Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Kaspar Hauser – Vom Mythos zum Modell

Allgemein

Kaspar Hauser – Vom Mythos zum Modell
Ob ein Vater gesucht, ein Mörder überführt oder, wie im Fall Kaspar Hauser, ein Mythos geklärt werden soll – der „genetische Fingerabdruck“ liefert den Beweis. Wird bald jeder in einer Genkartei erfaßt? Das Thema bei „ Wissenschaft live“.

Sieben Jahr nach seinem Tod holte man unlängst den Chansonier Yves Montand aus dem Grab. Eine Frau will durch einen Gentest bestätigen lassen, daß Montand ihr Vater war – was ihr ein reiches Erbe einbringen würde. Das Ergebnis soll in ein paar Wochen vorliegen. Erbgut aus fremden Zellen, die am Körper der elfjährigen Christina aus Strücklingen in Niedersachsen gefunden wurden, brachten die Polizei auf die Spur ihres Mörders. Christina war Ende März vergewaltigt und getötet worden. Zwei aktuelle Beispiele aus einer wachsenden Zahl von Fällen, in denen der sogenannte genetische Fingerabdruck eine Person zweifelsfrei identifizieren soll.

Die Methode hat ihre Tükken. Kann man immer sicher sein, daß die untersuchte Gewebeprobe nicht manipuliert worden ist? Solche Zweifel bewahrten 1996 den US- Footballstar Otis J. Simpson vor dem elektrischen Stuhl. Alle Umstände wiesen darauf hin, daß er der Mörder seiner Frau war. Weil aber der Verdacht nicht ausgeräumt werden konnte, daß ein rassistischer – weißer – Polizist Blutspuren des Verdächtigen mit Absicht am Tatort ausgelegt hatte, wurde Simpson freigesprochen.

Ein Musterbeispiel für die Möglichkeiten und Fallstricke der Genanalyse ist der Fall Kaspar Hauser. Der junge Mann wurde 1828 auf dem Marktplatz in Nürnberg aufgegriffen. Er war völlig verwahrlost und konnte kaum sprechen. Es stellte sich heraus, daß er jahrelang isoliert in einer dunklen Zelle gefangengehalten worden war. Bald kursierte das Gerücht, er sei der Erbprinz von Baden, den man habe beiseite schaffen wollen. Als Kaspar Hauser 1833 in Ansbach von einem Unbekanntem erstochen wurde, war für viele Zeitgenossen klar: Der Mord sollte die Affäre vertuschen.

Wie Kaspar Hauser von einem Mythos der Geschichte zu einem Modellfall der Rechtsmedizin wurde, davon handelte die Veranstaltung „Wissenschaft live“ am 30. März im Deutschen Museum Bonn. Vor vollem Haus erläuterten Experten die Methode des genetischen Fingerabdrucks. Schülerinnen und Schüler des Cusanus-Gymnasiums in Koblenz hatten sich zusammen mit ihrem Biologielehrer Hansjörg Groenert und dem Molekularbiologen Dr. Gottfried Weichhold von der Ludwig-Maximilians-Universität München besonders auf dieses Thema vorbereitet. Zahlreiche Hintergrundinformationen und weiterführende Links haben die Schüler auf einer eigenen Seite im Internet zusammengestellt, unter http://www.uni-koblenz.de/~odsgroe/hauser.htm

Anzeige

Gegenstand der Untersuchung war die blutige Unterhose Kaspar Hausers, die im Museum gezeigt wurde. Dr. York Langenstein, Leiter der Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern – und damit der oberste Wächter der Hinterlassenschaften des angeblichen Prinzen – und der Münchener Gerichtsmediziner Prof. Wolfgang Eisenmenger räumten zunächst all die Zweifel aus, die jede Erbgutuntersuchung nutzlos gemacht hätten:

Ja, es ist die Hose Kaspar Hausers; bis 1888 war sie im Besitz der Justiz, bis 1926 in Händen eines privaten Museumsvereins, seit 1926 nachweislich im Museum Ansbach. Ja, es ist Menschenblut auf der Hose, und zwar männliches. Nein, es kann nicht das Blut des Mörders oder sonstwie von außen auf die Unterhose geraten sein; zum einen habe das Opfer noch viele Kleidungsstükke darüber getragen, die Blutspritzer von außen abgehalten hätten; zum anderen sei das Blut eindeutig von der Stichwunde hinab auf den Hosenbund geronnen, wo es sich charakteristisch gestaut habe.

Es ist das Blut Kaspar Hausers: 164 Jahre nach dem Mord war die Wissenschaft soweit, aus diesen braunen Flecken die Lösung der Frage herauszulesen: War der Findling der wahre Erbprinz von Baden?

Der Gerichtsmediziner Eisenmenger und der Biochemiker Prof. Ernst-Ludwig Winnacker erläuterten dazu den Gästen des Deutschen Museums Bonn das Verfahren, wie man Gene aus winzigen Spuren von Blut, Speichelzellen – Eisenmenger: „Ein Knutschfleck reicht uns schon“ – oder einem einzigen Haarbalg isoliert und solange vermehrt, bis man genug Material für eine experimentelle Untersuchung hat. „Kein Zweifel, es ist die Unterhose Kaspar Hausers“, bestätigt der Kulturhistoriker Dr. York Langenstein (oben links) bdw-Redakteur Jürgen Nakott. In seinem Labor in München demonstrierte Dr. Gottfried Weichhold (Mitte) derweil live, wie man eine Genanalyse erstellt. Schülerinnen des Koblenzer Cusanus-Gymnasiums (rechts) staunen: „Ein bißchen weißer Schleim – und daraus wird ein Mensch.“

Via Liveschaltung nach München verfolgten die Gäste, wie der Molekularbiologe Weichhold im Labor eine Probe so aufbereitete, daß die Erbinformation in den typischen Bandenmustern sichtbar wird. Jeder Mensch hat ein einzigartiges Muster, den genetischen Fingerabdruck.

Weil auch Mitglieder einer Familie typische Übereinstimmungen zeigen, die man über Generationen verfolgen kann, war ein Vergleich der Gene Kaspar Hausers mit heute lebenden Nachkommen der badischen Fürstenlinie möglich. Das Ergebnis zeigte eindeutig: Der Findling war kein Sohn einer markgräflichen Mutter.

Der Wert des Genvergleichs bei der Suche nach Straftätern oder der Klärung von Verwandtschaftsbeziehungen ist heute nicht mehr umstritten. Sollte man, so eine Frage aus dem Publikum, dann nicht gleich von jedem Menschen bei der Geburt eine Genkartei anlegen? Die Polizei könnte sich viel Arbeit sparen, wenn sie bei Mord oder Vergewaltigung Blut oder Sperma in einer Art genetischer Rasterfahndung durch den Analysecomputer jagen würde. Das aber lehnte Winnakker, auch Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, rigoros ab: „Solche Genvergleiche dürfen nur freiwillig sein. Sie verletzen sonst in unzumutbarer Weise die Persönlichkeitsrechte des Menschen.“

Jürgen Nakott

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Meg|an|thro|pus  auch:  Meg|anth|ro|pus  〈m.; –, –thro|pi〉 Lebewesen aus dem Übergangsbereich zw. Tier u. Mensch … mehr

Zin|ga|res|ca  〈f. 10; Mus.〉 Tanzlied der Zigeuner [ital.]

♦ Nu|kle|o|tid  〈n. 11; Biochem.〉 Baustein der Nukleinsäure, aus einem Phosphat, Ribose u. einer Base zusammengesetzte Verbindung; oV Nucleotid … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige