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Rückkehr aus dem Schwarzen Loch

Astronomie|Physik

Rückkehr aus dem Schwarzen Loch
Wissenschaftler lüften das Geheimnis der Schwerkraftfallen: Wenn Schwarze Löcher verdampfen, hebt sich ihr finsterer Vorhang – und alles, was sie verschlungen haben, könnte auf die kosmische Bühne zurückkehren.

„Herum geht unser Tanz der Fragen im Kreis, und in der Mitte sitzt das Geheimnis, das alles weiß.” Auf diesen Vers des amerikanischen Dichters Robert Frost können Physiker und Astronomen ein Lied singen. Viele ihrer Fragen tanzen noch immer um das Geheimnis im Inneren der Schwarzen Löcher: Was geschieht mit der Materie der kollabierten Sterne, aus deren ausgebrannten Kernen sich die Schwerkraftfallen bilden? Dass die dem Untergang geweihte Masse irgendwie noch vorhanden sein muss, scheint die Gravitation des Schwarzen Lochs doch zu beweisen. Oder nicht? Und was ist das Schicksal der physikalischen Informationen, also der Eigenschaften der einstürzenden Strahlung und Materie? Verschwinden sie vollständig aus dem Universum, oder werden sie im Mittelpunkt des Schwarzen Lochs zermalmt, oder lösen sie sich auf, wenn die kosmischen Finsterlinge in ferner Zukunft verdampfen, wie der britische Physiker Stephen Hawking schon 1975 mutmaßte?

Selbst ein Schwarzes Loch vor der Haustür würde diese Fragen nicht beantworten. Auch Wagemutige, die sich in den Raumzeit-Schlund versenken würden, um seine Geheimnisse aufzuspüren, könnten ihren Hinterbliebenen nichts berichten. Denn ihren Botschaften – seien es Raketensonden oder lichtschnelle Funksendungen – gelänge es nicht, dem kosmischen Gefängnis zu entrinnen.

Als Einzige können Theoretische Physiker weiterhelfen – mit leistungskräftigen, realistischen Modellen und Berechnungen. Tatsächlich sind Abhay Ashtekar, Physik-Professor an der Pennsylvania State University, und sein ehemaliger Postdoc Martin Bojowald, der nun am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam forscht, dabei, das Geheimnis der Schwarzen Löcher zu lüften. Ihr verblüffendes Resultat: Alles, was die Schwerkraft-Monster verschlungen haben, speien sie eines Tages auch wieder aus.

Der Stachel im Fleisch der Physiker sind die Singularitäten in Schwarzen Löchern und im Urknall, weil dort gemäß der Allgemeinen Relativitätstheorie Energie, Dichte, Druck und Krümmung unendlich werden und Raum und Zeit verschwinden. Eine solche Singularität markiert die Stelle, an der die bekannten Gesetze der Physik versagen, und bedeutet somit das Ende jeder Erklärung – ein mysteriöses Zentrum, um das die Fragen kreisen.

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Singularitäten sind also ein Unding – nicht nur für die Natur, sondern auch für die Wissenschaftler. Deshalb suchen sie nach einer umfassenderen Theorie, die die Grenzen und Schwächen der Allgemeinen Relativitätstheorie überwindet. Einer solchen Theorie der Quantengravitation zufolge sind Singularitäten nur ein mathematisches Artefakt, das durch eine physikalisch realistische Beschreibung ersetzt werden kann. Somit ist es sinnvoll zu fragen, was mit der Materie geschieht, die ins Gravitationsgrab eines Schwarzen Lochs gefallen ist. Bleibt sie auf ewig dazu verdammt, in der düsteren Gruft zu verharren? Gelangt sie in ein Jenseits – und was erwartet sie dort? Ist sie zur völligen Auflösung bestimmt, eine Erlösung von allen weltlichen Fesseln? Oder besteht gar die Chance der Wiederauferstehung?

Diese metaphorischen Fragen markieren die Möglichkeiten, die Physiker inzwischen diskutieren – wenn auch mit prosaischeren Formulierungen im Rahmen der bereits vorhandenen, aber noch nicht vollendeten und bewiesenen Quantengravitationstheorien (siehe Grafik „Schluckt es – oder schluckt es nicht?”).

