Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Die Nano-Zunft rückt zusammen

Technik|Digitales

Die Nano-Zunft rückt zusammen
Unsere Nanoforscher leben in wissenschaftlicher Kleinstaaterei. Das liegt an den tradierten Förderstrukturen, sagt Helmut Dosch – und sucht den europäischen Schulterschluss.

bild der wissenschaft: Noch haben die Bürger die vollmundigen Verheißungen der Achtziger- und Neunzigerjahre zu Biotechnologie und Mikrosystemtechnik im Ohr. Heute sind die Förder-Milliarden verbraten, aber die Ergebnisse zugunsten des Standorts D sind bescheiden. Sie propagieren nun fantastische Aussichten für Deutschland und Europa in der Nanotechnologie – die nächste Enttäuschung?

HELMUT DOSCH: Wir steuern auf eine Zukunft zu, in der die Technik immer weiter miniaturisiert wird. Man muss also kein Prophet sein, um vorauszusehen, dass Nanowissenschaft und Nanotechnologie immer wichtiger werden. Und aus meiner Sicht leisten Deutschland und Europa in den Nanowissenschaften Exzellentes.

bdw: Wozu haben Sie zusammen mit Kollegen die Initiative „ Gennesys“ gegründet, wenn die Nanowissenschaften bei uns schon so gut sind?

DOSCH: Europa leidet unter einer multiplen Fragmentierung der Forschungsaktivitäten – zwischen den Mitgliedsländern, zwischen dem akademischen Bereich und der Industrie und zwischen den Forschungsdisziplinen selbst. Dies führt zu Forschungsprojekten, die zu klein angelegt sind, und letztlich zu den bekannten Problemen bei der effizienten Umsetzung von Wissen in marktfähige Anwendungen. Mit Gennesys wollen wir die Nanowissenschaftler zusammenbringen.

Anzeige

bdw: Wissen die zu wenig voneinander?

DOSCH: Leider ja. Ich habe hier vor allem zwei Bereiche im Auge: die „Bauer“ und die „Schauer“.

bdw: Das müssen Sie erklären.

DOSCH: Man wird zum Beispiel keinen Nano-Motor bauen können, wenn man nicht seine mikroskopisch kleinen Komponenten sehen und deren Montage überwachen kann. In jeder Nanotechnologie muss man sehen können, was man macht, sonst montiert man blind. Es gilt, den dreidimensionalen Aufbau der Nanostrukturen während aller Arbeitsschritte zu kennen, und zwar mit atomarer Auflösung. Interessanterweise gibt es in Europa eine Community, die erstaunliche analytische Fähigkeiten entwickelt hat. Aber die hat bislang fast keinen Kontakt zu den Gruppen, die Nanostrukturen aufbauen. Dieses Potenzial wollen wir nutzbar machen, hier kommt Gennesys ins Spiel.

bdw: Welche Community ist das?

DOSCH: Das sind zum einen die Röntgenanalytiker an Röntgenquellen wie dem Deutschen Elektronensynchrotron DESY in Hamburg, dem Berliner Elektronenspeicherring BESSY oder der Europäischen Synchrotron-Strahlungsquelle ESRF in Grenoble. Zum anderen sind das Arbeitsgruppen an den großen, europaweit verteilten Neutronenstrahlungsquellen, zum Beispiel am Institut Laue-Langevin in Grenoble. Neutronen gehen besonders sanft mit den Nanostrukturen um, die sie durchleuchten, und sind deshalb gerade für empfindliche organische Nanostrukturen als Analyse-Instrument sehr geeignet.

bdw: Und zwischen den Nanostruktur-Bauern und den -Schauern herrschte bislang Sprachlosigkeit?

DOSCH: So ist es. Als wir vor drei Jahren begonnen haben, unsere Projektidee zu verfolgen, hat sich rasch herausgestellt: Die Nano-Materialforschungs- gruppen waren völlig überrascht, über welches Portfolio von raffinierten Visualisierungstechniken die Großforschungsanlagen verfügen – genau das, was sie zur Lösung ihrer Probleme mit den Nanomaterialien brauchen. Und die Manager der Großforschungseinrichtungen waren fasziniert zu hören, was sie alles an Problemlösungen anzubieten haben.

bdw: Wie ist dieses Nicht-Wissen vom anderen entstanden?

DOSCH: Die besten Forschungsideen nützen einem nichts, wenn man nicht die Mittel hat, ihre Umsetzung zu finanzieren. De facto wird alles in der Wissenschaftsszene danach gesteuert, wie die Schienen für Fördermittel gelegt sind. Nicht nur in Deutschland, auch in vielen anderen Ländern Europas – und in Brüssel – ist fast alles vertikal organisiert. Eine der unausweichlichen Spätfolgen ist: Man nimmt nur noch wahr, was in der eigenen Community passiert.

bdw: Was meinen Sie mit „vertikal“?

DOSCH: Dass die zuständigen Vergabegremien meist nur innerhalb einer Disziplin oder Organisation fördern – innerhalb der Physik, der Chemie, der Biologie, einer Großforschungseinrichtung. In horizontaler Richtung, also zwischen benachbarten Disziplinen und Organisationen, sind unsere Förderstrukturen, mit wenigen löblichen Ausnahmen, praktisch undurchlässig. Dadurch wächst das Risiko, mit Scheuklappen zu arbeiten. Und selbst wenn man wahrnimmt, was in der Nachbardisziplin an Problemlösungen benötigt wird, kann man dafür keine Mittel einsetzen, weil das den Förderrichtlinien widerspräche.

bdw: Daher zu wenig interdisziplinäres Arbeiten?

