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Auferstanden aus der Asche

Geschichte|Archäologie

Auferstanden aus der Asche
Alle sprechen von Pompeji – dabei ist Herculaneum viel spannender. Der Vesuv- Ausbruch von 79 n.Chr. versiegelte die römische Sommerresidenz luftdicht. Dadurch haben sich hier Zeugnisse erhalten, die in der Schwesterstadt zerstört wurden.

Der Kustos der Nationalbibliothek in Neapel verschmähte das Flugzeug und reiste strapaziös mit seinen Schützlingen per Laster nach Deutschland. Seine Sorge galt zwei schwarzen zylindrischen Gebilden, die – sorgfältigst verpackt – erstmals ihre Heimat verließen. Die 12 und 16 Zentimeter langen sowie 6,5 und 8 Zentimeter dicken Stücke erinnern eher an deformierte Kohlebriketts als an ein Kulturgut höchster Ordnung.

Das verschrumpelte Duo aus Neapel ist jedoch – wenn man vom Höhlenverlies der Qumran-Schriften absieht – Teil der einzigen erhaltenen antiken Bibliothek. Zusammen mit rund 1100 anderen wurden die beiden Papyrusrollen von einer 500 Grad heißen Glutwolke „verkohlt”, von Schlammströmen beerdigt – und blieben so bis heute erhalten. Die für die Kulturwissenschaft glückliche Katastrophe ereignete sich in der Nacht vom 24. auf den 25. August des Jahres 79 n.Chr., als der Vesuv explodierte und Herculaneum und Pompeji zerstörte.

Während jedoch Pompeji weltberühmt wurde, fiel die Stiefschwesterstadt ins öffentliche Vergessen. Um sie dort herauszuholen, tourt die erste Herculaneum-Ausstellung derzeit durch Deutschland. Nach dem Start im westfälischen Haltern am See ist die erstklassige Schau „Verschüttet vom Vesuv – Die letzten Stunden von Herculaneum” ab 22. September im Berliner Pergamonmuseum zu sehen und ab Januar 2006 in Bremen (siehe Community-Kasten hinten). Die beiden Papyrusrollen und andere exquisite Funde aus Herculaneum werden erstmals außerhalb Italiens gezeigt.

Für Dieter Richter, den Vater der Ausstellung, ist Herculaneum „völlig unterbewertet”, schließlich wurde hier vor 250 Jahren der Klassizismus geboren. Die Funde aus Herculaneum prägten – lange vor Pompeji – das kulturelle Bewusstsein und den Lebensstil in ganz Europa. Die Idee für eine Rehabilitierung der verschütteten Stadt wurde dem emeritierten Kulturwissenschaftler der Universität Bremen in der Unterwelt Herculaneums nahe gebracht: Bei einem Gang durch die Stollen des noch immer begrabenen Theaters fragte der italienische Chefarchäologe den deutschen Professor, ob er nicht eine Ausstellung über Herculaneum in Deutschland organisieren könne.

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Das schien sinnvoll und lohnend, denn einige der spektakulärsten Zeugnisse der römischen Antike stammen aus Herculaneum. In der kampanischen Kleinstadt blieb vieles erhalten, was in Pompeji durch die Last von Asche und Bimsstein „ plattgemacht” wurde. In Herculaneum wurde organisches Material – Möbel, Brot, Türen, aber auch menschliche Knochen – durch die Höllenhitze „pyroklastischer Ströme” äußerst rasch verkohlt. Die pyroklastischen Lawinen bestanden aus Gesteinsbröckchen, Asche, Gasen und auf 500 Grad Celsius aufgeheizter Luft. Sie bildeten sich immer dann, wenn die 30 Kilometer hohe Auswurfsäule über dem Vesuv wegen nachlassenden Drucks und Material-Nachschubs kollabierte. Mit einer Sturmgeschwindigkeit von rund 100 Kilometern pro Stunde rasten mehrere dieser Hitzewellen über Herculaneum hinweg. Durch die blitzschnelle Verkohlung und die anschließende Versiegelung unter meterdicken Vulkaninnereien wurden Kinderwiegen und Prozessakten, Betten, Fischernetze, Vordächer und Treppen, Kichererbsen und Hufschoner für Pferde konserviert.

Kurz davor und danach drangen leicht fließende Ströme aus Schlamm und Steinchen durch alle Löcher, Fenster und Türen in die Häuser und füllten die Hohlräume aus. Diese stabilisierten Bauten wurden von den nachfolgenden Tuff-Asche-Massen des unaufhörlich spuckenden Vesuvs luftdicht versiegelt.

Aus Tausenden von archäologischen Details und anhand der Schriftquellen können die Altertumsforscher die Region um den Vesuv nun präzise beschreiben: eine seit der griechischen Einwanderung 600 Jahre zuvor wegen des milden Klimas, der schönen Landschaft, der fruchtbaren Böden und der guten Handelsmöglichkeiten bevorzugte Region, die zur beliebten Sommerfrische der Reichen und Schönen aus Rom geworden war. Der Sonnenuntergang über Capri begeisterte schon die alten Römer. Der Wein und die Feigen aus der Region waren sehr geschätzt. „Eine Luxusgegend”, charakterisiert Dieter Richter das frühe Kampanien. Die ursprüngliche Bevölkerung setzte sich aus Griechen und italisch-etruskischen Stämmen zusammen, die ab dem 3. Jahrhundert v.Chr. von den römischen Eroberern dominiert wurden. Antike Geschichtsschreiber nannten die Region am Golf von Neapel „eine einzige Stadt”.

Herculaneum hatte 4000 bis 6000 Einwohner und war nicht halb so geschäftig wie die große Schwester Pompeji mit ihrer nach Zehntausenden zählenden Bevölkerung. Die Stadt glich 79 n.Chr. einer Baustelle, denn die Schäden des gewaltigen Erdbebens im Jahr 62 n.Chr. waren noch nicht alle beseitigt. Wohnblocks mit schlichten 50-Quadratmeter-Behausungen und kleine Häuser mit Läden und Werkstätten im Erdgeschoss beherbergten Tagelöhner, freigelassene Sklaven, Handwerker und Kaufleute. Viele hatten Toiletten und waren an das öffentlich Abwassersystem angeschlossen.

Daneben gab es die Häuser des mittleren bis gehobenen Bürgertums, das seine Wohnräume bis an die Decke mit Wandgemälden zur griechischen Mythologie ausschmücken ließ, was eine entsprechende Bildung voraussetzte. Wer reich war, konnte dazu die teuren Farben Blau, Grün und Zinnoberrot verwenden, etwas weniger Betuchte mussten sich mit Weiß, Schwarz und Ocker begnügen.

In den luxuriösen Villen der richtig Reichen prangten zudem Mosaikfußböden en masse, verschwenderische Gärten mit Blumen und Obstbäumen, Fontänen, Wasserbecken und ganze Statuenspalieren. Gemalte Gärten verschoben die Trennlinie zwischen Realität und Illusion. Das unabdingbare Theater fasste 2000 Besucher, mit getrennten Rängen für Männer und Frauen.

Herculaneum verschwand quasi vakuumverpackt unter fast 30 Metern eisenharter Erdmelange. Darüber wuchsen Gras und neue Gehöfte. Als ein Bauer 1710 einen Brunnen ausheben wollte, landete er mit seinem Schacht auf der Bühne des antiken Theaters. Der nach Neapel verbannte lothringische Prinz d’Elboeuf durchtunnelte daraufhin auf eigene Kosten in Bergbaumanier den antiken Untergrund und leitete damit die Wiedergeburt der verschütteten Stadt am Golf von Neapel ein.

Drei seiner Statuen-Funde – die Große” und die beiden „Kleinen Herculanerinnen” – sind seitdem in Dresden beheimatet. An ihnen entwickelte der deutsche Klassizismus-Papst Johann Joachim Winckelmann seine These von der „edlen Einfalt und stillen Größe” der griechischen Kunst – die bahnbrechende Ästhetik des europäischen Klassizismus war definiert.

Aus der Initialzündung durch den lothringischen Adligen wurde, so Herculaneum-Freund Richter, „ein europäisches Medienereignis”. Karl III. von Bourbon erklärte die Grabungen ab 1738 zur Staatsaffäre und ließ Soldaten und Strafgefangene unter Tage schuften. Obwohl er versuchte, die Berichterstattung zu monopolisieren, erschienen rasch in ganz Europa nicht-autorisierte Berichte und Raubdrucke mit Kupferstichen, die offenbar reißenden Absatz fanden. Ein reger Altertums-Tourismus nach Herculaneum setzte ein, die Engländer waren die eifrigsten Besucher. Johann Wolfgang von Goethe bedauerte bei seiner Besichtigung, dass die unterirdischen Grabungen nicht in bewährter deutscher Bergwerkskunst durchgeführt würden. „Alle Welt sprach von Herculaneum”, so Promoter Richter. Es war schick, sich „herculanisch” einzurichten und zu bauen. Die Schlösser von Dessau und vor allem von Wörlitz sind zwei deutsche Paradebeispiele.

