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Revolution in der Röntgenastronomie

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Revolution in der Röntgenastronomie
Das Chandra-Observatorium enthüllt die hochenergetische Seite des Kosmos. Das dritte große Weltraumtelskop der NASA begeistert die Astronomen mit seinen ersten Bildern. Es sendet zehnmal schärfere Aufnahmen als seine Vorgänger und gilt schon jetzt als ein neuer Meilenstein der Astronomie.

Der Satellit fliegt viele tausend Kilometer weit entfernt durchs All, doch Martin Weisskopf ist ständig mit ihm verbunden – nicht nur über Funk, sondern auch emotional. Wenn der Projektwissenschaftler vom Marshall Space Flight Center in Huntsville, Alabama, auf das Chandra-Observatorium zu sprechen kommt, glänzen seine Augen vor Begeisterung. „Als ich das erste Bild sah, wußte ich: Ein Traum ist Wirklichkeit geworden.“ Martin Elvis stimmt zu: „Chandra revolutioniert die Hochenergie-Astronomie“, freut sich der Leiter der Science Data Systems Group am eigens gegründeten Chandra X-ray Observatory (CXO) Center am Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics in Cambridge, Massachussetts. „Für Röntgenastronomen ist der Sprung von Rosat zu Chandra vergleichbar mit dem Sprung von den großen optischen Fernrohren auf der Erde zum Hubble-Weltraumteleskop.“ Der 1991 gestartete deutsche Röntgensatellit Rosat war der bisherige Spitzenreiter in der Röntgenastronomie. Doch Chandra ist in der Lage, rund zehnmal schärfere Aufnahmen zu gewinnen. Rein rechnerisch könnte das Teleskop die Buchstaben auf einem Stopp-Schild aus einer Entfernung von 19 Kilometern lesen. Auch die spektrale Auflösung von Chandra ist zehnmal größer, die Empfindlichkeit sogar über 50mal.

Die Raumfähre Columbia hatte das Röntgenteleskop am 23. Juli 1999 in eine Erdumlaufbahn gebracht. Während die Öffentlichkeit bei der Space Shuttle-Mission STS 93 vor allem der 42jährigen Eileen Collins Beachtung schenkte, der ersten US-Kommandantin im All, steht für die Wissenschaftler der Passagier in der Ladebucht der Raumfähre im Mittelpunkt, der an eine überdimensionale Mumie im Schlafsack erinnert. Mit seinen 13,8 Meter Länge ist Chandra die größte und mit 4,2 Tonnen Gewicht (plus der 19,7 Tonnen schweren Zusatzrakete) auch die schwerste Nutzlast, die jemals ein Space Shuttle in den Weltraum transportiert hat. Zunächst haben die Astronauten Chandra in rund 250 Kilometer Höhe ausgesetzt. Von dort wurde der Satellit mit Hilfe der Zusatzrakete am 7. August auf eine extrem elliptische Umlaufbahn gebracht, die ihn bis zu 139141 Kilometer von der Erde entfernt – auf ein Drittel der Monddistanz. Dadurch läßt sich bis zu 80 Prozent der Zeit des 64stündigen Orbits für astronomische Messungen nutzen. Satelliten in erdnahen Umlaufbahnen wie das Hubble-Weltraumteleskop kommen nur auf etwa 50 Prozent, weil ihnen die Erde viel länger den Blick versperrt, und weil die Ausrichtung von Weltraumteleskopen auf neue Beobachtungsziele nur sehr langsam gelingt. Allerdings könnte Chandra bei einem technischen Defekt von Astronauten nicht repariert werden. Das 1,5-Milliarden-Dollar-Projekt ist nach dem Hubble-Weltraumteleskop und dem Compton-Gammastrahlen-Observa-torium das dritte Großteleskop der amerikanischen Weltraumbehörde NASA. Es wird vom Marshall Space Flight Center betrieben. Chandra hieß früher AXAF (Advanced X-ray Astrophysics Facility) und wurde noch vor dem Start zu Ehren des aus Indien stammenden Nobelpreisträgers Subrahmanyan Chandrasekhar umgetauft. Es ist mit zwei Kameras und zwei Spektrometern ausgerüstet, die für Energiebereiche von 0,07 bis 10 Kiloelektronenvolt empfindlich sind (Röntgenstrahlung mit einer Wellenlänge zwischen 0,1 und 20 milliardstel Meter). Das übertrifft die Bandbreite des bisherigen Spitzenreiters, des japanischen ASCA-Satelliten, um das Siebenfache. Daß die Instrumente mit Ausnahme eines Detektors planmäßig funktionieren, haben die Tests inzwischen bewiesen. Ende August stellten die Astronomen Chandras erste Röntgenaufnahme vor: Vom Supernova-Überrest Cassiopeia A. Das 1,4 Stunden lang belichtete Bild zeigt faszinierend deutlich die vor 320 Jahren ins All gesprengten Trümmer eines explodierten Sterns, die mit der interstellaren Materie kollidieren. Die Gasschale ist ungefähr 10000 Lichtjahre entfernt, 10 Lichtjahre groß und rund 50 Millionen Grad heiß. „Wir können die Schockwellen erkennen, die mit mehreren tausend Kilometern pro Sekunde durchs All rasen“, sagt Harvey Tananbaum, Direktor des CXO Centers. „Erstmals sehen wir auch einen hellen Punkt nahe beim Zentrum des Supernova-Überrests. Diese Strahlung könnte von der kollabierten Sternleiche stammen, die bei der Explosion zurückgeblieben ist.“ Noch nicht feststeht, ob es sich dabei um einen Neutronenstern oder um ein Schwarzes Loch handelt. Mittlerweile hat Chandra Strahlung von weiteren kosmischen Röntgenquellen empfangen, auch von anderen Supernova-Überresten wie G21.5-0.9 im Sternbild Schild (16000 Lichtjahre entfernt), N132D in der Großen und E0102-72 in der Kleinen Magellanschen Wolke. N132D ist 3000 Jahre alt, 80 Lichtjahre groß und noch immer 10 Millionen Grad heiß. Noch wesentlich heißer ist der 6000 Lichtjahre entfernte Krabbennebel, dessen Inneres Chandra in bestechender Brillanz zeigte.

Auch die Strahlung fernster Objekte vermag Chandra zu erhaschen. Das beweist eine Aufnahme des sechs Milliarden Lichtjahre entfernten Quasars PKS 0637-752. Er leuchtet so hell wie zehn Billionen Sonnen. Die Ursache dafür ist wahrscheinlich der „Todesschrei“ von Materie, die in ein gewaltiges Schwarzes Loch im Zentrum der Urgalaxie gesaugt wird. Radioaufnahmen haben hier schon früher einen Jet aus hochenergetischen Teilchen entdeckt, den der Quasar ins All schießt. Chandra gelang es, diesen Partikelstrom auch im Röntgenbereich nachzuweisen. Über 200000 Lichtjahre erstreckt er sich in den intergalaktischen Raum hinaus. „Chandras Fähigkeit, Röntgenaufnahmen erstmals in einer Qualität zu liefern, die mit optischen Bildern vergleichbar ist, wird für fast die gesamte Astronomie von Nutzen sein“, schwärmt Robert Kirshner von der Harvard University.

Chandra wird völlig neue Erkenntnisse über hochenergetische Phänomene im Universum ermöglichen: über Urgalaxien, die Natur der mysteriösen Gammastrahlen-Ausbrüche und der geheimnisvollen Dunklen Materie, heißes Gas in Galaxienhaufen, den Einsturz von Materie in Schwarze Löcher, einsame Neutronensterne und die Geburt von neuen Planetensystemen. Außerdem rechnen die Astronomen damit, daß Chandra auf einer Fläche von der Größe des Vollmondes rund 1000 neue Röntgenquellen entdecken wird, weil das Teleskop noch 20mal schwächere Objekte aufspüren kann als Rosat. „780 Forschungsanträge sind vor dem Start für Chandras erstes Jahr gestellt worden“, sagt Martin Elvis. „Damit wurde die verfügbare Beobachtungszeit sechsfach überbucht. Von meinen drei Anträgen kam nur ein halber durch – genau Durchschnitt.“ Wie gut, daß Chandras Mission fünf bis zehn Jahre dauern soll.

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Rüdiger Vaas

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