DOSCH: Genau. Aber gerade die Nanoforschung erfordert ständige Grenzüberschreitungen – zwischen traditioneller Physik, Chemie, Materialwissenschaften, Biologie. Durch Gennesys wollen wir dazu beitragen, für die Nano-Materialforschung diese tradierten Grenzen horizontal zu durchtunneln – europaweit.

bdw: Wer soll die Aufgaben verteilen, wer koordiniert?

DOSCH: Wir sind dabei, ein 20- bis 30-köpfiges Gennesys-Konsortium für Europa zu gründen, in dem Vertreter von Hochschulen, Großforschung, Industrie und Forschungspolitik sitzen. Sie sollen Empfehlungen für neue Forschungsstrategien erarbeiten, die hierfür notwendigen Mittel bei der EU in Brüssel und den nationalen Einrichtungen anmelden und gegebenenfalls auch die Koordination der Forschungsprojekte übernehmen.

bdw: Haben Sie schon Vorstellungen, was da an Empfehlungen kommt?

DOSCH: Einer der wichtigsten Punkte wird sein, Exzellenz-Zentren der Nanoforschung in Europa zu definieren – beispielsweise eines für die Entwicklung neuer funktioneller Materialien, eines für strukturelle Materialien, eines für Nano-Katalysatoren und für anderes. Jedes dieser Zentren sollte über hervorragende Experten verfügen, die in einem Verbund aus akademischer Szene, Großforschung und Industrie konkrete Projekte von fünf bis zehn Jahren Laufzeit bearbeiten. Neben den Exzellenz-Zentren könnte es Technologie-Plattformen geben, wo bestimmte Nano-Komponenten entwickelt werden.

bdw: Wie viele Zentren werden in Deutschland entstehen?

DOSCH: Das kann heute noch keiner zuverlässig sagen. Aber ich könnte mir ein Exzellenz-Zentrum „Funktionelle Grenzflächen“ vorstellen – die spielen in fast jedem Teilbereich der Nanotechnologie eine Rolle, von der organischen Elektronik bis zu bioverträglichen Strukturen. Da sehe ich als deutsche Institutionen innerhalb eines europäischen Konsortiums das bereits erwähnte DESY in Hamburg, die Forschungszentren in Jülich und Karlsruhe und die Forschungs-Neutronenquelle FRM-II in Garching. Dass Stuttgart mit seinen beiden Max-Planck-Instituten, der Universität und den anwendungsorientierten Instituten auf dem Vaihinger Campus auch mit dabei sein sollte, versteht sich von selbst: Das ist schon heute ein international renommiertes Zentrum der Material- und Nanowissenschaften mit einem Schwerpunkt auf Grenzflächenforschung.

bdw: Wie viele Exzellenz-Zentren stellen Sie sich für Europa vor?

DOSCH: Fünf bis zehn.

bdw: Wer soll das finanzieren?

DOSCH: Natürlich ist hierzulande auf nationaler Ebene die Deutsche Forschungsgemeinschaft und das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefordert. Auf Europäischer Ebene müssen ab dem 7. Rahmenprogramm erhebliche Fördermittel dafür bereitgestellt werden. Aber selbst das wird vermutlich nicht reichen. Ich denke, man muss in Zukunft verstärkt private Sponsoren darauf aufmerksam machen, dass es lohnend ist, neben Oper und Bildender Kunst auch Wissenschaft zu unterstützen.

bdw: Mit welchem Argument?

DOSCH: Ich würde versuchen, potenziellen Sponsoren den Gedanken nahe zu bringen: Die Erforschung des Nanokosmos ist eine wichtige und bleibende Kulturleistung.

Das Gespräch führte Thorwald Ewe ■

Prof. Dr. Helmut Dosch

ist seit 1997 Direktor am Stuttgarter Max-Planck-Institut für Metallforschung und seit 1998 Lehrstuhlinhaber für Experimentelle Festkörperphysik an der Universität Stuttgart. Dosch (Jahrgang 1955) hat in München Physik studiert. Seine Arbeitsschwerpunkte sind metastabile und niederdimensionale Materialsysteme sowie die Strukturbildung an Metalloberflächen. Unter seiner Federführung wurde Ende 2004 die „Grand European Initiative on Nanoscience and Nanotechnology using Neutron and Synchrotron Radiation Sources“ (Gennesys) offiziell aus der Taufe gehoben.

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

♦ Ma|kro|ga|met  〈m. 16; Biol.〉 größere, unbewegl. weibl. Geschlechtszelle der Einzeller u. niederen Pflanzen; Ggs Mikrogamet … mehr

Baum|farn  〈m. 1; Bot.〉 baumförmiger, tropischer Farn

Men|ta|lis|mus  〈m.; –; unz.〉 1 〈Psych.〉 psychologische Richtung, die mittels theoretischer Modelle die Organisationsprinzipien des menschlichen Geistes (z. B. Kreativität) erklären will, da sie menschliches Handeln als Ergebnis mentaler Vorgänge ansieht 2 〈Philos.〉 sprachphilosophische Theorie, die das Zustandekommen von Erkenntnis in der Terminologie innerer, mentaler Vorgänge darzustellen sucht … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige