Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Mutter Erde – Vater All?

Allgemein

Mutter Erde – Vater All?
Unsere Wiege stand vielleicht in kosmischen Dunkelwolken

Die Astronomen stehen in dem Ruf, als Ufo-Ungläubige gegen fremdes Leben jeglicher Art im All zu sein. Dabei sind es gerade die Astronomen, denen wir die Erkenntnis verdanken, daß es allein in unserer Milchstraße Tausende, vielleicht viele Zigmillionen von Planeten gibt, auf deren Oberfläche ähnlich lebensfreundliche Bedingungen herrschen wie auf der Erde.

Ob dort tatsächlich auch Leben entstand, ist keine Frage an die Astronomen, sondern an die Biologen: Wenn irgendwo alles Äußerliche stimmt, also Temperatur, Zusammensetzung der Atmosphäre, Wasser und so weiter, so daß sich Leben entwickeln könnte, tut es das dann auch tatsächlich? Und wenn Anfänge sich entwickeln, also etwa erste Einzeller, wie wahrscheinlich ist dann eine Weiterentwicklung bis zu „intelligenten Wesen“? Darüber sind die Biologen unterschiedlicher Meinung. Auch wenn ihnen die Lebensvielfalt auf der Erde reichlich Möglichkeiten für Experimente bietet, tun sie sich bislang schwer damit, den Übergang von der unbelebten zur belebten Materie zu erklären.

Als Ei des Columbus wird das Problem oft einfach weggeschoben: Das Leben wäre gar nicht auf der Erde, sondern im Weltraum entstanden, heißt es. Gewiß: Kein Forscher wird heute ernsthaft darauf beharren, allein die Erde sei belebt und der Rest des Alls sei tot. Doch das „Ei des Columbus“ ist eine Scheinlösung, wenn man dabei an einen anderen Planeten denkt: Das Problem wird nur von einem Ort zum anderen verlagert. Ob das Leben auf dem Saturnmond Titan, dem Mars oder der Erde entstanden ist, löst nicht die Frage, wie es entstand.

Einige Forscher tippen denn auch gar nicht auf Planeten als die Wiege der Lebenskeime. Zumindest für die ersten komplexen Moleküle, die Grundbausteine des Lebens, braucht man nicht Ausschau zu halten nach „lebensfreundlichen Bedingungen“. Gerade dort, wo höheres Leben absolut unmöglich ist, könnte unsere Wiege stehen: in den eiskalten Wolken aus interstellarem Gas und Staub.

Anzeige

Prof. Mayo Greenberg von der Universität Leiden in Holland ist von der Entstehung der chemischen Bausteine für Leben im All überzeugt. Bei Experimenten in seinem Labor ahmte er die Bedingungen in Dunkelwolken nach, etwa im Pferdekopfnebel des Orion: Wie das Weltall aufgebaut ist und was es im Innersten zusammenhält, interessiert ihn gleichermaßen. Wolfram Knapp, bdw-Redakteur für Astronomie, läßt sich gern in Dispute verwickeln, in denen es um kosmologische und philosophische Fragen geht – kurz: um Gott und die Welt.

In eine sehr dünne Atmosphäre aus Kohlenmonoxid, Stickstoff und Wasserstoff strahlte er UV-Licht ein, wie es im All junge heiße Sterne aussenden. Tatsächlich entstanden organische Verbindungen in der „Weltall-Luft“, die Vorstufen für Leben sein könnten.

„Die meisten Atome in unserem Körper“, erklärt Greenberg, „stammen aus dem Innern der Sterne. Vor allem die schwereren entstanden bei Supernova-Explosionen. Alle haben an den Prozessen in den Dunkelwolken teilgenommen, wo die Atome zu komplexen Molekülen zusammenwuchsen. Diese kamen vermutlich mit Kometen aus dem All zu uns. Die Bausteine des Lebens haben ihren Ursprung jedenfalls im interstellaren Raum: Er ist ein riesiges Reservoir an organischer Materie.“

Rückendeckung für seine Hypothese bekam Greenberg kürzlich vom „Murchison“-Meteoriten, der 1969 über Australien vom Himmel fiel und nun von amerikanischen Forschern an der Universität Oklahoma untersucht wurde. Sie fanden in ihm Aminosäuren, unter denen das Alanin Aufsehen erregte: Seine chemischen Baugruppen sind in der gleichen Drehrichtung um das Kohlenstoffatom angeordnet, wie es bei allen diesen Molekülen auf der Erde der Fall ist. Bei der Bildung solcher Aminosäuren sollten L- und D-Alanine (links- und rechtsdrehende Moleküle) eigentlich in gleichen Anteilen entstehen. Ein Rätsel für die Biologen war und ist immer noch, warum in allen Lebewesen auf der Erde jedoch nur die linksdrehenden auftreten.

Die Erklärung dafür könnte im Weltall liegen: Als sich diese Moleküle vor vielen Milliarden Jahren in den Staubwolken bildeten, aus denen sich das Planetensystem formte, wurden sie durch die starke Strahlung einer nahen Supernova in die Linksrichtung gezwungen. Leben in einem fremden Planetensystem könnte aus der gleichen Ursache nur rechtsdrehende Alanine haben.

Ein weiterer Himmelsbote, der in einer 16 Millionen Jahre langen Odyssee vom Mars zur Erde geflogen war, hatte im August 1995 für Wirbel gesorgt: Der Marsbrocken ALH84001, gefunden in der Antarktis, enthält winzige Strukturen, die wie versteinerte Kleinstbakterien aussehen. Ob sie es auch wirklich sind, ist bis heute allerdings ungeklärt.

Doch ist unsere Suche nach „Lebenskeimen“ nicht von vornherein aussichtslos, weil wir wie mit Scheuklappen nach etwas suchen, was wir kennen? Oft wird so gefragt, besonders bei den Talkshows anläßlich der Landung des Miniroboters Sojourner, der seit dem 4. Juli auf dem Mars herumfährt. Eine beliebte Argumentation: Wir machten uns mal wieder zur Krone der Schöpfung – so heißt es -, indem wir unsere Vorstellung von Leben als Richtschnur für das ganze Weltall nähmen. Leben könne ja auf einem fremden Planeten auch völlig fremdartig sein, ganz anders als bei uns. Eine organische Chemie etwa sei zwar auf der Erde die Grundlage für Leben, aber selbst hier wäre eine Silizium-Chemie als Lebensbasis denkbar, und in fremden Welten könne sich Leben sogar auf etwas ganz anderes als „unsere“ Chemie stützen. Auch die Weiterentwicklung zu höheren Wesen könne zu ganz andersartiger „Intelligenz“ geführt haben.

Damit hätte die Phantasie freien Lauf, doch viele übersehen, daß solche beliebig grünen Männchen in Widerspruch zu dem Bild stehen, das man sich gern von den „Fremden“ macht: Wenigstens ein bißchen menschenähnlich sollten sie sein, also aufrecht gehen, mit Beinen, Armen und Augen ausgestattet sein. Ein „ganz anderes“ Wesen wäre nicht der ersehnte Gesprächspartner.

Natürlich nimmt niemand ernsthaft an, daß ein Außerirdischer so irdisch ist, daß er verständnisvoll lächelt, wenn man ihm auf eine Tafel ein rechtwinkliges Dreieck malt und daneben die Gleichung a2 + b2 = c2 schreibt. Er wird mit Sicherheit eine andere Form der Kommunikation über abstrakte Sachverhalte erfunden haben. Doch auch auf seinem Planeten gilt der Satz des Pythagoras, diese quadratische Beziehung zwischen den Seiten in einem rechtwinkligen Dreieck – unabhängig davon, wie man ihn fixiert und mitteilt.

