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Unsere Forschung bringt Quantenmechanik zum Greifen nahe

Allgemein

Unsere Forschung bringt Quantenmechanik zum Greifen nahe
Nobelpreisträger Wolfgang Ketterle denkt nach über die Magie von Materiewellen, die neue Physik und die Forschung mit ultrakalten Atomen.

Wolfgang Ketterle, geboren 1957, ist John D. MacArthur-Professor für Physik am Massachusetts Institute of Technology (MIT) im amerikanischen Cambridge. Er hat in Heidelberg und München Physik studiert, 1986 an der Universität München promoviert, arbeitete dann am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching, an der Universität Heidelberg und seit 1990 am MIT. Dort war er 1995 Mitentdecker des Bose-Einstein-Kondensats (BEK) und schuf 1997 den ersten Atomlaser. Er ist Autor von über hundert wissenschaftlichen Artikeln. Seine Arbeit wurde mit zahlreichen Preisen geehrt, zuletzt mit dem Nobelpreis für Physik (zusammen mit Eric A. Cornell und Carl E. Wieman).

bild der wissenschaft: Im Dezember 2001 erhielten Sie den Nobelpreis für Physik für die Herstellung und Erforschung des Bose-Einstein-Kondensats. Das ist ein exotischer Materiezustand jenseits unseres Alltagsverständnisses. Wie haben Sie Ihren drei Kindern erklärt, für was Sie da ausgezeichnet wurden?

KETTERLE: Das Bose-Einstein-Kondensat ist eine neue Form der Materie, in der alle Atome im Gleichschritt marschieren. Es ist Materie mit laserartigen Eigenschaften. Das Licht einer Glühbirne geht in alle Richtungen, während das Laserlicht eine einzige gerichtete Welle ist. Analog dazu bewegen sich in einem normalen Gas alle Teilchen durcheinander, während im Bose-Einstein-Kondensat alle Atome im Gleichtakt schwingen.

bdw: Wie hat sich Ihr Leben durch den Nobelpreis verändert?

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KETTERLE: Zum Glück hat es sich nicht stark verändert. Der Preis hat meinem Leben ein Glanzlicht aufgesetzt, aber nach wie vor gilt mein Engagement vor allem der Forschung und der Familie.

bdw: Letztes Jahr sorgten Sie für Überraschung mit der Aussage, nicht 1995, sondern bereits 1983 sei erstmals ein BEK hergestellt worden – von dem amerikanischen Physiker John Reppy an der Cornell University. Er hatte supraflüssiges Helium zur Verringerung der Wechselwirkungen zwischen den Atomen durch ein poröses Glas geleitet. Hätte Reppy aus Ihrer Sicht den Nobelpreis ebenfalls verdient?

KETTERLE: Ich glaube, hier wird etwas aufgebauscht. Ich habe nichts anderes gesagt als das Nobelkomitee für Physik: „Die Superfluidität von flüssigem Helium ist eine Manifestation des Bose-Charakters seiner stark wechselwirkenden Teilchen. J. D. Reppy veröffentlichte 1983 die Ergebnisse von Experimenten mit Helium in einer porösen Substanz, Vycor-Glas. Er berichtete von Beobachtungen superfluider Eigenschaften, die auf ein BEK-Verhalten hindeuteten. (…) Die Ergebnisse sind aber recht indirekt und der Einfluss des Glases ist in der Theorie schwer zu bewerten. Daher haben die Beobachtungen zu keinem weiteren Fortschritt geführt.“ In meinem Nobelpreis-Vortrag erwähnte ich: „ Experimentelle und theoretische Untersuchungen zeigten, dass der Beginn von Superfluidität bei flüssigem Helium in Vycor BEK-Eigenschaften hat. Doch die Interpretation dieser Ergebnisse ist nicht eindeutig.“

bdw: Als Kind haben Sie gerne mit Lego-steinen gespielt, und später waren Sie ein leidenschaftlicher Langstreckenläufer. Sind die Eigenschaften dahinter – die fantasievolle spielerische Komponente sowie Zielstrebigkeit und langer Atem – auch die Erfolgsrezepte Ihrer wissenschaftlichen Arbeit?

KETTERLE: Ja, auf jeden Fall.

bdw: Was motiviert Sie besonders?

KETTERLE: Die intellektuelle Herausforderung, Neues zu entdecken und zu begreifen.

bdw: Wie kommen Sie zu Ihren wissenschaftlichen Ideen?

KETTERLE: Meist durch Logik. Neues ist oft eine Verknüpfung von Bekanntem.

bdw: Worin sehen Sie zurzeit die grundlegenden Fragen und Probleme Ihres Forschungsgebietes?

