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Neustart nach dem Inferno

Astronomie|Physik

Neustart nach dem Inferno
Nach dem tragischen Ende der Raumfähre Columbia nimmt die NASA die Shuttle-Flüge wieder auf. Astronaut Ulrich Walter erläutert die Hintergründe und Sicherheitsmaßnahmen – und argumentiert, warum bemannte Raumfahrt wichtig ist.

Am 1. Februar 2003 um 15:00 Uhr mitteleuropäischer Zeit geschah das Unvorstellbare: Die Raumfähre Columbia zerbrach während des Wiedereintritts in die Erdatmosphäre und verglühte zum großen Teil. Alle sieben Astronauten an Bord starben. Beim Aufstieg hatte sich ein Dreiviertel Kilogramm schweres Isolations-Schaumstoffteil von etwa einem halben Meter Durchmesser vom externen Treibstofftank gelöst und war mit rund 800 Kilometer pro Stunde auf die Vorderkante des linken Flügels geschlagen. Dabei entstand ein Loch von etwa gleicher Größe. Davon wussten die Missionskontrolle und die Besatzung nichts. Als beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre Temperaturen von 1400 Grad Celsius entstanden, wurde der Flügel des Space Shuttles von der Stelle des Lochs aus wie mit einem Schneidbrenner abgetrennt.

Wie das zur Untersuchung eingesetzte Columbia Accident Investigation Board später feststellte, hatte die Katastrophe zwei tiefer gehende Gründe:

• Die mögliche Gefahr wurde nicht erkannt, obwohl es ähnliche, aber glimpflich verlaufene Vorfälle bei vergangenen Missionen gegeben hatte.

• Bei der NASA herrschte eine Arbeitskultur, die genau solche Fehler zuließ.

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Den ersten Flug nach der Columbia-Katastrophe hat die NASA auf den 15. Mai 2005 angesetzt. Was wird dabei neu sein? Columbia erfüllte bisher Aufgaben unabhängig von der ISS. Diese haben ab sofort niedrigste Priorität – einer der Gründe, warum das Hubble-Weltraumteleskop nicht mehr repariert werden soll. Auch kreist dieses in einer anderen Bahnebene um die Erde als die ISS. Da der Treibstoff zur Änderung der Bahnebene fehlt – das Shuttle wurde nicht dafür ausgelegt –, sind Besuche von Hubble nicht mehr möglich. Das Risiko, die ISS danach nicht mehr anfliegen zu können, wäre zu groß. Ein Nachfolge-Shuttle wird es nicht geben, weil die Raumfähren nur noch bis zum Jahr 2010 starten. Ein Nachfolgesystem soll sie ersetzen.

Die neuen NASA-Sicherheitsrichtlinien besagen, dass für alle künftigen Shuttle-Flüge die ISS als „sicherer Hafen” anfliegbar sein soll. Außerdem muss ein zweites Shuttle innerhalb von höchstens 40 Tagen startbereit sein, um eine gestrandete Crew von der ISS zurückholen zu können. Ein solches Shuttle steht erstmals für die kommende Mission bereit. Das defekte Shuttle würde danach von der ISS abgedockt und durch ein gezieltes Wiedereintritts-Manöver über einem unbewohnten Teil des Pazifiks verglühen.

Um eine Katastrophe wie bei der Columbia auszuschließen, wurden Maßnahmen getroffen, die die zerstörerische Wirkung von Isolationsmaterial künftig verhindern sollen. Weitere Maßnahmen betreffen den Nachweis und die Minimierung von Schäden, falls es dennoch zu Einschlägen kommt. Außerdem sollen Reparaturen möglich sein.

Die Bipod-Anflanschung – die Verbindung des externen Tanks mit dem Shuttle – sowie einige andere Stellen am Tank wurden neu konstruiert und mit Heizern versehen, weil Schaumstoff-Abplatzungen durch Cryo-Pumping bisher vorwiegend hier auftraten. Beim Cryo-Pumping verflüssigt sich der Luftstickstoff an extrem kalten Stellen – wie dem Bipod–, wandert in die Poren des Isolationsschaumstoffs und sprengt ihn durch Verdampfen ab, wenn beim Aufstieg durch die Atmosphäre Reibungswärme entsteht.