1780 wurden die Grabungen in Herculaneum zugunsten des inzwischen entdeckten Pompeji eingestellt – das war leichter freizulegen. Herculaneum verschwand abermals aus dem kulturellen Gedächtnis. Erst 1927 setzte der italienische König Viktor Emanuel III. höchstpersönlich wieder den ersten Spatenstich. Mit vielen Unterbrechungen dauerten die Erkundungen bis 1958 an, die letzte Kampagne von 1996 bis 1998 legte den Eingangsbereich der Villa dei Papiri frei.

Mehr als die Hälfte der antiken Stadt schlummert noch schneewittchengleich unter der mittelalterlichen Siedlung Resina, die sich jetzt, geschichtsbewusst, wieder Ercolano nennt. Besucher können durch den Archäologischen Park schlendern und zwischen den freigelegten Häusern einen Hauch der vergangenen Alltäglichkeit atmen. Das unterirdische Theater ist für Normalsterbliche weiterhin geschlossen. Nach Voranmeldung sind immerhin die neu ausgegrabenen Areale der Villa dei Papiri zu besichtigen – der Papyrusvilla, aus der auch die verkohlten Schriftrollen stammen.

Das herrschaftliche Haus (250 mal 80 Meter) vor den Toren der antiken Stadt wurde 1750 ebenfalls bei einem Brunnenbau entdeckt. Im Auftrag des neapolitanischen Königs grub sich der Schweizer Karl Weber akribisch durch die Unterwelt: Wenn er – in 30 Meter Tiefe – auf Mauern stieß, trieb der Ingenieur Gänge an diesen Gebäudeteilen entlang – bis zu 400 Meter weit. So gewann er quasi einen Parallel-Grundriss der imposanten Anlage. 15 Jahre erkundete und dokumentierte Weber Wohnung und Welt der römischen Nobilitäten in Herculaneum, dann mussten die Arbeiten wegen austretender Giftgase eingestellt und die Zugänge zu den Schächten verschlossen werden. Sie sind es bis heute.

Auf drei, eventuell vier Geschossen erstreckte sich, nach Webers Dokumentation und den neuen Untersuchungen, die Papyrus-Villa mit Terrassen und säulenflankierten Wandelgängen in Panorama-Position über dem Meer. Repräsentative Räume und private Gemächer lassen sich klar unterscheiden. Eine üppige Gartenanlage (95 mal 35 Meter groß) mit einem 66 Meter langen Wasserbecken lud zur mentalen Erfrischung ein. 68 Säulen säumten diesen Platz der Gelassenheit. Mindestens 80 Bronze-Statuen und Marmor-Skulpturen symbolisierten das Ideal von sportlicher und geistiger Fitness – ein bei gebildeten Römern damals geschätzter Rückgriff auf die ideale griechische Lebensweise.

Die Wissenschaftler streiten heute nur noch verhalten über den Besitzer. Vermutlich lustwandelte und handelte hier ein Schwiegervater Cäsars, Lucius Calpurnius Piso Caesoninus. Der Konsul der ausgehenden Republik (58 v.Chr.) erbaute die Villa und sorgte für die Erstausstattung, von der Weber für seinen königlichen Auftraggeber Skulpturen und Statuen, Mosaike und Möbel, Preziosen und eben Papyrusrollen ans Tageslicht holte.