KETTERLE: Das Bose-Einstein-Kondensat ist der Ausgangspunkt, neue Formen von Materie herzustellen und zu untersuchen. Mit Licht und kalten Atomen kann man Designer-Materie herstellen und neue Einblicke in die Natur gewinnen.

bdw: Mittels starker Magnetfelder ist es Ihnen gelungen, das herkömmliche dreidimensionale BEK (aus Natrium-Atomen) in Zigarrenform zu strecken und gleichsam auf eine Dimension zu beschränken. Und mit Laserstrahlen schufen Sie aus dem dreidimensionalen BEK in einer optischen Falle ein zweidimensionales. Was erhoffen Sie sich durch diese Versuche?

KETTERLE: Lang gestreckte und flach gedrückte Materie hat Eigenschaften, die radikal anders sein können als in drei Dimensionen. Das ist neue Physik.

bdw: Woran arbeiten Sie gerade?

KETTERLE: Ich habe vier Labors, in denen an Superfluidität, Phasenübergängen, Atom-Chips, und Lichtstreu-Experimenten gearbeitet wird. Im Prinzip geht es, wie bereits gesagt, um Materie mit neuen Eigenschaften, und darum, Atome für präzise Messungen einzusetzen. Zur Zeit forsche ich mit Prof. David Pritchard, 16 Doktoranden und 5 Postdoktoranden.

bdw: In Ihrem Nobelpreis-Vortrag sprachen Sie von der „Magie der Materiewellen“. Was ist so magisch daran?

KETTERLE: Der Wellencharakter – oder die Quantenmechanik – gibt Materie Eigenschaften, die ganz anders sind, als wir es in unserer Umwelt gewohnt sind.

bdw: Hat Ihre Forschung diese Eigenschaften eher entzaubert oder als noch wundersamer dargestellt?

KETTERLE: Schönheit kann man nicht entzaubern. Ich staune immer noch über die Resultate, die wir vor Jahren erzielt haben. Und je tiefer man vordringt, desto mehr Überraschungen gibt es.

bdw: Der Physik-Nobelpreisträger Richard Feynman sagte einmal, dass niemand die Quantenphysik wirklich verstünde, abgesehen von den praktischen Anwendungen. Und der Mathematiker Roger Penrose meinte sogar, die Theorie würde trotz ihrer überwältigenden experimentellen Bestätigung und mathematischen Schönheit überhaupt keinen Sinn haben. Stimmen Sie diesen Aussagen zu?

KETTERLE: Ich fühle mich in der Quantenphysik heimisch. Die offenen Fragen sind eher philosophischer Natur.

bdw: Wie kann Ihre Forschung helfen, die Grundfragen der Quantenphysik zu beantworten?

KETTERLE: Ich glaube nicht, dass Forschung am Bose-Einstein-Kondensat diese Grundfragen angeht. Allerdings bringt unsere Forschung Quantenmechanik zum Greifen nahe. In der Form von Interferenzen und Quanten-Vortices haben wir direkt die Wellennatur der Atome nachgewiesen – im makroskopischen Maßstab. Das geht unter die Haut. Wenn man direkt die Wellenfunktion von Atomen abbilden kann, ist Quantenmechanik kein abstrakter Begriff mehr.

bdw: Noch zählt die Erforschung des BEK zur Grundlagenforschung. Aber schon ist vielfach von Anwendungen die Rede – vom Quantencomputer bis zum Atomlaser für Messgeräte, von atomaren Manipulationen und Mikroskopie. Ihr Kollege Claus Zimmermann meint sogar, wer jetzt schlau sei, könne wahrscheinlich reich werden. Sehen Sie das auch so euphorisch? Halten Sie bereits Patente oder haben Sie Businesspläne?

KETTERLE: Nein, nichts. Ich rechne nicht mit kommerziellen Anwendungen in den nächsten zehn Jahren. Präzisionssensoren für Gravitation und Rotation, die vielleicht früher realisiert werden, sind eher für die Grundlagenforschung als für die breite Anwendung geeignet – reich wird man mit ihnen nicht.

bdw: Als Student haben Sie in der Festkörperphysik gearbeitet. Im Rahmen Ihrer Promotion entdeckten sie das einfache Molekül Heliumhydrid und maßen sein Spektrum, später analysierten Sie Verbrennungsvorgänge mit Lasern, bevor Sie 1990 in den USA mit der Erforschung ultrakalter Atome begannen. Möchten Sie gerne noch einmal Ihr wissenschaftliches Arbeitsgebiet wechseln?

KETTERLE: Ja, auf jeden Fall. Im Moment ist allerdings die Forschung an kalten Atomen so spannend, dass ich nicht nach etwas anderem Ausschau halte.

bdw: Angenommen, eine allwissende Fee würde Ihnen drei beliebige Fragen beantworten. Welche würden Sie gerne stellen?

KETTERLE: Ich würde fragen, wie die Menschheit in 100 und in 1000 Jahren aussieht, ob es andere Zivilisationen gibt, und was im Urknall geschah.

Rüdiger Vaas

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