Zur Inspektion eventueller Schäden wird es einen zwölf Meter langen Arm geben, das Orbiter Boom Sensor System (OBSS). Er wird an den 15 Meter langen Canada-Arm des Shuttles angesetzt und hat an der Spitze eine Lasereinrichtung zur Abstandsmessung sowie eine Laserkamera. Außerdem kann OBSS einen Astronauten für die Inspektion tragen. So lassen sich die der Hitze besonders ausgesetzten Teile des Shuttles, die Nasenkappe und die Vorderkanten der Flügel, genau untersuchen.

Zur Schadensinspektion während des Aufstiegs werden insgesamt vier Digitalkameras am externen Tank und den Feststoffraketen angebracht, die die Aufnahmen sofort zur Erde übertragen, damit sie nicht wie bisher erst nach der Mission genutzt werden können. Um auch eine eventuelle Schädigung durch Mikrometeoriten zu erkennen, wurden 22 Temperatur- und 66 Einschlagssensoren in die Vorderkanten des Flügels integriert.

Kachelreparaturen werden nur mit Hilfe der ISS möglich sein. Dort muss das Shuttle mit seinem Arm andocken. Dann können Astronauten, getragen und geführt durch den Arm der ISS, die Kacheln reparieren. Dabei soll ein Silizium basiertes Ablatormaterial eingesetzt werden. Es ist kein Isolationsmaterial, sondern verdampft unter Wärmeverbrauch und führt so die Hitze teilweise ab. Doch auch hier gibt es eine Schwierigkeit: Im Vakuum der Schwerelosigkeit könnten sich kleine Blasen bilden, die den Ablator an diesen Stellen vielleicht wärmedurchlässig machen.

Die besonders mechanisch empfindlichen RCC-Isolierungen (Reinforced Carbon-Carbon) an der Flügelvorderkante lassen sich so allerdings nicht reparieren. Löcher von maximal 15 Zentimetern könnten durch eine hitzeresistente Abdeckplatte geschlossen werden. Kleinere Risse will man „zuspachteln”. Keine dieser Methoden sind aber schon beim nächsten Flug umsetzbar. Dabei sind dies alles nur Zwischenlösungen. Ein weitaus sichereres neues Thermalschutzsystem, das auch im All repariert werden kann, wird es frühestens in zwei Jahren geben. Die NASA arbeitet daran, insbesondere für das Nachfolgesystem.

Die größte Aufgabe steht der NASA aber noch bevor: Das Columbia Accident Investigation Board hatte sie aufgefordert, neue Unternehmensstrukturen einzuführen, um die Raumflugsicherheit zu gewährleisten und das Sicherheitsbewusstsein der Mitarbeiter zu stärken.

Ich werde oft gefragt, ob man als Astronaut keine Angst habe, sich in das Shuttle zu setzen, wenn das doch so riskant sei. Ich denke, die Antwort, die David Brown, einer der verunglückten Columbia-Astronauten gab, als ihn zu Weihnachten 2003, also zwei Monate vor seinem Flug, sein Bruder Douglas Brown fragte, was er der Öffentlichkeit sagen sollte, wenn David tödlich verunglücken würde, ist symptomatisch für das Denken aller Astronauten: „Ich habe das Risiko akzeptiert, als ich den Job annahm, so wie ich es tat, als ich Marine-Flieger wurde.”

Jeder Astronaut, auch ich, setzt sich vor der Auswahl mental mit der Möglichkeit eines tödlichen Missionsausgangs auseinander und geht mit dem Antritt seines Trainings ein Risiko ein. Diese Entscheidung wird gestützt durch eine besondere Logik, die so mancher Nichttechniker nur schwer nachvollziehen kann: Mit jedem korrigierten Problem wird das Shuttle sicherer. Durch den Flug am 15. Mai ist das Shuttle so sicher wie nie zuvor. Ich habe mich 1993 in das Shuttle gesetzt – warum sollte ich das jetzt nicht auch tun, wenn man mich fragte? Ich bin davon überzeugt, dass jeder meiner Kollegen mitfliegen würde.

Doch brauchen wir Astronauten, die sich in eine solche Gefahr begeben?

„Hohe Kosten” ist ein beliebtes Argument jener, die etwas gegen bemannte Raumfahrt haben und meinen, dass man alles auch mit robotischen Missionen machen könnte. Ich möchte zwei Beispiele nennen, wo ein Vergleich von bemannten und unbemannten Missionen möglich ist.

Eine ist meine D2-Mission. Sie war die zweite deutsche Wissenschaftsmission im Weltraumlabor Spacelab auf der Columbia. Die Vollkosten für 6,3 Tonnen Experiment-Gesamtnutzlast, entsprechend 88 Experimenten, betrug 442 Millionen Euro. Die Deutschen trugen den Hauptanteil von 330 Millionen Euro. Amerika, Japan und andere europäische Länder zahlten wegen eigener Experimente mit. Die deutschen Kosten verteilten sich über sechs Jahre Vorbereitungszeit und auf die 80 Millionen Bundesbürger zu 70 Cent pro Jahr und Bundesbürger.

Nun zur Abwägung bemannte versus unbemannte Raumfahrt. Es gab eine Parallelentwicklung in Sachen Schwerelosigkeitsforschung: Eureka – eine frei schwebende, unbemannte, wiederverwendbare Plattform, auf der sich Experimente vollautomatisch durchführen ließen. Eureka flog vom August 1992 bis Juni 1993, also gleichzeitig mit meiner Mission, und hatte insgesamt 4,4 Tonnen Experiment-Gesamtnutzlast an Bord, bestehend aus 15 Experimenten. Vollkosten: 412 Millionen Euro. Die Kosten pro Experiment waren damit mehr als fünfmal höher als bei der vergleichbaren bemannten Mission. Kein Wunder, dass Eureka nie wieder eingesetzt wurde.

Hubble ist ein anderes Beispiel. Es gab bisher vier erfolgreiche Reparaturmissionen mit dem Shuttle. Sieht man einmal von den teueren Hubble-Geräten ab, die installiert werden mussten, so kostete jede dieser Missionen etwa 1,5 Milliarden Dollar. Weil bei einer nun anstehenden Hubble-Reparaturmission das Shuttle im Ernstfall nicht die Raumstation als sicheren Hafen erreichen könnte und zudem mit dem James-Webb-Teleskop der Hubble-Nachfolger vorbereitet wird, beschloss die NASA, Hubble nicht mehr zu reparieren. Doch Hubble hat sich über die Jahre zu einer nationalen Ikone gemausert – der Protest gegen diese Entscheidung, insbesondere bei den Wissenschaftlern, kannte folglich keine Grenzen.

Aber warum eine bemannte Reparaturmission, wenn es unbemannt genauso gut und sogar billiger geht? Die NASA berief eine Kommission der Nationalen Wissenschaftsakademie ein. Ende letzten Jahres ließ das Panel in einem Interims-Report verlauten: „Das Hubble-Teleskop ist zu wertvoll, um es den Risiken einer unbemannten Mission auszusetzen.” Statt dessen forderte es den damaligen Noch-Administrator der NASA, Sean O’Keefe, auf, einen Flug für eine bemannte Shuttle-Mission offen zu halten. Was hatte die Wissenschaftler, die doch oft gegen die bemannte Raumfahrt wettern, zu diesem Meinungsumschwung veranlasst?

Bereits wenige Wochen hatten ihnen genügt, um zu erkennen, dass robotische Missionen hinsichtlich ihrer Erfolgsaussichten wesentlich riskanter sind als bemannte. Dazu kommt, dass diese meist teuerer sind als gedacht. Die von der NASA nach eigener Aussage konservativ geschätzten Kosten für eine Hubble-Robotikmission liegen bei 1,3 Milliarden Dollar.

Das Problem sind Flexibilität und Redundanz. Die Flexibilität eines Menschen ist in einem komplizierten Arbeitsumfeld einfach unschlagbar. Sie kostet freilich Geld durch die nötige Lebensumgebung, doch eine Automatisierung wäre oft schlicht nicht praktikabel. Deshalb gibt es heute und sicherlich auch noch für lange Zeit keine Roboter in einer Autoreparaturwerkstatt. Außerdem kann Technik fehlerhaft sein oder ausfallen. Plant man für jeden denkbaren Fall eine Zweitlösung ein, dann überwiegen diese zusätzlichen Redundanzlösungs-Kosten schnell die für eine Lebensumgebung. Außerdem kann man selbst mit großzügig ausgestatteter Redundanz nie völlig sicher sein, dass man alle Notfälle berücksichtigt hat und dass alles glatt geht. Die Erfolgsaussichten wurden nur auf 58 Prozent beziffert. Das ist nicht gerade viel, verglichen mit den bisherigen vier erfolgreichen bemannten Reparaturmissionen.

Brauchen wir die bemannte Raumfahrt? Ehrlich gesagt habe ich den Sinn dieser Frage nie richtig verstanden. Wenn es für eine anstehende Mission alternativ eine bemannte und eine unbemannte Lösung gibt, dann sollte doch, wie auf der Erde auch, die kostengünstigste gewählt werden. Doch wenn Flexibilität und Intelligenz vor Ort notwendig sind, führt meist kein Weg am Menschen vorbei. Dies gilt nicht nur für Hubble-Reparaturen, sondern besonders für wissenschaftliche Experimente. Derjenige, der ein Experiment vorschlägt, kennt den Ausgang des Experiments nicht, sonst würde er es nicht planen. Deshalb ist oft ein Experimentator nötig, der bei unvorhergesehenem Verlauf eingreift und das Experiment so lange abändert, bis das unerwartete Ergebnis möglichst optimal herausgearbeitet ist. Diese Optimierung während eines Experiments ist die Kunst eines jeden Experimentators, weshalb es selbst auf der Erde nie ein Labor ohne Menschen geben wird. Warum also im All?

Nicht vergessen sollte man die bemannten Missionen, bei denen es nicht darum geht, ob es robotische Alternativen gibt, sondern bei denen schlichtweg die Präsenz des Menschen das Ziel ist: Der erste Mensch im All (Gargarin), der erste Weltraumspaziergang (Leonov), der erste Mensch auf dem Mond (Armstrong), der erste Mensch auf dem Mars (?).

Solche Missionen sind nicht unbedingt notwendig – genauso wenig wie Opern, Fußballweltmeisterschaften oder Formel-1-Rennen. Trotzdem werden Milliarden von Steuergeldern investiert – allein in deutsche Opern weit mehr als in die deutsche Raumfahrt. Diese Gelder sind gut angelegt, denn das, was der Mensch tut und braucht, lässt sich nicht allein nach dem Nützlichkeitsprinzip bewerten. Es ist ein großer Unterschied, ob ein Planet mit Fernrohren erforscht wird, mit Robotern – oder von Menschen. Und so wird weit jenseits wissenschaftlicher Ergebnisse der Tag Aufsehen erregen, an dem der erste Mensch seinen Fuß auf den Mars setzt. Keinen wird es in diesem Augenblick interessieren, ob dieser Schritt in einer angemessenen Kosten-Nutzen-Relation steht. Die Welt wird am Fernseher und im Internet dabei sein, und jeder wird sagen: Ja, dieses Land, das dies ermöglichte, ist das Größte. Es hat richtig erkannt, dass nur die Zukunft und ihre Technik unsere Probleme lösen, nicht die Vergangenheit. Diese Nation wird einmal mehr die Jugend auf ihrer Seite haben, wird weltweit die Diplomanden, Doktoranden und Postdocs anziehen, die dort ihre und deren Träume verwirklichen. Womit sich die Erfolgsspirale ein weiteres Mal dreht. ■

Ulrich Walter

Ohne Titel

• Die NASA will wieder Menschen mit Space Shuttles in die Erdumlaufbahn bringen – bald zum 114. Mal.

• Zahlreiche zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen sind realisiert oder geplant.

• Menschen im All sind für viele Weltraumerkundungen unverzichtbar – und preisgünstiger als Roboter.

Ohne Titel

Ulrich Walter ist Professor für Raumfahrttechnik der Technischen Universität München. Er war 1993 Astronaut der Mission STS-55 (D2) an Bord der Raumfähre Columbia.

COMMUNITY Internet

Zur Wiederaufnahme der Shuttle-Flüge:

www.nasa.gov/returntoflight/

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