Die verkohlten Schriften elektrisierten Europas gebildete Welt. Würde man verschollene Werke wichtiger Philosophen und Dichter entdecken? Authentisches von Aristoteles, Schriften von Sophokles, Erlesenes von Euripides? Die ersten Zylinder zerfielen gleich bei der Bergung zu Staub, andere zerbröselten zu unlesbaren Fetzen beim Versuch, die Papyri aufzurollen. Erst die raffinierte Maschine eines Mönchs brachte 1754 Abhilfe: Er befestigte am äußersten Rand der Rolle ein Band, an dem er den Zylinder mit mehreren Haken an einem Zuggerät aufhängte. Auf die unbeschriftete Seite des Papyrus schmierte er eine obskure Lösung aus Rinderinnereien, die das verkohlte Material wieder elastisch machen sollte. Tatsächlich gelang es ihm damit und mit viel Fingerspitzengefühl, etliche Schriften zu entrollen, die längste kam auf fast vier Meter. In neuerer Zeit werden die abgerollten Papyri einfach in handliche Stücke geschnitten.

Heute ist man nur unwesentlich effizienter: Das Papyrus wird mit einem Kleber aus Gelatine und Essigsäure bepinselt. Nach dem Trocknen werden die „Blätter” vorsichtig mit einer Pinzette abgelöst und auf Japanpapier fixiert. Nur die Entzifferung hat einen Riesensatz nach vorn gemacht. Mit Digitalkamera und Spezialfiltern werden noch Schriftreste erkennbar, die fürs bloße Auge nicht vorhanden sind. So konnten die Wissenschaftler im Lauf der Jahrhunderte knapp die Hälfte der verkohlten Texte lesbar machen.

Doch die Enttäuschung war groß: Die fast ausnahmslos auf Griechisch verfassten Schriften enthalten nicht Geniales von Geistesgrößen, sondern Nachgebetetes von Epigonen. Nahezu alle Texte stammen von einem Epikur-Jünger namens Philodemos von Gadara, der über Gott und die Welt, über Musik, Natur, Freundschaft und eigentlich alles nachdachte und offenbar endlos schrieb.

So wurde ein No-Name der Nachwelt überliefert, „als der Vesuv brüllend zum Leben erwachte wie ein zorniger Riese nach einem tausendjährigen Schlaf”, wie damals Plinius der Jüngere notierte. Der spätere Politiker und Dichter war Augenzeuge, als die blühende Region um den Vesuv innerhalb eines Tages und einer Nacht zu einer toten Landschaft aus rauchender Asche, Geröll, Schlamm und Trümmern wurde.

Den Menschen von Herculaneum und den anderen Orten fehlte offenbar jegliches Wissen um die Gefährlichkeit ihres attraktiven Hausberges, die letzten größeren vulkanischen Unruhen lagen 900 Jahre zurück. „Der Ausbruch muss jedes Begreifen, also das Einordnen in vertraute Kategorien, überstiegen haben”, analysiert Dieter Richter. Erdbeben waren bekannt, aber „für Vulkanismus kannte die Antike keinen Begriff”.

Auf dem Höhepunkt der Eruption jagte der Vulkan pro Sekunde 100 000 Tonnen Magma mit 1200 Stundenkilometern 30 Kilometer hoch in die Luft. Eine 500 Grad Celsius heiße Glutwolke raste den Berghang hinunter. Es gab kein Entrinnen für die Zurückgebliebenen.

1982 fanden italienische Archäologen in den Bootshäusern der antiken Fischer von Herculaneum die Reste von 300 Menschen, die dort Unterschlupf gesucht oder auf ein rettendes Boot gewartet hatten. Die Skelette zeigen weder reflexartige Schutzreaktionen noch Gesten von Panik: Der Tod trat durch einen thermischen Schock in Bruchteilen einer Sekunde ein. Blut und Weichteile verdampften, das Gehirn verkochte, die Knochen verkohlten. Später versiegelten Schlamm, Asche und Bimsstein das einst herrliche Herculaneum. Die gesamte Masse pappte zu einer harten und bröseligen, vor allem aber luftundurchlässigen Schicht zusammen.

Bis zu 30 Meter dick ist der Sarkophag über Herculaneum. Den möchten Philologen jetzt aufbrechen. Ein internationaler Verein von Schriftgelehrten macht Druck für neue Ausgrabungen in Herculaneum. Denn zu jeder Villa eines gebildeten Römers gehörten zwei Bibliotheken – eine griechische und eine lateinische. In der Villa dei Papiri, so argumentieren die Textwissenschaftler, hat man bislang nur die griechischen Schriftzeugnisse gefunden.

Die Archäologen sperren sich aus verschiedenen Gründen. Den wichtigsten nennt Dieter Richter: „Ausgraben ist leicht. Und damit kommt man, wenn man was findet, auch spektakulär in die Presse. Aber das Ausgegrabene erhalten – das ist schwer, zeitraubend, teuer und wenig glamourös.”