Neuerdings mehren sich die Indizien, dass die kosmischen Friedhöfe nicht ewig existieren, sondern ihre Geheimnisse nach dem Verdampfen wieder preisgeben. Demnach bliebe etwas übrig – wenn vielleicht auch fast unkenntlich entstellt oder aber zu einem Kristall komprimiert, der härter ist als ein Diamant. Ähnlich wie es die amerikanische Folksängerin Joan Baez in „ Diamonds and Rust” sang: „Wir wissen, was Erinnerungen bringen können. Sie bringen Diamanten und Rost.”

Diamanten, das bedeutet: Der Hawking-Prozess lässt das Schwarze Loch nicht völlig verdampfen, sondern es bleibt ein winziger Rest zurück, viel kleiner als ein Atomkern – eine Art Informationskristall, der alle physikalischen Eigenschaften enthält, wenn auch ultradicht zusammengepresst. Doch dagegen sprechen schwerwiegende theoretische Argumente.

Rost, das bedeutet: Die Trümmer der Materie und Energie kommen nach und nach wieder zum Vorschein, wenn der Rand des Schwarzen Lochs schrumpft – so als würde ein Vorhang weggezogen, und alles würde die kosmische Bühne wieder betreten, was einst von ihr verschwand.

Rost ist wahrscheinlicher, wie Ashtekar und Bojowald gezeigt haben. Der Durchbruch gelang ihnen mit Hilfe der von Ashtekar, Ted Jacobson, Jurek Lewandowski, Carlo Rovelli, Lee Smolin, Thomas Thiemann und anderen Physikern entwickelten Quantengeometrie. Sie liefert mathematisch hoch entwickelte Werkzeuge, um die lästige Lücke der Singularitäten in der Relativitätstheorie zu schließen – beziehungsweise mit einer neuen Weltsicht zu stopfen. Denn in der Quantengeometrie sind Raum und Zeit nicht kontinuierlich und fließend, wie in Relativitätstheorie und Quantentheorie, sondern körnig und portioniert. Es gibt gleichsam „Atome” der Raumzeit. Die Skala ist für den Alltagsverstand freilich unvorstellbar klein: nur etwa 10-33 Zentimeter und 10-43 Sekunden.

Im Rahmen der Quantengeometrie existieren also keine Singularitäten. Die Allgemeine Relativitätstheorie verliert zwar ihre Gültigkeit in den Zentren Schwarzer Löcher, doch alles geht dort nach wie vor mit rechten Dingen zu. „Die Singularität wird durch die Effekte der Quantengeometrie vermieden”, sagt Ashtekar. „Es gibt keine klassische Raumzeit-Beschreibung an diesem Punkt, aber die quantenphysikalischen Verhältnisse sind dort dennoch wohldefiniert. Und alles ist mathematisch präzise formulierbar.”

Für die makroskopische Charakterisierung Schwarzer Löcher reichen die Allgemeine Relativitätstheorie sowie Quantisierungen der Materie und Strahlung aus. Für ein Verständnis der Zentralregion bedarf es aber einer Theorie der Quantengravitation, die auch Raum und Zeit quantenphysikalisch beschreiben. Die Quantengeometrie ist nicht nur ein Erfolg versprechender Kandidat dafür, sondern sie hat sich bereits dabei bewährt, das Singularitätsproblem aus der Welt zu schaffen – nämlich in der Kosmologie. Martin Bojowald konnte zeigen, wie sich die ominöse Urknall-Singularität vermeiden lässt, wenn die Zeit nicht kontinuierlich fließt, sondern „getaktet” voranschreitet: Dann ist der Urknall nicht der Anfang von allem, sondern nur ein Übergang – das Ende eines in sich zusammengestürzten Universums und zugleich der Beginn der Ausdehnung eines neuen.

So wie der Urknall nicht aus einer Singularität entsprang, sollte auch im Zentrum eines Schwarzen Lochs kein solches unphysikalisches Monstrum stecken. Und genau dafür argumentieren Ashtekar und Bojowald jetzt auch. Ihre Forschungen stehen zwar erst am Anfang. Doch schon jetzt sind ihre Ergebnisse so vielversprechend, dass sie einen Durchbruch markieren – auch in einem ganz konkreten Sinn: Entweder dringen die Informationen in ein anderes Universum durch oder sie schaffen den Durchbruch zurück in unser eigenes.

