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Das älteste Bergwerk der Welt

Geschichte|Archäologie

Das älteste Bergwerk der Welt
Die Menschen der Mittelsteinzeit waren Jäger und Sammler. Dass sie – vor 9000 Jahren – Bergbau und Handel betrieben, galt bislang als ausgeschlossen. Jetzt wankt das Dogma.

Sensationen schlummern selten in der Hosentasche. Doch als Detlef Willand beim Wandern im österreichischen Kleinwalsertal vor sieben Jahren auf einen eigenartig bearbeiteten Stein stieß, steckte er ihn ein. Der Fund des Heimatforschers erwies sich als 9100 Jahre alte Feuersteinklinge, die Wissenschaftler aus Tirol und Bayern im Sommer 2004 zum ältesten – und zugleich höchst gelegenen – Bergwerk Europas führte.

„Hier: Solchen Silex haben die Menschen in der Mittelsteinzeit, dem Mesolithikum, im Kleinwalsertal abgebaut“, sagt Walter Leitner und hievt einen fünf Kilogramm schweren Brocken aus einer Kiste. In seinem Büro an der Universität Innsbruck hat der Professor für Ur- und Frühgeschichte einige Exemplare aus Vorarlberg gelagert.

„Sehr gutes Material: Es lässt sich leicht spalten und ist auch farblich attraktiv. Wir nennen es den Kleinwalsertaler Radiolarit“, erklärt der Geologe Alexander Binsteiner. Gemeinsam mit Walter Leitner ist er dem ältesten Bergwerk Europas auf die Spur gekommen. Als Leitner 1998 den Fundort im Gebiet der Alpe Schneiderküren auf 1540 Meter Höhe näher untersuchte, fand er eine Jagdstation aus der Mittelsteinzeit (8000 bis 4000 v.Chr.). Ein vorspringendes Felsdach, Abri genannt, hatte Waidmännern vor mehr als 9000 Jahren als Unterschlupf gedient: Sie hatten Feuer gemacht, Fleisch getrocknet, Felle bearbeitet – und Silex zu Waffen und Werkzeugen geschlagen.

Doch woher stammte der begehrte, weil vielseitig verwendbare Stein? Sammelten ihn die Kleinwalsertaler Jäger vor der Haustüre auf – im Flussbett der Breitach, die das Material angespült hatte? Oder holten sie ihn aus den Bergen – wo Verwitterung die unterirdischen Schätze freigelegt hatte? Und wenn ja: Wo im Kleinwalsertal gab es solche Primärlagerstätten?

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Diese Frage trieb Leitner und Binsteiner im Juli vergangenen Jahres abermals in die Berge. „Es war, als wollte man eine Stecknadel im Heuhaufen suchen“, beschreibt Binsteiner das Unterfangen. Alte Flurnamen brachten die Wissenschaftler auf die richtige Spur. Weit hinten im Tal, etwa 15 Kilometer von der steinzeitlichen Jagdstation entfernt, liegen die „ Feuersteinmähder“ – steile Wiesen an den Hängen des Widdersteins.

Auf etwa 1600 Meter Höhe wurden die beiden Kletterer stutzig. Adern aus Radiolarit drangen an die Oberfläche: ideale Voraussetzung, um das begehrte Gut abzubauen. Und tatsächlich: Das Gelände war von Menschenhand verändert worden. Zwar hatte das Gras die Wunden zugewachsen, die vor Jahrtausenden in den Berg geschlagen worden waren. Doch die Narben konnte es nicht verbergen. Als die Wissenschaftler es den Bergwerk-Pionieren gleich taten und zu graben begannen, stießen sie an einigen Stellen auf eindeutige Abbauspuren. Halbmondförmig hatten die prähistorischen Kumpel den Berghang ausgehöhlt. Das Material der Primärlagerstätte war von hoher Qualität und ließ sich besser bearbeiten als die im Tal angespülten Bruchstücke.

Vier Abbau-Nischen haben Leitner und Binsteiner mittlerweile freigelegt. Vier weitere lassen sich im Gelände erahnen. Zwar handelt es sich dabei nicht um klassische tiefe Schächte, doch der Beweis für den Beginn des Bergbaus im Mesolithikum ist erbracht. Wie viel Radiolarit im Laufe der Jahre gefördert wurde, ist unklar. Ebenso weiß niemand, womit die Bergwerk-Pioniere arbeiteten. Verwendeten sie steinerne Rillenschlägel und Hirschgeweihstangen wie ihre Nachfahren in der Jungsteinzeit, dem Neolithikum? Oder hatten sie ganz andere Werkzeuge parat, um das Gestein zu lockern und auszuheben? Wie auch immer: Die Hacker warfen unbrauchbares Gestein und überschüssige Abschläge talwärts, so dass im Laufe der Zeit eine etwa 20 Meter lange Halde entstand. Der Abfallhaufen erweist sich heute als Fundgrube: Dunkelrote und graugrüne Feuersteinstücke – wie jene aus der Jagdstation – helfen bei der Datierung. Das Bergwerk ist über 9000 Jahre alt – eine Sensation.