Doch gerade das Konservieren und Rekonstruieren steht für die Archäologie heute mit an erster Stelle. Und dafür fehlt es an Zeit, Geld und Ressourcen. Das seit 20 Jahren propagierte Museum in Herculaneum ist immer noch nicht fertig. Und selbst im sehr viel prestigeträchtigeren Pompeji verrotten inzwischen viele offene Partien des grandiosen Gestern. ■

Michael Zick

COMMUNITY LESEN

Dieter Richter

POMPEJI UND HERCULANEUM

Insel, Frankfurt 2005, € 10,–

Johann Wolfgang von Goethe

ITALIENISCHE REISE

Verschiedenen Editonen bei mehreren Verlagen

Johann J. Winckelmann

SENDSCHREIBEN VON DEN HERCULANISCHEN ENTDECKUNGEN

Verschiedene Editonen bei mehreren Verlagen

INTERNET

Informationen für Reisende nach Ercolano:

www.ercolanonline.it

Jeden Samstag und Sonntag sind die ausgegrabenen Teile der Villa dei Papiri nach Voranmeldung zu besichtigen:

www.arethusa.net

AUSSTELLUNG

Verschüttet vom Vesuv

DIE LETZTEN STUNDEN VON HERCULANEUM

22. September 2005 bis 1. Januar 2006

Pergamonmuseum Berlin, Museumsinsel

Informationen unter:

www.herculaneum-ausstellung.de

Kontakt:

Antikensammlung SMB

Bodestr. 1–3, 10178 Berlin

Tel.: 030/2090-5200

E-Mail: ant@smb.spk-berlin.de

Vom 20. Januar bis 18. April 2006

ist die Ausstellung im Bremer Focke-Museum zu bewundern.

Ohne Titel

• Herculaneum steht völlig zu Unrecht im Schatten der Schwesterstadt Pompeji.

• In der süditalienischen Stadt fanden vor 250 Jahren die ersten archäologischen Ausgrabungen überhaupt statt.

• An den spektakulären Funden dort entzündete sich der europäische Klassizismus.

Ohne Titel

• 5. Februar 62 n.Chr.

Herculaneum – und die gesamte Vesuvregion – wird von einem Erdbeben der Stärke 6,5 erschüttert (ein vergleichbares Beben vernichtete im Dezember 2004 die iranische Stadt Bam). Als Folge steigt der Druck in den Magmakammern unter dem Vesuv, immer mehr Magma bahnt sich in den Jahren danach den Weg nach oben.

• 1. bis 23. August 79 n.Chr.

Die Erde bebt fast täglich. Wasserleitungen gehen zu Bruch, und an Gebäuden kommt es zu Schäden. Große Magmamengen sind in die Erdkruste aufgestiegen und haben viele Kammern unter dem Vesuv gefüllt. Der Druck auf den Lavapfropfen im Schlot des letzten Ausbruchs wächst.

• 24. August, 4 bis 13 Uhr

Das aufsteigende Magma ist bis in die grundwassergefüllten Bereiche gelangt. Eine Wasserdampfexplosion sprengt den verstopften Schlot frei. Durch die plötzliche Druckentlastung können die im Magma gelösten Gase schlagartig entweichen. Die Schmelze wird dabei in Fetzen gerissen und fast mit Schallgeschwindigkeit als Gas- und Aschewolke aus dem Berg geschleudert. Gegen 13 Uhr hat sie eine Höhe von 15 Kilometern erreicht. Über dem Gebiet östlich des Vesuvs, wo auch Pompeji liegt, geht ein dichter Ascheregen nieder. Herculaneum hat Glück: Der Wind kommt nicht – wie im Sommer üblich – von Nordosten, sondern ausnahmsweise von Südosten.

• 24. August, 13 bis 15 Uhr

Über dem Vesuv-Schlot hat sich eine 30 Kilometer hohe Gas-Asche-Wolke in Form einer Pinie gebildet, in der sich heftige Gewitter entladen. Metergroße Lavabomben, Lapilli (kleine Lava- und Bimssteine) und Bimsbrocken hageln herab. Auch für Herculaneum wird die Situation nun bedrohlich, der erste Ascheregen fällt. Der Tag wird plötzlich zur Nacht.

• 24. August, 15 bis 17 Uhr

Statt weißem Bims geht nun grauer Bims nieder. Bis zum späten Nachmittag lässt der Druck aus dem Schlot etwas nach, dadurch brechen Teile der Gas-Asche-Lawine zusammen und rasen als „ pyroklastische Ströme” mit einer Temperatur von bis zu 500 Grad Celsius und einer Geschwindigkeit von über 100 Stundenkilometern über Herculaneum hinweg. Diese Glutwolke holt sogar die Flüchtenden in Booten auf dem Meer ein. Auch die Menschen in den Bootshäusern haben keine Chance: In weniger als einem Wimpernschlag entzieht die Hitze des pyroklastischen Stroms den Räumen den Sauerstoff, im Bruchteil einer Sekunde ersticken und verbrennen die Schutzsuchenden. Es ist eine Verbrennung ohne Flammen, weshalb die Skelette in der Stellung der Todessekunde erhalten sind.

• 24. August, 17 bis 24 Uhr

Die erste explosive Phase geht in einen intensiven Ascheregen über. Pompeji liegt mittlerweile unter einer meterdicken Ascheschicht. In Herculaneum ist nirgendwo mehr Leben, alles ist unter den Ablagerungen des pyroklastischen Stroms begraben.

• 25. August, 0 bis 10 Uhr

Kurz nach Mitternacht erschüttert ein Erdbeben die Region um den Vesuv, der letzte Akt des Untergangs beginnt. Gebäude, die bis jetzt standgehalten haben und letzter Zufluchtsort waren, stürzen ein. Der Druck aus dem Schlot wird schwächer. Immer wieder brechen deshalb Teile der Gas-Asche-Wolke zusammen. Als pyroklastische Ströme rasen sie über Herculaneum und Pompeji hinweg. Insgesamt fünf solcher Hitzelawinen suchen die Region heim. Am späten Morgen endet der Ausbruch.

• 26. bis 31. August n.Chr.

Die Nachbeben sind kaum noch spürbar, das tiefe Donnergrollen ist verstummt. Der Vesuv ist zur Ruhe gekommen. Der Berg hat am Ende statt eines schmalen zwei Kratergipfel.

Der vesuv ist seit 79 n.Chr. bis zum 18. März 1944 insgesamt 30-mal ausgebrochen. Doch die Ruhe ist nur eine Pause – der Vesuv kann jederzeit wieder losschlagen: Im Untergrund von Italien schiebt sich die Afrikanische über die Eurasische Platte. Im Erdmantel werden die abgetauchten Teile der Eurasischen Platte aufgeschmolzen. Diese Schmelze steigt als Magma in den Erdmantel auf und sucht sich durch Risse und Spalten in der darüberliegenden Erdkruste einen Weg nach oben. Erreicht das Magma die Erdoberfläche, kann sich ein Vulkan bilden.

Der Ausbruch von 79 n.Chr. war nicht der erste große Ausbruch des Vesuvs. Aus der Zeit seit seiner Entstehung vor etwa 30 000 Jahren bis zum Untergang von Herculaneum und Pompeji sind neun bedeutende Ausbrüche bekannt. Die letzte Eruption vor dem Schreckensereignis von 79 n.Chr. war um 800 Jahre v.Chr.

Dr. Wilfried Rosendahl, Geowissenschaftler und Kurator an den Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim

Ohne Titel

Vergesst Pompeji – Herculaneum ist viel spannender! Davon muss jeder überzeugt sein, der „Die letzten Stunden von Herculaneum”, den Begleitband zur Ausstellung, gelesen oder auch nur durchstöbert hat. Denn er ist ein gelungenes Beispiel für eine Wissensvermittlung ohne akademische Stolpersteine. In fast allen Beiträgen schlägt die Faszination der Archäologie bis zum Leser durch. 22 Aufsätze berichten rund um Herculaneum und die Katastrophe: die abenteuerlichen Ausgrabungen, die Häuser, die Menschen, die Erotika, die Statuen, der Vulkanausbruch. In anderen Beiträgen geht es um die Bedeutung von Herculaneum für die Musik, die Architektur und das kulturelle Leben als Startschuss für den europäischen Klassizismus. Die exzellente Bebilderung verführt dazu, in der Fantasie zu einer Kulturreise in die Vergangenheit aufzubrechen.

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