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Hitzeschutz fürs Inferno

Allgemein

Hitzeschutz fürs Inferno
Der Absturz der Columbia hat gezeigt, wie riskant die Rückkehr aus dem All zur Erde ist. Der Schutz von Raumfähren gegen das Verglühen in der Erdatmosphäre ist aufwändig und teuer. Aufblasbare Hitzeschilde und das Abseilen von Kapseln könnten Abhilfe schaffen.

Es galt als eine technische Meisterleistung, das Mosaik aus 24 300 Unikat-Kacheln, das den Space Shuttle beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre vor dem Erglühen schützen sollte. Zwar gingen bei jeder Mission des fliegenden Kachelofens 20 bis 140 Schindeln verloren oder erlitten so schwere Beschädigungen, dass sie ausgewechselt werden mussten. Doch das Risiko für die Crew hielt die US-Raumfahrtagentur Nasa stets für gering.

Seit dem 1. Februar 2003 ist alles anders. Auf ihrem Heimflug brach die US-Raumfähre „Columbia” in 63 Kilometer Höhe auseinander. Als Ursache diskutiert werden defekte Hitzeschutzkacheln. Für die sieben Astronauten an Bord gab es keine Rettung. Ende Februar verdichteten sich die Hinweise, dass eine Beschädigung des Hitzeschutzes die Ursache der Katastrophe war.

Schon seit Jahren suchen Ingenieure nach alternativen Möglichkeiten, um Raumschiffe während der Rückkehr aus dem All vor der irdischen Höllenglut durch die Reibungshitze zu schützen. Besonders motiviert, auf diesem Gebiet zu forschen, sind europäische Wissenschaftler. Anders als Amerikaner und Russen besitzen sie weder Raumkapseln noch Raumfähren, um Menschen und Geräte von der Internationalen Raumstation ISS zur Erde zu bringen. So können sie auch nicht selbstständig die im künftigen ESA-Labor „Columbus” erzeugten Materialproben und die defekten oder nicht mehr benötigten Geräte zur Erde transportieren.

Bisher sind sie darauf angewiesen, Transportflüge mit dem amerikanischen Space Shuttle oder den russischen Sojus-Kapseln zu buchen – für teures Geld. So sind bei einem Flug mit dem Space Shuttle der Nasa pro Kilogramm beförderter Nutzlast rund 25000 Euro zu zahlen. Ein großer Teil der hohen Kosten geht auf das Konto der aufwendigen Wartung der Hitzeschilde. Daher suchen die Forscher in Europa nach Wegen für ein eigenes kostengünstiges Rückführungssystem mit neuen Hitzeschutztechnologien. Im Babakin-Forschungszentrum bei Moskau und bei dem europäischen Raumfahrtunternehmen Astrium in Bremen setzen die Wissenschaftler und Ingenieure auf aufblasbare Hitzeschilde. Sie bestehen aus einer Polyethylenhülle mit einer hauchdünnen Wärmeisolation, deren genaue Zusammensetzung die russischen Forscher bislang streng geheim halten. „Die Idee stammt eigentlich aus dem russischen Mars 96-Projekt”, sagt Konstantin Pitchadze vom Babakin Forschungszentrum. Geplant war damals die Landung kleiner Forschungskapseln auf dem Roten Planeten. Um deren Aufprallgeschwindigkeit auf dem Marsboden zu verringern, erfanden die russischen Forscher ein neuartiges Bremssystem. Es sollte sich beim Eintritt in die Atmosphäre des Mars wie ein Regenschirm entfalten. Leider fiel die Bewährungsprobe ins Wasser: Die Rakete, die die Raumsonde auf den Weg zum Mars bringen sollte, stürzte kurz nach dem Start in den Pazifischen Ozean.

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Glücklicherweise begannen die sowjetischen Raumfahrtzentren zu jener Zeit, ihre Tore für westliche Experten zu öffnen. So bekamen Forscher bei Astrium Wind von den Arbeiten in Moskau. Die Technik wurde daraufhin für den Einsatz in der über 100-mal dichteren Atmosphäre der Erde weiterentwickelt. Während die russischen Wissenschaftler praktische Erfahrungen beim Bau von Hitzeschilden einbrachten, halfen die westlichen Experten zum Beispiel bei der Optimierung des Systems mit Hilfe von Computersimulationen.

Am 9. Februar 2000 fand die Feuerprobe für das aufblasbare Schutzschild statt. Vom Weltraumbahnhof Baikonour startete eine Sojus-Rakete mit einem kleinen Testsatelliten, umschlossen von einem 80 Zentimeter großen „Rettungsring”. Unmittelbar vor dem Eintritt in die Erdatmosphäre in rund 100 Kilometer Höhe wurde der Bremsschlauch auf etwa zwei Meter Durchmesser aufgeblasen. Dabei nahm er die Form eines Federballs an, der mit 25facher Schallgeschwindigkeit durch die Atmosphäre raste. In 30 Kilometer Höhe wurde der Schutzschild auf vier Meter vergrößert, so dass der Luftwiderstand die Kapsel auf die Geschwindigkeit eines Schnellzugs abbremste. Der Vorteil dieser Bremsmethode: Die Raumkapsel ist einer deutlich geringeren thermischen Belastung ausgesetzt als bei herkömmlichen Hitzeschilden .

„Das Hauptproblem besteht in der Stabilisierung des Systems”, sagt Dr. Stephan Walther vom Bremer Unternehmen Return & Rescue Space Systems (RRSS), einem Joint Venture von Astrium und Babakin. Ähnlich wie ein Federball kann der Schutzschild leicht umschlagen. Im schlimmsten Fall bedeutet das den Verlust der Mission. Beim ersten Testflug gab es instabile Flugphasen, die die Bremswirkung des Schirms verringerten. Die Folge: Der Satellit erhitzte sich zeitweilig auf 200 Grad Celsius, die Landegeschwindigkeit war mit über 200 Kilometern pro Stunde viermal so hoch wie geplant. Dennoch werteten die Forscher die Mission als wichtigen Teilerfolg.

Am 12. Juli 2002 sollte der Test wiederholt werden. Diesmal schoss die Besatzung des russischen Atom-U-Boots Ryazan den Testsatelliten mit einer Volna-Langstreckenrakete ab. Als Landegebiet wurde die Halbinsel Kamtschatka im fernen Osten Sibiriens auserkoren. Aber dort kam der 140 Kilogramm schwere Raumflugkörper nie an – denn die Trennung des Satelliten von der Rakete war miss-glückt. Ein neuer Versuch ist nun für den Sommer 2003 geplant. Dass auch tonnenschwere Satelliten bis hin zum Space Shuttle in Zukunft von aufblasbaren Schilden geschützt werden, halten Experten für möglich. Noch liegt allerdings zu wenig Erfahrung mit dieser Technologie vor, um sie schon bei künftigen US-Fähren anwenden zu können. Für realistischer hält Walther die Rückführung teurer Raketenoberstufen, nachdem sie einen Satelliten im Erdorbit ausgesetzt haben. Aufblasbare Schilde könnten auch als kosmische Rettungswesten in Not geratenen Raumfahrern an Bord der Internationalen Raumstation helfen.

Die aufblasbaren Schilde sind nicht die einzige neue Rückkehrtechnologie. Technisch möglich ist auch das Abseilen aus dem Orbit der ISS. „Wichtigste Voraussetzung dafür ist ein 35 Kilometer langes Seil, das von einer Trommel oder Spule abgewickelt wird”, sagt Sven Müncheberg vom Raumfahrtunternehmen Kayser-Threde in München. Müncheberg leitete ein Projektteam mehrerer europäischer Firmen und Institutionen, das im Auftrag der ESA die Machbarkeit des „Sample-Return” per Seil untersucht hat.

Die Forscher schlagen vor, Raumkapseln mit den Geräten und Materialproben zu beladen und sie dann an einem millimeterdünnen Seil aus reißfesten Polymeren, vergleichbar mit einer Angelschnur, in Richtung Erde abzuseilen. Je näher eine solche Kapsel der Erde kommt, desto stärker würde sie von deren Schwerkraft angezogen. Wie einen Hund an der Leine würde die Kapsel dann versuchen, die Raumstation hinter sich herzuziehen. Wenn das abgespulte Seil eine Länge von 35 Kilometer erreicht hat, wird es gekappt, so der Vorschlag. Der „Kick” durch den dabei entstehenden Beschleunigungsimpuls sollte ausreichen, um den Satelliten in die Erdatmosphäre zu katapultieren. „Ein Hitzeschild würde zwar weiter benötigt”, sagt Müncheberg. „Doch die Triebwerke und Treibstofftanks entfallen, die bislang notwendig sind, um die Kapsel auf Abstiegskurs zur Erde zu bringen.” Dadurch ließe sich das Gewicht der Kapsel um mehrere hundert Kilogramm reduzieren. So könnte man etwa genauso viel Geld sparen wie bei der Rückkehr mit aufblasbaren Schilden: rund 30 Prozent im Vergleich zum Transport per Space Shuttle.

Noch sind das aber Visionen. Praktische Erfahrung mit Seilexperimenten in der Erdumlaufbahn haben bislang nur die Nasa, das US-Militär und die italienische Raumfahrtbehörde ASI gesammelt. Von mindestens 18 Versuchen endeten viele mit Kabelbrüchen oder Seilsalat. Da ein Teil der Experimente unter Aufsicht des Militärs erfolgte, sind nicht alle Resultate bekannt. Die ESA hat noch kein grünes Licht für den Test einer Abseilaktion aus der Raumstation oder einem Raumtransporter gegeben. „Wenn die Entscheidung gefallen ist, brauchen wir noch etwa zwei Jahre bis zur Realisierung”, schätzt Müncheberg.

Etwas länger dürfte es dauern, bis das System so ausgereift ist, dass Nutzlasten damit regelmäßig und sicher von der ISS zur Erde gebracht werden können. Im Moment sind die Ingenieure mit beiden Projekten nicht in Verzug. Nach den bisherigen Plänen sollte das ESA-Labor Columbus im kommenden Jahr an die ISS angedockt werden. Das Desaster der Columbia dürfte das Konzept allerdings durcheinander bringen. Möglicherweise führt die Katastrophe aber auch dazu, dass die Forschung an alternativen Hitzeschutztechnologien forciert wird.

KOMPAKT

• Die Europäer tüfteln an eigenen Rückholsystemen für Geräte und Material von der Internationalen Raumstation zur Erde – als Ersatz für Flüge mit dem Space Shuttle. Im Vordergrund steht ein effektiver und kostengünstiger Hitzeschutz.

• Bereits erprobt wurde ein aufblasbarer Bremsschirm, der eine Raumkapsel von 25facher Schallgeschwindigkeit bis auf das Tempo eines Schnellzugs verlangsamen kann.

• Noch Vision ist dagegen das Abseilen von Lasten an einem mehrere Dutzend Kilometer langen Kunststoffseil.

Uwe Seidenfaden

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