Zwar wurden in Europa bereits über 100 Feuersteinbergwerke entdeckt: von Grimes Graves in Südostengland bis zu den Lessinischen Bergen in Norditalien, von Grand Pressigny in Frankreich bis nach Krzemionki in Polen. Doch sie stammen alle aus der Jungsteinzeit. Das bisher älteste Bergwerk war die Lagerstätte im niederbayrischen Arnhofen, wo im Laufe von 700 Jahren, so hat es Binsteiner errechnet, 300 Tonnen hochwertiges Feuerstein-Material abgebaut wurden. Der erste Spatenstich zum Arnhofener Industriegebiet war etwa 5300 v.Chr. gesetzt worden – zu einer Zeit, als die Menschen in Mitteleuropa langsam begannen, sesshaft zu werden.

Sesshaftigkeit, Ackerbau und Viehzucht, so die bisherige Lehrmeinung, führten auch zum systematischen Bergbau. Die Funde im Kleinwalsertal lassen die These nun wanken: „Fast 3000 Jahre früher als bisher gedacht, wurde in Europa Feuerstein gefördert“, sagt Binsteiner. „Das hat den Wandernomaden der Mittelsteinzeit niemand zugetraut.“

Statt in Häusern hausten die Bergwerk-Pioniere in Zelten, kleinen Reisighütten und unter Felsdächern. Statt gezüchtetem Getreide gab es wilde Ähren. Statt gezähmter Rinder und Schweine lieferten Rothirsche, Rehe und Gemsen das notwendige Eiweiß. Im Winter suchten die Menschen in den Tälern und Wäldern Schutz, im Sommer zogen sie ins Hochgebirge, um mit hölzernen Wurfspeeren – gespickt mit scharfen Feuersteinspitzen – Wild zu jagen.

Wahrscheinlich waren die Nomaden während ihrer Streifzüge zufällig auf die Radiolarit-Vorräte am Widderstein gestoßen. Vielleicht hatten sie zu Beginn nur einige kleine Stücke aus dem Felsen geschlagen – als Mitbringsel. Irgendwann aber stopften sie sich die Taschen voll, um stets mit bestem Material versorgt zu sein. Etwa 10 bis 15 Kilogramm Qualitätsfeuerstein genügten, um einen Clan von etwa zehn Personen ein Jahr lang mit den notwendigen Waffen und Werkzeugen auszurüsten. Es gab Kratzer, Schaber, Bohrer, Stichel, Hobel, Klingen – „ein richtiges Handwerker-Set für jeden Haushalt“, flachst Leitner. Gefertigt wurden die Geräte im Dorf, in Jägerlagern oder kurzfristigen Raststellen. War der Silexkern einmal präpariert, konnten geübte Steinzeitler solche Werkzeuge in wenigen Minuten herstellen.

Wie das Bergwerk im Kleinwalsertal „gemanagt“ wurde, wissen die Wissenschaftler nicht. Hatte eine Sippe das Sagen? Bauten nur die Kleinwalsertaler den Silex ab, oder durften sich auch auswärtige Interessenten bedienen? Sicher ist, dass der Kleinwalsertaler Feuerstein nicht nur vor Ort verwendet, sondern auch weite Strecken transportiert wurde: Über den Bregenzer Wald wanderte der „Stahl der Steinzeit“ rund 80 Kilometer weit Richtung Westen bis ins Alpenrheintal und ans südöstliche Bodenseeufer.

Wurde der Kleinwalsertaler Radiolarit exportiert, vielleicht sogar verkauft? Handel hatten die Wissenschaftler – wie auch den Bergbau – bislang erst den sesshaften Neolithikern, gut 3000 Jahre später, zugegestanden. Noch einmal das Beispiel Arnhofen: Der dort um 5000 v.Chr. abgebaute Jurahornstein wurde mehr als 400 Kilometer weit vertrieben. Über die „Feuersteinstraße“ lief ein besonders reger Handel bis nach Tschechien.

Einen solch systematischen Fernhandel dürfte es in der Mittelsteinzeit noch nicht gegeben haben. Vermutlich wurden die Produkte von einem Lager zum nächsten weitergereicht. „Vielleicht aber gab es Vermittlerstationen, eine Art Umschlagplatz“, vermutet Leitner. „Kapitalistischer“ Profit war dabei vermutlich nicht das Ziel. Es ging den frühen Händlern wohl darum, Waren einzutauschen, die es in ihrer Heimat nicht gab. In der Poebene etwa war das Gehörn von Steinwild ein Renner. Im Zentralalpenraum war man begierig nach gutem Feuerstein.

Bergkristall aber dürfte überall begehrt gewesen sein. Das edle Kristallgestein gibt es nur in den Zentralalpen und ist schwer zu finden. „Zwar ist Bergkristall spröder als Feuerstein und lässt sich nicht so leicht spalten. Doch das Glitzern hat die Menschen sicherlich begeistert“, ist Leitner überzeugt.

Im Zillertal, auf dem 2800 Meter hohen Riepenkar, hat der Innsbrucker Professor eine Kluft untersucht, die besonders reich an Quarzkristallen ist. Sein Fazit: Auch dort haben sich Menschen ab der Mittelsteinzeit bedient. Ob, wie im Kleinwalsertal, auch ein primitiver Bergbau betrieben oder die Minerale nur aufgesammelt wurden, weiß er nicht. Wie der Feuerstein aus Vorarlberg wurde der Bergkristall aus Tirol über weite Strecken transportiert – im Norden bis zum Achensee, im Süden bis nach Trient. „Bergkristallstraße“ hat Leitner diese Transitroute genannt. 4000 Jahre bevor Ötzi auf dem Similaungletscher starb, überquerten auf ihr Reisende die Alpen, die Taschen gefüllt mit wertvollen Kristallen. ■

Bettina Gartner

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