Anzunehmen, daß „unsere“ Physik und Chemie weltallweit gilt, ist tatsächlich keine Überheblichkeit im Sinne von „Krone der Schöpfung“, denn wir haben guten Grund zu dieser Annahme. Zwar fand Galilei nur auf der Erde sein Gesetz, wie Körper zur Erde fallen. Doch Newton wandte dieses „irdische“ Gesetz auf den Mond an und konnte zeigen, daß die beobachtete Mondbahn sich exakt erklären läßt, wenn man den Mond wie einen Stein oder einen Apfel in Richtung Erde fallen läßt. Das war die Geburt seines universellen Gravitationsgesetzes – universell ist es, weil es für Steine auf der Erde, für Monde um Planeten, Planeten um die Sonne und sogar für die Dynamik in Galaxienhaufen gilt.

Neill Armstrong, der als erster Mensch einen fremden Himmelskörper betrat, machte ein bemerkenswertes Experiment auf dem Mond, miterlebt von Millionen Fernsehzuschauern: Er hielt einen Hammer und eine Hühnerfeder hoch und ließ beide gleichzeitig los. Sie fielen nebeneinander gleichschnell zu Boden – leicht zu verfolgen, weil die geringere Schwerkraft auf dem Mond alle Gegenstände langsamer fallen läßt. Das Experiment wurde damals als nachträglicher Beweis – nach 350 Jahren – für Galileis Behauptung gewertet, daß im luftleeren Raum alle Körper gleich schnell fallen. Es war aber eher eine spektakuläre Demonstration dafür, daß „unsere“ Physik eben nicht nur bei uns gilt, sondern universell.

Ebenso in der Chemie: Was wir in irdischen Labors herausgefunden haben, gilt nicht nur hier. Die Spektrallinien der glühenden irdischen Stoffe finden wir bei der Sonne und bei den fernsten Sternen und Galaxien – bis zum Rand der Welt. Wir wollen unsere Erkenntnis über die Dinge – unsere Naturwissenschaft – nicht dem Universum aufzwängen. Was wir als Naturwissenschaft „entwickelt“ – besser gesagt: gefunden – haben, sind die Gesetzmäßigkeiten, die in der Welt auch ohne uns herrschen.

Die Erde nimmt in der Natur keine Sonderstellung ein. Das gilt – wie wir besonders seit der Entdeckung von Planeten bei fremden Sternen wissen – sowohl für die Bildung von Planeten als auch für die Entstehung von Bedingungen, die Leben auf ihnen ermöglichen. Und wenn die Physik und die Chemie, wie wir sie auf der Erde kennengelernt haben, universell gültig sind, liegt es nahe, daß auch fremdes Leben dem unseren zumindest sehr ähnlich ist.

Die Natur hatte auf der Erde viele Möglichkeiten, um verschiedene Wege der Lebensentstehung auszuprobieren. Als „machbar“ haben sich einige Grundlagen erwiesen, zum Beispiel die Kohlenstoff-Chemie: Die materielle Basis für „höheres Leben“, das sich parallel mit der Vergrößerung des Gehirns entwickelte und schließlich zu Denken und Bewußtsein führte, war die unglaubliche Vielfalt der Verbindungsmöglichkeiten organischer Moleküle. Das ist offenbar der Weg, den die Natur geht, um Leben entstehen zu lassen, wenn irgendwo im All alle Voraussetzungen dafür gegeben sind – sei es auf der Erde oder auf irgendeinem fremden Planeten.

Es gibt also keinen vernünftigen Grund für die Annahme, anderswo sei alles ganz anders. Wenn es irgendwo intelligente Lebewesen geben sollte, gäbe es auch eine Verständigungsgrundlage mit ihnen: die im ganzen All gültige Naturwissenschaft, von der auch die Fremden den Schleier wenigstens ein Stück gelüftet haben sollten – vielleicht sogar viel weiter als wir.

Wolfram Knapp

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Pap|pus  〈m.; –, – od. –se; Bot.〉 Haarkrone der Frucht der Korbblütler [<grch. pappos … mehr

Ho|mo|lo|gie  〈f. 19; Philos.〉 1 Übereinstimmung von Vernunft u. Handeln bzw. Leben (im Einklang mit der Natur) 2 〈Psych.〉 Übereinstimmung von Verhaltensweisen … mehr

Ein|zel  〈n. 13; Sp.; bes. Tennis〉 Spiel eines Spielers gegen einen andern; Ggs Doppel ( … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige