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Warten auf die Wunderpille

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Warten auf die Wunderpille

ES KLANG SO vielversprechend. Im Jahr 2000 verkündete John F. Martin, Medizin-Professor am University College in London, in einem bdw-Interview: „Jeder zweite EU-Bürger stirbt heutzutage an Gefäßverengung im Herzen oder im Gehirn. Aber in spätestens fünf Jahren werden wir ein Medikament entwickelt haben, das die Verengung weitgehend verhindert (bild der wissenschaft 6/2000, „ Journal Europa“).“

Kurz zuvor hatten im Rahmen des EU-finanzierten Forschungsprogramms Biomed II vier Forscherteams in Italien, Deutschland, Finnland und Großbritannien entdeckt: Ein Protein namens VEGF ist nicht nur für die Entwicklung des Gefäßsystems im menschlichen Embryo verantwortlich, sondern kann auch beim Erwachsenen die Arterien vor Entzündungen und der Ablagerung arteriosklerotischer Plaques („Arterienverkalkung“) schützen. Darauf aufbauend, begann Martin zusammen mit seinem finnischen Kollegen Seppo Yla-Herttuala eine Gentherapie zu entwickeln, bei der das VEGF-Gen von außen in die Wand verdickter Arterien eingeführt wird. Parallel dazu suchten die Forscher nach einer chemischen Substanz, die im Körper die gleiche Funktion erfüllen würde wie VEGF – die Grundlage für die im Interview angekündigte Pille, die gegen Herzinfarkt und Schlaganfall vorbeugen soll.

Die fünf Jahre sind um, aber das Wundermittel ist in keiner Apotheke zu kaufen. „In Bezug auf die Pille war meine Prognose leider falsch“, muss Martin heute zugeben. Auf der Suche nach einem VEGF-ähnlichen Wirkstoff sind er und seine Kollegen kaum weitergekommen. „Die biologische Hypothese hat sich zwar während unserer Arbeit bestätigt, aber die Entwicklung der Pille ist viel komplexer, als wir dachten“, erklärt der Brite. Das Problem: Der Wirkstoff müsste an die gleichen Rezeptoren im Körper andocken wie VEGF selbst, damit die Zellen als Antwort gefäßerweiternde Substanzen freisetzen. Außerdem müsste die Substanz magensäureresistent sein und über den Darm in den Blutkreislauf gelangen können – Kriterien, die bislang keiner der getesteten Kandidaten erfüllte.

Anders sieht es beim gentherapeutischen Ansatz aus. Hier sind die Forscher einen großen Schritt weiter – auch wenn dieser Schritt in eine ganz andere Richtung führt als ursprünglich geplant. Martin und seine Kollegen konzentrieren sich nämlich momentan nicht mehr auf das Thema Arteriosklerose, sondern auf die Vermeidung von Gefäßverdickungen nach Operationen. Solche Wucherungen können besonders bei Dialysepatienten zum Problem werden, bei denen der Zugang zur künstlichen Niere über einen so genannten Shunt erfolgt – eine operative Verbindung einer Arterie mit einer Vene. Wird dabei ein Kunststoffeinsatz verwendet, kommt es häufig innerhalb weniger Monate zu einer Verdickung und damit Verstopfung der Vene, und der Shunt kann nicht mehr verwendet werden.

Hier hilft die VEGF-Gentherapie: Mittels einer sich selbst abbauenden Gefäßmanschette applizieren Martin und seine Kollegen das VEGF-Gen – verpackt in ein modifiziertes Erkältungsvirus – während der Operation von außen an die gefährdeten Gefäßbereiche. Als Reaktion darauf produzieren die Muskelzellen der Gefäßwand vermehrt das VEGF-Protein, und dieses wiederum initiiert die Bildung gefäßerweiternder Substanzen. „Dieses Projekt ist sehr erfolgreich“, sagt Martin stolz. Momentan laufen klinische Tests des Systems, das unter dem Namen Trinam vermarktet werden soll, in drei großen amerikanischen Kliniken. Die Markteinführung ist für 2007 geplant.

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Also: Gentherapie ja – Arteriosklerose-Pille nein? John Martin wehrt ab: Nur noch weitere fünf Jahre Arbeit, dann sei der Durchbruch bei der Pille zu schaffen, gibt er sich überzeugt. Warum auch nicht: Nach der pompösen Ankündigung 2000 hatte Martins Team weltweit fünf Millionen Euro Risikokapital eingesammelt. Scheitert er erneut, drohen dem Londoner keine Sanktionen. Und die rosigen Prognosen halten die Geldgeber noch eine Weile bei Laune. Ilka Lehnen-Beyel■

JOHN F. MARTIN 2005: „WEITERE FÜNF JAHRE“

Bis 2005 wollte der britische Mediziner John F. Martin eine vorbeugende Pille gegen Herzinfarkt und Schlaganfall entwickelt haben. Das misslang – aber bis 2010 soll sie jetzt ganz bestimmt kommen.

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