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Wenn Fledermäuse Hochzeit machen

Allgemein

Wenn Fledermäuse Hochzeit machen
Ein Schweizer Verhaltensforscher bringt Licht in das heimliche Leben der Nachtschwärmer. Mit einer Infrarotkamera filmt der Baseler Jürgen Gebhard, wie Fledermauspaare sich finden, worauf die Weibchen beim Männchen Wert legen und wie verschmähte Schwächlinge mit Tricks zuweilen doch noch zum Ziel kommen.

Die berühmteste Fledermaus der Schweiz hängt über der Altstadt von Basel kopfunter in einem Bretterverschlag. Hinter der wenig attraktiven Fassade verbirgt sich ein innenarchitektonisch wohldurchdachtes Refugium, das keine Fledermauswünsche offenläßt.

Von den Vorzügen ist der seit drei Jahren hier ansässige Hausherr „Lan“ ebenso überzeugt wie seine zahlreichen weiblichen Gäste, die er alljährlich im Herbst mit eindeutigen Absichten in sein Domizil lockt.

Was in der Hochzeitssuite auf der Dachterrasse des Naturhistorischen Museums geschieht, bleibt nicht unbeobachtet: Eine Infrarot-Kamera überträgt live, was Lan und seine Besucherinnen treiben. Nebenan sitzt Jürgen Gebhard und betrachtet mit indiskretem Forscherblick seine Lieblinge auf dem Bildschirm.

Moderne Technik und unkonventionelle Ideen ermöglichen dem Präparator am Baseler Museum Einblicke in das Werben und Paaren der mausköpfigen Fledertiere, die so bislang keinem Verhaltensforscher vergönnt waren.

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Lan ist ein „Großer Abendsegler“. Seine Fähigkeit zu fliegen – „fleder“ ist das mittelhochdeutsche Wort für „flattern“ – hat er allerdings eingebüßt, als er einer Katze in letzter Minute entwischte, mit zerfetzten Flügeln, sonst aber unversehrt.

Gebhard überließ dem unfreiwilligen Fußgänger die Suite unter dem Dach und sorgte stets für einen vollen Mehlwurm-Teller. Lan erfüllte alle Hoffnungen seines Vermieters: Er lockte Weibchen in sein Quartier.

Seitdem hat Gebhard auf vielen Videobändern erstaunliche Details der Fledermaus-Minne festgehalten. Es beginnt meistens damit, daß Lan, der ruhig im oberen Teil seiner Baumhöhle baumelt, Laute hört, die für die vergleichsweise unsensiblen menschlichen Ohren zu hoch sind. Flink hangelt er sich zum Einflugsloch, reckt seinen Kopf hinaus und beginnt, in alle Richtungen zu rufen.

Kurze Zeit später segelt ein Weibchen in die Höhle. Den Herrn des Hauses nicht weiter beachtend, überzeugt sich die Besucherin zunächst vom Zustand der Herberge. In jede Ecke dringt sie vor, gründlich beschnüffelt sie das neue Terrain. „Die Weibchen scheinen nach Geruchsmarken zu suchen, die ihre Vorgängerinnen hinterlassen haben“, erklärt Gebhard das Verhalten der Flederfrau.

Die Begrüßung der Umworbenen durch Gastgeber Lan fällt überraschend schroff aus: Mit aufgerissenem Maul, in dem spitze Zähne blitzen, zetert und keift er das Weibchen an. Er schubst und beißt seine künftige Gefährtin rüde und zwingt sie mit aggressivem Gebaren, auf seinen Rücken zu klettern. Dann spreizt Lan seine Ellbogen vom Körper und formt dazwischen eine bequeme Mulde für die Partnerin. Dabei vibriert sein Körper – ein Verhalten, mit dem Fledermäuse Wärme erzeugen.

Jürgen Gebhard hat zwei Erklärungen für dieses Schau-spiel: Das Männchen will dem Weibchen entweder kuschelig warm machen und es so zum Bleiben animieren. Oder es will verhindern, daß die Umworbene vorzeitig wieder davonflattert.

Für die zweite Variante spricht, auf welch seltsame Weise sich die Vorbereitungen zur Fledermaus-Hochzeit fortsetzen: Sobald Lan wieder eine Abendseglerin vorbeifliegen hört, rennt er erneut zum Eingang, lockt sie in seine Wohnstatt und zwingt sie, ebenfalls im Huckepack auf seinem Rücken Platz zu nehmen.

„Im Spätherbst“, hat Gebhard beobachtet, „drängeln sich bis Mitternacht manchmal bis zu zehn Weibchen hintereinander auf Lan.“ Lan ist immer vorn, dem Einflugsloch am nächsten. So kann er verhindern, daß sich eines der Weibchen unbemerkt davonmacht.

Gegen Mitternacht löst sich die eigenartige Huckepack-Kolonne auf. Die Weibchen hängen sich dicht aneinandergekuschelt an die Decke des Quartiers – mitten unter ihnen Lan.

Am frühen Vormittag des nächsten Tages ist er als erster wach. Er krabbelt zwischen den Weibchen umher, beschnüffelt sie, führt schließlich eines mit einem Nackenbiß aus der Gruppe und begattet die noch ziemlich schläfrig wirkende Auserwählte.

„Es sieht zwar ganz nach einer Vergewaltigung aus“, sagt Gebhard. Doch das sei „absolut nicht so“. Auch träge Fledermäuse seien wach und wüßten sehr genau, was um sie herum und mit ihnen geschieht. Gebhard hat schon oft selbstbewußte Fledermausfrauen beobachtet, die alle Annäherungsversuche unmißverständlich zurückwiesen. Andere boten sich dem Freier bereitwillig an.

Die Kopulation der Tiere dauert etwa zwei Minuten. Das Männchen liegt auf dem Rücken des Weibchens, umklammert es fest mit seinen Unterarmen und reibt zwischendurch eifrig Speichel in das Nackenfell der Fledermausfrau. Gebhard nimmt an, daß die Männchen ihre Weibchen so mit einem Duftsekret aus einer großen Drüse markieren, die in den Mundwinkeln sitzt.

Winterliche Schlafgemeinschaft: Während der Balz im Herbst achten die Männchen zwar eifersüchtig darauf, daß ihrem Harem kein Konkurrent zu nahe kommt, aber wenn die Zeit der Paarung vorbei ist, kuscheln sich Männchen und Weibchen durcheinander dicht zusammen. So kommen sie warm durch den Winter.

Bevor Lan sich an das nächste Weibchen heranmachen kann, braucht er eine längere Pause. Der Liebesakt ist für Fledermausmänner ein kraftzehrendes Unternehmen, bei dem sie in freier Natur viel Gewicht verlieren. Lan – hat Gebhard gezählt – bringt es in 24 Stunden auf manchmal sechs Kopulationen, 166 waren es in der gesamten Balzzeit, die von August bis Ende November dauert.

Ein Fledermausmann muß seine Chancen zur Verbreitung seiner Gene nutzen, solange die Weibchen gewillt sind, bei ihm zu bleiben. Das können zwei Wochen sein oder nur wenige Tage. Um ihr Erbgut möglichst ökonomisch zu verteilen, vermeiden es die Fledermänner, sich mehrmals mit demselben Weibchen einzulassen.

Solange die Männchen mit den Weibchen im Liebesnest zusammen sind, achten sie eifersüchtig auf die Treue ihrer Partnerinnen. Gebhard beobachtete öfters, wie ein Männchen Konkurrenten, die in sein Territorium eingedrungen waren, mit wütenden Bissen von seinem Harem vertrieb.

Flederfrauen dürften derartige Eifersüchteleien gänzlich unvernünftig erscheinen. Denn ob ein Begatter auch der Zeuger jener Kinder ist, die seine Partnerin später zur Welt bringen wird, bleibt trotz aller Bemühungen um Exklusivität unbestimmt. Der Grund ist der komplizierte Fortpflanzungszyklus der Fledermäuse. Die Paarung findet zwar im Herbst statt, der Eisprung des Weibchens und die Befruchtung erfolgen jedoch erst im folgenden Frühjahr. So lange speichert das Weibchen die Spermien in der Gebärmutter – 50 bis 100 Millionen, schätzt Gebhard, die auf eine einzige, seltener zwei reife Eizellen warten.

Der Befruchtung folgt bei den Abendseglerinnen eine sechs- bis achtwöchige Tragzeit. Bei guten Bedingungen bringen sie ihre Jungen im Juni zur Welt. Bei längeren Schlechtwetterperioden, beobachtete Gebhard, können die werdenden Mütter den Geburtstermin um einige Tage hinausschieben: Sie fallen in Kältestarre und warten wärmeres Wetter ab. Meist gebären sie nur ein Kind, selten zwei. Aber auch die außergewöhnliche Geburt von Drillingen hat Gebhard schon erlebt, im vergangenen Juni.

Die Aufzucht der Nachkommen ist Sache der Weibchen. Dazu schließen sie sich in Wochenstuben zusammen. Von Mausohrweibchen ist bekannt, daß sie in nahrungsreichen Regionen Kolonien von über 1000 Tieren bilden. In Albanien, hat Gebhard erfahren, soll es gar eine Wochenstube von Langfußfledermäusen mit 10000 Tieren geben.

Normalerweise leben aber nicht mehr als zehn Tiere in solchen Kolonien zusammen. Die Mitglieder scheinen sich zu erkennen. Kehrt ein Weibchen etwa von einem Jagdausflug zurück, wird es von den Zurückgebliebenen vertraut begrüßt. Die Mütter reiben ihre Schnauzen aneinander und beknabbern sich gegenseitig das Fell.

Das gleiche zärtliche Ritual beobachtete Gebhard unter den Weibchen im Harem von Lan. Er selbst wurde niemals begrüßt, die Weibchen nahmen kaum Notiz von ihm. Überhaupt scheinen unter Fledermäusen die Weibchen das Regime zu führen. Sie bestimmen, ob ein Männchen sie begatten darf und wie oft es dazu Gelegenheit bekommt.

Nur erfolgreiche Fledermausmänner, die es im Herbst geschafft haben, eine komfortable Unterkunft zu behaupten, kommen in die nähere Auswahl. Auch wie lange der Besuch im Hochzeitsquartier dauert, entscheiden die Weibchen allein – das machohafte Gehabe, mit dem das Männchen sich den Bräuten präsentiert, entpuppt sich als geduldete Show. „Es hat den Anschein“, meint der Biologe, „als würde das regionale Angebot an balzenden Männern von einem etablierten Weibchenkollektiv ausgebeutet“ – der Fledermausmann als bloßer Samenspender.

Männchen, die nicht stark genug sind, ein eigenes Hochzeitsquar-tier zu erobern und zu verteidigen, bleibt nichts anderes übrig, als sich in Junggesellen-Kolonien zusammenzufinden.

Andere arbeiten mit Tricks, um dennoch bei einem Weibchen zu landen. Ein besonders raffiniertes Manöver hielt Gebhards Kamera 1995 im Hochzeitspalast von Lan fest. Im Oktober segelte eine Fledermaus in das Quartier, eindeutig ein Männchen, das sich jedoch wie ein Weibchen benahm: Das Tier ordnete sich willig in die Huckepack-Kolonie ein und ertrug sogar zwei Begattungsversuche durch Lan. Am nächsten Vormittag jedoch, als alle Fledermäuse im Quartier noch träge ruhten, erschlich sich der Eindringling unbeachtet vom Hausherrn zwei Kopulationen.

Vermutlich hatte er sich mit weiblichen Düften parfümiert, so daß Lan bei der Geruchskontrolle nichts auffiel. Das Verhalten des Eindringlings, meint Gebhard, hätte derart routiniert gewirkt, daß der so etwas wohl nicht zum ersten Mal gemacht habe.

Warum die Fledermaus den Kopf hängen läßt

Zu den Fledertieren gehören Flughunde und Fledermäuse. Fledertiere bilden mit bisher 925 bekannten Arten nach den Nagetieren die zweitgrößte Gruppe in der Klasse der Säugetiere. Sie sind die einzigen Säuger, die aktiv fliegen können.

Alle Fledertiere lieben die Wärme. Die meisten Arten leben deshalb in tropischen und subtropischen Klimazonen. Ihre Vielfalt zeugt von ihrem Erfolg in der Evolution: Flugvermögen und ein Orientierungssystem, das ihnen die Jagd im Dunkeln ermöglicht, haben den Tieren eine fast konkurrenzlose Nische für den Nahrungserwerb geschaffen. 50 Millionen Jahre alte Fledermausskelette aus der Grube Messel bei Darmstadt unterscheiden sich kaum von denen heute lebender Fledermäuse.

Die kleinste – die 1973 in Thailand entdeckte Hummelfledermaus – wiegt nur zwei Gramm, hat eine Körperlänge von 30 Millimetern und eine Flügelspannweite von 18 Zentimetern. Die Spannweite der größten Fledermaus mit dem Namen „Vampyrum spectrum“ mißt dagegen 70 Zentimeter. Die meisten Fledermäuse fressen Insekten. Die Vampirfledermäuse bevorzugen Blut: Mit rasiermesserscharfen Zähnen schneiden sie fast unspürbar kleine Stücke aus der Haut ihrer Opfer und lecken das aussickernde Blut. Die Vampire leben allerdings nicht in Transsylvanien, sondern in Süd- und Mittelamerika.

Wann die Fledermäuse das auffällige Kopfunterhängen als typische Ruhehaltung erfunden haben, ist unbekannt. Daß sie es überhaupt können, verdanken sie einem speziellen Mechanismus: Eine Sehne im Fuß krümmt die äußersten Zehenglieder zu einem Haken – ohne Kraftaufwand, nur durch das Gewicht des Körpers. Das Hängen über Tag oder während des Winterschlafs spart Energie, die beispielsweise ein Vogel aufwenden muß, um mit seinen dünnen Beinchen auf einem Ast zu balancieren.

Claudia Eberhard-Metzger

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