Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Frische Fische für die Forschung

Allgemein

Frische Fische für die Forschung
Der Zebrabärbling ist das neue Haustier der Biologen. Ein Jahr lang Fressen und Sex, so lautet das Motto für einen Fisch im Dienste moderner Forschung. Sein lockeres Leben soll den Menschen helfen, ihren eigenen Werdegang besser zu verstehen.

Die kosten einsfünfzig das Stück”, sagt die Verkäuferin im Zoogeschäft. Mengenrabatt gebe es nicht, denn das sei ohnehin ein sehr guter Preis für Danio rerio, den Zebrabärbling.

Wegen seiner Genügsamkeit ist er als sogenannter “Anfängerfisch” bei den Aquarienfreunden beliebt. Der Bärbling frißt alles, was man ins Becken wirft und ihm noch ins Maul paßt. Er verkraftet auch mal den verspäteten Wechsel des Schmutzfilters. Mit seinem schicken blauweißen Streifenmuster schmückt das ausgewachsen etwa vier Zentimeter lange Fischchen so manches bundesdeutsche Wohnzimmer.

“Süßwasserfisch, natürliches Vorkommen: Östliches Vorderindien, von Kalkutta bis in den Nordwesten Afghanistans”, steht im Aquarienatlas. Es handele sich um einen lebhaften Schwarmfisch, besonders bemerkenswert sei die Gattentreue. Die Weibchen laichen meist mit einem bestimmten Männchen ab und sind mit anderen Partnern kaum zur Fortpflanzung zu bewegen.

Da hat Danio Glück, denn Polygamie kommt für ihn in den Zuchtbecken der Entwicklungsgenetiker eh nicht in Frage. Dieser Zweig der Genetik erforscht, welche Gene dafür sorgen, daß eine Pflanze, ein Tier und ein Mensch überhaupt entsteht. Wie kommt es zu Flossen oder Armen, und welches Gen sorgt dafür, daß die Augen an ihren vorgesehenen Platz im Kopf gelangen? Kurzum: Wer schafft Ordnung im Embryo?

Anzeige

Der Weg zu den Genen führt über kranke Tiere: Die Forscher lösen mittels Bestrahlung oder Chemikalien Schäden in den Genen von Versuchstieren aus, die nach aufwendigen Kreuzungsversuchen bei den Nachkommen dieser Tiere sichtbar werden.

1981 schlug der amerikanische Forscher George Streisinger den Zebrafisch als Forschungsobjekt vor. Zwar waren die Entwicklungsgenetiker damals noch vollauf mit der Taufliege – Drosophila – beschäftigt. Doch die Direktorin des Max-Planck-Instituts für Entwicklungsbiologie in Tübingen, Prof. Christiane Nüsslein-Volhard, suchte bereits nach einem Wirbeltier für ihre Forschungen. Denn langfristig möchten die Genetiker auch die menschliche Embryonalentwicklung verstehen – Drosophila aber ist mit uns nur entfernt verwandt, auch wenn viele Gene eine ähnliche Funktion bei Fliege und Mensch haben.

Die Maus, über deren Genetik man nach 100 Jahren Forschung schon relativ viel weiß, bot sich als Versuchstier an. Doch der Zebrafisch bietet Vorteile. Ein geschlechtsreifes Fischweibchen liefert jede Woche 300 bis 400 Eier, die Maus wirft nur etwa alle drei Wochen höchstens ein Dutzend Junge. Und Fischeier sind durchsichtig: Man kann das Heranwachsen des Embryos bequem unter dem Vergrößerungsglas beobachten – anders als bei einem Mausembryo, der in der Gebärmutter steckt.

1987 stellte sich Christiane Nüsslein-Volhard zum ersten Mal ein Aquarium ins Labor. Der Zebrafisch kam aus einem Tübinger Zoogeschäft, und bis heute dominiert die Linie “Tübingen” in den Labors. Eine eigene Arbeitsgruppe aber verwaltet inzwischen etwa 400 Fischtypen und verschickt sie für Forschungszwecke auf Anfrage kostenlos in die ganze Welt. Die Sammlung ist Ergebnis einer gigantischen Fleiß- und Geschicklichkeitsarbeit. Zwischen 1992 und 1994 war ein gutes Dutzend Wissenschaftler damit beschäftigt, bei dem Zebrafisch die Forschungen zu wiederholen, die man vorher in ähnlicher Form mit der Fliege angestellt hatte. Das war notwendig, um herauszubekommen, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den genetischen Programmen der Tiere stecken.

Zunächst mußten Fischmännchen einige Zeit in Wasser mit Ethylnitroso-Harnstoff baden. Die Chemikalie löst Mutationen in den Spermien aus. Bei späteren Kreuzungen wurden die genetischen Defekte auch in Weibchen eingeschleust. Fische haben wie Menschen einen doppelten Chromosomensatz. Meist kann ein defektes Gen vom gesunden Gen auf dem anderen Chromosom kompensiert werden. Erst wenn der Defekt auf beiden Chromosomen steckt, wird er sichtbar. Solche Tiere entstanden in der nächsten Züchtungsrunde. “Jeden Dienstag haben Mitarbeiter in etliche Becken jeweils ein Weibchen und ein Männchen gesetzt”, erklärt Dr. Stefan Schulte-Merker, Mitarbeiter am Institut. Knipste der Forscher Mittwoch morgens das Licht an, laichten die Weibchen ab und die Männchen befruchteten die Eier – jedes gerade mal 0,8 Millimeter klein. Donnerstags und freitags, die beiden ersten Tage der Entwicklung der Fische, saß jeder Biologe über seiner Stereolupe und schaute die Embryonen auf mögliche Defekte durch. Schon 24 Stunden nach der Befruchtung sind viele Organe im Fischembryo zu erkennen. Am Montag, dem fünften Tag im Leben der Fische, kamen sie wieder unter die Lupe. Am Dienstag wurden die nächsten Pärchen verkuppelt.

Rund 4000 unterschiedlich mutierte Fische zählten die Tübinger im Lauf der Zeit. Die Mutationen gehen wahrscheinlich auf Defekte in 372 Genen zurück. Viele dieser Mutanten sterben früh.

Zebrafische aus der Gruppe “Curly” etwa zappeln mit verkrümmter Wirbelsäule nur wenige Tage herum – schwimmen können sie nicht. Bei anderen Vertretern wächst das Gehirn nicht richtig. So exotisch die Schäden, so exotisch die Namen: “Babyface” und “Dackel” haben einen Kieferdefekt und veränderte Brustflossen, “Quark”, “Pfeffer” und “Salz” entsprechende Körperfarben. “Gemini” und “Saturn” heißen Fische mit Defekten im Gleichgewichtsorgan. Der Genetiker Schulte-Merker erinnert sich: “Die wurden eines Morgens zufällig entdeckt. Ein Viertel aller Jungfische im Becken schwamm so, wie ein Fisch eigentlich nur in der Schwerelosigkeit schwimmt.”

Wer die Tiere sehen will, muß am Eingang zur Zuchtstation zunächst die Schuhe in Desinfektionsmittel baden. Dann staunt der Besucher beim Anblick geordneter Natur. 6000 Aquarien, in jedem einige Dutzend Fische, stehen aufgereiht auf langen Regalen. Dabei beherbergt der sogenannte “Babyraum” gerade mal einen Bruchteil aller Mutanten – nur jene, die derzeit für die genauere Erforschung ihrer Defekte heranwachsen. Die eigentliche Sammlung ist für Besucher tabu – wegen der Gefahr, daß Keime eingeschleppt werden.

Leben für die Forschung heißt es hier für Danio rerio: Beste Wasserqualität, 14 Stunden Licht, 10 Stunden Dunkelheit, konstante Temperatur von 26 Grad im Becken und immer genug zu fressen. “Trockenfutter für die ganz kleinen, Artemia-Krebschen für die etwas größeren”, erläutert Gerd-Jörg Rauch, Doktorand am Institut. Später kommen vor allem fette Drosophila-Larven ins Becken. Je fetter die Nahrung, desto rascher wird der Fisch geschlechtsreif und desto mehr Nachkommen gibt es Woche für Woche.

Der Nachteil des guten Essens zeigt sich für die Fische an Effekten, wie sie mitunter auch bei Zivilisationsmenschen zu beobachten sind. Sie verfetten und sterben früh. Nach einem Jahr Völlerei und heftigster Sexualaktivität im Dienst der Forschung sind sie am Ende.

Selbst mit ihrer stattlichen Sammlung haben die Forscher nur einen Bruchteil aller Gene des Zebrafisches identifiziert. Bei Drosophila steuern etwa 5000 Gene die frühe Embryonalentwicklung. Beim Fisch dürften es mindestens genauso viele sein. Insgesamt hat er schätzungsweise 100000 Gene.

Derzeit arbeiten die Forscher an einer exakten Gen-Karte des Fisches: Auf welchen Chromosomen liegen die defekten Gene und wo dort genau? Dafür werden Zebrabärblinge gebraucht, die sich genetisch möglichst stark von den Fischen in ihren Zuchtbecken unterscheiden. Um nach solchen Vertretern in Bächen und Seen zu angeln, flog eigens eine Tübinger Delegation nach Indien. Allerdings hatten die Biologen einige Mühe, ihren Schützling in der freien Wildbahn wiederzuerkennen.

Durch die Glasscheibe eines extra großen Beckens im Institut glubschen einige seltsame Fische. “Die stammen von einem Wildfang. Wir wollten mit ihnen unsere Danios auffrischen”, sagt Gerd-Jörg Rauch. “Dann aber entpuppten sie sich als eine ganz andere Art.” Jetzt warten sie auf einen Spezialisten, der ihnen einen Namen gibt.

Bernhard Epping

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Blu|men|flie|ge  〈f. 19; Zool.〉 Angehörige einer Familie der Fliegen, die von Nektar lebt: Anthomyida

einbin|den  〈V. t. 111; hat〉 1 in etwas hineinbinden 2 mit Deckel u. Rücken (Einband) versehen (Buch) … mehr

Kö|nigs|fa|san  〈m. 1 od. m. 23; Zool.〉 zentralchines. Hühnervogel mit extrem langem Schwanz im männl. Geschlecht: Syrmaticus reevisi

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige