefengrenze bestimmter Algen absinken und deren Lebensraum stark einengen“, befürchtet Christian Wiencke. Am empfindlichsten sind die Sporen, mit denen die Algen sich fortpflanzen. Die Mitarbeiter von Christian Wiencke entdeckten in ihren Experimenten: Schon kleine Dosen UV-B-Bestrahlung töten sie innerhalb von 16 Stunden ab. Wie vereinbaren sich diese Ergebnisse der AWI-Forscher mit denen ihrer Kollegen aus Übersee? Die Amerikaner hatten keine eigenen Versuche durchgeführt, sondern lediglich mehrere hundert Studien der vergangenen Jahre in einen Topf geworfen und ein durchschnittliches Ergebnis errechnet. Wiencke kritisiert das: „ Die Kollegen mischen in dieser Arbeit Ergebnisse aus Labor-Experimenten mit Messungen in der Natur. Das macht häufig Schwierigkeiten.“ Beispielsweise wird die Strahlung nicht immer mit der gleichen Methode gemessen. Die Bestimmung von UV-Strahlung ist so kompliziert, dass sich am AWI eine eigene Arbeitsgruppe nur mit der Entwicklung von UV-Messgeräten beschäftigt. Die amerikanische Studie sieht zwar keine Bedrohung der Pflanzenwelt durch die schrumpfende Ozonschicht, doch die AWI-Forscher bezweifeln das: „Die Ergebnisse unserer Arbeitsgruppe signalisieren jedenfalls keine Entwarnung“, betont Wiencke.

Roland Knauer

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