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Dreck am Badewannenrand

Allgemein

Dreck am Badewannenrand
Steine am Meeresgrund könnten das Bett gewesen sein, auf dem sich die ersten Moleküle des Lebens vereinigten.

Die Atmosphäre brodelt, Blitze zucken. Asteroiden, groß wie Wolkenkratzer, bombardieren den Planeten. Glühend heiße Lava quillt aus Rissen und Spalten der noch dünnen Erdkruste und bringt das Wasser des Ur-Ozeans zum Kochen. Ein höllischer Ort war die Erde vor vier Milliarden Jahren. Ein Hexenkessel, der das Herz von Nils Holm höher schlagen lässt. „Heute erscheinen uns diese Bedingungen absolut lebensfeindlich”, sagt der Geochemiker von der Universität Stockholm. „Doch für das aufkeimende Leben waren sie genau richtig.” Was sich damals im heißen Wasser des Ur-Ozeans zusammenbraute, waren die ersten Bausteine für das Leben: Aminosäuren, aus denen die Eiweiße entstanden, und die so genannten Basen, die Bausteine der Nukleinsäuren, aus denen DNA besteht. Kopfzerbrechen bereitet Holm und seinen Wissenschaftskollegen allerdings die Frage, wie sich aus diesen Bausteinen die Lebensmoleküle selbst zusammensetzten. Denn, so lautet das Gesetz des Lebens, Nukleinsäuren können nicht ohne Eiweiße und Eiweiße nicht ohne Nukleinsäuren entstehen. „Es ist das klassische ‚Henne-und- Ei-Problem”, sagt Stephen Sowerby, Biochemiker der neuseeländischen Forschungsfirma Global Technologies. Was war zuerst da? Sowerby, Holm und ihre Kollegen von den Universitäten Otago in Neuseeland und München glauben nun, einen Ausweg aus dem Dilemma gefunden zu haben. Nukleinsäuren und Eiweiße wurden in der Tiefe des Ur-Ozeans gemeinsam zum Leben erweckt, vermuten die Forscher. Und das stellen sie sich so vor: Die heiße Ursuppe spülte die Moleküle der Basen und Aminosäuren über den steinigen Meeresboden. Wie der Dreck am Badewannenrand setzten sich dabei einzelne Basen an der Gesteinsoberfläche ab. Im Laufe der Zeit entstanden so ganze Teppiche aus Nukleinsäurebasen – die ersten genetischen Vorlagen, sozusagen Ur-DNA. Die Aminosäuren hatten nun ihrerseits eine Vorliebe für diese Basenteppiche. Sie suchten die Nähe der Basen, hefteten sich an sie und verbanden sich schließlich zu Eiweißen. So die Theorie der Forscher. Die ist nach Ansicht von Gustaf Arrhenius „eine clevere Idee”. Der Professor für Ozeanografie am Scripps-Institut der Universität von Kalifornien in La Jolla erforscht selbst den Ursprung der ersten Biomoleküle auf der Erde. Doch Arrhenius ist skeptisch, dass die Forscher die ersten Lebensvorgänge jemals beweisen können: „Schließlich lassen sich die urzeitlichen Prozesse nicht mehr beobachten.” Aber Sowerby und seine Kollegen simulieren etwas Ähnliches im Labor: Mithilfe eines Raster-Tunnel-Mikroskops können sie künstlich erzeugte Schichten aus Nukleinsäurebasen beobachten. Das Mikroskop tastet mit einer feinen Metallnadel die Schichten Zeile für Zeile ab – ähnlich wie die Nadel eines Plattenspielers die Rillen der Schallplatte. Auf diese Weise bekommen die Forscher Bilder, die einzelne Basenmoleküle zeigen. Solche mikroskopischen Aufnahmen brachten bereits die Erkenntnis, dass sich die Basen auf festen Oberflächen spontan zu Schichten anordnen. Verschiedene Aminosäuren haften unterschiedlich stark an verschiedenen Basen. So kann aus den vielen verschiedenen Aminosäuren eine Struktur entstehen, die vom Muster des Teppichs abhängt, erklären die Forscher. Damit ist ihnen der Nachweis gelungen, dass auch schon die einfachen Basenteppiche genetische Informationen verschlüsseln können. „Sie zeigen einen Weg, wie Ordnung in das urzeitliche Chaos gekommen sein könnte”, kommentiert Wolfgang Heckl vom Institut für Kristallographie und Mineralogie der Universität München die Arbeit der Neuseeländer. Der Physiker (siehe Beitrag auf S. 86) hat die Ideen Sowerbys bei dessen Forschungsaufenthalten in München entscheidend mitgeprägt. „Die bisherigen Experimente klären aber keineswegs alle Fragen der Lebensentstehung”, gibt Heckl zu bedenken. So sei es bislang unbewiesen, dass sich die Aminosäuren an den Basenschichten tatsächlich zu Eiweißketten verbinden.

Dr. Ute Schönfelder

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