„Definitiv können wir das leider noch nicht beantworten, da wir bislang keine komplette Lösung für eine solche Raumzeit haben, sondern nur Teile davon”, sagt Bojowald. „Streng genommen gibt es also immer noch beide Möglichkeiten. Doch man kann bereits einiges über die Gesamtsituation aussagen. Und das meiste spricht dafür, dass die Seite jenseits dessen, was einst für eine Singularität gehalten wurde, ein Teil unseres Universums ist. Statt der Singularität existiert einfach ein Bereich in der Raumzeit, in dem die Krümmung sehr stark ist – zu stark für die Allgemeine Relativitätstheorie. Das ist die entscheidende Stelle, bei der die Quantengeometrie beschreiben kann, wie sich die Raumzeit verhält.”

Bojowald erklärt das Resultat seiner Berechnungen so: „Der Bereich starker Krümmung um die ursprünglich angenommene klassische Singularität herum entspricht dem maximalen Kollaps. Danach federt die Materie gleichsam etwas zurück.” Das ist ähnlich wie in der Kosmologie, wo ein „Bounce” (ein „ Zurückprallen”) statt einer Singularität auftritt – ein Übergang von einer kollabierenden zu einer expandierenden Raumzeit. Da aber durch Gravitationswellen und später die Hawking-Strahlung schon Energie abgestrahlt wurde, bläht sich die Materie nicht wieder zu ihrer vorherigen Größe auf, sondern bleibt ein kompaktes Objekt, in dem physikalisch noch extremere Verhältnisse herrschen als in einem Neutronenstern. Bojowald: „Der Unterschied zum Urknall-Modell ist, dass bei der Bildung eines Schwarzen Lochs nicht die gesamte Raumzeit kollabiert, sondern nur ein kleiner Bereich.” Deshalb kann Energie daraus abgestrahlt werden – es gibt ja genug Platz ringsum, was beim Kollaps eines ganzen Universums nicht der Fall ist. „Das Szenario zeigt, dass und wie die Vermeidung von Singularitäten beim Urknall und bei Schwarzen Löchern auf den gleichen Prinzipien beruhen”, sagt Bojowald.

Im Rahmen der Quantengeometrie kann man also gleichsam durch die vermeintliche Singularität hindurchrechnen. Das Zentrum Schwarzer Löcher ist nicht länger ein unvermeidliches Fragezeichen der Physik, sondern wird plötzlich zugänglich für das Erkenntnisstreben der Wissenschaftler. Wo die Natur sich in prinzipielles Schweigen zu hüllen schien, gibt sie in Wirklichkeit doch geflüsterte Nachrichten kund – vorausgesetzt, man versteht ihre Sprache. Das bedeutet auch, dass solche Nachrichten nicht unwiderruflich aus der Welt verschwinden.

Ashtekar drückt es nüchterner aus: „Es gibt keinen Informationsverlust, wenn die semiklassischen Näherungen von Hawking und anderen in einiger Entfernung von der Singularität korrekt sind und wenn der Quantenzustand jenseits der vermeintlichen Singularität wieder semiklassisch wird – wenn also eine raumzeitliche Beschreibung sinnvoll ist.”

Hawkings 1976 veröffentlichtes Paradoxon war folglich nur ein scheinbares. „Hawking vernachlässigte die Quantennatur der Geometrie nahe der klassischen Singularität, und diese ‚kleinen‘ Effekte kehren die Schlussfolgerung über den Informationsverlust um”, bringt Ashtekar die neuen Erkenntnisse auf den Punkt. „Das augenscheinliche Paradoxon entstand, weil man darauf insistierte, die klassischen Raumzeit-Begriffe bis hin zur Singularität anzuwenden. Das ist ein wenig so, als wolle man in der Quantenmechanik die klassischen Elektronenbahnen ernsthaft im Atom verfolgen.”

Bei den neuen Ideen spielen neben den quantenkosmologischen Einsichten auch Erkenntnisse zur zeitlichen Entwicklung Schwarzer Löcher eine Rolle. Ashtekar und sein Mitarbeiter Badri Krishnan haben sie als dynamische Horizonte in der Allgemeinen Relativitätstheorie beschrieben. Ohne das Konzept der dynamischen Horizonte wären die quantengeometrischen Untersuchungen der Zentralregionen Schwarzer Löcher nicht möglich gewesen, denn die klassische Außengrenze Schwarzer Löcher – Ereignishorizont genannt – war dafür nicht brauchbar.

„In unserer Analyse gibt es keinen Ereignishorizont der Raumzeit, weil ‚Ereignishorizont‘ ein globales Konzept ist und die klassische Raumzeit nicht global existiert”, sagt Ashtekar. Die klassische Raumzeit besteht also nicht überall gleichermaßen im Universum, weil sie unter den extremen Bedingungen im Zentrum Schwarzer Löcher zusammenbricht. Deshalb versagt hier auch das Konzept des Ereignishorizonts. „Aber es gibt einen dynamischen Horizont, der sich zunächst ausdehnt, wenn das Schwarze Loch durch die Ansammlung von Materie wächst, und dann wieder schrumpft, wenn es verdampft.”

Informationen gehen auch durch den dynamischen Horizont verloren – aber nur vorübergehend. Das ist die entscheidende Erkenntnis. Die Informationen werden bei der Horizontüberschreitung dem umgebenden Universum lediglich temporär entzogen. Sie werden auch nicht in der Singularität vernichtet, denn die existiert laut Quantentheorie ja gar nicht.

„Aus der fundamentalen Perspektive der Quantengravitation sind die Informationen nicht verloren”, erklärt Ashtekar. „Aber für einen altmodischen Beobachter, der in der Raumzeit-Region bleibt, die nicht beeinträchtigt wird von dem, was in der wahrhaft quantenphysikalischen, nichtklassischen Region geschieht, sind die Informationen verschwunden, sobald sie den Horizont überschreiten. Doch dies ist nur so, weil der Beobachter lediglich einen Teil des Systems betrachtet und nicht hinter den Horizont blickt. Das wahre Quanten-Regime der Raumzeit ist ihm nicht zugänglich. Freilich scheinen selbst in Laborsituationen Informationen verloren zu gehen, wenn man nur Teile eines Systems beobachtet. Da besteht also kein Unterschied.” Und damit kann selbstverständlich jeder Physiker gut leben, denn es werden keine Erhaltungssätze verletzt.

Die Situation ist ähnlich wie bei einer Bibliothek zur Ferienzeit: Man kommt an die Informationsschätze nicht heran, weil das Gebäude verschlossen ist, aber es gibt keinen Grund zur Befürchtung, dass sie verschwunden sind – und wenn der Hausmeister wieder aufschließt, ist tatsächlich noch alles da. Freilich haben die Informationen im Inneren der Schwarzen Löcher wesentlich länger Ferien – und freundliche Hausmeister gibt es hier auch nicht. Ashtekar: „Ein makroskopisches Schwarzes Loch braucht sehr, sehr lange, um zu verdampfen. Insofern sind für externe Beobachter Informationen in dieser Raumzeit-Region verloren – es sei denn, sie sind sehr, sehr geduldig.”

Wie geduldig man sein muss, um zu warten, bis sich ein Schwarzes Loch von ein paar Sonnenmassen in Hawking-Strahlung aufgelöst hat, hat schon Stephen Hawking berechnet: rund 1066 Jahre. Damit ist nicht gemeint, dass die Informationen in dieser Zeit in die Hawking-Strahlung transformiert würden. Die ist in der Quantengeometrie nur insofern von Bedeutung, als sie den Horizont schrumpfen und zuletzt verschwinden lässt, so dass schließlich alle ins Schwarze Loch gefallenen Teilchen und Wellen wieder zum Vorschein kommen – und somit auch die mit ihnen verbundenen Informationen.

„Streng genommen gibt es also gar keinen Ereignishorizont, denn der ist ewig und kann nicht abnehmen”, sagt Bojowald. „Was tatsächlich geschieht ist, dass zunächst Materie unter ihrer eigenen Anziehung kollabiert. Dabei wird die Dichte immer größer.” Vorübergehend dringt keine Information mehr nach außen. Insofern existieren temporäre, dynamische Horizonte, die erst wachsen und irgendwann wieder schrumpfen, wenn das Schwarze Loch sehr stark oder vollständig isoliert ist. Dann speckt das Schwarze Loch wieder ab: Als Kalorienverbrenner dient die Hawking-Strahlung, die immer stärker wird. „Schließlich sieht man einen finalen Blitz dieser Strahlung”, sagt Bojowald. „Er trägt die überschüssige Gravitationsenergie, die beim Kollaps frei wurde. Danach könnte man wieder auf die hochverdichtete, kompakte Materie blicken.”

Was in Hawkings physikalischer S.O.S.-Situation eine Not war, wird bei Ashtekar und Bojowald eine Tugend. Der Hawking-Prozess hat nicht die Funktion des Totengräbers physikalischer Informationen, sondern spielt eine Schlüsselrolle bei ihrer Wiederbelebung – ohne freilich selbst zum Lebenselixier zu werden, wie andere Forscher dachten.

„Für uns ist nur das Verdampfen des Schwarzen Lochs wichtig”, stellt Bojowald klar. „Ob die Hawking-Strahlung thermisch ist oder nicht, spielt keine Rolle. Sie hat nichts mit den hineingefallenen Objekten zu tun. Solche Überlegungen waren nur eine Spekulation, um den Informationsverlust vermeiden zu können” , sagt Bojowald und widerspricht damit den Überlegungen anderer Physiker, die meinen, in der Hawking-Strahlung die ansonsten verloren geglaubten Botschaften zu vernehmen.

Wenn Ashtekar und Bojowald Recht haben, leitet die Hawking-Strahlung somit nichts nach außen. Und sie entsteht auch nicht innerhalb, sondern außerhalb des Horizonts aufgrund der Eigenschaften der dort enorm gekrümmten Raumzeit. „Entscheidend ist nur: Die Hawking-Strahlung führt dazu, dass die Objekte im Schwarzen Loch nach einer endlichen Zeit wieder von außen zugänglich sind”, betont Bojowald. „Ohne Hawking-Strahlung gäbe es nur die Möglichkeit eines Übergangs in ein anderes Universum. Diese Möglichkeit besteht zwar auch mit Hawking-Strahlung – doch es gibt andere Argumente zur Struktur der Raumzeit, die dagegen sprechen.”

Aus der Perspektive der Quantengeometrie verschwinden Materie und Energie also nicht in der Singularität oder werden in Hawking-Strahlung umgewandelt, sondern bleiben in einem zusammengeklumpten „Haufen” erhalten. Doch in seinem Mittelpunkt ist die Dichte nicht unendlich hoch – das verbieten die Gesetze der Quantengeometrie. Die Materie ist dort völlig entartet und durch die starke Raumzeit-Krümmung deformiert. Aber die grundlegenden physikalischen Eigenschaften sind noch da und kommen mit all ihren Ladungen und Quantenzahlen und so weiter irgendwann wieder zum Vorschein. Und wenn das Schwarze Loch – oder Pseudo-Loch – rotierte oder elektrisch geladen war, dann rotiert der kompakte Materiehaufen noch immer und strahlt weiterhin Drehimpuls in Form von Gravitationswellen ab beziehungsweise bleibt elektrisch geladen und hört nicht auf, elektromagnetische Strahlung loszuschicken.

Über den genauen Zustand der zerquetschten Materie können Physiker keine Aussagen machen. Denn für die extremen Verhältnisse gibt es noch keine gute Theorie. Aber es muss sich um physikalische Zustände handeln, wie sie auch weniger als eine Milliardstel Sekunde nach dem Urknall geherrscht haben. Die Zustandsgrößen sind für die Quantengeometrie allerdings nicht entscheidend. „Auf die Details der Materie-Eigenschaften kommt es bei den allgemeinen Aussagen unseres Modells nicht an”, freut sich Bojowald – was Kritiker, insbesondere aus der Perspektive der Stringtheorie, allerdings anders sehen.

„Freilich sind noch keine kompletten Lösungen der physikalischen Gleichungen bekannt, die sowohl die kollabierende Materie als auch die Hawking-Strahlung beschreiben”, schränkt Bojowald ein. „Die üblichen Bilder beruhen auf Kombinationen von vereinfachten Situationen, die all diese Prozesse isoliert betrachten. Das ist bislang bei sämtlichen Lösungsansätzen der Fall, auch im Rahmen der Quantengeometrie.” Immerhin ist dieser Ansatz der Quantengravitation vielversprechend, und die weiteren Forschungen werden sicherlich noch mehr Licht ins Dunkel bringen – oder aus dem Dunkeln hervor.

Bojowald nimmt diese Metapher sogar wörtlich: „Je nach der hineingefallenen Materie kann auch wieder etwas aus diesem Objekt herauskommen. Wenn zum Beispiel vor dem Kollaps ein Lichtstrahl in die Materie eingedrungen ist, braucht er nicht unbedingt gebunden oder absorbiert sein, sondern kann das Objekt eventuell wieder verlassen. Auf diese Weise könnte man das Objekt untersuchen und einen Teil seiner Information ablesen. Oder man fliegt nach dem letzten Blitz der Hawking-Strahlung an das Objekt heran, um es zu erkunden. Es ist ja dann völlig frei zugänglich und nicht von einem Horizont verborgen.”

Dabei muss man selbstverständlich aufpassen, nicht zu viel Masse an den zerquetschten Trümmerhaufen heranzubringen. Sonst würde sich womöglich ein neuer Horizont ausbilden, wenn die kritische Masse wieder überschritten wäre. Und falls irgendwann genug weitere Materie auf den Haufen stürzt, wäre das auch der Fall. Im Prinzip könnte eine technisch sehr weit fortgeschrittene Zivilisation sogar die Entstehung, das Wachstum und die Auflösung eines Schwarzen Lochs im Detail und gleichsam von innen heraus verfolgen – hinreichend Geduld und Know-how vorausgesetzt. „Eine Sonde, die ins Schwarze Loch fiele”, stellt sich Bojowald vor, „ bliebe lange darin gefangen und käme erst, nachdem das Schwarze Loch genügend verdampft ist, wieder heraus – natürlich nur, wenn die Sonde der starken Krümmung standhalten könnte.” ■

Rüdiger Vaas

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Schwarze Löcher, Zeitreisen und Überlichtgeschwindigkeit – mit vielen Erklärungen zum Informationsparadoxon – vom bdw-Redakteur

Rüdiger Vaas

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Franckh-Kosmos Stuttgart 2005 € 16,95

Internet

Einführung in die Quantengeometrie:

cgpg.gravity.psu.edu/research/ poparticle.shtml

Ohne Titel

Empirische Überprüfungen der Quantengeometrie stehen noch aus. Insofern sind die Wissenschaftler bislang auf Extrapolationen, Spekulationen und vor allem auf rigorose mathematische Überprüfungen angewiesen. Denn eine widerspruchsfreie Theorie ist zwar notwendig, aber keineswegs selbstverständlich. Auch hier helfen die Schwarzen Löcher weiter. Denn die stark vereinfachte Situation zur Singularitätsvermeidung in den homogenen kosmologischen Modellen lässt sich nicht ohne Weiteres auf Schwarze Löcher übertragen, da sie nicht hinreichend ist, um deren komplexere physikalische Aspekte zu beschreiben. „Dies ermöglicht viele theoretische Tests einer Theorie der Quantengravitation”, sagt Martin Bojowald vom Albert-Einstein-Institut in Potsdam.

Und die Quantengeometrie eröffnet – im Wortsinn – noch andere Horizonte: Eine Konsequenz ist, dass sich keine Schwarzen Minilöcher in der Größenordnung von 10–33 Zentimeter durch sphärischen Kollaps bilden können. „Das hängt vermutlich damit zusammen, dass auf dieser Skala die Geometrie diskret ist und keine klassische Raumzeit-Struktur mehr existiert”, erklärt Bojowald. Deshalb kann auch kein Horizont entstehen. „Horizonte bilden sich nur, wenn die kollabierende Materie die Raumzeit gleichsam mitreißt. Dabei muss der Kollaps aber schnell genug sein. Und er verläuft umso rasanter, je mehr Masse anfänglich vorhanden ist.”

Ohne Horizont kein Schwarzes Loch und auch keine Hawking-Strahlung: Das macht es möglich, die Hypothese zu testen. Sie wäre widerlegt, wenn Hawking-Strahlung aus dem frühen Universum entdeckt würde: Dann hätten sich kurz nach dem Urknall viele winzige Schwarze Löcher gebildet, die rasch wieder verdampft wären. Hingegen wäre die gegenwärtig häufig diskutierte künstliche Erzeugung solcher Schwarzen Partikel in Teilchenbeschleunigern keine Widerlegung. „Denn sie würden nicht durch einen rotationssymmetrischen Kollaps, sondern durch asymmetrische Teilchen-Kollisionen entstehen. Das ist eine ganz andere Situation”, betont Bojowald.

Ohne Titel

• Im Zentrum der Schwerkraftfallen gibt es keine ominösen Singularitäten mit unendlicher Energiedichte, doch die klassische Raumzeit verschwindet.

• Das berüchtigte Informationsverlust-Paradoxon von Stephen Hawking ist gelöst, wenn Materie und Energie im Schwarzen Loch nach dessen Verdampfung wieder entkommen können.

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